L 7 AL 31/20

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 2 AL 47/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 31/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I.    Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 4. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Weiterzahlung von Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - SGB III - ab dem 28. April 2019.

Der 1963 geborene Kläger beantragte nach Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug bei der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld mit Wirkung zum 3. April 2018. Im Antrag vom 6. April 2018 gab er an, weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben zu sein. Die Beklagte übersandte ihm sodann mit Schreiben vom 6. April 2018 ein Merkblatt über das Verfahren nach § 145 SGB III sowie einen von ihm auszufüllenden Gesundheitsfragebogen.

Mit Bescheiden vom 9. und 11. Juli 2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger aufgrund des noch fehlenden ärztlichen Gutachtens zunächst vorläufig Arbeitslosengeld ab dem 3. April 2018 für 450 Kalendertage in Höhe von 50,34 € täglich. Mit sozialmedizinischer gutachterlicher Stellungnahme vom 10. August 2018 wurde mitgeteilt, dass das Ende der Arbeitsunfähigkeit nicht ausreichend trennscharf innerhalb der 6-Monats-Frist gutachterlich terminiert werden könne, so dass aus agenturärztlicher Sicht die medizinischen Voraussetzungen nach § 145 SGB III zu bejahen seien. Hierauf bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 13. August 2018 abschließend Arbeitslosengeld mit vorgenannter Dauer und Höhe und forderte den Kläger mit Schreiben gleichen Datums auf, innerhalb der Frist von einem Monat einen Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation zu stellen; dieser Antrag gelte als Rentenantrag, sollten Rehabilitationsleistungen nicht in Betracht kommen.  

Mit Schreiben vom 6. September 2018 beantragte der Kläger sodann über die Beklagte Leistungen zur Rehabilitation bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen. Den Antrag leitete die Beklagte zusammen mit dem ärztlichen Gutachten vom 10. August 2018 an den Rentenversicherungsträger weiter, mit der Bitte zur Prüfung der Erwerbsfähigkeit des Klägers. Dieser stellte nach ärztlichen Stellungnahmen vom 7. November 2018 und 7. Dezember 2018 mit am 20. Dezember 2018 unterschriebener Verfügung das Vorliegen einer zeitlich befristeten vollen Erwerbsminderung bei dem Kläger fest. Mit Bescheid vom 2. Januar 2019 lehnte der Rentenversicherungsträger den Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ab, weil die Erwerbsfähigkeit durch solche Leistungen nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden könne. Mit weiterem Schreiben vom 2. Januar 2019 teilte er dem Kläger zudem mit, der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe gelte als Antrag auf Rente. Um das Rentenverfahren durchführen zu können, werde er gebeten, bei einer zuständigen Stelle ein Rentenantragsformular auszufüllen. Mit Schreiben vom 29. Januar 2019 legte der Kläger sodann beim Rentenversicherungsträger “gegen den Bescheid vom 02.01.2019“ Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 14. Februar 2019 forderte die Beklagte den Kläger auf, einen formularmäßigen Rentenantrag bei dem Rentenversicherungsträger zu stellen und dies bis zum 15. März 2019 nachzuweisen. Mit weiterem Schreiben vom gleichen Datum belehrte die Beklagte den Kläger über seine Mitwirkungspflichten hinsichtlich der Feststellung, ob eine Erwerbsminderung vorliege durch den zuständigen Rentenversicherungsträger. Mit Schreiben vom 25. Februar 2019, überschrieben mit „Widerspruch, Ihr Schreiben vom 14.02.2019“ teilte der Kläger mit, er wolle mitwirken, habe aber gegen die Umwandlung des Antrags auf Leistungen zur Rehabilitation in einen Rentenantrag bei der Rentenversicherung Widerspruch eingelegt. Dieses Schreiben wertete die Beklagte als Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. Februar 2019, mit welchem dem Kläger mitgeteilt worden sei, dass im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung eine Mitwirkung erforderlich sei und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2019 als unbegründet zurück. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. 

