L 7 AL 80/19

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 252/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 80/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I.    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 16. Mai 2019 folgendermaßen abgeändert: Der Sperrzeitbescheid vom 21. April 2017 und der Änderungsbescheid vom 21. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2017 werden aufgehoben, soweit die Feststellung einer Sperrzeit und die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld die Zeit vom 11. bis 12. März 2017 betreffen und soweit die Erstattungsforderung die Höhe von 712,11 Euro übersteigt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

II.    Die Beklagte hat der Klägerin 10 % ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten. 

III.    Die Revision wird zugelassen.  

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und die Aufhebung und Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum der Sperrzeit. 

Die Klägerin war vom 1. Juni 2010 bis 30. September 2016 (Bl. 4 der Verwaltungsakte) als Disponentin/Bürokauffrau bei dem Autohaus C. GmbH & Co. KG beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers vom 29. Juli zum 30. September 2016 (Bl. 4, 5 der Verwaltungsakte). In der Zeit vom 16. Mai 2016 bis 7. September 2016 bezog die Klägerin Krankengeld (Bl. 8 der Verwaltungsakte).

Die Klägerin meldete sich am 29. September 2016 (Bl. 1 der Verwaltungsakte) bei der Beklagten zum 1. Oktober 2016 persönlich arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Durch Bescheid vom 16. November 2016 (Bl. 14 der Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte der Klägerin vorläufig Alg vom 8. Oktober 2016 bis 29. September 2017 bei einem Anspruchsbeginn am 1. Oktober 2016 und einer Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Klägerin über den Auszahlungsanspruch im Zeitraum vom 1. bis 7. Oktober 2016 ein gesondertes Schreiben erhalten werde. Nachdem die Beklagte den Vergleich des Arbeitsgerichts Würzburg vom 20. Oktober 2016 (Bl. 21 der Verwaltungsakte) erhalten hatte, in dem festgestellt worden war, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch ihre Arbeitgeberin aufgrund ordentlicher fristgerechter Kündigung aus betriebsbedingten Gründen mit Ablauf des 30. September 2016 geendet hat, bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Änderungsbescheid vom 9. Dezember 2016 (Bl. 29 der Verwaltungsakte) Alg endgültig ab 1. Oktober 2016 in Höhe von 33,91 Euro täglich.

Die Beklagte übersandte der Klägerin ein Vermittlungsangebot vom 15. Februar 2017 für eine Tätigkeit als „Bürokraft/Kaufmännische Fachkraft“ bei der Firma D. e.K. Autovermietung (Bl. 48 der Verwaltungsakte - Teil Vermittlung und Beratung) sowie ein Vermittlungsangebot vom 22. Februar 2017 als kaufmännischer Mitarbeiter bzw. kaufmännische Mitarbeiterin mit Erfahrungen im Autohaus bei dem Autohaus E. (Bl. 53 der Verwaltungsakte – Teil Vermittlung und Beratung). Sie wurde jeweils aufgefordert, sich umgehend zu bewerben. In der Rechtsfolgenbelehrung wurde jeweils auf folgendes hingewiesen: 

„Wenn Sie ohne wichtigen Grund die Ihnen angebotene Beschäftigung nicht annehmen oder nicht antreten oder das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses durch ihr Verhalten verhindern (z.B. indem Sie sich nicht vorstellen), tritt eine Sperrzeit ein (…). Sie dauert längstens 12 Wochen. Die Sperrzeit dauert drei Wochen bei erstmaligem versicherungswidrigen Verhalten (…), sechs Wochen bei dem zweiten versicherungswidrigen Verhalten (…). Ein versicherungswidriges Verhalten in diesem Sinne liegt vor, wenn Sie eine Arbeit oder berufliche Eingliederungsmaßnahme nach Ihrer persönlichen Arbeitslosmeldung abgelehnt oder eine berufliche Wiedereingliederungsmaßnahme abgebrochen haben. Während der Sperrzeit ruht Ihr Anspruch auf Leistungen (Alg, Arbeitslosenbeihilfe -Alb SZ - oder Teilarbeitslosengeld), das heißt, Leistungen werden nicht ausgezahlt. Hinweise dazu, wann eine Sperrzeit eintritt, enthält des „Merkblatt für Arbeitslose, Ihre Rechte - Ihre Pflichten“ (…)“.

Bei beiden Arbeitgebern bewarb sich - so deren Rückmeldung gegenüber der Beklagten - die Klägerin nicht (Vermerke vom 6. und 11. April 2017, siehe Verwaltungsakte - Teil Vermerke). 

In der Zeit vom 6. bis 17. März 2017 (Bl. 33 der Verwaltungsakte) und vom 27. bis 31. März 2017 (Bl. 36 der Verwaltungsakte) war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. 

