Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 08.04.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt.
Der 1977 geborene Kläger ist zugelassener Rechtsanwalt und als solcher seit Mai 2009 Pflichtmitglied der Beigeladenen zu 1). Seit dem 20.05.2009 ist er in der Rechtsabteilung der Beigeladenen zu 2), einer Gesellschaft zur Verwaltung von betrieblichen Altersvorsorgeeinrichtungen, beschäftigt. Für diese Tätigkeit beantragte er am 06.06.2009 bei der Beklagten die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.10.2009 ab, weil der Kläger bei der Beigeladenen zu 2) nicht anwaltlich beschäftigt sei. Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Darmstadt ohne Erfolg Klage (S 14 R 122/10). Im Rahmen des beim Bundessozialgericht (BSG) unter dem Aktenzeichen B 5 RE 14/15 B anhängigen Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die seine Berufung zurückweisende Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts (<LSG>; Az.: L 1 KR 355/13) beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 29.03.2016, beim BSG am 31.03.2016 eingegangen, vorsorglich eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und führte aus, dass der Antrag seines Erachtens aufgrund des gestellten Antrags auf Befreiung von der Versicherungspflicht bereits gestellt sei. Mit Schreiben vom 06.04.2016, welches bei der Beklagten am 11.04.2016 einging, übersandte das BSG den Schriftsatz vom 29.03.2016. Das BSG verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde, die nach mehrmaligem Ruhen des Verfahrens unter dem Aktenzeichen B 5 RE 16/20 B fortgeführt wurde, mit Beschluss vom 06.04.2021 als unzulässig.
Mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main vom 07.11.2016, dem Kläger zugestellt am 09.11.2016, und Korrekturbescheid vom 17.11.2016 wurde der Kläger für seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) als Syndikusrechtsanwalt zugelassen. Die Beklagte befreite den Kläger daraufhin für seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) ab dem Zeitpunkt der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt (09.11.2016) von der Rentenversicherungspflicht (Bescheid vom 27.04.2017).
Mit Bescheid vom 07.06.2017 lehnte die Beklagte den Antrag vom 11.04.2016 auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI für die in der Zeit vom 20.05.2009 bis zum 08.11.2016 ausgeübte Tätigkeit als Mitarbeiter in der Rechtsabteilung der Beigeladenen zu 2) ab und führte zur Begründung aus, dass dieser nicht fristgemäß gestellt worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Antrag auf rückwirkende Befreiung einen bis zum 01.04.2016 gestellten Antrag voraussetze. Der am 31.03.2016 beim BSG eingegangene Antrag sei erst nach dem 01.04.2016 an sie weitergeleitet worden. Die Sozialgerichte seien auch keine Stellen im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), sodass der Antrag dort nicht fristwahrend habe gestellt werden können.
Am 26.02.2018 hat der Kläger beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und beantragt den Bescheid vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2018 aufzuheben und festzustellen, dass er fristgerecht den Antrag auf Befreiung auch für die Zeit rückwirkend ab dem 20.05.2009 gestellt habe, hilfsweise, den Bescheid für die Zukunft insoweit zu ändern, als die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung insoweit geändert werde, als die Befreiung für die Zukunft vom 24.03.2016 an zu erteilen sei. Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht sei fristgemäß gestellt worden. Zudem sei der Bescheid vom 07.06.2017 gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens beim BSG (B 5 RE 14/16 B) geworden.
Mit Gerichtsbescheid vom 08.04.2021 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die auf Feststellung einer fristgemäßen Antragstellung gerichtete Anfechtungs- und Feststellungsklage sei unzulässig und unbegründet. Die hilfsweise erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage sei unzulässig. Der angefochtene Bescheid sei nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand eines anderen Verfahrens geworden. Die Klage sei jedoch als Elementenfeststellungsklage unzulässig. Bei der Frage nach der fristgemäßen Antragstellung handele es sich lediglich um ein Element der Prüfung des Befreiungsanspruchs. Ein Bedürfnis für die isolierte Klärung dieser Vorfrage bestehe nicht. Die Klage sei zudem unbegründet. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Beklagte habe den Antrag des Klägers zu Recht als verfristet abgelehnt. Gemäß § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI habe der Antrag auf rückwirkende Befreiung nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden können. Maßgeblich sei der Eingang des Antrags bei der Beklagten und nicht der Eingang beim BSG. Zu diesem Zeitpunkt sei vorliegend die Frist bereits verstrichen gewesen. Der Hilfsantrag sei mangels Klagebefugnis bereits unzulässig, weil die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid und dem Widerspruchsbescheid nicht über die Befreiung für die Zeit ab der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bzw. ab der Antragstellung entschieden habe. Wie der Bevollmächtigte des Klägers in der Klageschrift zutreffend ausgeführt habe, komme eine Befreiung ab der Antragstellung und nicht mehr ab der Zulassung in Betracht. Allerdings sei diese Frage in einem Verfahren gegen den Befreiungsbescheid zu klären, der nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens sei.
Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 19.04.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.05.2021 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung wiederholt er seinen bisherigen Vortrag. Ergänzend führt er aus, die Auffassung des SG, dass er verpflichtet gewesen sei, einen erneuten Befreiungsantrag für die von ihm durchgängig ausgeübte Tätigkeit zu stellen, für die der Kläger mittlerweile zur Syndikusanwaltschaft zugelassen sei, sei unzutreffend. Das Verständnis der Beklagten, dass es sich hier um zwei Streitgegenstände handele, wie es jetzt das BSG im Hinblick auf § 96 SGG vertrete, sei für den Kläger im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG; - 1 BvR 2584/14 -, - 1 BvR 2534/14 -) nicht nachvollziehbar. Zudem komme es hier zu einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung: Hätte der Arbeitgeber des Klägers einfach die Beiträge an das Versorgungswerk abgeführt und nicht zur Beklagten angemeldet, wären diese Beiträge aufgrund der Veröffentlichung der Beklagten vom 12.12.2014 sicher gewesen, wenn der Kläger erst zum 01.01.2015 zur gesetzlichen Rentenversicherung umgemeldet worden wäre. Dass der Gesetzgeber für diese Fälle eine erneute Antragstellung beabsichtigt habe, ergebe sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung. Da es ein laufendes Gerichtsverfahren gegeben habe, hätten Anträge im sachlichen Zusammenhang mit diesem Gerichtsverfahren auch bei dem Gericht gestellt werden können. Deshalb sei die rechtzeitige Antragstellung beim BSG ausreichend gewesen. Der Rechtsgedanke des § 91 SGG sei anzuwenden. Der Kläger habe jedenfalls davon ausgehen dürfen, dass eine Antragstellung gegenüber dem BSG während des noch laufenden Gerichtsverfahrens ausreiche. Ein Hinweis von der Beklagten, dass ein erneuter Antrag im laufenden Verwaltungsverfahren notwendig sein sollte, sei nie erfolgt, obwohl dies der Beklagten ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Es habe ein Verfahren für die genau gleiche Tätigkeit gegeben. Zu verlangen, dass neben einer fristgerechten Information des Gerichts auch noch ein gesonderter Antrag bei der Beklagten auf erneute Befreiung gemäß § 6 SGB VI für die gleiche Tätigkeit noch einmal zu stellen sei, überspanne die Anforderungen an die Pflichten eines Antragstellers. § 16 Abs. 1 SGB I gelte nur für den Fall, dass erstmals Leistungen bei einem Rentenversicherungsträger beantragt würden. Zudem sei das BSG verpflichtet gewesen, den Antrag unverzüglich weiterzuleiten. Somit habe die klagende Partei alles unternommen, was hier zur Fristwahrung erforderlich gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 08.04.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2018 zu verpflichten, den Kläger für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) für die Zeit vom 20.05.2009 bis zum 23.03.2016 gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI in Verbindung mit § 231 Abs. 4b SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des Sozialgerichts und des Senats sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung (§ 144 Abs. 1 SGG).
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Die als Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthafte Klage ist nicht wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit unzulässig. Denn der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 07.06.2017 ist nicht Gegenstand des (damals) laufenden Verfahrens beim BSG über die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers geworden.
Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG sind nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der dem Nichtzulassungsverfahren zugrunde liegende Bescheid der Beklagten vom 08.10.2009 wurde durch den Bescheid vom 07.06.2017 weder abgeändert noch ersetzt.
