Es gibt weder Studien über das Auftreten von Harnblasenkrebs nach Einwirkung einer bestimmten Strahlendosis noch ist eine Schwellendosis bekannt, unterhalb der das Krebsrisiko ausgeschlossen werden kann. Durch ionisierende Strahlung induzierte Krebserkrankungen lassen sich weder im klinischen Erscheinungsbild noch in histologischen, zytologischen oder molekularen Parametern von spontanen Erkrankungen unterscheiden. Erforderlich ist daher der epidemiologische Nachweis einer sog. Risikoverdoppelung für die Verursachung der Krebserkrankung in Verbindung mit nach Art, Intensität und Dauer sowie sonstiger Rahmenbedingungen exakt beschriebener Expositionsverhältnisse. Das Abstellen auf die Verdopplungsdosis erscheint in den Fällen, in denen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand keine Dosis-Wirkung-Beziehung benennen kann und auch keine arbeitsmedizinischen Kriterien zur Abgrenzung der durch die Einwirkung verursachten und veranlagungsbedingt entstandenen Erkrankungen vorhanden sind, die einzige Möglichkeit, eine hinreichend wahrscheinliche Verursachung der Erkrankung durch die Einwirkung dogmatisch zu begründen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 14. August 2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Harnblasenkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) der Nr. 2402 oder 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) oder als sog. Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).
Der 1942 geborene Kläger beantragte bei der BG Verkehr, der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte), mit Schreiben vom 4. Januar 2010 die Anerkennung einer Berufskrankheit. Bei ihm sei ein Blasenkarzinom festgestellt worden, das nach Aussage seines Urologen eindeutig im Bereich seines beruflichen Umfeldes anzusiedeln sei, da er in den mehr als 36 Jahren seiner Tätigkeit als Flugingenieur und Flugkapitän ganz besonders der Einwirkung von Aerosolen (durch die Kabinenluft) und Strahlung durch kosmische Höhenstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verfahren zur Prüfung der Berufskrankheiten nach den Nrn. 1301, 1307 und 2402 der BKV ein.
Im Rahmen der medizinischen Sachermittlungen von Amts wegen zog sie ein Vorerkrankungsverzeichnis der Techniker Krankenkasse vom 16. Februar 2010 sowie Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers (Herr C., Internist, vom 12. Februar 2010; Herr D., Facharzt für Urologie, vom 11. März 2010) sowie Arztbriefe des Krankenhauses Nordwest über die stationären Aufenthalte des Klägers dort vom 20. Januar 2010 bis 23. Januar 2010 und vom 26. Januar 2010 bis 28. Januar 2010 (Klinik für Urologie und Kinderurologie, Prof. Dr. Dr. E. vom 20. Januar 2010 und 26. Januar 2010) bei. Über das Blasenkarzinom hinaus findet sich dort auch die Diagnose eines Prostatakarzinoms.
Unter dem 20. April 2010 legte der Geschäftsbereich Prävention (Herr F.) eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vor. Danach war der Kläger vom 1. April 1965 bis 31. März 2002 als Flugingenieur und Pilot bei der G. AG und dem H-flugdienst tätig. Kontakte zu aromatischen Aminen habe es bei dieser Tätigkeit nicht gegeben, weshalb eine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 1301 ausgeschlossen werde. Zwar könne es kurzfristig zur Inhalation von Aerosolen während des Fluges gekommen sein, z. B. wenn Desinfektionsmittel ausgebracht würden. Darüber hinaus könne es akzidentiell zum Eintrag von geringen Turbinenölen bzw. Pyrolyseprodukten in Kabine und Cockpit gekommen sein. Eindeutig krebserzeugende Substanzen fänden sich dabei nicht. Sowohl Desinfektionsmaßnahmen als auch unfallartige Ereignisse gingen nur mit kurzen und seltenen Expositionsphasen einher. Nach Art, Dauer und Häufigkeit seien höchstens geringfügige schädliche Einwirkungen von nicht krebserzeugenden Noxen gegeben. Ein Zusammenhang zwischen „Aerosolen“ und Harnblasenkrebs werde ausgeschlossen. Zur BK Nr. 2402 sei festzuhalten, dass der Kläger gegenüber ionisierender Strahlung während seiner beruflichen Tätigkeit in höherem Maße als die Allgemeinbevölkerung exponiert gewesen sei. Diese sei generell geeignet, Krebserkrankungen in der Harnblase zu verursachen. Allerdings wöge die abgeschätzte Höhe der Strahlenexposition (ca. 79 Millisievert <mSv> für 252 Monate Langstrecken- und 201 Monate Kurzstreckenflüge) so niedrig, dass nach den vorliegenden Erkenntnissen eine rechtlich wesentliche Verursachung der Erkrankung nicht in Betracht komme.
Nachdem auch der Landesgewerbearzt eine relevante Strahlenexposition im Zusammenhang mit den Krebserkrankungen des Klägers verneint hatte (Schreiben Dr. J. vom 17. Mai 2010), lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Nrn. 1301, 2402 und auch nach § 9 Abs. 2 SGB VII mit Bescheid vom 10. Juni 2010 ab. Zur Begründung stützte sie sich auf die Feststellungen des Präventionsdienstes. Da keine entsprechenden beruflichen Einwirkungen nachzuweisen seien, könne eine Verursachung der Harnblasenkrebserkrankung durch berufliche Einwirkungen nicht wahrscheinlich gemacht werden. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme zu einer fraglichen beruflichen Gefährdung des Klägers von ihrer Präventionsabteilung (Herr F.) vom 20. September 2010 bei.
Am 15. Februar 2011 beantragte der Kläger die bei ihm zwischenzeitlich operativ versorgte Prostatakrebserkrankung ebenfalls als entschädigungspflichtige Berufskrankheit nach den Nrn. 1301, 2402 der BKV oder nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.
Durch seinen Prozessbevollmächtigten ließ der Kläger ergänzend zur Begründung seines Widerspruchs vortragen, dass die arbeitstechnischen Ermittlungsergebnisse nicht korrekt seien und beanstandete die Höhe der Berechnung zur beruflichen Strahlenexposition insbesondere mit der Begründung, dass „so hoch wie möglich“ geflogen worden sei. Es könne keine Schwellendosis zugrunde gelegt werden und ein Verdopplungsrisiko sei nicht anwendbar. Signifikant sei vielmehr jedes höhere Risiko als 1,0. Erforderlich sei die Einholung eines medizinisch-toxischen Gutachtens, des Weiteren eine Überprüfung hinsichtlich einer Belastung von Giftstoffen in der Kabinenluft. Auch machte der Kläger das Krankheitsbild „Sick-Aeroplane-Syndrom“ sowie Belastungen durch Tricresylphospat (TCP) und Schädlingsbekämpfungsmittel geltend.
Nach Vorlage seinen Vortrag stützender diverser Veröffentlichungen aus Zeitungen, Fachpresse und auch Internet nahm Herr F. unter dem 24. Mai 2011 neuerlich Stellung. Unter dem 16. Mai 2011 äußerte sich der Leiter des Instituts für Strahlenschutz, Diplom Physiker K., der Präventionsabteilung der BG Energie, Textil, Elektro und Medienerzeugnisse zu der Strahlenexposition des Klägers. In Ermangelung einer Aufzeichnung von Dosiswerten für das fliegende Personal in den Jahren 1966 bis 2002 legte er ersatzweise für jedes Jahr eine effektive Dosis von 4 mSv - seiner Erklärung nach einen etwa um den Faktor 2 über den gemittelten Jahresdosiswerten des fliegenden Personals liegenden Wert, der auch die Schwankungen der Höhenstrahlung aufgrund der Schwankung der Sonnenaktivität berücksichtige - zu Grunde (insgesamt 186 mSv). Mithilfe des interaktiven Rechnerprogramms IREP (Interactive Radio Epidemiological Program) gelangte er zu einer Verursachungswahrscheinlichkeit für den Harnblasenkrebs von 3 %. Bei Berücksichtigung beider Krebserkrankungen ergäbe sich eine Verursachungswahrscheinlichkeit von unter 19 %. Bei einer Jahresdosis von 6 mSv (insgesamt 222 mSv) errechnete er im Sinne einer sog. worst-case-Betrachtung eine Verursachungswahrscheinlichkeit für den Blasenkrebs von unter 5 %, unter Berechnung beider Erkrankungen von unter 26 %. Der Empfehlung von Herrn K., im weiteren einen Strahlenbiologen mit der Angelegenheit zu befassen, kam die Beklagte nach. Der von ihr beauftragte Leiter des Instituts für medizinische Strahlenbiologie am Universitätsklinikum Essen, Prof. Dr. L., legte seine Expertise unter dem 9. Januar 2012 vor. Auch er erachtete zusammengefasst die von dem Kläger in Ausübung seines Berufes erhaltenen Strahlendosen als zu gering, als dass sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Blasen- oder das Prostatakarzinom erklären könnten. In Ausnahme der Verwendung des Konzepts der „multiplen Tumoren“, d. h. der Berechnung unter Berücksichtigung beider Erkrankungen, die eine amerikanische Besonderheit darstelle, bestätigte er die Berechnungen von Herrn K. Nach einer von ihm vorgenommenen ergänzenden Berechnung hätte die Strahlendosis pro Jahr etwa 130 mSv betragen müssen, damit eine Anerkennung unter den Expositionsbedingungen als BK Nr. 2402 erfolgen könne, ein Wert, der seiner Auffassung nach selbst unter extremen Annahmen vom fliegenden Personal nicht zu erreichen sei. Wegen des näheren Inhalts des Gutachtens wird auf Blatt 187 ff. der Verwaltungsakte der Beklagten, Bd. II, verwiesen.
In arbeitsmedizinischer Hinsicht erstattete Prof. Dr. M. unter dem 8. Februar 2012 eine fachpathologische Stellungnahme. Sie führte aus, dass aus pathologisch-anatomischer Sicht zwei unterschiedliche Tumorerkrankungen bei dem Kläger anzunehmen seien, zum einen das Harnblasenkrebsleiden im Sinne eines primären papillären Urothelkarzinoms, zum anderen das Krebsleiden der Vorsteherdrüse im Sinne eines grandulären Prostatakarzinoms. Bei der vorliegenden Morphologie sei ein prostatisches Zweitkarzinom als gesichert anzusehen, eine Metastase des vorbekannten Urothelkarzinoms oder ein Rezidiv desselben seien ausgeschlossen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2012 zurück. Bezüglich der BK Nr. 1301 führte sie an, dass krebserzeugende Noxen nicht nachzuweisen seien. Sofern während des Fluges von den Flugbegleitern Desinfektionsmittel ausgebracht worden sein sollten und es bei dem Kläger hierbei kurzfristig zur Inhalation von Aerosolen gekommen sein sollte, sei darauf hinzuweisen, dass die in diesen Wirkstoffen enthaltenen Substanzen nicht als krebserzeugend eingestuft würden. Auch bei einem akzidentiellen Eintrag geringer Mengen Turbinenöl bzw. Pyrolyseprodukten in Kabine und Cockpit könne nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht von einem Kontakt mit krebserzeugenden aromatischen Aminen (2-Naphthylamin) ausgegangen werden. Auch sei die Anerkennung als BK Nr. 2402 nicht möglich, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Strahlenexposition und der zutage getretenen Erkrankung letztlich nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden könne. Die berechnete Strahlenexposition sei unter Berücksichtigung der Einwendungen des Klägers im Widerspruchsverfahren nochmals überprüft worden. Dabei seien Berechnungen und Worst-Case-Annahmen durchgeführt worden, wobei in die effektive Dosis verschiedener Strahlenarten mit unterschiedlicher Wirkung sowie die Strahlensensibilität des zu beurteilenden Organs (Blase) eingeflossen seien. Der Sachverständige Prof. Dr. L. sei in seinem strahlenbiologischen Gutachten zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, dass von einer Verursachung des bestehenden Harnblasenkarzinoms durch die beruflichen Einwirkungen mit der für die Anerkennung als Berufskrankheit hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht auszugehen sei. Anzumerken bleibe, dass es sich bei malignen Tumoren um stochastische Schäden handele, d. h. sie seien zufällig in dem Sinne, dass sie nicht zwangsläufig ab einer bestimmten Strahlendosis aufträten. Für diese Schäden werde eine Schwellendosis nicht angenommen. Lediglich die Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten nehme mit wachsender Dosis zu. Die Eintrittswahrscheinlichkeit sei dosisabhängig, wobei die Blase nicht zu den besonders strahlenempfindlichen Organen zähle, sondern eine mittlere Strahlenempfindlichkeit aufweise. Ohnehin seien physikalische Faktoren nur zu 3 % an einem Krebsgeschehen beteiligt. Ungeachtet dessen sei zum gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand auch kein Charakteristikum bekannt, wonach ein Tumor einer Strahlenexposition zugeordnet werden könne. Weder das histopathologische Erscheinungsbild noch zellbiologische oder molekularbiologische Merkmale ermöglichten eine Unterscheidung zwischen einer strahlenbedingten und einer „spontanen“ Erkrankung. Für die Prüfung hinsichtlich einer individuellen Kausalität seien die medizinisch-wissenschaftlichen Prüfstandards maßgeblich, wobei objektiv-statistische Wahrscheinlichkeiten zugrunde zu legen seien. Stochastische Effekte wie die Dosis-Häufigkeitsbeziehung bei der Karzinogese würden mittels einer quantitativen Abschätzung der statistischen Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der eine solche Strahlenwirkung bei der einzelnen Person aufträte. Hierbei müsse sich die Risikoanalyse als Wahrscheinlichkeitsmaßstab für Kausalität im Einzelfall auch auf die spezifische Erscheinungsform des Karzinoms beziehen. Dabei würde eine Gefährdung in erheblich höherem Grade als bei der nicht beruflich belasteten Bevölkerung verlangt. Sofern keine Hinweise auf andere zu berücksichtigende Faktoren bestünden, würde der in der gesetzlichen Unfallversicherung für die Anerkennung als Berufskrankheit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geforderte rechtlich wesentliche Ursachenzusammenhang zwischen einer beruflichen Strahleneinwirkung und einer zutage tretenden Harnblasenkrebserkrankung im Allgemeinen bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 % bejaht. Die Risikoverdopplung stelle indes keinen Schwellenwert dar, da zudem alle Aspekte des Einzelfalles zu berücksichtigen seien. Nach den im Rahmen des Verfahrens gewonnenen Ermittlungs- und Berechnungsergebnissen ergebe sich im Falle des Klägers für den Harnblasenkrebs jedoch nur eine mittlere Verursachungswahrscheinlichkeit von 3 %, bei Annahme des ungünstigsten Falles betrage diese lediglich 5 %. Somit bleibe die ermittelte Verursachungswahrscheinlichkeit hier erheblich unter der Quote, bei der ein ursächlicher Zusammenhang angenommen werden könne. Selbst im Rahmen eines Berechnungsverfahrens unter Berücksichtigung der beiden bei dem Kläger gegebenen Erkrankungen (Harnblasen- und Prostatakrebserkrankung) würde die Verursachungswahrscheinlichkeit lediglich ca. 26 % betragen. Zu dem Vortrag des Klägers, wonach jede geringfügige Erhöhung, welche größer als 1,0 sei, statistisch signifikant sei, sei darauf hinzuweisen, dass der erforderliche ursächliche Zusammenhang nur dann hinreichend wahrscheinlich zu machen sei, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwögen, dass hierauf die Entscheidung gestützt werden könne. Eine Möglichkeit verdichte sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spreche und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausschieden. Dies sei jedoch bei einer lediglich geringfügigen statistischen Erhöhung nicht der Fall. Die bei dem Kläger festgestellte berufliche Strahleneinwirkung reiche nach Art und Dosis letztlich nicht aus, um nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsmaßstäben als rechtlich wesentliche Ursache für die Harnblasenkrebserkrankung in Betracht zu kommen. Die Tatsache, dass keine außerberuflichen Ursachen nachgewiesen worden seien, führe zu keiner anderen Beurteilung, da hieraus keine Umkehr der Beweislast abzuleiten sei. Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung kämen auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII wegen einer möglichen Einwirkung von UV-Strahlung, Turbinenöl bzw. dessen Pyrolyseprodukten, Desinfektionsmitteln oder Aerosolen in Betracht. Eine erhöhe UV-Strahlung sei durch das Fliegen nicht belegt, eventuell durch Turbinenöl oder Desinfektionsmittel in der Kabinenluft befindliche Substanzen würden als nicht krebserzeugend eingestuft. Soweit der Kläger auf die notwendige Prüfung evtl. additiver, kumulativer oder synergetischer Effekte hinweise, sei anzumerken, dass neben der ionisierenden Strahlung keine weiteren krebserzeugenden Einflussgrößen hätten nachgewiesen werden können. Weitere Prüfungen erübrigten sich daher.