Auf die Anhörung der Beklagten (Bl. 39 der Verwaltungsakte), weshalb sie sich bei dem Autohaus E. nicht vorgestellt habe, teilte die Klägerin mit, diese Bewerbung sei bei ihr „untergegangen“, was sie zu entschuldigen bitte. Sie habe sich nachträglich auf diesen Vermittlungsvorschlag noch per E-Mail beworben. Beigefügt war dem Anhörungsschreiben eine Mitteilung des Autohauses E., in der dies bestätigt wurde (Bl. 40 der Verwaltungsakte). Die Beklagte sah daraufhin von der Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit ab, insbesondere nachdem das Autohaus E. gegenüber der Beklagten zusätzlich telefonisch mitgeteilt hatte, die Stelle sei wegen der langen Laufzeit storniert worden (Bl. 38, 41 der Verwaltungsakte). 

Auf die Frage der Beklagten, weshalb sich die Klägerin nicht auf den Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit bei der Firma D. e.K. beworben habe, teilte die Klägerin am 13. April 2017 (Bl. 42 der Verwaltungsakte) mit, sie habe diese Bewerbung in ihrem „Bewerbertagebuch“ zwar eingetragen, aber dann vergessen, diese abzuschicken. Sie habe die Bewerbung allerdings jetzt noch nachgeholt; eine Rückantwort von der Fa. E. liege ihr noch nicht vor.  

Durch Bescheid vom 21. April 2017 (Bl. 46 der Verwaltungsakte) stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit vom 20. Februar bis 12. März 2017 mit der Begründung fest, der Klägerin sei am 15. Februar 2017 eine Beschäftigung als Bürokraft bei der Firma D. e.K. angeboten worden. Dieses Arbeitsangebot habe den Grundsätzen einer sachgerechten Arbeitsvermittlung entsprochen; die Arbeit sei ihr daher auch zuzumuten gewesen. Mit der Unterbreitung des Angebotes sei sie auch darüber belehrt worden, dass sie Anlass zum Eintritt einer Sperrzeit geben würde, sofern das Beschäftigungsverhältnis durch ihr Verhalten nicht zu Stande komme und sie für ihr Verhalten keinen wichtigen Grund habe. Trotz Belehrung über diese Rechtsfolgen habe sie die Arbeit nicht angenommen. Einen wichtigen Grund für ihr Verhalten habe sie nicht mitgeteilt. Die Sperrzeitdauer betrage drei Wochen, weil es sich um das erste versicherungswidrige Verhalten gehandelt habe (§ 159 Abs. 4 Nr. 1 SGB III). Zugleich hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 20. Februar bis 12. März 2017 mit der Begründung auf, die Klägerin habe gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass der ihr zustehende Anspruch auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit ruhe (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 des Sozialgesetzbuchs Zehnten Buch - SGB X). Bei der Unterbreitung des Arbeitsangebotes sei sie darüber belehrt worden, dass eine Sperrzeit eintrete, wenn sie die angebotene Beschäftigung nicht annehme oder nicht antrete oder das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses verhindere. Das ihr in der Zeit vom 20. Februar bis 12. März 2017 bewilligte Alg i.H.v. 779,93 Euro sei zu Unrecht gezahlt worden. Dieser Betrag sei von ihr nach Maßgabe des § 50 SGB X zu erstatten. 

Durch einen weiteren Bescheid vom 21. April 2017 (Bl. 49 der Verwaltungsakte) hob die Beklagte auch die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 13. bis 17. März 2017 mit der Begründung auf, der Klägerin habe in dieser Zeit Alg nicht gezahlt werden dürfen, weil sie aufgrund des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit nicht verfügbar gewesen sei. Ein Anspruch der Klägerin auf Leistungsfortzahlung nach § 146 SGB III bestehe nicht, weil die Arbeitsunfähigkeit schon vor dem Beginn des Bezugs von Alg vorgelegen habe. Das ihr in der Zeit vom 13. bis 17. März 2017 zu Unrecht gezahlte Alg i. H. v. 169,55 Euro müsse sie nach Maßgabe des § 50 SGB X erstatten. 

Durch einen Änderungsbescheid vom 21. April 2017 (Bl. 54 der Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg vom 18. März 2017 bis 6. Oktober 2017 und wies darauf hin, dass Leistungen für die Zeit vom 20. Februar bis 12. März 2017 wegen des Eintritts einer Sperrzeit und für die die Zeit vom 6. bis 17. März 2017 aus sonstigen Gründen nicht ausgezahlt würden. 

Die Klägerin erhob durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 15. Mai 2017 (Bl. 57 der Verwaltungsakte) gegen den Sperrzeitbescheid vom 21. April 2017 und gegen den Änderungsbescheid vom 21. April 2017 Widerspruch. Mit weiterem Schreiben vom 15. Mai 2017 (Bl. 58 der Verwaltungsakte) erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten auch Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21. April 2017, der den Zeitraum vom 13. bis 17. März 2017 betrifft. 

Durch Bescheid vom 28. Juni 2017 (Bl. 66 der Verwaltungsakte) hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 26. Juni 2017 ganz auf, weil die Klägerin ab 26. Juni 2017 eine Beschäftigung aufgenommen habe. 

