S 18 KR 633/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 633/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 477/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Silikon-Teilhandprothese.

Der 1987 geborenen Klägerin fehlen seit Geburt aufgrund eines Schnürsyndroms an der linken Hand das Grundstück des Daumens, die letzten zwei Glieder des Zeige- und Ringfingers sowie der vollständige Mittelfinger. Aufgrund dessen ist bei ihr ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Die Klägerin ist Rechtshänderin. Sie ist als angestellte Arzthelferin tätig.

Mit ärztlicher Verordnung vom 19. Februar 2013 verordnete Dr. D. (zugleich ihr Arbeitgeber) eine individuelle Finger-Handprothese links aus Silikon nach Abdruck. Der Hersteller E. erstellte für das Sanitätshaus F. GmbH einen Kostenvoranschlag über insgesamt 11.904,82 €. Das Sanitätshaus erstellte daraufhin einen Kostenvoranschlag i.H.v. 17.609,13 € nach Abzug eines Eigenanteils eine Zuzahlung i.H.v. 10,  €.

Diese Unterlagen gingen bei der Beklagten am 5. April 2013 ein, welche dies als Antrag auf Kostenübernahme wertete.

Der hinzugezogene Medizinische Dienst der Krankenversicherung Hessen (MDK) führte in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 30. April 2013 aus, dass anhand der Unterlagen die Notwendigkeit der Versorgung sozialmedizinisch oder fachorthopädisch nicht als sachgerecht begründet nachvollzogen werden könne. Angaben zum bisherigen Krankheits- und Therapieverlauf würden fehlen. Es sei davon auszugehen, dass die Versicherte seit ihrer Geburt an diese Fehlbildung gut adaptiert sei. Das primäre Ziel der Versorgung sei die möglichst naturgetreue und ästhetische Nachbildung im Bereich der linken Hand. Durch das Hilfsmittel würde keine verloren gegangene oder eingeschränkte Funktion ausgeglichen oder kompensiert. Ein sicheres Greifen, Zupacken oder Festhalten von Gegenständen oder eine verbesserte Feinmotorik sei nicht möglich. Der optische, kosmetische Ausgleich stehe im Vordergrund.

Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 7. Mai 2013 ab.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und legte Stellungnahmen des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, das Sanitätshaus G. und ihres Hausarztes vor. Der Hausarzt führte aus, dass die Lebensqualität gesteigert werden würde. Die Greifmöglichkeiten der betroffenen Hand würden erweitert werden. Der Stumpf würde geschützt. Das Sanitätshaus führte wörtlich die durch den Hausarzt dargestellten Vorteile aus. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie H. gab an, dass aufgrund der Behinderung der linken Hand eine erhebliche psychische Belastung in Form einer rezidivierenden Depression bestehe. Die Prothese stelle keine rein kosmetische Behandlung der. Die Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main (Dr. J.) gab in einem Arztbrief an den Hausarzt an, dass die Epithese zur Besserung der Greiffunktion notwendig sei.

Auf dieser Grundlage nahm der MDK Hessen erneut am 24. Juli 2013 Stellung. Das primäre Ziel der Versorgung sei die möglichst naturgetreue und ästhetische Nachbildung von Teilen der linken Hand. Eine Funktionsverbesserung sei damit nicht verbunden, da die notwendige Sensibilität der Epithese nicht gegeben sei. Die Prothese führe nicht zu einem selbständigen Greifen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2013 als unbegründet zurück. Durch die Prothese werde kein Behinderungsausgleich erzielt. Der optische, kosmetische Ausgleich stehe im Vordergrund. Hinsichtlich psychiatrischer Leiden werde eine psychiatrische Gesprächstherapie empfohlen.

Hiergegen hat die Klägerin am 11. Dezember 2013 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 7. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2013 zu verurteilen, antragsgemäß die Kosten für eine Finger-Handprothese zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid. 

Das Gericht hat Beweis erhoben und Prof. Dr. I. zum Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige hat in seinem orthopädischen-unfallchirurgischen Sachverständigengutachten vom 28. Juni 2015 (Bl. 90 ff. GA) die Diagnosen eines Teilhand-Verlusts aufgrund einer angeborenen Dysmelie und Syndaktylie gestellt. Die normale Greiffunktion mit der linken Hand sei unmöglich aufgrund der verkürzten und fehlenden Finger. Dies bedinge eine erhebliche Behinderung. In der Spezialliteratur würden die Behandlungsmöglichkeiten zur Wiederherstellung der Basishand als eher eingeschränkt beurteilt. Daher sei der Einsatz der Handfunktion nur mit einer Teilhandprothese möglich. Es komme zu einer Verbesserung des Wiederhaltens beim Greifen. Gegenstände ohne allzu großes Gewicht könnten durch die Elastizität des Silikons gehalten werden. Die angestrebte Verbesserung für die Arbeiten am Computertastaturen, mit der Maus und berührungsempfindlichen Bildschirm werde durch die Teilhandprothesenversorgung erheblich verbessert. Auch beim Autofahren könne mit der linken Hand das Lenkrad gehalten werden. Alternative und kostengünstige Hilfsmittel fänden sich in der Spezialliteratur nicht.

