I. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. August 2019 wird zurückgewiesen. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (S 9 AS 369/14) durch den Gerichtsbescheid vom 26. März 2019 wirksam beendet ist.
II. Die Beteiligten haben einander auch im Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht in einem berufungsfähigen Verfahren, in dem ein Gerichtsbescheid ergangen ist.
In dem Verfahren S 9 AS 369/14 wandte der Kläger sich gegen die Versagung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) gem. § 66 SGB I (fehlende Mitwirkung) für den Zeitraum vom 1. März 2014 bis 19. April 2014, die der Beklagte vom 1. September 2013 bis 28. Februar 2014 in Höhe von monatlich insgesamt 784,40 € bewilligt hatte (Bescheid vom 22. August 2013).
Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. März 2019 (dem Kläger zugestellt am 28. März 2019) als unzulässig, hilfsweise auch als unbegründet, ab und wies den Kläger in der beigefügten zutreffenden Rechtsmittelbelehrung darauf hin, dass der Gerichtsbescheid mit der Berufung angefochten werden kann. Der Kläger beantragte gleichwohl mit Schreiben vom 26. April 2019, beim Sozialgericht eingegangen am Montag dem 29. April 2019, mündliche Verhandlung nach § 105 SGG.
Auf gerichtlichen Hinweis, dass als Rechtsmittel nach § 105 SGG lediglich die Berufung statthaft sei, hat der Kläger ausdrücklich seinen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht aufrechterhalten. Er hat vorgetragen, es sei aus § 105 SGG nicht ersichtlich, dass eine mündliche Verhandlung nur stattfinden könne, wenn keine Berufungsmöglichkeit bestehe. Auch in der ersten Instanz sei ihm rechtliches Gehör in Form einer mündlichen Verhandlung zu gewähren.
Mit Beschluss vom 29. August 2019 hat das Sozialgericht im schriftlichen Verfahren den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung in dem Verfahren S 9 AS 369/14 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
„Der Antrag des Klägers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht statthaft. Gem. § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Nach Satz 2 von § 105 Abs. 2 SGG kann mündliche Verhandlung beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben ist. In dem Verfahren S 9 AS 369/14 lag der Streitwert über 750,00 Euro, so dass die Berufung zulässig ist, ohne dass es der Zulassung der Berufung durch das Gericht nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedurfte. Da die Berufung gegeben war, ist der Rechtsbehelf einer mündlichen Verhandlung nicht gegeben. Das Gesetz stellt es in das Ermessen des Gerichts in Verfahren, die keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen und deren Sachverhalt geklärt ist, nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Ist das Rechtsmittel der Berufung nicht gegeben, kann der Kläger mündliche Verhandlung beantragen. In diesem Fall gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen und es ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Ist die Berufung gegen den Gerichtsbescheid gegeben, hat der Kläger die Möglichkeit durch Einlegung der Berufung in der Berufungsinstanz rechtliches Gehör in einer mündlichen Verhandlung zu erlangen. Damit ist sichergestellt, dass dem Kläger in jedem Fall - entweder in der ersten Instanz oder in der zweiten Instanz - rechtliches Gehör in einer mündlichen Verhandlung eingeräumt wird. Das Gericht konnte in Anlehnung an § 158 S. 1 SGG den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Beschluss verwerfen (ebenso: Hintz in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Std. 01.06.2019, § 105 Rn. 11; Kühl in: Breitkreuz/Fichte, SGG § 105 Rn. 6; Lüdtke/Berchtold, SGG 5. Aufl. 2017, § 105 Rn. 15; Kummer in Peters/Sautter/Wolff, § 105 Rn. 80; Müller in Roos/Wahrendorf, § 105 Rn. 43; Bienert SGb 2014, 365 (372)). Es liegt bereits ein rechtskräftiger Gerichtsbescheid vor, der als Urteil wirkt. Der Gerichtsbescheid dient der Entlastung der Gerichte in einfach gelagerten Fällen und sieht in diesen Fällen ausdrücklich entweder die Möglichkeit des Antrags auf mündliche Verhandlung oder der Berufung vor. Der Kläger kann eine mündliche Verhandlung in der ersten Instanz in einem durch Gerichtsbescheid bereits beendeten, berufungsfähigen Verfahren nicht durch einen unzulässigen Rechtsbehelf erzwingen“.