Durch Widerspruchsbescheid vom 1. August 2017 (Bl. 77 der Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Sperrzeitbescheid vom 21. April 2017 mit der Begründung zurück, nach § 159 Absatz 1 S. 1 SGB III ruhe der Anspruch auf Alg für die Dauer einer Sperrzeit, wenn die Arbeitnehmerin sich versicherungswidrig verhalten habe, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Der Klägerin sei am 15. Februar 2017 eine Beschäftigung als Bürokauffrau bei der Fa. E. angeboten worden. Das Arbeitsangebot habe eine vollständige und verständliche Belehrung über die Rechtsfolgen, die eintreten werden, wenn sie die angebotene Beschäftigung nicht annehme oder nicht antrete oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses durch ihr Verhalten verhindere, enthalten. Die Klägerin habe durch das Unterlassen der Bewerbung das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches und damit die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses verhindert. Ein wichtiger Grund sei nicht erkennbar. Dieser sei nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Es sei ihr nach Abwägung ihrer Interessen mit den Interessen der Beitragszahler zumutbar gewesen, die ihr angebotene Beschäftigung anzunehmen. Der Umstand, dass sich die Klägerin noch im Nachhinein - und zwar nach Zugang des Anhörungsschreibens vom 11. April 2017 - bei der Fa. E. beworben habe, entschuldige ihr Unterlassen nicht, denn ausweislich des Stellenangebotes hätte die Bewerbung „umgehend“ erfolgen müssen. Die Bewerbung der Klägerin sei zu spät erfolgt. Die Bewerbung habe auch nicht mehr zum Erfolg führen können, weil nach der Mitteilung des Arbeitgebers vom 7. April 2017 die Stelle zu dem Zeitpunkt, als sich die Klägerin beworben habe, nicht mehr vakant gewesen sei. 

Durch einen weiteren Widerspruchsbescheid vom 1. August 2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21. April 2017 den Zeitraum vom 13. bis 17. März 2017 betreffend als unbegründet zurück. 

Die Klägerin erhob am 1. September 2017 (Bl. 1 der Gerichtsakte) Klage gegen den Sperrzeitbescheid vom 21. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2017 beim Sozialgericht in Darmstadt. Zeitgleich erhob sie auch Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid den Zeitraum vom 13. bis 17. März 2017 betreffend. Diese Klage wird unter dem Aktenzeichen S 11 AL 254/17 geführt. 

Die Klägerin führte zur Begründung ihrer Klage u.a. aus, der Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit sei unverhältnismäßig. Es müsse berücksichtigt werden, dass sie sich im streitgegenständlichen Zeitraum sehr umfassend beworben habe, weshalb die Sanktionierung nicht gerechtfertigt sei. Sie sei ansonsten sehr sorgfältig mit Bewerbungen umgegangen und habe eine Vielzahl von Bewerbungen im Bewerbertagebuch dokumentiert. Sie habe auch, sofort nachdem ihr der Fehler aufgefallen sei, die Bewerbung noch nachgeholt. Auch habe sie seinerzeit die Bewerbungen nicht in zeitlichem Abstand   so wie es die Daten auf den Vermittlungsangeboten vermuten ließen - sondern „im Paket“ erhalten. Sie sei sich sicher, dass sie im Februar 2017 von der Beklagten eine Vielzahl von Vermittlungsvorschlägen erhalten habe, die sich in einem DIN A4 Umschlag befunden hätten. Es seien mindestens fünf Vermittlungsvorschläge übersandt worden, darunter habe sich u.a. auch der Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit bei der Firma D. e.K. befunden. 

Die Klägerin beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 21. April 2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21. April 2017, soweit darin die Sperrzeit als wiederholende Verfügung enthalten sei, und den Widerspruchsbescheid vom 1. August 2017 aufzuheben. Die Beklagte trat dem entgegen. Sie hielt die von ihr getroffene Entscheidung für rechtmäßig und bezog sich dabei auf die Gründe im Bescheid und im Widerspruchsbescheid. Die Klägerin habe sich auf den Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit bei der Firma D. e.K. nicht zeitnah beworben und damit den Eintritt einer Sperrzeit ausgelöst. 

Das Gericht erhob Beweis durch Nachfrage bei der Firma D. e.K. (gerichtliche Verfügungen vom 12. April 2018 und vom 8. Mai 2018). Die Firma D. e.K. teilte auf diese Nachfrage mit, die Stelle, auf die sich das Vermittlungsangebot seinerzeit bezogen habe, sei zum 1. April 2017 besetzt worden. Etwa Ende März 2017 habe man sich für einen neuen Mitarbeiter entschieden. 

Mit Urteil vom 16. Mai 2019 hob das Sozialgericht Darmstadt den Sperrzeitbescheid der Beklagten vom 21. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2017 und den Änderungsbescheid vom 21. April 2017, soweit darin die Sperrzeit als wiederholende Verfügung enthalten ist, auf.