Das Gericht hat sodann Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Dr. K. (Universitätsklinikums Frankfurt) hat ausgeführt, dass die Behandlung zuletzt im Februar 2013 wegen Nagelresten an den Fingern stattgefunden habe. Dr. D. hat ausgeführt, dass die Silikon-Prothese äußerst ästhetisch seien. Die Klägerin arbeite als medizinische Fachangestellte, weswegen es von großem Vorteil sei, wenn die Prothese nicht nur gut funktioniere, sondern auch gut aussehen. Auch sei die Hygiene der Prothese einfach zu handhaben. Ob eine Finger-Hand-Prothese gegenüber einer Epithese wesentliche Gebrauchsvorteile habe, könne er nicht beurteilen.

Die Beteiligten haben jeweils mit Schriftsätzen vom 18. Oktober 2019 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
 

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 7. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2013, den die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG angreift.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Versorgung mit der begehrten Silikon-Teilhandprothese (linke Hand). Der Bescheid vom 7. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Ein Anspruch auf Versorgung ergibt sich weder als Leistung zur medizinischen Rehabilitation aus § 33 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) bzw. §§ 42 Abs. 2 Nr. 6, 47 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX), noch aus §§ 9 ff. Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI) oder §§ 112 ff. Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 49 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben. Bei der Versorgung mit einer Prothese handelt es sich um eine Leistung zur Teilhabe, für die die Beklagte im Außenverhältnis gegenüber der Klägerin als erstangegangener Träger mangels Weiterleitung des Antrags nach § 14 Abs. 1, Abs. 2 SGB IX vollumfänglich, d.h. auch unter Heranziehung der Anspruchsmöglichkeiten außerhalb des SGB V (§ 7 SGB IX), hinsichtlich des Antrags vom 5. April 2013 ausschließlich zuständig ist.

Nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Die Hilfsmittel müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Abs. 2 SGB V festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Abs. 1 SGBB V gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. Bei der Prüfung des Maßes des Notwendigen ist einschränkend der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach § 12 SGB V zu beachten. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. §§ 42 Abs. 2 Nr. 6, 47 Abs. 1 u. 3 SGB IX sind diesbezüglich mit § 33 SGB V inhaltsgleich. Der zuständige Rehabilitationsträger ist nicht verpflichtet, teure Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleichs funktionell ebenfalls geeignet ist. Keine Leistungspflicht besteht für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Sofern im Übrigen für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt wurde, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit der Zahlung des Festbetrages (§ 12 Abs. 2 SGB V). § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V verpflichtet nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen (LSG Hessen Urt. v. 24.7.2014 – L 8 KR 352/11). Begrenzt wird die Leistungspflicht zudem, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht. Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag ist dagegen eine kostenaufwändige Versorgung dann, wenn diese einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet (vgl. BSG Urt. v. 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R).

Die begehrte Teilhandprothese ist als Körperersatzstück vom Regelungsbereich des § 33 Abs. 1 SGB V und § 47 Abs. 1 SGB IX erfasst, da sie die bei der Klägerin fehlenden Finger ganz oder teilweise ersetzt. Unerheblich ist, ob diese als "Prothese" oder als "Epithese" bezeichnet wird, denn diese Begriffe sind nicht eindeutig voneinander abgrenzbar (vgl. BSG Urt. v. 30.9.2015 – B 3 KR 14/14 R m.w.N.).

Das Hilfsmittel dient zunächst nicht der Krankenbehandlung. Es wird nicht spezifisch eingesetzt zur positiven kurativ-therapeutischen Einwirkung auf eine Krankheit, d.h. auf den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand als solchen, im Rahmen ärztlich verordneter Krankenbehandlung bzw. als Teil eines verordneten Therapiekonzepts. Die Versorgung mit der Teilhandprothese zielt im Schwerpunkt nicht auf eine Krankheit der Klägerin, sondern auf eine Behinderung der Klägerin (BSG Urt. v. 7.5.2020 – B 3 KR 7/19 R).

Das Hilfsmittel dient jedoch auch weder der Verhinderung noch dem Ausgleich einer Behinderung. Ein Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation zielt nicht primär auf das Erkennen, Heilen, Verhüten einer Verschlimmerung oder Lindern von Beschwerden einer "Krankheit" (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V), sondern in erster Linie darauf, eine "Behinderung" oder "Pflegebedürftigkeit" abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (vgl. § 11 Abs. 2 S. 1 SGB V; § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).