Gegen den ihm am 3. September 2019 zugestellten Beschluss hat der Kläger entsprechend der ihm erteilten Rechtsmittelbelehrung am 4. Oktober 2019 Beschwerde bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt, mit der er weiterhin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht anstrebt. Nach seiner Auffassung schließt die Möglichkeit der Berufung nicht die Zulässigkeit eines Antrages auf mündliche Verhandlung aus. Die Voraussetzungen einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hätten nicht vorgelegen, denn der Rechtssache komme schon wegen der vollständigen Versagung von Leistungen im streitigen Zeitraum grundsätzliche Bedeutung zu.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. August 2019 aufzuheben und festzustellen, dass der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. März 2019 als nicht ergangen gilt.
Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Beschluss, auf dessen Begründung er Bezug nimmt.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgerecht eingelegt (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Zwar hätte das Sozialgericht nach zutreffender Auffassung über den Antrag des Klägers auf mündliche Verhandlung durch Urteil und nicht durch Beschluss entscheiden müssen, denn für eine Verwerfungskompetenz des Sozialgerichts analog § 158 Satz 2 SGG fehlt die Rechtsgrundlage und einer Analogiebildung steht § 125 SGG entgegen, wonach das Sozialgericht über die Klage durch Urteil entscheidet, soweit nichts Anderes bestimmt ist. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist nämlich ein Rechtsbehelf, der dazu führt, dass das Gericht – ebenso wie in anderen Fällen des Wiederauflebens der Rechtshängigkeit – nochmals mit der Klage befasst ist, weshalb § 125 SGG Anwendung findet (so: B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG-Komm. 12. Aufl. 2017, § 105 Rn. 24 m.w.N.; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 105 Rn. 119; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2017, L 13 AS 3192/16 B, Juris Rn. 16-23 m.w.N.).
Der entgegenstehenden Auffassung, dass die Verwerfung durch Beschluss in Anlehnung an § 158 SGG ausreichend sei, zumal nicht einzusehen sei, dass in der Hauptsache eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter ergehen konnte, während hinsichtlich der Frage, ob der Rechtsstreit hierdurch erledigt ist, ein Urteilsverfahren geboten sein soll (so etwa: Breitkreuz/Fichte, SGG-Komm. 2. Aufl. 2014, § 105 Rn. 6 m.w.N.), vermag sich der Senat daher nicht anzuschließen.
Gleichwohl ist die Beschwerde zulässig, denn dem Kläger darf kein Nachteil daraus entstehen, dass er von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht hat, auf das er durch das Sozialgericht hingewiesen worden ist. Vielmehr ist in einem solchen Fall nach dem Grundsatz der sog. Meistbegünstigung sowohl das Rechtsmittel zulässig, das gegen die gewählte Entscheidungsform zulässig wäre, als auch das Rechtsmittel, das gegen die richtige Entscheidungsform zulässig gewesen wäre (so zutr.: Leitherer, in Meyer-Ladewig ea., a.a.O., vor § 143 Rn. 14 m.w.N.).
Der Antrag des Klägers auf Durchführung der mündlichen Verhandlung kann auch nicht in eine (rechtzeitige) Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 26. März 2019 umgedeutet oder als Berufung ausgelegt werden, denn der prozesserfahrene Kläger hat trotz zutreffender Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit der Einlegung der Berufung ausdrücklich bei dem Sozialgericht „mündliche Verhandlung nach § 105 SGG“ beantragt und ist auch auf nochmalige Nachfrage und Hinweis des Sozialgerichts auf das zulässige Rechtsmittel der Berufung (Verfügung vom 14. Mai 2019) mit Schriftsatz vom 28. Juli 2019 bei seinem Antrag auf mündliche Verhandlung geblieben. Hat sich der Kläger aber bedacht ausdrücklich für den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung entschieden, so ist weder eine Umdeutung noch eine anderweitige Auslegung seines Antrags möglich (vgl.: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, a.a.O., vor § 143 Rn. 15b, 15c und § 151 Rn. 11a m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. August 2014, L 13 AS 3162/14, Juris Rn. 18).