Die Klage sei zulässig, insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlich zuständigen Sozialgericht erhoben worden, §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG). 

Die Klage sei auch begründet. 

Der Bescheid der Beklagten vom 21. April 2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21. April 2017 und des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2017 sei rechtswidrig und sei daher aufzuheben gewesen. Die Beklagte habe darin zu Unrecht den Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit festgestellt und von der Klägerin die Erstattung des ihr im Sperrzeitzeitraum bewilligten Alg verlangt. 

Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens sei der Bescheid der Beklagten vom 21. April 2017, durch den das Ruhen des Anspruchs auf Alg in Folge des Eintritts einer dreiwöchigen Sperrzeit und die Minderung des Anspruchs festgestellt sowie die Bewilligung von Alg für diesen Zeitraum aufgehoben und einen Erstattungsanspruch wegen überzahlten Alg i. H. v. 779,50 Euro geltend gemacht worden sei. Streitgegenstand sei auch der entsprechende Änderungsbescheid vom 21. April 2017, in dem die streitgegenständliche Sperrzeit als sog. wiederholende Verfügung enthalten gewesen sei. Beide Bescheide bildeten insoweit eine rechtliche Einheit. Die Klägerin habe deshalb zutreffend auch nur eine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhoben. 

Entscheidungsgrundlage für die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit sei § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB III. Danach ruhe der Anspruch auf Alg, wenn ein Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten habe, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach § 159 Absatz 1 S. 2 Nr. 4 SGB III liege versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitnehmer trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Arbeitsagentur unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annehme oder nicht antrete oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten verhindere (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung). Die Dauer der Sperrzeit betrage im Falle des erstmaligen versicherungswidrigen Verhaltens dieser Art drei Wochen. 

Der Tatbestand des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III stelle damit als ein die Sperrzeit begründendes Verhalten, die Nichtannahme, den Nichtantritt der Beschäftigung sowie das Verhindern der Anbahnung des Beschäftigungsverhältnisses, alternativ und gleichwertig nebeneinander. Mit dem Merkmal „Verhindern der Anbahnung“ solle bereits das Verhalten im Vorfeld einer möglichen Arbeitsaufnahme erfasst werden. Dazu solle nach dem Willen des Gesetzgebers auch eine „nicht unverzügliche“ Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder das Versäumen eines vereinbarten Termins gehören. Eine Sperrzeit bei Arbeitsablehnung setze demzufolge ein hinreichend benanntes zumutbares Beschäftigungsangebot voraus, das zudem mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung versehen sein müsse. Bei dem Beschäftigungsangebot vom 15. Februar 2017, das der hier streitgegenständlichen Sperrzeit zugrunde liege, handele es sich zwar um ein zumutbares Beschäftigungsangebot, das auch mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung versehen gewesen sei. Die Klägerin habe sich auf dieses Beschäftigungsangebot auch nicht - wie im Angebot verlangt - umgehend beworben, sondern erst nachdem sie durch das Anhörungsschreiben der Beklagten davon erfahren hatte, dass eine Bewerbung bei Fa. E. nicht eingegangen war. Die Klägerin habe erst dabei gemerkt, dass sie die Bewerbung zwar in ihrem Bewerbertagebuch vermerkt, aber vergessen hatte, die E-Mail an die Fa. E. abzusenden. 

Einen Verschuldensmaßstab wie § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nenne der Tatbestand der Nr. 2 nicht, obwohl sowohl die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als auch das Schrifttum für das bis 2001 geltende Recht (Vorgängervorschrift: § 144 SGB III) Vorsatz oder mindestens grobe Fahrlässigkeit als Merkmal des Tatbestandes angenommen hätten (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.1991 – 11 RAr 99/90, Urteil vom 27.05.2002 – B 7 AL 4/02 R; Winkler in: Gagel, SGB III, § 144 Rdnr. 137).

Das BSG habe zunächst entschieden, die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung erfordere ein vorwerfbares, nicht aber ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten (BSG, Urteil vom 14.07.2004 – B 11 AL 67/03 R). Zwischenzeitlich halte das BSG zumindest leichte Fahrlässigkeit für erforderlich, wobei es den subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab zu Grunde lege (BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 14/05 R).

Im Schrifttum seien - nachdem das BSG den Tatbestand auch auf Fälle schlichten Vergessens eines Termins angewandt habe (BSG, Urteil vom 14.07.2004 – B 11 AL 67/03 R) unter Hinweis auf das Bestimmtheitsgebot und das Übermaßverbot verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden (vgl. Lüdtke in: LPK-SGB III, 2. Aufl., § 159 Rdnr. 21; Voelzke, in: Spellbrink/Eicher, Handbuch § 12 Rdnr. 313). 

Das erkennende Gericht teile diese Bedenken.  