Mit Bescheid vom 20. April 2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Prostatakrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit nach den Nrn. 1301, 2402 und § 9 Abs. 2 SGB VII ab. Das Widerspruchsverfahren wurde bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens ruhend gestellt.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 16. März 2012 hat der Kläger am 10. April 2012 Klagen bei dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben. Die Anerkennung der die BK Nr. 2402 betreffende Klage mit dem Aktenzeichen S 19 U 49/12 ist dabei mit der die Anerkennung des Harnblasenkarzinoms als BK Nr. 1301 oder Wie-BK (Az.: S 19 U 48/12) durch Beschluss vom 27. März 2013 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 19 U 48/12 verbunden worden. In Bezug auf die geltend gemachte BK Nr. 1301 hat der Kläger daran festgehalten, dass eine Exposition von Flugingenieuren und Piloten gegenüber aromatischen Aminen anzunehmen sei. Enthalten seien diese dabei u. a. additiv in Triebwerksölen, konkret im unteren Prozentbereich, insbesondere die aromatischen Amine N-Phenyl-1-naphthylamin (PAN) und 4,4-Dioctyldihenylamin. Des Weiteren lägen auch Hinweise vor, dass Turbinenöle wie Castrol 5000 und Exxon 2380 im Jahr 2000 auch das osomere N-Phenyl-ß-naphthylamin (PBN) enthalten hätten. Die Exposition gegenüber aromatischen Aminen sei nicht als Einzelstoffexposition, sondern als Exposition gegenüber einem Chemikaliengemisch gegeben gewesen, weshalb keine Einzelstoffbewertung hinsichtlich der Toxizität und entsprechend auch keine adäquate Gefahrenbeurteilung möglich sei. Die Einzelstoffbewertung entspreche im vorliegenden Fall ähnlich wie in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle bei Belastung von Flugingenieuren, Piloten und Stewardessen durch ein Schadstoffgemisch nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, weshalb entsprechend der neuen Rechtsentwicklungen im Berufskrankheitenrecht bei Berücksichtigung von Mehrfachbelastungen ggf. eine neue Berufskrankheitenziffer einzuführen sei, in der die typischen „Gesamtbelastungen“ durch Schadstoffgemische beim Ansaugen von Triebwerksölen in Flugzeugen und Ähnliches berücksichtigt bzw. geregelt würden. Geltend gemacht werde aus diesem Grund die Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII.
Bezüglich der BK Nr. 2402 hat der Kläger daran festgehalten, dass seine Harnblasenkrebserkrankung in erheblichem Ausmaß bzw. zumindest teilursächlich durch die hohen Strahlenbelastungen beim Fliegen verursacht worden sei. Das von der Beklagten eingeholte strahlenbiologische Gutachten sei zur Beurteilung der streitigen medizinischen Problematik nicht ausreichend. Erforderlich sei ein medizinisches Sachverständigengutachten mit einer „medizinischen Gesamtbewertung“, in welches sowohl die anamnestischen Angaben als auch die körperlichen Untersuchungen, Laboruntersuchungen, medizinische Bewertungen etc. einflössen. In der BK Nr. 2402 sei nicht vorgesehen, dass alleine eine statistische Bewertung über das Vorliegen einer beruflich bedingten Erkrankung entscheidungserheblich sei. Hinsichtlich der Kausalität sei zudem auf die gesetzliche Vermutung der Verursachung nach § 9 Abs. 3 SGB VII zu verweisen.
Die Beklagte hat zur Bekräftigung ihrer Auffassung, dass in Ölen als additiv nur im unteren Prozentbereich aromatische Amine enthalten sind, in modernen Ölen gar nicht, eine weitere Stellungnahme des Präventionsdienstes ihrer Hauptverwaltung vom 1. August 2012 vorgelegt (Blatt 68 - 94 der Gerichtsakte Bd. I) und abermals betont, dass keine Hinweise dafür vorlägen, dass PAN oder PBN als Zielorgan auf die Harnblase einwirkten. Auch lägen aktuell keine wissenschaftlich-medizinischen gesicherten Kenntnisse vor, dass eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Tätigkeit gegenüber der normalen Bevölkerung einem erhöhten Risiko ausgesetzt sei, eine Erkrankung durch Dieselmotorenemissionen zu erleiden. Eine weitere Stellungnahme des Präventionsdienstes datiert vom 31. Oktober 2012.
Das Sozialgericht hat eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage bei dem Diplom-Chemiker N. vom 20. Februar 2013 eingeholt, nach der sich kein Hinweis dafür ergebe, dass der Kläger gegenüber für die BK Nr. 1301 relevanten kanzerogenen aromatischen Aminen exponiert gewesen wäre. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dessen Erkrankung und den vorgelegenen Expositionen, sowohl gegenüber Stoffen als auch gegenüber der ionisierenden Strahlung, hat er verneint und die Ergebnisse der Stellungnahmen des Präventionsdienstes ausdrücklich bestätigt.
Nach Hinweis des Klägers auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich der Strahlenbelastung bei Gammastrahlungsblitzen (TGF) hat die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme ihres Präventionsdienstes hierzu vom 21. Oktober 2013 vorgelegt, nach der sich eine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 2402 nicht belegen lasse. Die konkrete TGF-Strahlendosis, die der Kläger als Pilot erhalten haben könnte, lasse sich individuell nicht erfassen und läge im spekulativen Bereich. Nach den bekannten epidemiologischen Daten trügen TGF nicht zu einer deutlichen Risikoerhöhung bei, seien vielmehr ein weiterer Grund, Gewitter aus Präventionsgründen zu umfliegen.
Mit Beschluss vom 18. November 2013 hat das Sozialgericht das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf den zu erwartenden erheblichen Zeitablauf wegen des einzuholenden Gutachtens angeordnet.
Auf den Hinweis des Klägers auf neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zum Strahlenschutz im Januar 2014, gestützt u. a. auf einen englischsprachigen Fachartikel (Blatt 239 - 254, 260 - 262 der Gerichtsakte, Bd. II), hat die Beklagte ein Gutachten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt – DLR (Dr. O., Leiter AG Strahlenschutz) über Gammastrahlenblitze vom 27. November 2014 vorgelegt, nach der eine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 2402 durch TGF nicht belegt werden könne, darüber hinaus übereinstimmend mit epidemiologischen Daten – auch wenig wahrscheinlich sei (Bl. 273 - 280 der Gerichtsakte Bd. II). Nach Wiederaufruf der Streitsache im März 2015 hat Prof. Dr. P. (Internist, Nephrologe, Umweltmedizin) ein wissenschaftlich-internistisch-umweltmedizinisches Gutachten über den Kläger nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit den Diagnosen Urothelkarzinom, Zustand nach Prostatakarzinom und Polyneuropathie vorgelegt. Das Urothelkarzinom sei auf die beruflichen Belastungen als Flugingenieur/Pilot im Sinne der BK Nr. 1301 zurückzuführen. Während der Tätigkeit als Flugingenieur und als Flugkapitän habe eine Exposition gegen Pyrolyseprodukte und Desinfektionsmittel bestanden. In den Pyrolyseprodukten werde das kanzerogene aromatische Amin 2 Naphthylamin nachgewiesen. Die Verursachung des Urothelkarzinoms durch das durch die Pyrolyse entstehende aromatische Amin Beta-Naphthylamin sei in hohem Maße wahrscheinlich. Die Exposition gegenüber Organophosphaten und Pyrethroiden führe zu neurotoxischen Schäden, nicht zur Kanzerogenität. Der Kläger sei berufsbedingt einer Strahlenexposition durch in den üblichen Flughöhen bestehende kosmische Strahlen ausgesetzt gewesen, zusätzlich habe eine Exposition gegen terrestrische Strahlungen bestanden. Hinsichtlich der Exposition durch Strahlenbelastung sei eine gutachterliche Stellungnahme durch einen Strahlenexperten zu empfehlen. Die Berufskrankheit bestehe seit Juli 2009 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vom Hundert (v. H.).
Während der Kläger sich die Expertise von Prof. Dr. P. zu eigen gemacht hat, ist die Beklagte dieser mit einer Stellungnahme des Präventionsdienstes ihrer Hauptverwaltung vom 7. April 2015 entgegengetreten (Blatt 371 - 374 der Gerichtsakte Bd. II).
Zu den Feststellungen von Dr. O. vom Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin vom 27. November 2014 hat der Kläger u. a. eine Stellungnahme des Diplom Physikers Q. vom 14. Februar 2015 vorgelegt (Bl. 382 - 387 der Gerichtsakte Bd. II). Dessen Ausführungen ist Dr. O. mit Schreiben vom 11. November 2015 (Blatt 439 ff. der Gerichtsakte Bd. III) entgegengetreten.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Sozialgericht ein (Zusatz-)Gutachten der Physikerin und Mathematikerin Prof. Dr. rer. nat. R. vom 1. März 2016 beigezogen, nach deren Feststellungen beide Krebserkrankungen des Klägers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Belastungen als Flugingenieur/Pilot im Sinne der BK Nr. 2402, ausgehend von einer von ihr ermittelten „neutronenkorrigierten“ Arbeitszeitdosis von 624 mSv und einer Verursachungswahrscheinlichkeit unter Ansatz eines Verdopplungsrisikos vom 200 mSv für Blasenkrebs von 76 %, für Prostatakrebs von 61 %, zurückzuführen seien. Bei Verwendung einer „unkorrigierten“ Organdosis von 227 mSv gelangt die Sachverständige bezogen auf den Blasenkrebs zu einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 53 %. In dem die Erkenntnisse von Prof. Dr. R. einbeziehenden ärztlich-wissenschaftlichen Sachverständigengutachten - ebenfalls nach § 109 SGG - vom 27. März 2016 ist Prof. Dr. med. S. zu dem Ergebnis gelangt, dass ursächlich für Prostata-, Harnblasenkarzinom und auch Polyneuropathie die drei jeweils im relevantem Maße während der beruflichen Tätigkeit einwirkenden karzinogenen bzw. promovierenden Faktoren (niederdosierte ionisierende Strahlung, Beta-Naphthylaminexpositionen gemeinsam mit neurotoxischen Pestiziden und deren Interaktion) als gemeinsame Auslöser der beider Tumorerkrankungen nachgewiesen bzw. als Exposition früherer Berufsjahre durch den Präventionsdienst bestätigt worden seien. Grenz- oder Schwellenwerte existierten für diese Effekte nicht. Die gemeinsame Wirkung der physikalischen, chemisch-toxischen und promovierend wirkenden Ursachenfaktoren lasse sich nicht sicher bezüglich mitursächlicher Einflüsse ausschließen. Wegen der weiteren Einzelheiten beider Gutachten wird auf Blatt 483 - 543, 552 der Gerichtsakte Bd. III verwiesen.
