S 33 AS 252/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 33 AS 252/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 502/21
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

1. Die Zugangseröffnung gem. § 36a SGB I setzt sich zusammen aus der technischen Bereitstellung des Zugangs als Vorbereitungsakt und der Widmung dieses Zugangs für die Nutzung im (rechts-verbindlichen) Elektronischen Rechtsverkehr.

2. Tatsächlich bereitgestellt ist der Zugang, wenn ein elektronisches Postfach oder ein digitales Portal/Formular durch eine andere Person erreichbar oder adressierbar ist.

3. Die Widmung eines elektronischen Zugangs kann durch Nennung eines Postfachs in der Rechtbehelfsbelehrung erfolgen.

4. Ein formwirksamer Widerspruch durch E-Mail setzt voraus, dass die E-Mail oder ein den Widerspruch enthaltender E-Mail-Anhang qualifiziert elektronisch signiert ist.

Die Klage wird abgewiesen

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten in der Sache um eine einmalige Beihilfe zur Beschaffung einer Wohnungserstausstattung, um ein Kautionsdarlehen, Teilmöblierungskosten und weitere Kosten der Unterkunft als Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Vordergründig ist hierfür die Frage der Zulässigkeit des Widerspruchs der Klägerin. 

Die 1989 geborene Klägerin steht seit dem 15. Februar 2019 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. Nachdem die Klägerin zuvor keine Leistungen von dem Beklagten bezogen hatte, stellte sie am 10. November 2020 einen (neuen) Leistungsantrag. Am 2. Dezember 2020 beantragte sie ferner die Gewährung einer Beihilfe für eine Wohnungsausstattung und (in einem weiteren Antrag) die Übernahme der Mietkaution in Höhe von 1.280,00 €. Die zum 1. Oktober 2020 angemietete Wohnung hat eine Größe von 85 m². Die Grundmiete beträgt 640,00 €, die Betriebskosten 240,00 € und die Kosten für eine Teilmöblierung 150,00 €.

Am 8. Dezember 2020 führte der Beklagte einen Hausbesuch durch. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2020 bewilligte der Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 1. Dezember 2020.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2020 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten einer Wohnungserstausstattung ab. Da die Klägerin zuvor über Möbel verfügt habe, handele es sich nicht um eine Erstausstattung, sondern um eine Ersatzbeschaffung. Die Bewilligung eines Darlehens sei aber auf formlosen Antrag möglich.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2020 lehnte der Beklagte die Übernahme der Mietkaution ab. Die angemietete Wohnung sei nicht angemessen.

Die Bescheide trugen unter anderem die folgende Rechtsbehelfsbelehrung:
„Der Widerspruch kann
1. schriftlich oder zur Niederschrift […]
2. mittels eines elektronischen Dokuments, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, per E-Mail an: kreisverwaltung@xxx.de
oder
3. durch De-Mail in der Sendevariante mit bestätigter sicherer Anmeldung nach dem De-Mail-Gesetz an: kreisverwaltung@xxx.de-mail.de
erhoben werden.
Durch eine gewöhnliche E-Mail kann keine rechtsverbindliche Erklärung abgegeben und kein Widerspruch eingelegt werden.
Hinweise zu den Anforderungen der elektronischen Kommunikation finden sich unter https://www.xxx.de/elektronische-kommunikation.“

Mit E-Mail vom 6. Januar 2021 legte die Klägerin gegen die Bescheide vom 21. Dezember 2020 und vom 23. Dezember 2020 Widerspruch ein. Die E-Mail war nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Mit Schreiben vom 5. Februar 2021 wies der Beklagte darauf hin, dass der Widerspruch lediglich per E-Mail eingelegt worden sei. Die Klägerin solle den Widerspruch nochmals unterschrieben einreichen. 

Ein unterschriebener Widerspruch ging nicht ein. Mit Widerspruchsbescheiden vom 11. März 2021 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unzulässig zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 12. April 2021 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Das Schreiben vom 5. Februar 2021 habe sie nie erhalten.

Der Kläger beantragt schriftlich,
die Bescheide der Beklagten vom 12. Dezember 2020 und vom 23. Dezember 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11. März 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Beihilfe zur Wohnungserstausstattung und ein Darlehen zur Zahlung der Mietkaution zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich zur Klageerwiderung auf die Gründe ihrer Verwaltungsentscheidungen.