Aus Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung, die auf dem Grundgedanken beruhe, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren müsse, deren Eintritt der Arbeitslose selbst zu vertreten habe oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithelfe, folge, dass die Sperrzeit jedenfalls nur durch vorwerfbares Verhalten verwirklicht werden könne, also ein vom Willen und Wollen getragenes vorsätzliches Verhalten voraussetze. Nicht jedes - auch nur leichtes - Fehlverhalten könne daher ausnahmslos ein Ruhen des Anspruchs auf Alg zur Folge haben. Andernfalls würden sich die an einen Sperrzeittatbestand geknüpften Sanktionen jedenfalls als unverhältnismäßig erweisen (vgl. Hauck/Noftz, SGB III, § 159, Rdnr. 268 ff unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG, 10.02.1987 – 1 BvL 15/83, BVerfGE 74, 203). 

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und des persönlichen Eindrucks, den das Gericht von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen habe, könne der Klägerin vorliegend allenfalls ein leichtes Fehlverhalten vorgeworfen werden. Dabei habe das Gericht auch gewürdigt, dass die Klägerin für die Kammer glaubhaft versichert habe, der streitgegenständliche Vermittlungsvorschlag sei ihr zusammen mit einer größeren Anzahl weiterer Vermittlungsvorschläge in einem großen DIN A4 Umschlag etwa Mitte Februar übersandt worden. 

In den Fällen, in denen zeitgleich mehrere Arbeitsangebote übersandt würden, habe das BSG erst unlängst entschieden (Urteil vom 03.05.2018 - B 11 AL 2/17 R -), dem Arbeitslosen müsse in diesen Fällen zugestanden werden, die verschiedenen Angebote zunächst zu prüfen (etwa im Hinblick auf Pendelzeiten, einen notwendigen Umzug oder Verdienstmöglichkeiten); erst dann könne der Arbeitslose entscheiden, in welcher Form er mit dem Arbeitgeber Kontakt aufnehme und ob darüber hinaus weiteres zu veranlassen sei. Etwas Anderes könne nach der Rechtsprechung des BSG nur dann gelten, wenn mehrere Arbeitsangebote in solchen zeitlichen Abständen unterbreitet wurden, dass eine Bewerbung auf frühere Angebote bereits hätte erfolgen müssen. Nur in diesen Fällen sei eine unterlassene Bewerbung bereits als versicherungswidriges Verhalten zu werten. Das Gericht habe aber auch eingeräumt, dass die Frage, wann genau jeweils eine Bewerbung zu erfolgen habe, einer schematischen Beurteilung nicht zugänglich sei, sondern im Einzelfall unter Berücksichtigung des konkreten Arbeitsangebots und eventueller Besonderheiten des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes zu erfolgen habe (BSG, a. a. O.). 

Die Kammer habe zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt, dass diese eine Vielzahl von Bewerbungsangeboten innerhalb kurzer Zeit übermittelt erhalten hatte und dadurch das Risiko, auf eines der Vermittlungsangebote nicht unverzüglich zu reagieren und damit einen Sperrzeittatbestand zu verwirklichen, erhöht worden sei. Der Umstand, dass die Klägerin vergessen habe, die von ihr gefertigte E-Mail-Bewerbung rechtzeitig abzusenden, stelle zur Überzeugung des erkennenden Gerichts kein vorwerfbares Verhalten dar, weshalb der Sperrzeitbescheid (und der diese Sperrzeit als wiederholende Verfügung enthaltende Änderungsbescheid) aufzuheben waren. 

Damit entfalle auch die Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Alg bewilligenden Entscheidung und die darauf beruhende Erstattung. 

Dieses Urteil wurde der Beklagten am 8. August 2019 (Bl. 68 der Gerichtsakte) zugestellt. Dagegen hat die Beklagte am 30. August 2019 (Bl. 70 der Gerichtsakte) Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. 

Die Beklagte ist der Auffassung, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erfüllung des Sperrzeittatbestandes nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III weder Vorsatz noch grob fahrlässiges Verhalten erforderlich sei, vielmehr genüge ein vorwerfbares Verhalten. Deshalb sei der Sperrzeittatbestand hier erfüllt. 

Die Beklagte behauptet, dass der Klägerin am 15. Februar 2017 nur ein einzelner Vermittlungsvorschlag übersandt worden sei. Die Beklagte ist daher der Auffassung, das Sozialgericht habe seiner Entscheidung einen fehlerhaften Sachverhalt zugrunde gelegt und dabei auch ihr rechtliches Gehör verletzt. 

Die Beklagte beantragt, 

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 16. Mai 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen. 

Die Klägerin beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen. 

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2020, insbesondere zur Befragung der Klägerin, wird verwiesen. 

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG eingelegt worden.

Sie ist ganz überwiegend begründet, teilweise jedoch unbegründet. 