Den Sachverständigengutachten ist der Kläger uneingeschränkt beigetreten und hat ergänzend Veröffentlichungen, u. a. zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit und Schadstoffexpositionen des Kabinenpersonals durch Kerosin und Turbinenöle vorgelegt. Die Beklagte hat dazu (abweichende) Stellungnahmen ihrer Präventionsabteilung (Herr F.) vom 15. Mai 2017, Prof. Dr. rer. nat. T. vom Institut für medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik, T-Stadt, in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med. U., Leiter des Leibnitz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie, U-Stadt, vom 4. Mai 2017 vorgelegt (Bl. 629 - 641 der Gerichtsakte Bd. IV). In Anwendung des Programms ProZES gelangen Prof. Dr. T. und Prof. Dr. U. ausgehend von einer Gesamtexposition von 186 mSv (1966-1978: 4 mSv p.a. = 52 mSv: 1979-1990: 6 mSv p.a. = 72 mSv; 1991: 2 mSv; 1992-1994: 4 mSv p.a. = 12 mSv; 1995-2002: 6 mSv p.a. = 48 mSv) für - generell - Tumore der Harnorgane (Harnorgane, Niere und Blase) zu einer Zusammenhangswahrscheinlichkeit von 6 %. Hierzu haben sich sowohl Prof. Dr. S. (30. September 2017) als auch Prof. Dr. R. am 19. September 2017 in ergänzenden Stellungnahmen geäußert (Bl. 679 - 695 der Gerichtakte Bd. IV). Die Beklagte ihrerseits hat ergänzend eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeits- und Umweltmedizin Dr. med. Diplom-Psychologe V. vom 18. Dezember 2017, eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 23. Februar 2018 nebst einer eben solchen von Prof. Dr. U. vom 13. Februar 2018 sowie eine allgemeine Stellungnahme zu „Fume- oder Smell-Events“ in Verkehrsflugzeugen für die Unfallabteilungen und die Berufskrankheitenabteilung der BG Verkehr (Stand: Februar 2018) vorgelegt (Blatt 711 - 744 der Gerichtsakte Bd. IV).
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. August 2018 abgewiesen. Die Harnblasenerkrankung des Klägers sei nicht als Berufskrankheit nach BK Nr. 1301 anzuerkennen. Die erforderlichen Einwirkungen lägen nicht im Vollbeweis vor. Die Anerkennung seiner Erkrankung als Berufskrankheit scheitere am Nachweis einer (ausreichenden) Exposition gegenüber aromatischen Aminen. Zwar liege eine Krankheit im Sinne der BK Nr. 1301 mit der Harnblasenkrebserkrankung vor. Es sei jedoch nicht nachzuweisen, dass der Kläger wegen beruflichen Kontaktes zu aromatischen Aminen an dieser Krankheit erkrankt sei. Eine absolute Sicherheit sei bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu verlangen. Erforderlich sei jedoch eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifele. Es müsse ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet seien, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen. Diesen Nachweis könne der Kläger nicht führen. Nach den Ausführungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Diplom-Chemiker N. zur Überprüfung der Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes (Präventionsdienst) ergäbe sich keine Exposition gegenüber aromatischen Aminen. Herr N. habe für die Kammer nachvollziehbar in seiner Stellungnahme vom 20. Februar 2013 erläutert, dass zum einen nur krebserzeugende aromatische Amine für die BK Nr. 1301 relevant sein könnten. Unter Bezugnahme auf das bereits durch die Beklagte eingeholte Gutachten im Rahmen des Verwaltungsverfahrens sowie der Stellungnahme von Herrn F. sei für ihn aufgrund der Aktenlage festzustellen, dass eine extrem geringe Exposition gegenüber gefährdenden aromatischen Arminen überhaupt nur anzunehmen sei. Es ergäbe sich aus der Akte kein Hinweis dafür, dass für die BK Nr. 1301 relevante kanzerogene aromatische Amine vorgelegen hätten und der Kläger insofern gegenüber diesen exponiert gewesen sei. Die Stellungnahme von Herrn F. vom 20. September 2010 sei ausführlich und nachvollziehbar. Auch von Herrn K. als Strahlenphysiker werde zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei den in das Cockpit gelangten Noxen nicht um kanzerogene Gefahrstoffe handele. Die Ermittlungen der Beklagten entsprächen dem Stand der Technik. Insofern sei für die Kammer aufgrund der durchgeführten Ermittlungen die erforderliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen nicht im Vollbeweis gesichert. Auf die zu anderen Ergebnissen gelangten Gutachten nach § 109 SGG könne eine Entscheidung nach Auffassung der Kammer nicht gestützt werden. Prof. Dr. P. behaupte eine Belastung mit 2-Naphthylamin. Es hätten Belastungen mit Giftstoffen in der Kabinenluft vorgelegen, die auf das Ansaugen der Luft direkt am Triebwerk zurückzuführen seien. Dabei würden Öldämpfe aus dem Triebwerk angesaugt. Es bestehe eine Exposition gegenüber Pyrolyseprodukten und Desinfektionsmitteln, es werde in den Pyrolyseprodukten von Turbinenölen das karzinogene aromatische Amin 1 Naphthylamin nachgewiesen. Hierbei beziehe sich Prof. Dr. P. auf Blatt 80 - 86 der Verwaltungsakte. Dort finde sich ein Fachaufsatz, der sich jedoch abstrakt zu einer Gefährdung äußere. Damit sei aber die Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen und damit die Einwirkung nicht bewiesen. Prof. Dr. P. schließe von der Erkrankung auf eine dann wohl stattgefundene Einwirkung. Ein solcher Rückschluss sei unzulässig. Damit sei dieser Nachweis nach den Ermittlungen gerade nicht geführt. Zum anderen werde von der Beklagten auch nachvollziehbar angezweifelt, dass Turbinenöle diesen Stoff enthalten und der Kläger als Pilot damit überhaupt in Kontakt gekommen sei. Allenfalls könnte in früheren Jahren durch Verunreinigungen 2-Naphthylamin in Turbinenölen enthalten gewesen seien. Auch für den Fall bleibe die Exposition aber zweifelhaft, zumal die erforderliche Konzentration nach den Berechnungen der Beklagten nicht erreicht werde. Die Ausführungen des Prof. Dr. P. genügten nicht, um die erforderliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen als im Vollbeweis gesichert anzunehmen. Derjenige, der ein Recht geltend machen wolle, müsse die Voraussetzungen dafür nachweisen. Die bloße Behauptung, wie sie Prof. Dr. P. vornehme, könne dem nicht zugrunde gelegt werden. Auch behaupte er in seinem Gutachten lediglich einen Zusammenhang zwischen einer beruflichen Exposition gegenüber aromatischen Aminen und der Erkrankung des Klägers. Ausführungen zur Prostata seien insofern hinfällig, als dass vorliegend Streitgegenstand allein die Harnblasenkrebserkrankung sei. Prof. Dr. S. beziehe sich im Wesentlichen auf statistische Erkenntnisse, ohne die tatsächliche Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen zugrunde zu legen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30. September 2017 werde zwar auch die Kritik an der Beklagtenseite deutlich, zudem aber auch, dass der Sachverständige die Beweislast verkenne, indem er vorbringe, es gäbe zu wenig Hinweise, um die Erkrankung und deren Kausalfaktor begründet ablehnen zu können. Es sei aber genau umgekehrt. Der Kläger müsse überwiegend wahrscheinlich machen, dass seine Erkrankung auf der beruflichen Tätigkeit basiere. Auch die BK Nr. 2402 sei nicht anzuerkennen. Die Anerkennung der Harnblasenkrebserkrankung scheitere ebenfalls am Nachweis einer ausreichenden Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen. Der Diplom-Chemiker N. erläutere keine ausreichende Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen. Die auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachten seien für das Gericht nicht nachvollziehbar. Die Ausführungen zum Prostatakarzinom seien wiederum unerheblich. Die von der Beklagten (Herr K.) ermittelte Strahlendosis durch sei durch Prof. Dr. L. in dessen Gutachten vom 9. Januar 2012 überprüft und als zutreffend erachtet worden. Auf die anderslautenden Gutachten könne die Kammer ihre Entscheidung nicht stützen. Die wiederum bloße Behauptung einer Strahlenbelastung des Prof. Dr. P. in dessen Gutachten genüge nicht, um eine Einwirkung im Vollbeweis als gesichert anzunehmen. Prof. Dr. P. gehe von einer berufsbedingten Strahlenbelastung des Klägers aus, räume aber dann selbst ein, es handele sich nicht um sein Fachgebiet. Die von Prof. Dr. R. in deren Gutachten vorgenommene Berechnung werde nicht nachvollziehbar begründet, zumal die Erstberechnung auf den Angaben des Klägers basiere. Die abstrakte Möglichkeit einer Gefährdung durch ionisierende Strahlen sei eben nicht ausreichend. Die Gutachterin beschränke sich ferner im Wesentlichen auf die Darstellung statistischer Untersuchungen und die Wiedergabe von Beispielen. Im Weiteren führe sie dann selbst aus, die Strahlenbelastung des Klägers sei unbekannt. Sie stelle sodann eine Berechnung an, ohne sich auf die Angaben des Klägers aus dem Verwaltungsverfahren zu stützen. Damit gelinge aber nicht der erforderliche Nachweis von Einwirkungen im Sinne einer Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen bei dem Kläger. Die Dosisermittlung des Klägers entspreche nach den nachvollziehbaren Einwendungen der Beklagten nicht den Vorgaben. Weder würden die Altersabhängigkeit der Exposition noch die Inzidenzraten berücksichtigt. Die diesbezüglich vorgetragenen Einwendungen von Prof. Dr. T. in ihrer Stellungnahme vom 4. Mai 2017 erachte die Kammer als nachvollziehbar. Die Anerkennung als Wie-BK sei ebenfalls nicht möglich. Die hierfür verlangten übereinstimmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne einer unmittelbar bevorstehenden Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit und damit Aufnahme in das Verzeichnis der Berufskrankheiten seien im Hinblick auf die von Wissenschaftlern gerade sehr kontrovers geführte Diskussion, die auch durch Vorlage entsprechender Artikel und Stellungnahmen im vorliegenden Rechtsstreit dokumentiert sei, gerade nicht vorhanden. Die Einschätzung der Sachverständigen stehe im Übrigen auch im Einklang mit der unfallversicherungsrechtlichen Literatur.
Gegen die ihm am 29. August 2018 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 20. September 2018 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht angebracht. Seiner Auffassung nach entsprechen die Berechnungen, wie sie von Prof. Dr. T., Diplom-Chemiker N. und den beratenden Ärzten und Gutachtern der Beklagten vorgenommen worden sind, nicht dem tatsächlich aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Hierzu verweist er auf die aus seiner Sicht zutreffenden Feststellungen von Prof. Dr. R., Prof. Dr. S. und auch die von ihm vorgelegten diversen Veröffentlichungen aus der Fachpresse, die er weiter ergänzt. Der Kläger hält weitere „neutrale und objektive“ Sachverständigengutachten, auch in medizinischer Hinsicht, für erforderlich.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 14. August 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2012 zu verpflichten, seine Harnblasenkrebserkrankung als BK nach Nr. 2402 oder Nr. 1301 oder nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und weist auf den fehlenden notwendigen Vollbeweis einer (hinreichenden) Einwirkung durch aromatische Amine oder ionisierende Strahlen hin.
Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat der Senat ein strahlenbiologisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. W. eingeholt. Den von dem Kläger gegen den Sachverständigen gestellten Befangenheitsantrag hat der Senat mit Beschluss vom 17. Oktober 2019 zurückgewiesen.