Mit Schreiben vom 19. März 2019 fragte die Beklagte sodann beim Rentenversicherungsträger an, ob der Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation in einen Rentenantrag umgewandelt und die formelle Rentenantragstellung erfolgt sei und bat, das Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mitzuteilen. Mit handschriftlichem Eintrag vom 25. März 2019 auf dem Schreiben der Beklagten vom 19. März 2019, eingegangen bei der Beklagten am 2. April 2019, teilte der Rentenversicherungsträger mit, es liege ein unter dreistündiges Leistungsvermögen vor; die Umwandlung des Rehabilitationsantrages sei wegen des Widerspruchs des Klägers noch nicht vollzogen worden, eine Entscheidung über den Widerspruch gegen die Umdeutung stehe von Seiten der Rehabilitationsabteilung noch aus.

Mit Aufhebungsbescheid vom 24. April 2019 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 24. April 2019 auf. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 23. Mai 2019 Widerspruch ein. Er habe gegen die Umwandlung des Antrags auf Leistungen zur Rehabilitation in einen Rentenantrag bei dem Rentenversicherungsträger Widerspruch eingelegt und Akteneinsicht beantragt; diese Akteneinsicht sei bis heute noch nicht erfolgt. Dennoch sei die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgehoben worden. Er habe kein Geld mehr und sei nicht versichert. Es sei unverständlich, warum die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegenüber dem Rentenversicherungsträger nicht berücksichtigt werde. Er verstehe auch nicht, warum ab dem 24. April 2019 kein Arbeitslosengeld mehr gezahlt werde, obwohl er das Recht zum Widerspruch binnen eines Monats habe. Mit Schreiben vom 24. sowie 26. Mai 2019 vertiefte er diese Begründung. Er habe immer mitgewirkt, dennoch habe er eine Aufforderung zur Mitwirkung erhalten. Er bitte um eine verständliche Begründung, warum die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 24. April 2019 aufgehoben worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2019 hob die Beklagte in Abänderung des Bescheids vom 24. April 2019 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 28. April 2019 auf und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Dem Kläger sei Arbeitslosengeld unter den Bedingungen des § 145 SGB III zuerkannt worden. Hiernach könne das Arbeitslosengeld jedoch nur solange gewährt werden, bis der Rentenversicherungsträger eine Entscheidung über die Erwerbsminderung getroffen habe. Dieser habe verminderte Erwerbsfähigkeit festgestellt und dies der Beklagten am 2. April 2019 mitgeteilt. Aufgrund der vorliegenden Entscheidung des Rentenversicherungsträgers habe der Kläger keinen Anspruch darauf, dass ihm trotz seines eingeschränkten Leistungsvermögens Leistungen nach § 145 SGB III gezahlt würden. Denn auch wenn er der Umdeutung des Rehabilitationsantrags widersprochen habe, liege doch eine Entscheidung des Rentenversicherungsträgers vor. Da der Bescheid vom 24. April 2019, welcher am gleichen Tag zur Post aufgegeben wurde, nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X als am 27. April 2019 als zugestellt gelte, sei die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld abweichend vom streitgegenständlichen Bescheid ab dem 28. April 2019 aufzuheben gewesen.

Den sodann vom Kläger gestellten Eilantrag lehnte das Sozialgericht Marburg mit Beschluss vom 22. August 2019 (Aktenzeichen S 2 AL 39/19 ER) ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 30. Oktober 2019 (Aktenzeichen L 7 AL 91/19 B ER) zurück. 
Mit der am 28. Juni 2019 bei dem Sozialgericht Marburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er habe einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 145 SGB III bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rentenversicherungsträgers und verweist hierzu auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. September 1999 – B 11 AL 13/99 R

Dem ist die Beklagte entgegengetreten Sie hält ihren Bescheid weiterhin für rechtmäßig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2019 hat der Rentenversicherungsträger den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Mit Verfügung vom 22. August 2019 und 12. September 2019 hat das Sozialgericht die Beteiligten zu einer Entscheidung mittels Gerichtsbescheid angehört. 

Mit Gerichtsbescheid vom 4. Februar 2020 hat das Sozialgericht Marburg die Klage abgewiesen.

Das Gericht habe ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden können. Die Sache weise keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, der Sachverhalt sei geklärt. Die Beteiligten hätten keine Einwände erhoben. 

Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 24. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2019 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser habe keinen Anspruch auf die Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 29. April 2019 (richtig wohl: 28. April 2019). 
Streitgegenständlich sei der Bescheid vom 24. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2019, mit welchem die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 28. April 2019 aufgehoben hatte. Streitig sei nach dem vorgebrachten Begehren des Klägers die weitere Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 29. April 2019 (richtig wohl: ab dem 28. April 2019) bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung der Rentenversicherung. Die Klage sei daher als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auszulegen und als solche statthaft. 

Die Klage sei aber unbegründet. 

Rechtsgrundlage des Anspruchs sei §§ 136 ff. SGB III. Nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III hätten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Nach § 137 Abs. 1 SGB III habe Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer Nr. 1 arbeitslos sei, sich Nr. 2 bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet habe und Nr. 3 die Anwartschaftszeit erfüllt habe. Nach § 138 Abs. 1 SGB III sei arbeitslos, wer 1. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe, 2. sich bemühe, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden und 3. den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehe. Nach § 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III stehe den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung, wer insbesondere eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben könne und dürfe. Damit sei zu unterscheiden zwischen den objektiven, also willensunabhängigen Gegebenheiten, und der subjektiven Verfügbarkeit, der Arbeitsbereitschaft des Leistungsempfängers (vgl. Baldschun in: Gagel, Stand: September 2019, SGB III, § 138, Rn. 148).

Der Kläger habe im Antrag auf Arbeitslosengeld angegeben, weiterhin arbeitsunfähig erkrankt zu sein. Zu prüfen seien daher im Hinblick auf die Frage, ob der Kläger den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehe, die Voraussetzungen des § 145 SGB III, der so genannten Nahtlosigkeitsregelung. Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB III habe Anspruch auf Arbeitslosengeld auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos sei, weil sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben könne, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich seien, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden sei. Durch diese Regelung werde die objektive Verfügbarkeit des Leistungsempfängers fingiert. Die Feststellung, ob eine verminderte Erwerbsfähigkeit vorliege, treffe der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, § 145 Abs. 1 S. 2 SGB III
Nach der sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme der Beklagten vom 10. August 2018 seien beim Kläger die Voraussetzungen des § 145 SGB III, namentlich eine Leistungsfähigkeit unter drei Stunden für mehr als sechs Monate, erfüllt. Damit habe zunächst ein Anspruch des Klägers auf Zahlung des Arbeitslosengeldes nach §§ 136 ff. iVm § 145 Abs. 1 SGB III bestanden. 

Dieser Anspruch auf Arbeitslosengeld sei aber zumindest ab dem 28. April 2019 weggefallen.

Dies beruhe zunächst nicht auf einer Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers. Denn der nach § 145 Abs. 2 S. 1 SGB III erfolgten Aufforderung, einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu stellen, sei dieser mit Beantragung der Leistungen am 6. September 2018 nachgekommen. Eine weitere Mitwirkungsverpflichtung in dem Sinne, außerdem einen Antrag auf Rente zu stellen, wozu der Kläger mit Schreiben der Beklagten vom 14. Februar 2019 aufgefordert worden sei, bestehe nicht. Denn ausweislich des Wortlautes von § 145 Abs. 2 S. 1 SGB III bestehe eine Mitwirkungsverpflichtung des Leistungsempfängers nur hinsichtlich der Beantragung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben. Dies bedeute, dass der Leistungsempfänger durch Beantragung einer dieser beiden Leistungsarten seiner Mitwirkungsverpflichtung nachkomme. Ein weiterer Antrag auf Rente müsse nicht gestellt werden, da der Antrag auf Leistungen der Rehabilitation nach § 116 Abs. 2 SGB VI in einen Antrag auf Rente umgedeutet werde (vgl. auch Müller in: BeckOK SozR, Stand: 1.12.2019, SGB III, § 145, Rn. 26).