Das Gericht hat die Beteiligten unter dem 2. September 2021 zu seiner Absicht, durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen, angehört.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist aufgeklärt und der Rechtsstreit bietet weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden und hatten Gelegenheit zu einer Stellungnahme. 

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide des Beklagten waren in der Sache nicht mehr zu überprüfen. Sie sind bestandkräftig. Die Klägerin hat innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist gem. § 84 SGG keinen formwirksamen Widerspruch erhoben. Wird gegen einen Verwaltungsakt kein Widerspruch erhoben oder gelangt dieser nicht zur zuständigen Behörde fehlt es an einem wirksamen Widerspruch, sodass ein Vorverfahren nicht eingeleitet wird und die Bestandskraft des Bescheides nach § 77 eintritt (BeckOGK/Becker, 1.8.2021, SGG § 84 Rn. 26). Richtigerweise hat der Beklagte den Widerspruch daher als unzulässig zurückgewiesen.

Gem. § 84 Abs. 1 SGG kann der Widerspruch in schriftlicher, in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) oder zur Niederschrift eingereicht werden. Diese Form ist vorliegend nicht gewahrt.

Die Klägerin hat den Widerspruch in elektronischer Form – mittels E-Mail – eingereicht. Hierbei hat sie jedoch die besonderen Formvorschriften des § 36a Abs. 2 SGB I nicht beachtet.

Die Einlegung des Widerspruchs per E-Mail war grundsätzlich zulässig. Gem. § 36a Abs. 1 SGB I ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, wenn der Empfänger – hier die Behörde – hierfür einen Zugang eröffnet hat. Die Zugangseröffnung setzt sich zusammen aus der technischen Bereitstellung des Zugangs als Vorbereitungsakt und der Widmung dieses Zugangs für die Nutzung im (rechtsverbindlichen) Elektronischen Rechtsverkehr. Die technische Bereitstellung des Zugangs ist ausschließlich im Hinblick auf dessen Außenwirkung zu bewerten. Tatsächlich bereitgestellt ist der Zugang, wenn ein elektronisches Postfach oder ein digitales Portal/Formular durch eine andere Person erreichbar oder adressierbar ist. Vorliegend hatte der Beklagte den Zugang des Übermittlungswegs E-Mail durch Einrichtung des Funktionspostfachs kreisverwaltung@xxx.de eröffnet.

Diesen Zugang hat der Beklagte auch für die Nutzung im elektronischen Rechtsverkehr eröffnet. Die Eröffnung des Zugangs erfolgt durch Widmung. Die Widmung wiederum ist die Signalisierung der Bereitschaft und Fähigkeit zur elektronischen Kommunikation gegenüber dem (potentiellen) Kommunikationspartner – ausdrücklich oder konkludent (Müller in: jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 36a SGB I (Stand: 20.09.2021), Rn. 27). Hier wurde der Zugang ausdrücklich jedenfalls durch Nennung dieses Funktionspostfachs in der Rechtsbehelfsbelehrung eröffnet.

Allerdings erfolgte der Widerspruch nicht in der Form des § 36a Abs. 2 SGB I. Dies war aber gem. § 84 Abs. 1 SGG erforderlich. Bei der Nutzung einer E-Mail als Übermittlungsweg kommt nur die formwahrende Einreichung gem. § 36a Abs. 2 Satz 1 SGB I in Betracht. Dann hätte die E-Mail aber mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gem. Art 3 Nr. 12 eIDAS-VO versehen sein müssen. Dies war hier ausweislich der beigezogenen Verwaltungsakte nicht der Fall. Eine Nachreichung innerhalb der Widerspruchsfrist ist nicht erfolgt.

Die Widerspruchsfrist ist zwischenzeitlich auch abgelaufen. Insbesondere war die Rechtsbehelfsbelehrung in den Ausgangsbescheiden vollständig und richtig. Dies betrifft vor allem den Hinweis auf die besondere Form hinsichtlich des elektronischen Rechtsverkehrs (vgl. zu den Voraussetzungen Müller in: jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 66 SGG (Stand: 20.09.2021), Rn. 16). 

Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Die Klägerin war von dem Beklagten explizit und textlich hervorgehoben darauf hingewiesen worden, dass die Widerspruchseinlegung mittels „einfacher E-Mail“ nicht zulässig ist.

Die Klage konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
 

Rechtskraft
Aus
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