In seiner Expertise vom 21. April 2020 gelangt der Sachverständige zu einer Jahresdosis im Mittel von 3 mSv, woraus eine Dosis von insgesamt 113,25 mSv resultiere. Aus Vorsorgegründen nehme er darüber hinaus an, dass sich während der Flüge des Klägers ein terrestrischer Gammastrahlenblitz (TGF) mit 30 mSv ereignet habe, sodass die beruflich bedingte Strahlenexposition insgesamt 143,25 mSv betrage. Trotz vielfacher Bemühungen sei es nicht gelungen, die Gammastrahlung, die durch ein TGF auftrete, in einem Flugzeug zu messen. Diese Blitze würden durch hoch energetische Elektronen in Gewitterwolken mit einem starken Potentialgefälle der Feldstärke wahrscheinlich als Bremsstrahlung gebildet. Der Gammastrahlenblitz trete in einer Höhe von 30 mSv in einem begrenzten Raum innerhalb sehr kurzer Zeit auf. Das Flugzeug müsse sich also in dieser kurzen Zeit in dem Raum des Blitzes aufhalten. Das Harnblasenkarzinom sei nicht wesentlich auf die beruflich bedingte Strahlenexposition zurückzuführen, gleiches gelte für das Prostatakarzinom. Die Verursachungswahrscheinlichkeit erfahre unter Einbeziehung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu Gammastrahlenblitzen keine Änderung. Die Literaturrecherchen ergäben für beide Krebse in epidemiologischen Studien an fliegerischen Personengruppen und weiteren Untersuchungen mit Strahlenexposition sowohl für das Prostatakarzinom als auch für den Harnblasenkrebs sehr unterschiedliche Risikowerte. Angewendet würden für die Abschätzung der Verursachungswahrscheinlichkeiten die Risikofaktoren der Erkrankung von den Überlebenden in Hiroshima und Nagasaki. Es handele sich hierbei um relativ große Zahlen an Erkrankungen und eine relativ sichere Dosisabschätzung. Auf dieser Basis ergäben sich 2 % für das Prostatakarzinom und 8 % für den Harnblasenkrebs. Da der Kläger an zwei voneinander unabhängigen Krebsen erkrankt sei, liege die Annahme nahe, dass er eine gewisse Prädisposition habe, einen Krebs zu entwickeln. Es erscheine daher sinnvoll davon auszugehen, dass die Verursachungswahrscheinlichkeiten um einen Faktor 2 - 3 höher lägen als bei Normalpersonen. Damit läge die Verursachungswahrscheinlichkeit bei 4 - 6 % für das Prostatakarzinom bzw. bei 16 - 24 % Prozent für den Harnblasenkrebs. Die beruflichen Strahlenexpositionen seien also keine wesentliche Ursache für die Entstehung der beiden Krebsarten. Neben den kosmischen Strahlen träten in der Cockpit- und Kabinenluft Pyrolyseprodukte von Ölen und Schmiermitteln sowie Dieselöle auf. In diesem Zusammenhang werde besonders die Exposition durch die karzinogene Substanz 2 Naphthylamin hervorgehoben, es würden mögliche synkanzerogene Effekte mit den kosmischen Strahlen diskutiert. Aufgrund der offensichtlich sehr geringen Konzentration des 2-Naphthylamins in der Cockpit- sowie Kabinenluft erscheine eine solche synergetische Wirkung sehr unwahrscheinlich.
Mit den Einwendungen des Klägers gegen seine Expertise vom 5. Juni 2020 hat sich Prof. Dr. Dr. W. in einer ergänzenden strahlenbiologischen Stellungnahme vom 19. November 2020 ausführlich auseinandergesetzt (Blatt 1125 - 1171 der Gerichtsakte Bd. VI). Dem ist der Kläger mit weiteren Stellungnahmen von Prof. Dr. S. vom 22. Januar 2021 und Prof. Dr. R. vom 3. Januar 2021 und 25. Januar 2021 (Bl. 1195 - 1231 der Gerichtsakte Band VI) entgegengetreten.
Hierzu hat sich Prof. Dr. Dr. W. nochmals unter dem 23. April 2021 geäußert (Bl. 1239 - 1267 der Gerichtsakte Band VII). Der Kläger hat zu dessen Stellungnahme weitere von Prof. Dr. S. vom 20. Mai 2021 und Prof. Dr. R. vom 21. Mai 2021 (Bl. 1271 - 1291 der Gerichtsakte Band VII) vorgelegt.
Die Beteiligten haben schriftsätzlich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zum dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen, insbesondere was den näheren Inhalt der Vielzahl von Sachverständigengutachten und Veröffentlichungen anbelangt, wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen, die sämtlichst Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene (§§ 143, 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn diese ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft. Denn der Betroffene kann einen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit wahlweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG oder mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage verfolgen (vgl. BSG vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R). Es liegt auch eine Ausgangsentscheidung der Beklagten vor. In der Entscheidung über die Ablehnung von Entschädigungsleistungen liegt (auch) eine Entscheidung über das Nichtvorliegen eines Versicherungsfalls (BSG vom 19. Juni 2018 - B 2 U 32/17 R).
Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Krebserkrankung des Klägers eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB VII ist.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift wird die Bundesregierung ermächtigt, in einer Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (sog. Listenprinzip). Von der Ermächtigung hat die Bundesregierung durch Erlass der BKV vom 31. Oktober 1997 - BGBl. I 2623, aktuell in der Fassung der BKV-ÄndV vom 12. Juni 2020, Gebrauch gemacht. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören sowohl die geltend gemachte BK nach Nr. 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) als auch die BK Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV, mit der Erkrankungen durch ionisierende Strahlen erfasst sind.
Die Anerkennung einer Listen-BK setzt voraus, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen zu einer Krankheit geführt haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Voraussetzungen der „versicherten Tätigkeit“, der „Verrichtung“, der „Einwirkung“ und der „Krankheit“ müssen hierbei im Sinne eines Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen.
Hinsichtlich der Einwirkungskausalität bedeutet dies, dass die als tatbestandliche Voraussetzung im Verordnungstext formulierten Anforderungen an die betreffende Einwirkung (sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen) erfüllt sein müssen.
Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (zum Ganzen siehe zusammengefasst BSG vom 27. Juni 2017 - B 2 U 17/15 R; auch BSG vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R; BSG vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben liegt bei dem Kläger eine BK nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV nicht vor. Zwar zählt die bei dem Kläger im Juni 2009 diagnostizierte Harnblasenkrebserkrankung zu den Erkrankungen im Sinne dieser Berufskrankheit. Insoweit ist jedoch mit den sog. arbeitsmedizinischen Voraussetzungen nur ein Tatbestandsmerkmal der Berufskrankheit erfüllt. Darüber hinaus muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein, dass der Kläger bei seiner beruflichen und nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bei der Beklagten versicherten Tätigkeit als Flugingenieur und Flugkapitän gegenüber aromatischen Aminen exponiert war. An diesen weiter erforderlichen sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen fehlt es vorliegend. Der Tatbestand der BK Nr. 1301 verlangt die Einwirkung (human-)kanzerogener aromatischer Amine. Zu den aromatischen Aminen zählen Benzidin, Betha-Naphthylamin (2-Naphthylamin), 4-Aminodiphenyl, o-Toluidin, 4-Chlor-o-toluidin, Auramin-Herstellung, Fuchsin-Herstellung, 2,4-Diaminoanisol und 2,4-Toluylendiamin. Hinsichtlich dieser Arbeitsstoffe ist ein Kausalzusammenhang für das Auftreten von Karzinomen im Bereich der ableitenden Harnwege und Harnblase gesichert (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 1182).
Zutreffend haben die Beklagte und auch das Sozialgericht ausgeführt, dass vorliegend weder mit absoluter Sicherheit noch mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, also mit einem Grad, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (vgl. BSG vom 28. November 1957 - 4 RJ 186/56; MKLS / Keller, SGG, 13. Auflage 2020, § 128 Rn. 3b), festgestellt werden kann, ob und in welchem Umfang der Kläger bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeiten gegenüber kanzerogenen aromatischen Aminen exponiert war.
Für den in Bezug auf die schädigenden Einwirkungen verlangten Vollbeweis muss ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSG vom 2. Februar 1978 - 8 RU 66/77 und vom 20. Januar 1987 - 2 RU 27/86), die bloße Möglichkeit ist nicht ausreichend (BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R, s. o.). Dies ist auch zur Überzeugung des Senats nicht der Fall. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht zwar die Möglichkeit, jedoch kein belastbarer Anhalt dafür, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit überhaupt mit aromatischen Aminen in Berührung gekommen ist.
Der Senat folgt in diesem Punkt - wie auch schon das Sozialgericht - den Feststellungen des Sachverständigen Diplom-Chemiker N. in dessen Stellungnahme vom 20. Februar 2013, denen auch Dr. V. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 18. Dezember 2017 beigetreten ist. Die Ergebnisse des Präventionsdienstes der Beklagten bestätigend (Berichte Herr F., u. a. vom 20. April 2010 und vom 20. September 2010) hat Herr N. ausgeführt, dass sich nach Aktenlage kein Hinweis dafür ergebe, dass der Kläger gegenüber bei der BK Nr. 1301 relevanten kanzerogenen aromatischen Aminen exponiert gewesen sei. Sofern es akzidentiell zum Eintrag von geringen Turbinenölen bzw. Pyrolyseprodukten der Öle in Kabine und Cockpit komme, enthalten diese hiernach im unteren Prozentbereich im Additiv lediglich das nicht krebserzeugende N-Phenyl-1-naphthylamin (PAN). Bei den sog. „Fume or Smell events“ gelangten über die sog. Zapfluft zwar ebenfalls in geringem Umfang diverse Noxen (Fettsäureester, mehrwertiger Alkohol, Phosphorsäureester wie TCP und auch PAN) kurzfristig in das Flugzeug, denen jedoch ebenfalls keine kanzerogene Wirkung zukomme.
Die Gutachten der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Prof. Dr. P. und Prof. Dr. S. rechtfertigen keine andere Beurteilung. Beide Sachverständige kommen zu keinem fassbaren, nachvollziehbaren Ergebnis. Sie setzen sich mit der relevanten Fragestellung der tatsächlichen Einwirkung von aromatischen Aminen, konkret dem 2-Naphthylamin als einzig in Betracht kommenden Gefahrstoff, nicht adäquat auseinander.
Soweit der erstinstanzlich gehörte Prof. Dr. P. in einem Gutachten vom 5. März 2013 von einer Exposition des Klägers gegenüber das kanzerogene 2-Naphthylamin enthaltenen Pyrolyseprodukte ausgeht, handelt es sich um eine Unterstellung ohne eigene Erkenntnisse hierzu durch den Sachverständigen. Prof. Dr. P. verweist diesbezüglich schlicht auf eine Veröffentlichung von van Netten und Lang aus dem Jahr 2000 mit dem Titel „Comparison of the Constituents of Two Jet Engine Lubricating Oils and Their Volatile Pyrolytic Degration Products“ (Seite 18 des Gutachtens / 331 der Gerichtsakte Band II), die jedoch nur (allgemeine) Aussagen auf Basis einer Studie an zwei Flugzeugen treffen. Für die (konkrete) Strahlenexposition des Klägers ergibt sich hieraus nichts. Bereits dies entwertet seine Expertise. Gleiches gilt für seine Feststellung, „die Verursachung des Urothelkarzinoms durch das durch die Pyrolyse entstehende aromatische Amin < … > 2 Naphthylamin ist in hohem Maße wahrscheinlich“. Diese weder durch epidemiologische Daten abgesicherte noch in sonstiger Weise begründete Behauptung erfüllt die an ein medizinisch-wissenschaftliches Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen nicht. Eine differenzialdiagnostische Abklärung bezüglich etwaiger konkurrierender Ursachen für die voneinander unabhängigen Krebserkrankungen fehlt zudem völlig.
Die gleichen Mängel weist das weitere auf Veranlassung des Klägers bei Prof. Dr. S. eingeholte Sachverständigengutachten vom 27. März 2016 auf. Der Sachverständige geht von einer durch den Präventionsdienst bestätigten 2-Naphthylaminexposition gemeinsam mit neurotoxischen Pestiziden aus (Seite 38 des Gutachtens / Bl. 543 der Gerichtsakte Band III). Wie bereits ausgeführt, stimmt diese Aussage nicht. Herr F. hat in seinen Stellungnahmen lediglich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass in früher verwendeten Turbinenölen 2-Naphthylamin als Verunreinigung von N-Phenyl-2-naphthylamin (PBN) enthalten gewesen sein könnte. Nachweislich dokumentiert ist dies jedoch nicht. Er hat weiter ausgeführt, dass in den 1970er Jahren PBN maximal 50mg/kg, ab 1980 maximal 3 mg/kg 2-Naphthylamin als Verunreinigung enthalten hätten. Unter Berücksichtigung der im Flugzeug seltenen Exposition gegenüber Turbinenölen bzw. deren Pyrolyseprodukten sei eine nennenswerte Belastung gegenüber 2-Naphthylamin ausgeschlossen. Mit Blick auf allenfalls „Spuren“ des krebserzeugenden Amins hat Herr F. eine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 1301 explizit verneint.
Demgegenüber schließt Prof. Dr. S., den Nachweis einer Exposition unterstellend, unzulässigerweise und ohne weiteres, bereits auf eine relevante Gefährdung hierdurch im Sinne der Berufskrankheit. In seiner Stellungnahme vom 7. April 2015 weist Herr F. diesbezüglich jedoch zu Recht darauf hin, dass der Nachweis nur eine Angabe über die Anwesenheit eines Stoffes, nicht aber über Konzentrationen oder Dosiswerte, beinhaltet. Auch wenn es sich bei der BK Nr. 1301 um eine sog. stochastische BK handelt, ist das Risiko, infolge der Einwirkung eines Gefahrstoffes an Krebs zu erkranken, dosisabhängig; im Niedrigdosisbereich ist das Risiko, also die Eintritts- / Verursachungswahrscheinlichkeit, gering. Den Aussagen des Präventionsdienstes und Herrn N. folgend, erscheint theoretisch - allenfalls eine extrem geringe Exposition des Klägers gegenüber 2-Naphthylamin möglich. Die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. S., dass bereits eine (von ihm unterstellte) Kleinstmenge des Amins ausreiche, um einen Kausalzusammenhang, u. a. mit dem Urothelkarzinom zu begründen, widerspricht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Dosis-Risiko-Beziehungen kanzerogener Stoffe wie auch physikalischer Einwirkungen.
Nichts Anderes ergibt sich aus den von dem Kläger zusammengetragenen Veröffentlichungen, die sich (populär-)wissenschaftlich abstrakt zu kanzerogenen, toxischen und auch umweltschädlichen, in der Kabinenluft befindlichen Gefahrstoffen äußern. Auch aus diesen Informationen vermag der Senat keine weitergehenden Erkenntnisse zu gewinnen. Eine Einwirkung mit nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand als gesichert urothel-humankanzerogen eingestuften aromatischen Aminen durch die versicherte Tätigkeit kann damit nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, so dass es am Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen fehlt.