Der Senat entscheidet in einem derartigen Fall trotz der Statthaftigkeit der eingelegten Beschwerde in korrekter Form durch Urteil, schon weil im Fall der korrekten Entscheidung des Sozialgerichts durch Urteil der weitere Instanzenweg zumindest durch Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des erkennenden Senats eröffnet wäre, wohingegen ein Beschluss des Senats nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden könnte (so zutreffend: Leitherer, a.a.O., vor § 143, Rn. 14a m.w.N.).
Die Beschwerde ist aber unbegründet. Der Beschluss des Sozialgerichts ist in der Sache nicht zu beanstanden.
Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung war nicht statthaft, denn gemäß § 105 Abs. 2 S. 2 SGG kann mündliche Verhandlung nur beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben ist. Im vorliegenden Fall war die Berufung ohne besondere Zulassung statthaft, worüber der Kläger auch zutreffend belehrt worden ist, denn streitig war der Leistungsbezug in voller Höhe für mehr als einen Monat, nachdem der Kläger unmittelbar vorher Leistungen i.H.v. 784,40 € monatlich bezogen hatte. Damit war die Wertgrenze für die Statthaftigkeit der Berufung i.H.v. mehr als 750 € gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG überschritten, denn aus dem Vorbringen des Klägers ist nicht ersichtlich, dass er etwa wegen Erzielens von Einkommen oder aus anderen Gründen einen geringeren Leistungsbetrag als bisher geltend gemacht hätte.
Der Rechtsauffassung des Klägers, ihm sei aus Gründen des rechtlichen Gehörs eine mündliche Verhandlung in jeder Instanz zu ermöglichen, ist rechtsirrig. Übergeordneter Normzweck des § 105 SGG ist die Beschleunigung des Verfahrens, wobei die Regelungen des § 105 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 SGG ein faires Verfahren i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK sicherstellen sollen. Dem Recht auf ein faires Verfahren wird aber bereits dann genüge getan, wenn im gesamten Instanzenzug die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gewährleistet ist, wenn der Kläger hierauf nicht verzichtet. Nach Erlass eines Gerichtsbescheides steht den Beteiligten das Recht zu, entweder mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht zu beantragen oder Berufung einzulegen, über die das Landessozialgericht nur mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden darf (so zutreffend: Burkiczak, a.a.O., § 105 Rn. 16 m.w.N.). Hingegen können die Beteiligten nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in jeder einzelnen Instanz erzwingen, zumal das Recht auf ein faires Verfahren den nationalen Gesetzgeber schon nicht zur Ausgestaltung der Gerichtsbarkeit mit mehreren Instanzen zwingt. Aus diesem Grund ist der Antrag auf mündliche Verhandlung nur statthaft, wenn die Berufung weder zulassungsfrei möglich ist noch vom Sozialgericht zugelassen wurde (so zutreffend: B. Schmidt, a.a.O., § 105 Rn. 2 und 15 m.w.N.).
Nach allem ist der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht durch den Gerichtsbescheid vom 26. März 2019 wirksam beendet, was klarstellend in Ergänzung des angegriffenen Beschlusses des Sozialgerichts festzustellen war, denn Streitgegenstand dieses Verfahrens ist die Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid (so zutreffend: B. Schmidt, a.a.O., § 105 Rn. 24), während die Statthaftigkeit des Antrages auf mündliche Verhandlung nur eine Vorfrage betrifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war mangels Zulassungsgründen i.S.d. § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen, denn die streitige Rechtsfrage, ob ein Sozialgericht einen unstatthaften Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 105 Abs. 2 S. 2 SGG durch Beschluss oder nur durch Urteil ablehnen kann, ist im Ergebnis nicht entscheidungserheblich.