Nach dem Wortlaut des Gesetzes bestehe aber ein Anspruch auf Arbeitslosengeld über die Sondervorschrift des § 145 SGB III, mit welchem die objektive Verfügbarkeit fingiert werde, nur solange die Feststellung des zuständigen Rentenversicherungsträgers über das Vorliegen einer verminderten Erwerbsfähigkeit noch nicht vorliege. Nur bis zum Vorliegen einer solchen Feststellung entfalte die Nahtlosigkeitsregelung ihre Sperrwirkung in dem Sinne, dass der für die Leistungen nach dem SGB III zuständige Leistungsträger die Gewährung von Arbeitslosengeld wegen der objektiven Einschränkungen des gesundheitlichen Leistungsvermögens des Leistungsempfängers nicht ablehnen dürfe. Erreicht werde auf diese Weise ein Schutz des Leistungsempfängers vor negativen Kompetenzkonflikten infolge einer unterschiedlichen Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit durch den Träger der Rentenversicherung sowie Träger des Arbeitslosengelds nach dem SGB III (vgl. Müller in: BeckOK SozR, Stand: 1.12.2019, SGB III, § 145, Rn. 17).

Der zuständige Rentenversicherungsträger habe schon mit am 20. Dezember 2018 unterschriebenen Formular eine Entscheidung über das Vorliegen der Erwerbsminderung beim Kläger getroffen und eine volle Erwerbsminderung festgestellt. Somit liege eine Feststellung des Rentenversicherungsträgers über die verminderte Erwerbsfähigkeit vor. Unmittelbare Folge einer positiven Feststellung über das Vorliegen einer Erwerbsminderung sei das Entfallen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gemäß § 145 SGB III im Zeitpunkt des Zugangs der Mitteilung bei dem Antragsgegner (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1995 - 11 RAr 19/95; Müller in: BeckOK SozR, Stand: 1. Dezember 2019, SGB III, § 145, Rn. 17). Abzustellen sei daher auf den Eingang der Mitteilung des Rentenversicherungsträgers hinsichtlich des Leistungsvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei der Beklagten am 2. April 2019, wohingegen die Beklagte hinsichtlich des Zeitpunkts der Aufhebung wohl von einem Zugang des Aufhebungsbescheids beim Kläger ausgehe. 

Ein Bestehenbleiben der Sperrwirkung ergebe sich nach Auffassung der Kammer auch nicht aus dem Widerspruch des Klägers (sowie einer Klage hiernach) gegen die Ablehnung seines Antrages auf Rehabilitation und der hierdurch gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI erfolgten Umdeutung in einen Rentenantrag. Denn durch den Widerspruch entfalle nicht die Feststellung der Erwerbsminderung durch den ärztlichen Dienst des Rentenversicherungsträgers; diese sei vielmehr immer noch vorhanden – unabhängig von der Frage, ob diese zutreffend sei. Überdies sei die Feststellung der Erwerbsminderung eine interne Entscheidung des Rentenversicherungsträgers und kein angreifbarer Verwaltungsakt (vgl. Brand in: Brand, SGB, 8. Aufl. 2018, SGB III, § 145 Rn. 7). Der Widerspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger beziehe sich damit allein auf die Ablehnung der Rehabilitation und die Umdeutung in einen Rentenantrag und habe daher auch hinsichtlich der Feststellung der Erwerbsminderung keinen Suspensiveffekt entfalten können. 

Auch der Sinn und Zweck des § 145 SGB III erfordere keine zeitlich unbegrenzte Nahtlosigkeitsregelung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rentenverfahrens (vgl. SG Karlsruhe 22. April 2013 - S 11 AL 3545/12). Durch die Nahtlosigkeitsregelung solle verhindert werden, dass ein dauernd leistungsgeminderter Arbeitsloser von der Beklagten als nicht verfügbar und vom Rentenversicherungsträger als nicht erwerbsgemindert mit der Folge angesehen werde, dass beide Träger für denselben Zeitraum Leistungen versagen. Die Vorschrift diene damit dem Schutz des Arbeitslosen vor divergierenden Entscheidungen der beiden Träger. Aufgabe der Nahtlosigkeitsregelung sei es aber nicht, einen nahtlosen Leistungsbezug bis zum Abschluss eines rentenrechtlichen Verfahrens sicherzustellen (vgl. Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 12. Juni 2003 - L 14 AL 2/01; SG Karlsruhe, Urteil vom 22. April 2013 - S 11 AL 3545/12). Seine Funktion und Wirkungsweise bestehe nicht darin, dass Arbeitslosengeld nach Erschöpfung des Krankengelds als eine Art Anschlusskrankengeld bedingungslos fortgewährt werde. Allein ein Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente bzw. medizinische Rehabilitation beim Rentenversicherungsträger genüge nicht, um fortan ohne jede Prüfung der objektiven Verfügbarkeit Arbeitslosengeld bis zum endgültigen und rechtskräftigen Abschluss eines rentenrechtlichen Verfahrens zu beziehen (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 15. Dezember 2011 - L 9 AL 66/09). 