Weitere Erkenntnisquellen und/oder Erkenntnismöglichkeiten bestehen nicht. Die Folgen dieser - im Ergebnis - Nichterweislichkeit hat der Kläger zu tragen. Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (BSG vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90; MKLS/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 103 Rn. 19a).
Nach den dargestellten Beweismaßstäben liegen auch die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK Nr. 2402 nicht vor. Erfüllt sind hier zwar die arbeitsmedizinischen und auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen. Es fehlt jedoch an der sog. haftungsbegründenden Kausalität.
Ionisierende Strahlen sind Strahlen auf Grund hohen Energiepotenzials, Wellen- bzw. Teilchenstrahlen, die in der Lage sind, beim Durchgang durch Materie aus Atomen bzw. Molekülen Elektronen abzutrennen (Anhang 1 zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr. 2402 Anlage 1 BKV, GMBl. 2011, Nr. 49-51, S. 983 ff und Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 2402, S. 1). Die Anerkennung der BK Nr. 2402 setzt „arbeitstechnisch“ den Nachweis voraus, dass der Versicherte einer Strahlendosis durch Ganz- oder Teilkörperbestrahlung, Kontamination oder Inkorporation ausgesetzt war, die überhaupt geeignet ist, eine Strahlenerkrankung hervorzurufen (Anhang zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr. 2402 Anlage 1 BKV). Zur Bewertung sind nicht-stochastische und stochastische Strahlenwirkungen zu unterscheiden. Bei den nicht-stochastischen bzw. deterministischen Wirkungen, bei denen Dosis-Wirkungsbeziehungen wissenschaftlich belegt sind, muss eine Schwellendosis überschritten werden, damit der Effekt eintritt; hierzu zählen namentlich multizelluläre Prozesse durch Zerstörung von Zellen, wie z. B. das akute Strahlensyndrom, Hautschäden, Linsentrübung. Stochastische Wirkungen hingegen, wie z. B. die Induktion von Malignomen, also Krebserkrankungen in strahlenempfindlichen Geweben bzw. Organen, sind zufällig in dem Sinne, dass sie nicht zwangsläufig ab einer bestimmten Strahlendosis auftreten, lediglich die Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten mit wachsender Dosis zunimmt. Für sie kann demnach keine bestimmte Mindeststrahlendosis vorausgesetzt werden, da eine solche wissenschaftlich nicht belegt ist (Schönberg/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 1260). Die Dosis hat allein Bedeutung im Sinne einer statistischen Häufigkeitsquote, weshalb keine „sichere Dosis“, unter der keine Schäden auftreten können, bekannt ist. Jedoch muss, damit die Anerkennung einer Berufskrankheit überhaupt in Betracht kommen kann, der Versicherte einer deutlich höheren Dosis als die Gesamtbevölkerung ausgesetzt gewesen sein, wie sich bereits aus § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII („… durch besondere Einwirkungen versursacht sind“) ergibt (vgl. Senatsurteil vom 3. Februar 2012 - L 9 U 109/10; LSG Berlin-Brandenburg vom 14. Februar 2019 - L 21 U 173/11).
Dass der Kläger während seiner Tätigkeit als Flugingenieur/Flugkapitän in einem höheren Maße gegenüber ionisierenden kosmischen (Höhen-)Strahlen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ausgesetzt war, ist zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig wie, dass diese generell geeignet sind, eine Harnblasenkrebserkrankung zu verursachen.
Die arbeitstechnischen Voraussetzungen liegen damit vor. Nicht festzustellen vermochte der Senat allerdings mit dem erforderlichen Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, dass die berufliche Strahleneinwirkung im speziellen Fall des Klägers potentiell gefährdend war, d. h. nach Art und Dosis ausgereicht hat, um hinreichend wahrscheinliche, also rechtlich wesentliche Ursache für diese Erkrankung zu sein (sog. haftungsbegründende Kausalität; zum Beweismaßstab: BSG vom 18. August 2004 B 8 KN 2/13 UR; LSG Bayern vom 19. November 2014 - L 15 VS 19/11).
Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser sog. ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die Einwirkung durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der sog. zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr ist (stRspr; vgl. zuletzt BSG vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R m.w.N.).
Die für den Nachweis der Ursachenzusammenhänge geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit wird erreicht, wenn bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen deutlich, d. h. so stark überwiegen, dass die dagegensprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG vom 2. Juni 1959 - 2 RU 158/56). Jedoch ist der ursächliche Zusammenhang nicht bereits dann wahrscheinlich, wenn er - wie bereits ausgeführt - nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSG vom 19. März 1986 - 9a RVi 2/84).
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist die berufliche Exposition des Klägers gegenüber ionisierenden Strahlen schon im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn nicht ursächlich für die Entstehung des Harnblasenkarzinoms geworden.
Maßgebende Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, dass der feststellbare Umfang der Exposition gegenüber kosmischen Strahlen kein solches Ausmaß erreicht, das für einen Ursachenzusammenhang zwischen den Belastungen durch diese Stoffe und dem Auftreten der Krebserkrankung sprechen könnte. Auch wenn dem Wortlaut der BK Nr. 2402 keine Dosis-Wirkung-Beziehung im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der berufsbedingten Krankheitsentstehung zu entnehmen ist, führt dies nicht dazu, jede Exposition für eine einschlägige Krebserkrankung mit der Begründung als wahrscheinlich ursächlich dafür anzusehen, dass auch eine beliebige Dosis grundsätzlich als kanzerogen in Betracht kommt. Vielmehr setzt § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII auch insoweit eine durch besondere berufliche Einwirkungen vermittelte Zurechnung voraus.
Nach der Wissenschaftlichen Stellungnahme zu der BK Nr. 2402 (Bek. des BMAS vom 24. Oktober 2011 - IVa 4-45222-2402 - GMBl. 2011, Nr. 49-51, S. 983-993, Seite 12 f.) hängt die Wahrscheinlichkeit für die Verursachung oder Beschleunigung der Entstehung (insgesamt die Zusammenhangswahrscheinlichkeit) einer Erkrankung durch eine Strahlenexposition von der Dosis, dem Geschlecht, dem Alter bei Exposition, dem Alter bei Diagnose und individuellen Risikofaktoren, wie einer Vorbelastung oder einer genetischen Prädisposition, ab. Eine Rolle spielt aber auch das Organsystem bzw. die Art des Tumors. Der positive Wahrscheinlichkeitsbeweis der Verursachung liegt bei alleiniger beruflicher Exposition gegenüber ionisierender Strahlung hiernach in der Regel vor, wenn die Zusammenhangswahrscheinlichkeit > 50 % beträgt.
An in diesem Sinne maßgeblichen Daten sind bei dem Kläger eine Strahlendosis von 113,25 mSv, eine Exposition im Alter zwischen 23 und 60 Jahren und die Erstdiagnose der Harnblasenkrebserkrankung mit 67 Jahren zu berücksichtigen. Eine (relevante) außerberufliche Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen ergibt sich nach Aktenlage nicht. Nach dem Anhang 2 der der Wissenschaftlichen Stellungnahme zu der BK Nr. 2402 (a.a.O.) „Strahlenempfindlichkeit der Organe im Hinblick auf das Risiko für bösartige Tumoren“ ergibt sich für die Harnblase eine hohe Organspezifität, d. h. Strahlenempfindlichkeit.
Nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen geht der Senat davon aus, dass der Kläger während des Zeitraums seiner Tätigkeit von April 1965 bis März 2002 einer Gesamtstrahlendosis von maximal 113,25 mSv ausgesetzt war. Mangels während oder zeitnah zu den in Frage kommenden Kurz- und Langstreckenflügen von April 1965 bis März 2002 vorgenommener Strahlenmessungen liegen Erkenntnisse über die tatsächlichen Arbeitsplatzverhältnisse und Expositionen nicht vor. Da für das fliegende Personal die individuelle jährliche Strahlendosis erst seit August 2003 auf Grundlage von § 103 Abs. 1 der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) ermittelt und dokumentiert wird, kann kein direkter Nachweis in Bezug auf seine Strahlenbelastung mehr geführt werden. Auch bei als Folge nur möglicher retrospektiver Abschätzung der Dosis ist eine ausreichende Exposition des Klägers gegenüber kosmischen Strahlen während seiner Tätigkeiten bei G. und H. mit der Folge nicht nachgewiesen, dass eine Verursachung der Krebserkrankung durch diese nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
Was die Gesamtstrahlendosis anbelangt, die auf den Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit eingewirkt hat, folgt der Senat maßgeblich der Berechnung von Prof. Dr. Dr. W. in dessen Expertise vom 26. April 2020, der er sich weitgehend anschließt und die in jeder Hinsicht überzeugt. Der Sachverständige legt der Abschätzung der Strahlendosen die auf Basis einer sog. „Job-Exposure-Matrix“ gewonnenen Daten von Wollschläger et al. „Estimated radiation exposure of German commercial airline cabin crew in the years 1960 – 2003 modelled using dose registry data for 2004 – 2015“ (in: Journal of Exposure Science and Environmental Epidemiology, 2017, 1 ff.) zugrunde und gelangt hiernach unter Berücksichtigung eines Lebensalters des Klägers zwischen 30 und 60 Jahren unter Zugrundelegung von 37,75 Jahren mit Lang- und Kurzstreckenflügen und einer mittleren Dosis von 3,0 mSv pro Jahr zu 113,25 mSv insgesamt.
Den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten vermochte sich der Senat mangels vergleichbar gesicherter Datenlage nicht anzuschließen. Soweit Herr F. in seiner Stellungnahme von 20. April 2010 eine Gesamtdosis von 79 mSv errechnet, liegt dessen Bewertung eine für den Senat mit dem (aller-)ersten Bericht des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) über die berufliche Strahlenexposition des fliegenden Personals, veröffentlicht am 13. Oktober 2005, noch nicht hinreichend aussagekräftige Datenanalyse zugrunde.
Soweit sich Herr K. (Stellungnahme vom 16. Mai 2011) auf den Jahresbericht 2009 „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) stützt, präsentiert sich die Datenlage dort mit Erhebungen für die Jahre 2004 bis 2009 zwar breiter, lässt jedoch regionalspezifische Besonderheiten die kosmische Strahlenbelastung betreffend ebenso unberücksichtigt wie den Sonnenzyklus. Um diesen Besonderheiten Rechnung zu tragen, verdoppelt der Sachverständige den in der Tabelle 2-2 des Berichts ausgewiesenen mittleren Wert der Jahresdosis für 2004 (2,0 mSv) auf 4,0 mSv und gelangt bei 37 Flugjahren auf 148 mSv. Diese mehr oder weniger pauschale Erhöhung um den Faktor 2 begegnet Bedenken. Ebenso wenig überzeugt die von Herrn K. alternativ zugrunde gelegte jährliche Dosis von 6 mSv mit einer Lebensdosis dann von 222 mSv. Zu beachten ist hier, dass dem Recht der Berufskrankheiten eine sog. worst-case-Betrachtung grundsätzlich fremd ist und dass die stattgehabten Einwirkungen im Wege des Vollbeweises bewiesen sein müssen. Die Schätzung hat daher möglichst realitätsgerecht zu erfolgen, ohne dass zunächst bzw. von vorneherein Zu- oder Abschläge im Sinne einer worst- oder best-case-Betrachtung vorzunehmen sind (BSG vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R).
Vom Ergebnis kaum nachvollziehbar ist für den Senat die Berechnung der Exposition von Prof. Dres. T. und U. in deren Stellungnahme vom 4. Mai 2017 mit insgesamt 186 mSv, ausgehend von einer Jahresdosis zwischen 2 und 6 mSv. Die dort zugrunde gelegten Werte - wenn auch nach Jahren differenziert - sind, soweit für die Jahre 1979 bis 1990 sowie 1995 bis 2002 eine Jahresdosis von 6 mSv angenommen wurde, in Ansehung der Studienlage zu hoch. Nach dem Bericht des StrMusterahlenschutzregisters „Die berufliche Strahlenexposition des fliegenden Personals in Deutschland 2004 – 2009“ aus August 2011 lagen die Mittelwerte der Männer im Cockpit zwischen 2,0 und 2,2 mSv (vgl. die Expositionsstatistik, Seite 44). Aus welchem Grund sich für die (streitgegenständlichen) Jahre zuvor derart signifikant höhere Werte ergeben sollten, erklären die Sachverständigen nicht.
Die Berechnungsweise von Prof. Dr. Dr. W. ist demgegenüber plausibel. Sachgerecht hat der Sachverständige die Strahlenexposition vorliegend auf die der Veröffentlichung von Wollenschläger et al. zugrundeliegende Job-Exposure-Matrix gestützt, die für die hier streitgegenständlichen Jahre die Abschätzung einer effektiven Strahlendosis u. a. unter Berücksichtigung von Dosisleistungen pro Flugstunde, Flugdauer, Flugzeugtyp und auch Sonnenzyklus vornimmt. Dass die Job-Exposure-Matrix eine taugliche Datengrundlage für die Abschätzung der Strahlenexposition liefert, zeigt im Übrigen die Stellungnahme des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur BK Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV (Bek. des BMAS vom 24. Oktober 2011 – Iva 4-45222-2402, GMBl. 2011, Nr. 49 - 51, S. 983 ff, hier I C, S. 7), wo ausgeführt ist, dass die Abschätzung der beruflichen Strahlenexposition ehemaliger Beschäftigter der SDAG Wismut hierüber erfolgt.