Ausweislich der Verfügungssätze liegt keine Identität der Regelungsgegenstände vor. Mit Bescheid vom 08.10.2009 hat die Beklagte den Antrag des Klägers vom 06.06.2009, mit dem er die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der Beigeladenen zu 2) begehrte, abgelehnt. Dagegen hat die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2017 den Antrag des Klägers vom 11.04.2016 „auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI“ für die in der Zeit vom 20.05.2009 bis 08.11.2016 ausgeübte Beschäftigung als Mitarbeiter in der Rechtsabteilung der Beigeladenen zu 2) abgelehnt. Dabei bezog sich dieser Bescheid auf den Status des Klägers als Syndikusrechtsanwalt, während der Bescheid vom 08.10.2009 den Status des Klägers als Rechtsanwalt betraf. Dies ergibt die Auslegung der beiden Verwaltungsakte.
Die Auslegung eines Verwaltungsakts hat ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der Behörde bzw. des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat; für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die dem Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht (BSG, Beschluss vom 22.03.2018 - B 5 RE 12/17 B -, in juris, Rn. 29 m.w.N.; BSG, Urteil vom 28.06.2018 - B 5 RE 2/17 R -, in juris).
Unter Anlegung dieses Maßstabs ergibt sich, dass im Bescheid vom 08.10.2009 der erklärte Wille der Beklagten, die Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht für die geltend gemachte, seit dem 20.05.2009 ausgeübte Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) wegen der Nichtausübung einer anwaltlichen Tätigkeit abzulehnen, zum Ausdruck kommt. Dies ergibt sich aus dem Verfügungssatz, der ausdrücklich auf den Antrag des Klägers vom 06.06.2009 Bezug nimmt, in dem er die Befreiung von seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der Beigeladenen zu 2) begehrte, und der Begründung, wonach der Kläger nicht als Rechtsanwalt bei der Beigeladenen zu 2) beschäftigt sei.
Der Bescheid vom 07.06.2017 bezieht sich zwar auch auf die Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen zu 2) seit dem 20.05.2009. Diese Ablehnung stellt jedoch im Unterschied zu dem Bescheid vom 08.10.2009 auf den neu erworbenen Status des Klägers als Syndikusrechtsanwalt ab. Dies ergibt sich aus der Bezugnahme des Bescheids auf den Antrag des Klägers vom 11.04.2016, mit dem der Kläger unter Hinweis auf die von ihm beantragte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht beantragt hat. Außerdem ergibt sich dies aus der Bezugnahme auf § 231 Abs. 4b SGB VI im Verfügungssatz des Bescheids. Aufgrund der unterschiedlichen Statusbezogenheit liegt keine Identität der Regelungsgegenstände vor (vgl. BSG, Beschluss vom 22.03.2018 - B 5 RE 12/17 B -, in juris, Rn. 31 m.w.N.; BSG, Urteil vom 28.06.2018 - B 5 RE 2/17 R -, in juris; vgl. auch BSG, Beschluss vom 23.07.2019 - B 5 RE 5/19 B -, in juris <Verfassungsbeschwerde hiergegen nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.05.2020 - 1 BvR 2105/19>; BSG, Beschluss vom 04.08.2020 - B 5 RE 4/20 B -, in juris).
Hiervon Abweichendes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus den Entscheidungen des BVerfG vom 19. und 22.07.2016 (1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14). Das BVerfG hat die Auslegung und Anwendung von § 231 Abs. 4b SGB VI ausdrücklich zunächst den Fachgerichten überlassen (in juris, Rn. 8).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen einer rückwirkenden Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI liegen nicht vor, weil der Kläger keinen fristwahrenden Antrag gestellt hat.
Nach § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der BRAO in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt nach § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung wirkt auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (§ 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI). Eine rückwirkende Befreiung ist nicht für Beschäftigungen möglich, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt auf Grund einer vor dem 04.04.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde (§ 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI). Der Antrag auf rückwirkende Befreiung konnte nach § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden.
Die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht bei einer Beschäftigung als Syndikusrechtsanwalt setzt somit nach dem klaren und keiner abweichenden Auslegung zugänglichen Gesetzeswortlaut („Antrag auf rückwirkende Befreiung“) einen gesonderten Antrag voraus. Entgegen der Rechtsauffassung des Bevollmächtigten des Klägers beschränkt sich das Antragserfordernis auch nicht auf „neue“ Verfahren. Entsprechendes ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm nicht. Die Einschränkung der rückwirkenden Befreiung im Fall einer bestandskräftigen Entscheidung nach § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB V zeigt vielmehr, dass Fälle, in denen - wie vorliegend - das (Gerichts-)Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, ebenfalls zum Anwendungsbereich der Norm gehören.
