1. Eine Außengutachterin eines Versorgungsamts mit einem festen Kontingent an monatlichen Begutachtungen und Zugang zum IT-Netzwerk der Versorgungsverwaltung ist Bedienstete der Versorgungsverwaltung und deshalb vom Amt einer ehrenamtlichen Richterin in Schwerbehindertensachen ausgeschlossen.
2. Bedienstete sind Beamte, Angestellte und Arbeiter, die gegen Entgelt beschäftigt sind.
3. Der Einsatz einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der mit sozialen Entschädigungsrecht und dem Recht zur Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen in Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung kommt nicht in Betracht.
Die zur ehrenamtlichen Richterin bei dem Sozialgericht Darmstadt berufene Dr. A. wird von ihrem Amt entbunden.
Gründe
I.
Die mit Urkunde vom 8. April 2021 für die Zeit vom 10. Juni 2021 bis 9. Juni 2026 bei dem Sozialgericht Darmstadt aus den Kreisen der mit sozialen Entschädigungsrecht und dem Recht zur Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen zur ehrenamtlichen Richterin berufene Dr. A. erklärte der Vorsitzenden der 5. Kammer des Sozialgerichts Darmstadt anlässlich ihres ersten Einsatzes als ehrenamtliche Richterin bei einer mündlichen Verhandlung, dass sie nicht nur in der Vergangenheit als Mitarbeiterin des Versorgungsamts Gutachten erstellt habe, sondern auch weiter Gutachten für das Versorgungsamt als freie Mitarbeiterin erstelle.
Die ehrenamtliche Richterin meint, es handele sich insoweit um eine selbständige Tätigkeit. Im Einzelfall könne es aber vorkommen, dass auch Personen, die sie begutachtet hat Klägerinnen oder Kläger im Verfahren seien.
Die Kammer hat die Vereinbarung der ehrenamtlichen Richterin mit dem Land Hessen, vertreten durch das Regierungspräsidium Hessen über ihre Tätigkeit als „Außengutachterin“ beigezogen. Hierin ist vereinbart, dass sie nach festen Sätzen in Höhe von 18,00 €, 6,10 € bzw. 9,00 € Außengutachten zur Feststellung des Grades der Behinderung erstellen soll. Grundsätzlich seien mindestens 25 Akten pro Monat zu bearbeiten. Die Höchstmenge betrage 600 Akten pro Monat. Es wurde weiter vereinbart, dass die ehrenamtliche Richterin „in direktem persönlichen Kontakt zur Schwerbehindertenabteilung ihres Stammamtes“ stehen solle, dort die Akten selbst abholen bzw. zurückbringen solle und mit einem Bootstick zum Zugriff auf das Netzwerk des Versorgungsamts ausgestattet werde, sowie eine dienstliche E-Mail – Adresse des Versorgungsamts erhalte. Ferner wurde eine Kündigungsfrist vereinbart.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2021 hat die Kammer die ehrenamtliche Richterin zu seiner Absicht, sie von ihrem Amt als ehrenamtliche Richterin zu entbinden, angehört.
Die ehrenamtliche Richterin hat erklärt, mit einer Amtsentbindung nicht einverstanden zu sein. Sie sei allgemein zur ehrenamtlichen Richterin ernannt und nicht speziell für eine Kammer. Sie möchte daher als ehrenamtliche Richterin bspw. in Krankenkassen-, Pflegekassen- oder Unfallkassen-Verfahren eingesetzt werden. Dies sei das mildere Mittel.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Personalakte der ehrenamtlichen Richterin.
II.
Die ehrenamtliche Richterin Dr. A. war von ihrem Amt zu entbinden.
Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eine ehrenamtliche Richterin ist von ihrem Amt zu entbinden, wenn das Berufungsverfahren fehlerhaft war, wenn das Fehlen einer Voraussetzung für ihre Berufung oder der Eintritt eines Ausschließungsgrundes bekannt wird oder wenn sie die zur Ausübung seines Amtes erforderlichen geistigen oder körperlichen Fähigkeiten nicht mehr besitzt.
Im vorliegenden Fall ist nach der Berufung ein Ausschließungsgrund gem. § 17 Abs. 3 SGG bekannt geworden. Aufgrund der Vereinbarung der ehrenamtlichen Richterin mit dem Land Hessen wurde ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit dem Regierungspräsidium Gießen begründet. Das Ausschluss-Merkmal, dass die ehrenamtliche Richterin „Bedienstete“ des Regierungspräsidium Gießen, mithin der Versorgungsverwaltung, ist, ist daher erfüllt.
Bedienstete sind Beamte, Angestellte und Arbeiter, die gegen Entgelt beschäftigt sind. Das betroffene Arbeitsgebiet beinhaltet nicht nur das konkrete Referat des Bediensteten innerhalb einer Organisation, sondern das gesamte Aufgabengebiet dieser juristischen Person des öffentlichen Rechts. Letztlich will § 17 Abs. 3 SGG jedwede Interessenkollision vermeiden. (BeckOGK/Wahrendorf, 1.8.2021, SGG § 17 Rn. 9). Schon zur Vermeidung des „bösen Scheins“ ist der Begriff deshalb weit auszulegen (BeckOK SozR/Bischofs, 61. Ed. 1.6.2021, SGG § 17 Rn. 11). Obwohl aktive Bedienstete der für das soziale Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht zuständigen Behörden nicht erwähnt sind, ist doch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung zu folgern, dass sie nicht ehrenamtliche Richter in den Spruchkörpern für Angelegenheiten der sozialen Entschädigung und des Schwerbehindertenrechts sein können (BSGE GrS 12, 237).
Der Einsatz der ehrenamtlichen Richterin in einer anderen Fachkammer kommt nicht in Betracht. Die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter für die Kammern für Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts werden als anderen Vorschlagslisten berufen, als die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter für Angelegenheiten der Sozialversicherung, vgl. §§ 13 Abs. 6, 14 Abs. 3 SGG. Ein anderweitiger Einsatz wäre deshalb mit dem Recht auf den gesetzlichen Richtern nicht in Einklang zu bringen.
Das Vorliegen vorzüglicher Sachkenntnisse oder auch persönliche Wertschätzung haben gegenüber dem formalen Kriterium des Wegfalls einer Voraussetzung für die Berufung zur ehrenamtlichen Richterin zurückzustehen (siehe auch BSG v. 12. Dezember 2018 – B 1 SF 4/18 S).
Die Kammer hat die ehrenamtliche Richterin zur Entbindung von ihrem Amt angehört.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 22 Abs. 2 Satz 3 SGG.