Nicht zu folgen vermochte der Senat Prof. Dr. Dr. W. indes, soweit dieser, „wenn auch mit gewissen Bedenken“ (Seite 16 des Gutachtens / Bl. 1062 der Gerichtsakte Band VI), die effektive Dosis von 113,25 mSv um einen „Zuschlag“ von 30 mSv auf 143,25 mSv wegen eines TGF-Ereignisses erhöht hat. Der Sachverständige führt selbst aus, dass ein solches Ereignis in den Jahren 1965 bis 2002 mit einer maximalen Dosis (von 30 mSv) nicht aufgezeichnet worden ist. Es fehlt insoweit an einem Nachweis. Auf die reine Behauptung des Klägers, zusätzlich durch - wie er sagt sogar ca. 20 - terrestrische Gammastrahlungsblitze radioaktiv belastet worden zu sein, kann die Berechnung nicht gestützt werden. Die Folgen der Nichterweislichkeit hat der Kläger auch diesbezüglich zu tragen. Mit den weiteren um die TGF rankenden Fragestellungen brauchte sich der Senat mangels Relevanz für das Verfahren nicht weiter zu befassen.
Dem nach § 109 SGG erstellten Gutachten von Prof. Dr. R. vom 1. März 2016 vermochte sich der Senat ebenfalls nicht anzuschließen. Die bereits im Jahre 2000 emeritierte Wissenschaftlerin war als Professorin für experimentelle Physik an der Universität U-Stadt nach Studium der Physik und Mathematik als Dr. rer. nat. tätig und betrieb dort Forschung auf den Gebieten der Dosimetrie, des Strahlenschutzes und der gesundheitlichen Wirkungen radioaktiver Strahlen. Was deren Ausführungen anbelangt, geht der Senat zunächst von deren grundsätzlicher Verwertbarkeit für das Verfahren aus. Zwar gehören Mathematiker und Physiker nicht zu dem § 109 SGG unterfallenden Personenkreis. Nach dessen Abs. 1 können nur Ärzte, also Personen, die eine Approbation nach § 3 der Bundesärzteordnung besitzen, mit der Erstellung eines Gutachtens befasst werden. Da das Gericht im Rahmen seiner Sachermittlungen von Amts wegen nach § 118 SGG in Verbindung mit § 404 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) jedoch auch Personen als Sachverständige beauftragen kann, die keine Ärzte sind und ein umfassendes Verwertungsverbot für Gutachten von Nichtärzten § 109 SGG nicht entnommen werden kann, bestehen keine Bedenken, das Gutachten zu verwerten (vgl. Senatsurteil vom 28. November 2016 - L 9 U 37/13; LSG Berlin-Brandenburg vom 11. Juni 2009 - L 11 VH 35/08). Außerhalb der medizinischen Befundung, für die es der Sachverständigen an der Kompetenz mangelt, befasst sich Prof. Dr. R. sehr ausführlich mit der Strahlenexposition des Klägers während seiner beruflichen Tätigkeit und stellt ausgiebige, breite Überlegungen zu der Frage der Verursachungswahrscheinlichkeit seiner Krebserkrankungen durch diese an.
Als nicht nachvollziehbar präsentiert sich dabei zunächst deren Berechnung der effektiven „Arbeitszeitdosis“ von 624 mSv, ausgehend von einer Jahresdosis von 6 mSv und der Annahme, dass die Hälfte der Flugdosis auf strahlungsgewichtigeren Neutronen basiere und hierfür ein Multiplikator von 4,5 anzusetzen sei. Die Dosisermittlungen widersprechen dem aktuell-wissenschaftlichen Erkenntnisstand und stellen insoweit eine nicht beachtliche wissenschaftliche Einzelmeinung dar. Hierauf weisen sowohl Prof. Dres. T. und U. als auch Prof. Dr. Dr. W. mit deutlicher Kritik unter Hinweis auf die aktuelle entgegenstehende Studienlage hin. Bereits die Annahme einer jährlichen Dosis von 6 mSv und eine kumulative Dosis von ca. 200 mSv stelle hiernach eine Überschätzung dar. Blickt man auf die Studie des BfS zur Dosisverteilung bei fliegendem Personal aus 2005 und auch den Bericht des Strahlenschutzregisters aus 2011 (s.o.), erscheint die generelle Annahme einer Jahresdosis von 6 mSv pro (Flug-)Jahr in der Tat deutlich zu hoch und gänzlich undifferenziert. Hierauf hatten auch Prof. Dr. L. in seiner Stellungnahme (zu der von Herrn K.) vom 9. Januar 2012 und Prof. Dres. T. und U. hingewiesen. Dem von Prof. Dr. R. in Ansatz gebrachten Wert über die relative biologische Wirksamkeit (RBW-Wert) mit dem Faktor 4,5 sprechen die Prof. Dres. T., U. und auch W. die wissenschaftliche Berechtigung mit der Folge ab, dass sich im Falle des Klägers illusorisch hohe kumulative Dosen ergäben. Dem folgt der Senat. Sachverständigengutachten sind auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu erstellen. Diesem entsprechen aber nur solche Erfahrungssätze, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht. Nur wenn kein aktueller allgemeiner wissenschaftlicher Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung existiert, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R). Die Einzelmeinung der Gerichtssachverständigen kann daher für die Zugrundelegung eines neuen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes nicht genügen (Senatsurteil vom 23. August 2013 - L 9 U 30/12 ZVW).
Dem medizinischen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. S. kann dagegen schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Sachverständige auch hier von falschen, nicht belegten Voraussetzungen ausgeht, zudem inhaltlich seinen Kompetenzbereich überschreitet. Die Feststellungen des Arztes gründen auch bezogen auf die BK Nr. 2402 in der Annahme des Vorliegens einer für die Anerkennung als Berufskrankheit ausreichenden (Strahlen-)Exposition. Diese ist jedoch nicht belegt und gerade Streitpunkt des Verfahrens. Bereits aus diesem Grund können die Feststellungen des Sachverständigen keinen Bestand haben. Auch setzt sich der Sachverständige nicht differentialdiagnostisch mit anderen möglichen, alternativen Ursachen für das Urothel- (und auch Prostata-)karzinom auseinander.
Die im Falle des Klägers anzusetzende Gesamtstrahlendosis von 113,25 mSv reicht für die Begründung eines Ursachenzusammenhangs mit dem Urothelkarzinom allerdings nicht aus. Schlussfolgerungen über die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs im Sinne der wissenschaftlichen Stellungnahme, d. h. dem Ursachenzusammenhang entsprechend dem Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, können in den Fällen, in denen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand wie vorliegend keine Dosis-Wirkung-Beziehungen benennen kann, nur unter Rückgriff auf allgemein anerkanntes Wissen über biologische Wirkungszusammenhänge bezogen auf die spezifische Einwirkung und eine bestimmte Erkrankung sowie auf epidemiologisch-statistische Risikoabschätzungen, ohne konkrete Bezugnahme auf beobachtete Umstände des Einzelfalles, getroffen werden. Die Kausalitätsprüfung im Einzelfall muss sich daher im Wesentlichen an den Erkenntnissen ausrichten, die für die Einführung des BK- Tatbestandes maßgeblich waren und setzt grundsätzlich den epidemiologischen Nachweis einer sog. Risikoverdopplung in Bezug auf die fragliche Erkrankung bei einer nach Art, Intensität und Dauer definierten Exposition voraus. Sofern die Expositionsbedingungen für eine Risikoverdoppelung in einem Erkrankungsfall vollständig erfüllt sind, spricht statistisch eine mehr als 50 %-ige Wahrscheinlichkeit dafür, dass die berufliche Exposition im Sinne der Definitionskriterien für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit Ursache der Erkrankung ist. Allerdings können auch in einem solchen Fall Umstände des Einzelfalls diese abstrakte Schlussfolgerung infrage stellen, z. B. bei einer ungewöhnlich langen oder kurzen Latenzzeit oder konkurrierenden unversicherten Noxen, sofern die epidemiologischen Untersuchungen nicht auch für diese Kombination die erforderliche Risikoerhöhung aufweisen (Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 9 SGB VII (Stand: 17.05.2021), Rn. 118; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 82).
Zwar hat sich das BSG noch nicht eindeutig zur Zulässigkeit der Anwendung der Verdopplungsdosis bei der individuellen Kausalität geäußert, jedoch zumindest angedeutet, dass dieses, wenn auch nicht unmittelbar aus dem Gesetz abgeleitete Kriterium zumindest nicht grundsätzlich als medizinischer Erfahrungssatz mangels wissenschaftlicher Basis ausscheidet (BSG vom 29. November 2011 - B 2 U 26/10 R). Tatsächlich erscheint das Abstellen auf die Verdopplungsdosis in den Fällen, in denen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand keine Dosis-Wirkung-Beziehungen benennen kann und auch keine arbeitsmedizinischen Kriterien zur Abgrenzung der durch die Einwirkung verursachten und veranlagungsbedingt entstandenen Erkrankungen vorhanden sind, die einzige Möglichkeit, eine zumindest hinreichend wahrscheinliche Verursachung der Erkrankung durch die Einwirkung dogmatisch zu begründen (Bieresborn, SGb 2016, 310, 320).
Nach den übereinstimmenden Feststellungen aller im Verfahren gehörter Sachverständiger gibt es bis dato ebenso wenig Studien über das Auftreten von Harnblasenkrebs nach Einwirkung einer bestimmten Strahlendosis noch ist eine Schwellendosis bekannt, unterhalb der das Krebsrisiko ausgeschlossen werden kann. Auch lassen sich durch ionisierende Strahlung induzierte Krebserkrankungen bisher weder im klinischen Erscheinungsbild noch in histologischen, zytologischen oder molekularen Parametern von spontanen Erkrankungen unterscheiden.
Erforderlich ist daher vorliegend der epidemiologische Nachweis einer sog. Risikoverdoppelung für die Verursachung der betreffenden Erkrankung in Verbindung mit nach Art, Intensität und Dauer sowie sonstiger Rahmenbedingungen exakt beschriebener Expositionsverhältnisse. Eine epidemiologische Risikoverdoppelung bedeutet, dass in der exponierten (Berufs-)Gruppe mindestens doppelt so viele einschlägige Erkrankungsfälle auftreten wie in der allgemeinen Bevölkerung oder einer nicht exponierten Vergleichsgruppe. Daraus wird - wie bereits ausgeführt - der Schluss gezogen, dass bei einem von der fraglichen Erkrankung betroffenen Versicherten, der die definierten Expositionsbedingungen erfüllt, statistisch eine mehr als 50 %-ige Wahrscheinlichkeit dafürspricht, dass die versicherte Exposition für die Erkrankung ursächlich ist (Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 9 SGB VII (Stand: 17.05.2021), Rn. 118).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe geht der Senat von keiner Verursachungswahrscheinlichkeit aus. Dies haben die Sachverständigen K., Prof. Dr. L., Prof. Dres. T. und U. und Prof. Dr. Dr. W. gestützt auf unterschiedliche Berechnungsmethoden und diverse Studien auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnistandes nachvollziehbar und vom Ergebnis her sehr eindeutig herausgearbeitet.
Zu einer Risikoverdopplung im Sinne einer mehr als 50 %-igen Verursachungswahrscheinlichkeit gelangen zunächst die Berechnungsprogramme nicht, auf die Herr K., Prof. Dr. L., Prof. Dr. T. und Prof. Dr. U. ihre Feststellungen stützen.
Unter Anwendung von NIOSH-IREP hat Herr K. eine Verursachungswahrscheinlichkeit von unter 3 % bei Annahme einer Dosis von 4 mSv pro Jahr (p.a.) - 148 mSv insgesamt - ermittelt. Der Berechnung ist Prof. Dr. L. in seiner Stellungnahme in Ausnahme der Zusatzberechnung unter Berücksichtigung beider Tumoren beigetreten. Unter der Annahme einer Expositionsdosis von 113,25 mSv hat Prof. Dr. Dr. W. auf Nachfrage des Senats in seiner letzten ergänzenden Stellungnahme vom 23. April 2021 eine Verursachungswahrscheinlichkeit unter Zuhilfenahme dieser Programme für Prostatakrebs von 0,78 % für Harnblasenkrebs von 2,33 % sowie für Harnblasen- und Prostatakrebs von 3,1 %, also ebenfalls deutlich unterhalb der Grenze von 50 %, ermittelt. Bei NIOSH-IREP handelt es sich um ein in den USA von der National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) entwickeltes interaktives Programm zur Ermittlung der Verursachungswahrscheinlichkeit. Das Computerprogramm IREP - das auch im Internet zur Verfügung steht - berechnet das Verursachungsrisikos für Krebs und Leukämien durch ionisierende Strahlung in Form einer konditionellen Wahrscheinlichkeitsverteilung. Grundlage dafür sind Modellannahmen für relative Risiken für verschiedene Formen von strahlenbedingtem Krebs. Diese wiederum werden auf der Basis von herausragenden epidemiologischen Datensätzen und einer Vielzahl von fundierten Annahmen zu relevanten Faktoren, die das Risiko modifizieren, abgeschätzt. IREP ist allerdings auf amerikanische Verhältnisse zugeschnitten und kann wegen unterschiedlicher Krebsinzidenzraten nicht ohne Weiteres auf die deutsche Situation übertragen werden.