Der Antrag nach § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI ist eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf den die Grundsätze des bürgerlichen Rechts entsprechend anwendbar sind (Seewald in Kasseler Kommentar, SGB I, § 16 Rn. 13). Eine gegenüber einer Behörde abzugebende Willenserklärung wird nach § 130 Abs. 1 und 3 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie der Behörde zugeht. Zuständige Behörde ist vorliegend der Träger der Rentenversicherung, der über den Befreiungsantrag zu entscheiden hat (s. § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 231 Abs. 4b SGB VI). Der Beklagten ist der an das BSG gerichtete und dort am 31.03.2016 eingegangene, „vorsorgliche“ Antrag im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.03.2016 erst am 11.04.2016 zugegangen. Damit ist der Antrag nicht fristgemäß wirksam geworden.
Zur Fristwahrung genügte es nicht, dass der Antragsschriftsatz bis zum 01.04.2016 beim BSG eingegangen war. § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I greift nicht ein. Nach § 16 Abs. 1 SGB I sind Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen; sie werden auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen. Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, sind nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der in § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I genannten Stellen eingegangen ist (§ 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I). Es ist bereits zweifelhaft, ob § 16 SGB I überhaupt Anwendung findet. Denn vorliegend geht es nicht um den Erhalt von Sozialleistungen, auch nicht mittelbar. Denn mit dem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht soll gerade kein Rechtsverhältnis begründet werden, das Sozialleistungsansprüche beinhaltet. Abgesehen davon, ist das BSG aber jedenfalls kein unzuständiger Leistungsträger im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I. Das BSG ist überhaupt kein (Sozial-)Leistungsträger. Die Sozialleistungsträger werden in § 12 i.V.m. §§ 18 bis 29 SGB I abschließend aufgeführt. Das BSG gehört nicht dazu. Es ist daher keine Stelle im Sinne des § 16 SGB I (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 23.09.2010 - L 7 AS 651/10 B ER -, in juris, Rn. 19; Öndül in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 16 SGB I, Stand: 05.11.2019, Rn. 33).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch der Rechtsgedanke des § 91 SGG nicht anzuwenden. Die Frist für die Erhebung der Klage gilt nach § 91 Abs. 1 SGG auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger eingegangen ist. Die Klageschrift ist unverzüglich an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit abzugeben (§ 91 Abs. 2 SGG). Unmittelbar anwendbar ist diese Vorschrift lediglich auf die Einhaltung der Klagefrist, die vorliegend nicht betroffen ist. Eine entsprechende Anwendung scheidet aus. Es fehlt bereits an einer vergleichbaren Interessenlage. Denn in § 91 SGG geht es darum, dem Rechtsunkundigen die Klageerhebung zu erleichtern (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2018 - B 8 SO 23/16 R -, in juris, Rn. 18). Für Anträge in laufenden Klageverfahren gilt § 91 SGG wegen seines engen systematischen Bezugs zur Klageerhebung nicht (B. Schmidt, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Komm., 13. Aufl. 2020, § 91 Rn. 2). Eine vergleichbare Interessenlage besteht nicht, wenn wie hier an die Verwaltung gerichtete Anträge beim Gericht eingereicht werden (zu einem Antrag auf Sachverständigenentschädigung Thüringer LSG, Beschluss vom 08.04.2004 - L 6 B 55/03 SF -, in juris, Rn. 29).
Soweit der Kläger mit seinem Vortrag, die Beklagte habe auf die Notwendigkeit eines erneuten Antrags hinweisen müssen, sinngemäß einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend macht, kann er ebenfalls nicht durchdringen. Dass der Kläger die Antragsfrist versäumt hat, kann nicht auf eine Pflichtverletzung der Beklagten zurückgeführt werden. Ausweislich des Antragsschriftsatzes vom 29.03.2016 war dem anwaltlich vertretenen Kläger die Regelung des § 231 Abs. 4b SGB VI bekannt. Er vertrat lediglich die (rechtsirrige) Auffassung, ein erneuter Antrag sei nicht erforderlich. Es wäre ihm aber ohne Weiteres möglich gewesen, jedenfalls vorsorglich bei der Beklagten einen fristgemäßen Antrag zu stellen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.