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. August 2017, mit dem diese den Eintritt einer Sperrzeit vom 20. Februar bis 12. März 2017 und die Minderung des Anspruchs auf Alg um 21 Tage festgestellt, die Bewilligung von Alg für diesen Zeitraum aufgehoben und die Erstattung von Alg in Höhe von 779,93 Euro verlangt hat, ist rechtswidrig, soweit die Feststellung einer Sperrzeit und die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld die Zeit vom 11. bis 12. März 2017 betreffen und soweit die Erstattungsforderung die Höhe von 712,11 Euro übersteigt, und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Im Übrigen ist der Bescheid jedoch rechtmäßig. Der Änderungsbescheid der Beklagten vom 21. April 2017 ist, soweit er der Klägerin wegen einer eingetretenen Sperrzeit für die Zeit vom 20. Februar bis 10. März 2017 kein Alg gewährt hat, rechtmäßig, aber hinsichtlich der Ablehnung der Gewährung von Alg für die Zeit vom 11. und 12. März 2017 rechtswidrig (zur rechtlichen Einheit eines solchen Bescheides mit dem Sperrzeitbescheid siehe zuletzt BSG, Urteil vom 27. Juni 2019, B 11 AL 14/18 R, Juris, Rdnr. 11 m.w.N.). 

Die Aufhebung der Bewilligung von Alg für die Zeit ab 20. Februar war nur bis 10. März 2017 rechtmäßig. Rechtsgrundlage dafür ist die Regelung des § 48 Abs. 1 und 4 SGB X.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X gelten § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X entsprechend. In den rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides der Beklagten vom 16. November 2016 in der Fassung des Bescheides vom 9. Dezember 2016, einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, durch den der Klägerin Alg ab 1. Oktober 2016 gewährt wurde, vorgelegen haben, ist durch das Ruhen des Anspruchs der Klägerin auf Alg für die Zeit vom 20. Februar bis 10. März 2017 eine wesentliche Änderung eingetreten. 

Der Anspruch der Klägerin auf Alg ruht nach § 159 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 SGB III

Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht ein Anspruch auf Alg nach § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III für die Dauer einer Sperrzeit. Nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn die arbeitslose Person trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Agentur für Arbeit unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch ihr Verhalten verhindert (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung). 

Die Klägerin war bei Übersendung des Vermittlungsvorschlags der Beklagten vom 15. Februar 2017, in dem als Arbeitgeberin die D. e.K. Autovermietung und als Art der Tätigkeit „Bürokraft/Kaufmännische Fachkraft“ angegeben war, arbeitslos. Die der Klägerin angebotene Tätigkeit war ihr schon in Hinblick auf ihre vorausgegangene Tätigkeit als Disponentin/Bürokauffrau bei dem Autohaus C. GmbH & Co. KG zumutbar. Eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung war Bestandteil des Vermittlungsangebots vom 15. Februar 2017. Die angebotene Tätigkeit hat die Klägerin jedoch nicht angenommen, weil sie sich, trotz der Aufforderung, sich umgehend zu bewerben, zunächst überhaupt nicht beworben hat. Dazu gibt sie an, dass sie dieses Angebot in ihrem „Bewerbertagebuch“ zwar eingetragen habe, aber dann vergessen habe, die Bewerbung abzuschicken. Erst nachdem die Beklagte sie im April 2017 zu den Gründen für ihre Nichtbewerbung angehört habe, habe sie sich doch noch beworben. Zu diesem Zeitpunkt war die Stelle jedoch bereits an einen anderen Bewerber vergeben. Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin aufgrund des konkreten Arbeitsangebots und eventueller Besonderheiten des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nach Eingang des Vermittlungsangebots vom 15. Februar 2017 noch Prüf- und Bedenkzeit (zu einer solchen Fallkonstellation siehe BSG, Urteil vom 3. Mai 2018, B 11 AL 2/17 R, Juris, Rdnr. 25 f.) einzuräumen gewesen wäre, die sie dazu berechtigt hätte, sich nicht umgehend, sondern erst im April 2017 zu bewerben, liegen nicht vor.  