Diesem Umstand Rechnung tragend hat das Institut für Strahlenschutz des Helmholtz Zentrums München im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) mit ProZES ein Programm zur Berechnung der die deutschen Verhältnisse abbildenden Wahrscheinlichkeit entwickelt, das sich allerdings noch im Versuchsstadium befindet. In Anwendung dieses Programms gelangen Prof. Dres. T. und U. ausgehend von einer Gesamtexposition von 186 mSv (Jahresdosis von 2 bis 6) für - generell - Tumoren der Harnorgane (Harnorgane, Niere und Blase) zu einer Zusammenhangswahrscheinlichkeit von 6 %. Prof. Dr. Dr. W. hat in Anwendung dieses Programms eine Verursachungswahrscheinlichkeit für Prostatakrebs von 0,65 %, für Harnblasenkrebs von 3,9 % sowie für Harnblasen- und Prostatakrebs von 4,6 % errechnet (vgl. die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 23. April 2021).
Ein für den Kläger günstigeres Ergebnis ergibt sich auch nicht aus der epidemiologischen Studienlage. In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine Vielzahl von epidemiologischen Untersuchungen zu der Frage durchgeführt, ob die Inzidenz an Krebserkrankungen generell sowie unterschieden nach bestimmten Krebsentitäten nach Bestrahlung erhöht ist und in welchem Ausmaß dieses in Abhängigkeit von der Strahlendosis der Fall ist. Verglichen wurden dabei die Krebsinzidenzen bei strahlenexponierten Personengruppen mit denjenigen von nicht exponierten Gruppen. Für die Verursachungswahrscheinlichkeit hebt Prof. Dr. Dr. W. auf die Erhebungen über die Inzidenz von Krebserkrankungen und Leukämien bei den Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki, der - wie er ausführt - größten und wichtigsten Studie über die strahlenbedingte Induktion von Krebserkrankungen, in der die Mortalitätsraten durch Krebs bis zum Jahre 2009 ebenso untersucht und publiziert wurden wie Daten über die Erkrankungsrate von Krebs bei den Überlebenden nach den Atombombenabwürfen. In der neuesten und auch aktuellsten Studie von Grant E. J. (2021) „Radiation Risks for the Incidence of Kidney, Bladder and Other Urinary Tract Cancers: 1958 – 2009“ (Radiation Research, 195 (2), 140 ff.) sind in dem Erhebungszeitraum von insgesamt 626 Harnblasenkrebserkrankungen 411 bei Männern beobachtet worden. Auf Basis dieser Analysen ergibt sich für Männer über alle Altersgruppen für Harnblasenkrebs ein ERR (Excessive Relative Risk = zusätzliches relatives Risiko, durch ionisierende Strahlung an Krebs zu erkranken) pro Gy (Gray) oder Sv (Sievert) von 0,64. Eine 2018 veröffentlichte europäische Studie von Haylock et al. („Cancer mortality and incidence following external occupational radiation exposure: an update of the 3rd analysis of the UK national registry for radiation workers“ (British Journal of Cancer 119, 631 ff.) über das Krebsrisiko von Nuklearbeschäftigten ergab ein ERR pro Gy (Sv) von 0,9. Als Mittelwert aus beiden Studien errechnet sich mithin ein zusätzliches relatives Risiko ausgehend von einem Mittelwert von 0,77 ERR und einer Strahlendosis von 113,25 mSV von 0,087, also eine Verursachungswahrscheinlichkeit ca. von 8 %.
Andere validere Erkenntnisquellen zur Abschätzung der Verursachungswahrscheinlichkeit sind nicht vorhanden. Prof. Dr. Dr. W. hat in seinem Gutachten (Seite 29 ff./Bl. 175 ff. der Gerichtsakte Bd. VI) und seiner ergänzenden Stellungnahmen vom 19. November 2020 die aktuelle epidemiologische Studienlage zu Krebserkrankungen nach Strahleneinwirkung bei Beschäftigten u. a. in nuklearen Anlagen, der Radiologie, bei fliegendem Personal, speziell auch bei Piloten, dezidiert herausgearbeitet, in seiner letzten Stellungnahme vom 23. April 2021 dabei nochmals evaluiert. Für den Senat sehr nachvollziehbar hat er unter Hinweis auf die höchst unterschiedlichen Ergebnisse der Studien hinsichtlich des Risikos, durch ionisierende Strahlen Harnblasenbrebs zu verursachen, deren Brauchbarkeit zur Beurteilung der Verursachungswahrscheinlichkeit im Falle des Klägers verneint und als sicherere Erkenntnisquelle auf die Datenlage zu Hiroshima und Nagasaki abgestellt. Der epidemiologische Nachweis einer sog. Risikoverdoppelung für die Erkrankung an Harnblasenkrebs nach Einwirkung ionisierender Strahlen ist damit nicht gegeben.
Entgegen der Auffassung von Prof. Dr. Dr. W. erscheint es allerdings nicht gerechtfertigt, in der Annahme einer bei dem Kläger bestehenden „gewissen“ Disposition zur Entwicklung von Krebserkrankungen davon auszugehen, dass in seinem Fall die Verursachungswahrscheinlichkeit um einen Faktor 2 - 3 höher liegt als für eine Normalperson. Zwar ist bei dem Kläger nach den Feststellungen von Prof. Dr. M. (Gutachten vom 8. Februar 2012) mit Harnblasen- und auch Prostatakrebs von zwei voneinander unabhängig entstandenen Tumorerkrankungen auszugehen. Wenn es auch insoweit nicht auszuschließen ist, dass eine Veranlagung das Entstehen des (in diesem Verfahren einzig relevanten) Harnblasenkrebses durch kosmische Strahlen begünstigt hat, liegen hierzu keine belastbaren Erkenntnisse vor. Das zweimalige Erkranken an Krebs könnte umgekehrt auch auf eine primär in der Konstitution des Klägers liegende Ursache, ungeachtet der Strahleneinwirkung, hindeuten. Medizinisch nachweisbar ist letztlich weder das eine noch das andere. Zuzugeben ist dem Kläger insoweit, dass die Behauptung von Prof. Dr. Dr. W., bei ihm läge wegen des Auftretens zweier Krebserkrankungen eine genetische Disposition vor, spekulativ ist. Gleiches gilt jedoch ebenso für die Vermutung von Prof. Dr. X., dass das Erkrankungsalter des Klägers mit Harnblasenkrebs (64 Jahre) und Prostatakrebs (70 Jahre) gegen einen Zufall und für eine gemeinsam wirkende kausale Genese in der Form von Effekten durch Strahlendosen spreche. Ungeachtet dessen begegnet der von Prof. Dr. Dr. W. in Ansatz gebrachte Faktor von 2 - 3 Bedenken. In Ermangelung einer insoweit gesicherten epidemiologischen Datenlage ist bereits die wissenschaftlich begründete Rechtfertigung einer Erhöhung der Verursachungswahrscheinlichkeit um diesen Wert nicht belegt. Kritik an der Berechnung der Verursachungswahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung beider Erkrankungen hatte im Übrigen auch Prof. Dr. L. in seiner Stellungnahme geäußert. Letztlich kann dieser Punkt jedoch dahingestellt bleiben, da sich bei den Berechnungen von Prof. Dr. Dr. W. selbst unter Annahme einer um einen Faktor von 2-3 höheren Verursachungswahrscheinlichkeit nur eine Verursachungswahrscheinlichkeit von maximal 24 % errechnet.
Nicht zu folgen vermochte der Senat, auch was die Ausführungen zur Verursachungswahrscheinlichkeit anbelangt, wiederum der Expertise von Prof. Dr. R. Allerdings ergibt sich zunächst auch mit der nach unten korrigierten Organdosis der Blase (113,25 mSv), die der Kläger berufsbedingt erhalten hat, mit der in deren Gutachten genannten Formel (Seite 17 des Gutachtens / Bl. 500 der Gerichtsakte Band III) eine Verursachungswahrscheinlichkeit von (nur) 36 %. Verwendet wurde die Formel
W = Dexp, Dexp + D2 |
die die Verursachungswahrscheinlichkeit der Strahlenbedingtheit für die einzelnen Erkrankungen in Abhängigkeit der Organdosis , die die Person berufsbedingt erhalten hat, und der Verdopplungsdosis berechnet. Für ist es also unwahrscheinlich, dass die erhöhte Strahlendosis Ursache für die Erkrankung war. In der Berechnung wurde die Annahme der Sachverständigen über die Verdopplungsdosis für Harnblasenkrebs von 200 mSv angewendet. Mit Blick auf dieses Ergebnis erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit den Fragen, ob die Formel selbst bzw. die von der Sachverständigen vorgebrachten Annahmen bezüglich der Verdopplungsdosis in sich schlüssig sind oder überhaupt dem wissenschaftlich (mehrheitsfähigen) Standard genügen, etwa, weil sie weder die Altersabhängigkeit der Exposition noch (alters- und zeitabhängige) Inzidenzraten berücksichtigen (so Prof. Dres. T. und U.).
Soweit die Sachverständige in Ansehung der beiden Krebserkrankungen eine andere Formel verwendet und zu höheren Wahrscheinlichkeiten gelangt, gilt das bereits oben Ausgeführte. Bei allem Verständnis für die Kritik von Prof. Dr. R. an den letztlich auch hier für die Beurteilung der Verursachungswahrscheinlichkeit zugrunde gelegten Daten aus Japan als „Referenz für Strahlenschäden bei Menschen“ weist Prof. Dr. Dr. W. zu Recht darauf hin, dass es keine besseren Daten gibt, da die epidemiologische Studienlage jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt, was die Verursachung von Krebserkrankung bei fliegenden Personal anbelangt, weder einheitlich noch aussagekräftig ist. Das mag sich in der Zukunft anders darstellen, für die zum jetzigen Zeitpunkt zu beurteilende Verursachungswahrscheinlichkeit zeigt sich nach den Studien jedoch gerade kein klares Bild im Sinne des klägerischen Anspruchs.
Das Ergebnis einer unter 50 % liegenden Verursachungswahrscheinlichkeit ist konsistent mit diversen Studien, die keinen statistisch signifikanten Anstieg der Inzidenzen von Blasenkrebs bei Piloten festgestellt haben. (u. a. Band et al. (1996) „Cohort study of Air Canada pilots: Mortality, cancer incidence, and leukemia risk“, American Journal of Epidemiology, 143(2): 137 ff; Yamane / Grover (2006) „Cancer incidence in the U.S. Air Force: 1989-2002”, Aviation, Space, and Environmental Medicine, 77(8): 789 ff; Pukkala et al. (2002) „Incidence of cancer among Nordic airline pilots over five decades”, BMJ 2002, 325 ff; Hammer et al. (2014) „Mortality from cancer and other causes in commercial airlines crews: a joint analysis of cohorts from 10 countries“, OEM 71, 313 ff. bezogen auf Krebserkrankungen an Harnblase und Harnleiter; Gutmundsdottir et al. (2017) „Incidence of cancer among licenced commercial pilots flying North Atlanticroutes“, Environment Health 16, 86).
Die epidemiologische Studienlage hinsichtlich der Risikorate durch Strahlenexposition an Prostatakrebs zu erkranken, ist für dieses Verfahren im Übrigen irrelevant. Entsprechend bedarf es keiner weiteren Diskussion der diese Krebsart betreffenden – zwischen den im Verfahren gehörten Sachverständigen streitigen – Studienlage, u. a. Raslau et al. (in der korrigierten Fassung von 2016) „Prostate cancer in pilots“, Aerosp Med Hum Perform 87(6): 565 ff.; Mabuchi et al. (2021) „Risk of Prostate Cancer Incidence among Atomic Bomb Survivors“: 1958 – 2009, Radiation Research 195, 66 ff.
Soweit Prof. Dr. R. in ihrem Gutachten und ihren Stellungnahmen, zuletzt vom 21. Mai 2021, diesbezüglich ein anderes Bild vermittelt, ist dieses nach den übereinstimmenden Feststellungen der im Übrigen gehörten Sachverständigen auf eine selektive, situativ geprägte Berücksichtigung von Studien und Datenmaterial zurückzuführen. Sehr deutlich und mit Blick auf seine breite Referenz der Studienlage führt Prof. Dr. Dr. W. für den Senat nachvollziehbar aus, dass die Sachverständige bei den Risikofaktoren für beide Krebserkrankungen ergebnisorientiert offenbar möglichst hohe Risikofaktoren gesucht hat, die in keiner Weise für die vielen Daten, die zur Verfügung stehen, repräsentativ sind. Dass mit Prof. Dr. T., Prof. Dr. U. und auch Prof. Dr. Dr. W. gleich mehrere namhafte und auf ihrem Fachgebiet überaus renommierte Wissenschaftler die Arbeitsweise von Prof. Dr. R. als wissenschaftlich inkonsistent, nicht haltbar und nicht akzeptabel bezeichnen, spricht dabei für sich.
Die Sachverständige Prof. Dr. R. weist für den Senat dabei durchaus nachvollziehbar darauf hin, dass die Ergebnisse der Studien aus Japan, die auf eine punktuelle Strahlenbelastung zurückgehen, auf Fälle einer kontinuierlichen Strahlenbelastung wie bei fliegendem Personal nur eingeschränkt anwendbar sind. Plausibel ist auch ihr Ansatz, den Inzidenzstudien eine höhere Aussagekraft beizumessen als den Mortalitätsstudien. Diese Unzulänglichkeiten bei der Ermittlung der Verursachungswahrscheinlichkeit verkennt der Senat nicht. Indes kann eine unzureichende Datenlage im Ergebnis nicht dazu führen, dass nur die für die für den Kläger günstigen Studien berücksichtigt werden.