Es sei dem Kläger zuzugeben, dass die Regelung des § 145 SGB III insoweit versage, als dass dieser nicht seine Rechte gegenüber dem Rentenversicherungsträger verfolgen könne und in dieser Zeit - bis zur rechtskräftigen Entscheidung - weiter seine Verfügbarkeit über § 145 SGB III fingiert werde. Dies sei aber nach Auffassung der Kammer ausweislich des Wortlauts und Sinn und Zweck der Vorschrift gewollt; vermieden werden solle allein eine negative Folge für den Leistungsempfänger durch unterschiedliche Beurteilung der Leistungsfähigkeit durch Rentenversicherungsträger und Arbeitsagentur. Diese Auffassung bestätige sich auch dadurch, dass die Sperrwirkung auch dann entfalle, wenn keine Rente bewilligt werde. Zwar versage hier auch das Konzept der Nahtlosigkeit (vgl. Winkler in: Gagel, SGB II/III, Stand: März 2019, § 145 SGB III, Rn. 80); die Funktion sei gleichwohl erfüllt, weil durch die positive Feststellung der Erwerbsminderung die grundsätzliche Zuständigkeit der Rentenversicherung für den Versicherten festgestellt sei und dadurch die Gefahr eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung wegen gegensätzlicher Beurteilung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr bestehe (vgl. Müller in: BeckOK SozR, Stand: 1.6.2019, SGB III, § 145, Rn. 19). 

Es bestehe daher kein Anspruch des Antragstellers auf Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld nach § 145 SGB III ab dem 28. April 2019.

Der Antragsteller habe auch einen Anspruch auf die Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld gemäß §§ 136 ff. SGB III aufgrund dem Vorliegen der Verfügbarkeit im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 1 SGB III nicht zur Überzeugung der Kammer dargelegt. Vielmehr führe er selbst aus, es sei ihm aufgrund seiner Krankheit eine Reha zu bewilligen.  

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 4. Februar 2020 ist dem Kläger am 11. Februar 2020 zugestellt worden. Mit der am 9. März 2020 beim Sozialgericht Marburg eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrags weiter. Aufgrund seines Widerspruchs gegen die Feststellung der DRV sei noch alles offen und noch nichts entschieden, so dass ihm bis zur rechtskräftigen Entscheidung weiterhin Arbeitslosengeld zu zahlen sei. Auf seinen zusammenfassenden Schriftsatz vom 16. März 2021 (Bl. 107 - 108 der Gerichtsakte), beim Senat eingegangen noch vor der mündlichen Verhandlung am 19. März 2021, wird ergänzend Bezug genommen. 

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 4. Februar 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum ab 28. April 2019 Arbeitslosengeld nach § 145 SGB III bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 11. Januar 2021 nach pflichtgemäßem Ermessen auf den Berichterstatter zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Der Senat konnte in der Besetzung mit nur einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden, da das Sozialgericht Marburg durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG entschieden hatte und die Berufung mit Beschluss des Senats vom 11. Januar 2021 auf den Berichterstatter übertragen wurde (vgl. § 153 Abs. 5 SGG). Auch konnte das Gericht in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da dieser in der Ladung vom 17. Februar 2021 auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen wurde (vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Sie ist auch statthaft gemäß §§ 143, 144 SGG. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes den maßgeblichen Betrag von 750,- Euro übersteigt.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der hier angefochtene Bescheid des Beklagten vom 24. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2019 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger wird hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt. Zur Begründung wird vollumfänglich auf die Ausführungen des Sozialgerichts Marburg im angegriffenen Gerichtsbescheid, die sich der Senat nach Prüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG), verwiesen.

Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren gibt - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im zuletzt noch eingereichten Schriftsatz vom 16. März 2021 - zu einer anderen rechtlichen Bewertung keine Veranlassung. 

§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III enthält - wie das Sozialgericht schon zutreffend ausgeführt hat - eine sogenannte Nahtlosigkeitsregelung, deren Wirkung darin besteht, ein aus gesundheitlichen Gründen objektiv nicht bestehendes Leistungsvermögen des Arbeitslosen bis zum Eintritt des in der Rentenversicherung versicherten Risikos der Erwerbsminderung zu fingieren. Diese Fiktion hindert die Arbeitsverwaltung daran, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld mit der Begründung zu verneinen, der Arbeitslose sei wegen einer Leistungsminderung auf weniger als 15 Stunden wöchentlich über eine Dauer von mehr als sechs Monaten nach Maßgabe von § 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III objektiv nicht verfügbar und deshalb nicht arbeitslos im Sinne von §§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III. Die Fiktion objektiver Verfügbarkeit und damit auch die Sperrwirkung der Nahtlosigkeitsregelung dauert bis zur Feststellung, dass verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 43 Abs. 1 bis 3 SGB VI) vorliegt; diese Feststellung ist nach § 145 Abs. 1 Satz 2 SGB III vom zuständigen Rentenversicherungsträger zu treffen. Mit der Feststellung des Rentenversicherungsträgers entfällt der Anwendungsbereich der Nahtlosigkeitsregelung (so zuletzt BSG vom 12. Dezember 2017 – B 11 AL 27/16 R, juris Rn. 12 mit Verweis auf BSG vom 14. Dezember 1995 - 11 RAr 19/95 - RdNr 13 ff; BSG vom 9. September 1999 - B 11 AL 13/99 R - BSGE 84, 262 = SozR 3-4100 § 105a Nr 7, juris RdNr 15 zu § 105a AFG; vgl. auch Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 145 RdNr 35, 63, Stand Juli 2013; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 1. Aufl 2014, § 145 RdNr 11; Mutschler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 5. Aufl. 2017, SGB III, § 145 RdNr 8, 12). Unerheblich ist dabei, ob die Feststellung des Rentenversicherungsträgers mit der Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verbunden ist oder ob die Rente ggf. erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnt oder ob der Kläger die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers – wie vorliegend – angefochten hat und ob diese Entscheidung bereits bestandskräftig geworden ist oder nicht. 

Sinn und Zweck des § 145 SGB III ist es in erster Linie, einen negativen Kompetenzkonflikt zwischen Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung zu Lasten des Versicherten zu vermeiden; er erfordert keine zeitlich unbegrenzte Nahtlosigkeitsregelung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rentenverfahrens (vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 22. April 2013 - S 11 AL 3545/12). Das ergibt sich bereits daraus, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld seinerseits nach § 147 SGB III auf einen relativ überschaubaren Zeitraum (in der Regel: 12 Monate) begrenzt ist (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 6. September 2013 - L 3 AL 109/13 B ER). Die Vorschrift ist deshalb nicht geeignet, einen (alternativen) umfassenden Schutz zu bieten, falls zwischen dem Versicherten und der gesetzlichen Rentenversicherung unterschiedliche Bewertungen über das Restleistungsvermögen existieren. Im Übrigen gewährt § 145 SGB III keinen ununterbrochenen Leistungsanspruch für leistungsgeminderte Arbeitnehmer.

Nach alledem hat der Kläger somit vom 3. April 2018 bis zum 27. April 2019 (also mehr als 12 Monate) Arbeitslosengeld bezogen, obwohl er nicht arbeitslos im Sinne des § 138 SGB III gewesen ist. Er hat damit - wie auch vom Gesetzgeber in diesen Fällen vorgesehen – von der Regelung des § 145 SGB III profitiert. Sinn und Zweck dieser egelung ist indes nicht, Arbeitslosengeld solange zu gewähren, bis vom Rentenversicherungsträger letztlich eine Rente gewährt wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2017 – B 11 AL 27/16 R, in juris) oder die Erwerbsfähigkeit ggf. wiederhergestellt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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