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit erforderlich (siehe BSG, Urteil vom 14. Juli 2004, B 11 AL 67/03 R, Juris, Rdnr. 19 zur Vorgängervorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Ausreichend ist vielmehr ein vorwerfbares Verhalten, das schon bei leichter Fahrlässigkeit vorliegt (siehe BSG, Urteil vom 14. Juli 2004, B 11 AL 67/03 R, Juris, Rdnr. 18 zur Vorgängervorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III; BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 7a AL 14/05 R, Juris, Rdnr. 21 zur Vorgängervorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Hier hat die Klägerin - nach ihren Angaben - das Vermittlungsangebot vom 15. Februar 2017 zwar in ihrem „Bewerbertagebuch“ eingetragen, aber dann vergessen, die Bewerbung abzuschicken. Nähere Gründe, warum sie, nach der Eintragung des Vermittlungsangebots vom 15. Februar in ihr „Bewerbertagebuch“ vergessen hat, die Bewerbung per E-Mail abzuschicken, gibt sie nicht an. Wenn die Klägerin das Vermittlungsangebot bekommen, als Vermittlungsangebot wahrgenommen und deswegen in eine Liste („Bewerbertagebuch“) aufgenommen hat, ist es jedoch aufgrund der individuellen Fähigkeiten der Klägerin, die durch ihre bisherige berufliche Tätigkeit und ihr Auftreten erkennbar sind, grob fahrlässig, wenn sie die entsprechende Bewerbung nicht auch tatsächlich abschickt. Dies gilt insbesondere, weil sich der Aufwand bei einer Abgabe der Bewerbung per E-Mail in engen Grenzen hält und sie vergleichbare Bewerbungen bereits vorher in größerer Zahl verschickt hat. Diese Einschätzung der groben Fahrlässigkeit gilt unabhängig davon, ob die Klägerin dieses Vermittlungsangebot einzeln in mehreren Umschlägen oder zusammen mit weiteren Vermittlungsangeboten in einem Umschlag erhalten hat, wobei der Senat aufgrund der Frankierung des Vermittlungsangebotes vom 15. Februar 2017 mit 70 Cent jedoch davon ausgeht, dass die Klägerin an diesem Tag keinen Umschlag mit mehreren Vermittlungsangeboten, für die dann ein höheres Porto zu zahlen gewesen wäre, erhalten hat. Im Übrigen war die Klägerin auch bei einem anderen Vermittlungsangebot, dem Vermittlungsangebot vom 22. Februar 2017 für das Autohaus E., sehr unsorgfältig und hat angegeben, dass sie sich auf dieses Vermittlungsangebot nicht beworben habe, weil dieses „untergegangen“ sei. Der Auffassung des Sozialgerichts, dass in der fehlenden Absendung der Bewerbung auf das Vermittlungsangebot vom 15. Februar 2017 ein allenfalls leicht fahrlässiges und damit kein vorwerfbares Verhalten i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III liegen soll, kann damit nicht gefolgt werden. Der Senat sieht darin jedenfalls in dem konkreten Fall der Klägerin ein grob fahrlässiges Verhalten. Deshalb kann auch offenbleiben, ob die Verwirklichung des Tatbestandes des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III auch aufgrund leichter Fahrlässigkeit möglich ist und dagegen verfassungsrechtliche Bedenken, wie sie vom Sozialgericht geltend gemacht werden, tatsächlich bestehen. Das Bundessozialgericht hat solche jedenfalls (nur) für den Fall geäußert, dass die an einen Sperrzeittatbestand geknüpften Sanktionen sich allein aus einem nur objektiv vorliegenden Tatbestand ergeben (siehe BSG, Urteil vom 14. Juli 2004, B 11 AL 67/03 R, Juris, Rdnr. 18 zur Vorgängervorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). 

Auch der kausale Zusammenhang zwischen der unterlassenen Bewerbung der Klägerin und der Verlängerung ihrer Arbeitslosigkeit besteht. Dafür ist kein eigentlicher Kausalitätsnachweis erforderlich, sondern es ist im Sinne einer typisierenden Kausalität ausreichend, dass der Arbeitslose nach seinen Vorkenntnissen für die angebotene Arbeit in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 7a AL 14/05 R, Juris, Rdnr. 21 zur Vorgängervorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Dies ist bei der Klägerin aufgrund ihrer Beschäftigung als Disponentin/Bürokauffrau bei dem Autohaus C. GmbH & Co. KG jedenfalls der Fall. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin einen wichtigen Grund gehabt hätte, sich nicht auf das Vermittlungsangebot der Beklagten vom 15. Februar 2017 zu bewerben, liegen nicht vor. 

Die im Bescheid festgelegte Dauer der Sperrzeit von drei Wochen ist rechtmäßig. Die Sperrzeit hat jedoch bereits am 18. Februar 2017 und nicht erst am 20. Februar begonnen. 

Nach § 159 Abs. 2 Satz 1 SGB III beginnt die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit. Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsablehnung, bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme oder bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme beträgt nach § 159 Abs. 4 Nr. 1 SGB III im Fall des erstmaligen versicherungswidrigen Verhaltens dieser Art drei Wochen. Da die Klägerin durch den Vermittlungsvorschlag vom 15. Februar 2017 aufgefordert wurde, sich umgehend zu bewerben und diese Bewerbung am 17. Februar 2017 auch in ihre Liste eingetragen und vorbereitet hat, dann aber an diesem Tag vergessen hat, die Bewerbung auch tatsächlich abzuschicken, fällt das Ereignis, das die Sperrzeit begründet, bereits auf diesen Tag, so dass die Beklagte den Beginn der Sperrzeit mit dem 18. Februar 2017 hätte angegeben müssen. Die Dauer der Sperrzeit beträgt, weil ein erstmaliges versicherungspflichtwidriges Verhalten der Klägerin vorliegt, wie von der Beklagten angenommen, drei Wochen. 