Dem Senat ist es verwehrt, diese Unsicherheit der Verursachungsanteile im Wege eines unterstellten hälftigen Anteils zu schließen, weil aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung nicht automatisch auf die berufliche Verursachung einer Erkrankung geschlossen werden kann (BSG vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03). Sind in einem Fall die verschiedenen und ggf. nach der Theorie der wesentlichen Bedingung abzuwägenden naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen auch nach Anwendung sämtlicher Erkenntnismöglichkeiten unklar, führt die dann gegebene objektive Beweislosigkeit, welche der Ursachen mit welchem Verursachungsanteil zur Erkrankung geführt hat, in letzter Konsequenz wiederum zur Frage der Beweislast. Eine Beweisführungslast wie im Zivilprozess gibt es im sozialrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auf Grund des Untersuchungsgrundsatzes nicht (MKLS / B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 103 Rn. 19). Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast gibt es aber auch im Sozialgerichtsverfahren die sog. materielle Feststellungslast, der zufolge - wie in allen anderen Gerichtsverfahren auch - derjenige die Folgen der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache trägt, der aus dieser Tatsache ein Recht oder Vorteil herleiten will (BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R; BSG vom 18. November 2008 - B 2U 27/07 R), was für die Frage der bestehenden wesentlichen Teilursächlichkeit der versicherten Einwirkungen wiederum der Kläger ist. Selbst bei erheblichen Beweisschwierigkeiten lehnt das BSG eine Beweislastumkehr in ständiger Rechtsprechung ab (BSG vom 22. Juni 1988 - 9/9a RVg 3/87; BSG vom 29. Januar 1974 - 8/7 RU 18/72). Gerade bei multikausalen Erkrankungen wäre die Annahme der Beweislastumkehr, die seit langem das Schrifttum und im Rahmen des Unfallversicherungseinführungsgesetzes auch den Gesetzgeber beschäftigt hat, sehr problematisch (Senatsurteil vom 23. August 2013 - L 9 U 30/12 ZVW m.w.N. auf Keller, SGb 2001, 226, 228; Breuer/Velten, NZS 1995, 146 ff.; Koch in Schulin, HS-UV, § 36 Rdnr. 23 ff; Köhler, BG 1996, 388 ff; Bolm-Audorff, Med Sach 1993, 57, 93; Battenstein, SGb 1992, 11 ff.; BR/BT-Drucks 13/2333 S. 4 - 6). Der hinsichtlich des Kausalitätsnachweises abgemilderte Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist insoweit für den Schutz des Versicherten ausreichend (Becker in Becker/Burchard/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 9 Rdnr. 216).
Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellen würde, dass die Exposition gegenüber kosmischen Strahlen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine naturwissenschaftliche (Teil-)Ursache für die Erkrankung an Harnblasenkrebs war, könnte mangels Bestimmbarkeit der Verursachungsanteile nicht bestimmt werden, ob dieser oder bei additiver Wirkung diese die rechtlich wesentliche Ursache waren. Denkbar wäre mangels möglicher Abgrenzungskriterien auch, dass weit überwirkende Ursache eine Prädisposition oder aber ein Verhalten in der privaten unversicherten Lebensführung war.
Soweit sich Prof. Dr. X. in seiner Stellungnahme vom 22. Januar 2021, im Ansatz ebenfalls in der letzten vom 20. Mai 2021, zur Verursachungswahrscheinlichkeit äußert und eine Auswertung der epidemiologischen Studienlage vornimmt überschreitet der Sachverständige - als Mediziner - abermals seinen Kompetenzbereich. Eine Auseinandersetzung mit dessen, sich im Übrigen und im Wesentlichen mit denen von Prof. Dr. R. deckenden Feststellungen, erübrigt sich daher. Gleiches gilt für dessen rechtliche Einschätzungen.
Auch sind die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII nicht erfüllt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Harnblasenkrebserkrankung als Wie-Berufskrankheit. Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die - wie vorliegend - nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 erfüllt sind (sog. Öffnungsklausel für Wie-Berufskrankheiten). Die Voraussetzungen für eine Bezeichnung sind nach Abs. 1 Satz 2 erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen.
Mit der Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII soll indes nicht in der Art einer „Generalklausel“ erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist. Vielmehr erfordert die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit nach dem Wortlaut der Vorschrift neben der Kausalität im konkreten Einzelfall auch das Vorliegen derselben materiellen Voraussetzungen, die der Verordnungsgeber für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat, also die Feststellung eines generellen Ursachenzusammenhangs (BSG vom 18. Juni 2013 B 2 U 6/12 R; BSG vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R). Denn mit der Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII sollen Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSG vom 18. Juni 2013, a. a. O.; BSG vom 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R). Das Erfordernis eines generellen Ursachenzusammenhangs für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit bzw. das Vorliegen wissenschaftlich gesicherter Kausalbeziehungen ist im Übrigen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BSG vom 18. Juni 2013, a. a. O.). Die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit ist somit von dem Vorliegen folgender Voraussetzungen abhängig:
1. Es muss eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sein.
2. Diese besonderen Einwirkungen müssen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sein, Krankheiten solcher Art hervorzurufen.
3. Diese medizinischen Erkenntnisse müssen bei der letzten Ergänzung der Anlage 1 zur BKV noch nicht in ausreichendem Maße vorgelegen habe oder ungeprüft geblieben sein.
4. Der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Arbeit muss im konkreten Fall hinreichend wahrscheinlich sein.
(vgl. zum Ganzen Hess.LSG vom 4. Februar 2020 - L 3 U 107/19; BSG vom 20. Juli 2010, a. a. O.)
An solchen für die Anerkennung einer Wie-BK notwendigen gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen oder epidemiologischen Erkenntnissen in Bezug auf den Zusammenhang zwischen einer etwaigen Exposition von fliegendem Personal gegenüber UV-Strahlung, Turbinenöl bzw. dessen Pyrolyseprodukten, Desinfektionsmitteln oder Aerosolen bzw. einem Gemisch aus diesen Schadstoffen, ggf. auch im Zusammenspiel mit einer Strahlenexposition, und einer Harnblasenkrebserkrankung fehlt es jedoch.
Aus der Vielzahl der auch internationalen Veröffentlichungen zu Schadstoffeinwirkungen, -wechselwirkungen und -aufkommen in der Flugkabine, „Fume oder Smell events“ wie auch dem sog. Aerotoxischen Syndrom, die Kläger wie auch Beklagte vorgelegt haben - nur exemplarisch sei an dieser Stelle auf die Literaturliste der Allgemeinen Stellungnahme zu „Fume- oder Smell-events“ in Verkehrsflugzeugen (Bl. 752 ff. der Gerichtsakte Band IV) hingewiesen - wird deutlich, dass sich die Thematik in der wissenschaftlichen Diskussion befindet. Hierauf hatte auch das Sozialgericht in seiner Entscheidung hingewiesen. Dies allerdings bisher ohne Ergebnis. Prof. Dr. Dr. W. führt diesbezüglich aus, dass ihm bisher keine experimentellen oder epidemiologischen Daten zu Effekten nach kombinierten Expositionen durch ionisierende Strahlen und 2-Naphthylamin bekannt seien (Seite 31 der ergänzenden Stellungnahme vom 19. November 2020 / Bl. 1156 der Gerichtsakte Band VI), die er zumindest prinzipiell jedoch nicht ausschließt (Seite 27 f. / Bl. 1152 f. a. a. O.).
Auch hat sich der ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dessen Aufgabe die Sichtung und Bewertung des wissenschaftlichen Erkenntnisstands im Hinblick auf die Aktualisierung bestehender oder die Aufnahme neuer Berufskrankheiten in die BKV ist, mit der Frage einer speziellen Berufskrankheit für das fliegende Personal durch Einwirkungen von Schadstoffen und / oder ionisierender Strahlen bisher (noch) nicht befasst. Ein derartiges Thema gehört nicht zu den Themen, die aktuell vom Sachverständigenbeirat geprüft werden (vgl. die entsprechende Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“, Recherche vom 24. Juni 2021).
Die Ausführungen des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 27. März 2016, wonach ursächlich für die Krebserkrankung(en) des Klägers niederdosierte ionisierende Strahlung, 2-Naphthylaminexposition gemeinsam mit neurotoxischen Pestiziden und deren Interaktion seien, ändert hieran nichts, da sie die notwendigen gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nicht zu ersetzen vermögen. Nicht ausreichend ist es hierfür nämlich, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich vielmehr jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung zumindest derart verdichtet haben, dass von einer sog. Berufskrankheitenreife auszugehen ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich gebildet hat. Im Regelfall kann die Annahme einer gruppentypischen Risikoerhöhung nur durch Dokumentation einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen Überwachung derartiger Krankheitsbilder begründet werden (LSG Hamburg vom 14. Februar 2012 - L 3 U 8/10). Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen - nicht nur wenige oder ein einzelner -, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sind (BSG vom 18. Juni 2013 - B2 U 3/12 R und B 2 U 6/12 R; LSG Bayern vom 21. Juni 2006 - L 2 U 390/04). Dies ist bis dato jedoch gerade nicht der Fall.
Der Senat hatte keine Veranlassung, weiteren Beweisanregungen des Klägers und den von ihm schriftsätzlich gestellten Beweisanträgen nachzugehen. Mit dem von dem Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. eingeholten differenzierten Sachverständigengutachten nebst ergänzenden Stellungnahmen und den von den Beteiligten eingereichten fachkundigen Stellungnahmen zu den fallbezogen alleinig streiterheblichen Fragen des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die geltend gemachten Berufskrankheiten und der Ermittlung der Verursachungswahrscheinlichkeit lag eine differenzierte Grundlage für die Überzeugungsbildung des Senats vor.
Zu weiteren medizinischen Ermittlungen bestand kein Anlass, weil der Sachverhalt durch die in der Akte befindlichen medizinischen Befunde und die vorliegenden gutachterlichen Äußerungen geklärt ist. Das Vorliegen des von BK Nr. 1301 erfassten Krankheitsbildes einer Harnblasenkrebserkrankung als solches ist unstreitig. Für den Senat ist nicht erkennbar, zu welchem weiteren Erkenntnisgewinn ein „objektives und neutrales medizinisches Sachverständigengutachten“, wie von dem Kläger wiederholt angeregt, führen sollte. Gleiches gilt für die von ihm geltend gemachte BK Nr. 2402, für die die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen entsprechend ebenfalls und zwischen den Beteiligten unstreitig vorliegen. Der Vernehmung von Prof. Dr. S. als sachverständigen Zeugen bedurfte es daher nicht.
Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt zwar von Amts wegen, es ist jedoch an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Insbesondere muss das Gericht nicht nach Tatsachen forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalls keine Anhaltspunkte bieten (BSG vom 21. September 2000 - B 11 AL 7/00 R; BSG vom 31. Mai 1973 - 5 RKnU 29/11). Besonders für die Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es weiterer Anknüpfungstatsachen, die die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines mit besonderem Fachwissen ausgestatteten Sachverständigen zur Beurteilung dieser Tatsachen nahelegen. Solche liegen jedoch erkennbar nicht vor.
Soweit der Kläger die Einholung eines objektiven und neutralen Sachverständigengutachtens in Bezug auf die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BKen Nr. 1301 und 2402 beantragt hat, brauchte der Senat dem ebenfalls nicht nachzukommen. Der Antrag genügt bereits inhaltlich den an einen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen nicht. In der Sache handelt es sich um einen Beweisausforschungs- bzw. -ermittlungsantrag, der auch in dem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig ist. Zwar muss das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen. Jedoch ist das Gericht nicht verpflichtet unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen. Unsubstantiiert sind nicht nur Beweisanträge, die das Beweisthema nicht hinreichend konkretisieren, sondern auch Beweisanträge, die dazu dienen, unsubstantiierte Behauptungen zu stützen, etwa solche, die ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen bestimmter Tatsachen aufgestellt worden sind. Beweisanträge, die so unbestimmt bzw. unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw. die allein den Zweck haben, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen, brauchen dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahezulegen (so BSG vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 33/11 R; BSG vom 19. September 1979 - 11 RA 84/78; BSG vom 19. November 2009 B 13 R 303/09 B).
Es ist nicht erkennbar, welche weiteren neuen Tatsachen das vom Kläger beantragte Sachverständigengutachten feststellen soll. Weder hat der Kläger ein Fachgebiet genannt, auf dem das die arbeitstechnischen Voraussetzungen betreffende Gutachten erstattet werden soll noch hat er ein konkretes Beweisthema bezeichnet. Soweit er ausführt, dass entgegen den Feststellungen u. a. des Gerichtssachverständigen die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen, was das einzuholende Gutachten beweisen soll, reicht dies nicht. Bei den „arbeitstechnischen Voraussetzungen“ handelt es nicht um klar umrissene Tatsachen.
Letztlich und im Kern wendet sich der Kläger gegen die von der Beklagten und den Sachverständigen, die das Sozialgericht und der Senat von Amts wegen beauftragt haben, getroffenen Feststellungen und Bewertungen. Inhaltlich verfolgt er mit seinem Beweisantrag das Ziel, eine Art „Obergutachten“ einzuholen. Ein weiteres Gutachten ist indes nicht erforderlich. Denn die vorliegenden Gutachten und sachverständigen Stellungnahmen haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr erforderlich.
Die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme nach § 109 SGG bei Prof. Dr. R. - wie von dem Kläger mehrfach beantragt - kam ohnehin nicht in Betracht, da diese Sachverständige nicht zu dem von der Norm erfassten Personenkreis gehört, s.o.
Nach allem liegen die Voraussetzungen für die Feststellung der begehrten Berufskrankheiten nicht vor, so dass die Berufung gegen das den Klageanspruch abweisende Urteil insgesamt zurückzuweisen war.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.