Auch wenn die Klägerin nicht wusste, dass ihr Anspruch auf Alg aufgrund einer Sperrzeit wegen einer unterlassenen Bewerbung kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen war, weil sie das Absenden dieser Bewerbung nach ihren Angaben vergessen hatte, hat sie jedoch - weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzt hat - nicht gewusst, dass ihr Anspruch auf Alg aufgrund einer Sperrzeit wegen einer unterlassenen Bewerbung kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen war. Sie hat sich nämlich hinsichtlich der unterlassenen Absendung dieser Bewerbung grob fahrlässig verhalten (s.o.) und sie hätte aufgrund der unmissverständlichen und eindeutigen Rechtsfolgenbelehrung, die mit dem Vermittlungsangebot vom 15. Februar 2017 verbunden war, wissen müssen, dass ihr Anspruch auf Alg aufgrund einer Sperrzeit wegen einer unterlassenen Bewerbung kraft Gesetzes zum Ruhen kommt, wenn sie sich ohne wichtigen Grund nicht umgehend bewirbt. Die Rechtsfolgenbelehrung weist nämlich ausdrücklich darauf hin, dass eine Sperrzeit eintritt, wenn die Klägerin ohne wichtigen Grund das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses durch ihr Verhalten verhindert, zum Beispiel, indem sie sich nicht vorstellt, und ihr Anspruch während einer Sperrzeit ruht. Damit musste der Klägerin klar sein, dass eine Sperrzeit eintritt, der zum Ruhen ihres Anspruchs auf Alg führt, wenn sie sich nicht auf die angebotene Stelle bewirbt und sich damit nicht bei dem von der Beklagten genannten Arbeitgeber vorstellt. Im Übrigen ist ihr das Ruhen des Anspruchs auf Alg schon deshalb aufgrund grober Fahrlässigkeit entgangen, weil sie, wie sie in der mündlichen Verhandlung am 18. September 2020 angegeben hat, die entsprechende Rechtsfolgenbelehrung überhaupt nicht gelesen hat. 

Die Beklagte war auch nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III verpflichtet, die Bewilligung jedenfalls ab dem 20. Februar 2017 aufzuheben, da das Ruhen des Anspruchs auf Alg durch die festgestellte Sperrzeit (s.o.) und damit die wesentliche Änderung in den Verhältnissen zu diesem Zeitpunkt eingetreten war. Einen Ermessensspielraum hatte sie bei dieser Entscheidung nicht.  

Die Jahresfrist des §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist eingehalten. Die Aufhebung der Bewilligung von Alg durch den Bescheid vom 21. April 2017 erfolgte unmittelbar nachdem sich die Klägerin am 13. April 2017 dazu geäußert hatte, warum sie sich bei der Firma D. e.K. nicht beworben hat. 

Zu Recht hat die Beklagte auch eine Minderung des Anspruchs auf Alg um 21 Tage festgestellt. Die Dauer des Anspruchs auf Alg mindert sich nach § 148 Abs. 1 Nr. 3 SGB III um die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung. Wegen der nach dem Gesetz eingetretenen Sperrzeit von drei Wochen (21 Tage) mindert sich der Anspruch der Klägerin entsprechend. 

Die Beklagte verlangt zu Recht die Erstattung des für die Zeit vom 20. Februar bis 10. März 2017 gezahlten Arbeitslosengeldes. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstatten. Nach § 50 Abs. 3 SGB X ist die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll nach § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden. Hier wurde die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 20. Februar bis 10. März 2017 zu Recht durch den Bescheid vom 21. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2017 (s.o.) aufgehoben. Nur soweit die Beklagte eine Erstattung gezahlten Arbeitslosengeldes auch für die Zeit vom 11. und 12. März 2017 verlangt, ist der Bescheid rechtswidrig, weil die Sperrzeit bei einem zutreffend angenommenen Beginn der Sperrzeit am 18. Februar 2017 bereits am 10. März 2017 endet. Die Höhe des für den Zeitraum vom 20. Februar bis 10. März 2017 gezahlten und daher zu erstattenden Alg beträgt 712,11 Euro. 

Die Beklagte durfte bei der Berechnung des Erstattungsbetrages nach ihren fachlichen Weisungen zu § 154 SGB III vorgehen, nach denen bei einer im Februar eingetretenen Änderung, die bis zum Ende des Monats reicht, für die Höhe des Erstattungsbetrages (Februar: 11 Tage x 33,91 Euro täglicher Leistungssatz + März: 10 Tage x 33,91 Euro täglicher Leistungssatz = 712,11 Euro) davon ausgegangen wird, dass der Monat Februar 30 Tage hat, obwohl er im konkreten Fall nur 28 Tage hatte (so auch Brackelmann, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Auflage, Stand: 15. Januar  2019, § 154 Rdnr. 5 und Landessozialgericht Thüringen, Urteil vom 31. August 2016, L 10 AL 766/15, Juris, Rdnr. 34). 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision wird in Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage, wie bei Änderungen bei der Leistungsgewährung im Februar eines Jahres, die mindestens bis zum Ende dieses Monats reichen, die Regelung des § 154 SGB III angewendet werden soll, zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
 

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