Die Klägerin ist zur Überzeugung des Gerichts ein Mensch mit Behinderung i.S.d. § 2 Abs. 1 SGB IX. Menschen mit Behinderungen sind danach Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Dies ist vorliegend offensichtlich gegeben, da der Klägerin mehrere Fingerglieder bzw. der vollständige Mittelfinger der linken Hand von Geburt an fehlen. Dies zeigt sich zudem in dem anerkannten Grad der Behinderung von 50, die Klägerin ist schwerbehindert i.S.d. § 2 Abs. 2 SGB IX.

Ein Hilfsmittel ist erforderlich, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, wenn ein konkretes Behinderungsrisiko besteht, und es im Schwerpunkt um die Vermeidung von krankheitsbedingten Funktionsabweichungen geht, die in sachlicher und zeitlicher Hinsicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Teilhabebeeinträchtigung führen können. Bei bereits bestehenden krankheitsbedingten Funktionsabweichungen dient das Vorbeugen einer Behinderung der Vermeidung des Eintritts von (weiteren) zu erwartenden Teilhabebeeinträchtigungen. Mit dem Einsatz des Hilfsmittels muss im Schwerpunkt die Verschlimmerung der vorhandenen Behinderung verhütet oder der Hinzutritt einer wertungsmäßig neuen Behinderung abgewendet wird. Dies erfordert, dass in sachlicher und zeitlicher Hinsicht die dauerhafte Verschlimmerung der bestehenden Behinderung oder der Hinzutritt einer wertungsmäßig neuen Behinderung konkret drohen, denen vorzubeugen den Schwerpunkt des Hilfsmitteleinsatzes bildet. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die präventive Abwendung einer drohenden weitergehenden Behinderung weder Krankenbehandlung noch Behinderungsausgleich (vgl. BSG Urt. v. 7.5.2020 – B 3 KR 7/19 R m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen dient das Hilfsmittel nicht der Verhinderung weiterer Behinderungen. Es droht nicht der Hinzutritt einer weiteren, nicht bereits durch das Fehlen der Fingerglieder vorliegenden Behinderung. Die Prothese soll die fehlenden Fingerglieder ersetzen.

Das Hilfsmittel dient jedoch auch nicht zum Ausgleich dieser bestehenden Behinderung. Ein Hilfsmittel dient als Leistung zur medizinischen Rehabilitation dem "Ausgleich einer Behinderung", wenn es seinem Zweck entsprechend die Auswirkungen der Behinderung beseitigt oder mindert und damit der Befriedigung eines Grundbedürfnisses dient. Leistungen zum Zweck des Behinderungsausgleichs sind nicht unbegrenzt von der GKV zu erbringen. Vielmehr ist deren Aufgabenbereich im Rahmen der medizinischen Rehabilitation von den Aufgabenbereichen anderer Rehabilitationsträger und der Eigenverantwortung der Versicherten abzugrenzen. Die GKV hat nicht jegliche Folgen von Behinderung in allen Lebensbereichen durch Hilfsmittel auszugleichen. Im Bereich des von ihr zu erfüllenden Behinderungsausgleichs bemisst sich die originäre Leistungszuständigkeit der GKV nach dem Zweck des Hilfsmittels, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens und einem möglichst selbstbestimmten und selbstständigen Leben dient. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen zählen u.a. das Gehen und Stehen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Für den Versorgungsumfang, insbesondere Qualität, Quantität und Diversität, kommt es entscheidend auf den Umfang der mit dem begehrten Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile im Hinblick auf das zu befriedigende Grundbedürfnis an. Es besteht Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung (vgl. BSG Urt. v. 15.3.2018 - B 3 KR 4/16 R; Urt. v. 15.3.2018   B 3 KR 12/17 R). Im Ergebnis kommt es daher auf den Umfang der mit dem Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile an, ohne dass hierfür maßgeblich die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Behinderungsausgleich heranzuziehen wäre (vgl. BSG Urt. v. 7.5.2020 – B 3 KR 7/19 R m.w.N.).

Das Hilfsmittel bedingt jedoch auch keinen Ausgleich der Auswirkungen der Behinderung, da die Silikon-Teilhandprothese keine beeinträchtigte Körperfunktion erhält, wiederherstellt oder verbessert. Die Teilhabebeeinträchtigung wird nicht durch das begehrte Hilfsmittel in einer dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechenden Weise ausgeglichen. Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass bei der Klägerin durch das Fehlen der Fingerglieder, bzw. des vollständigen Mittelfingers, eine erhebliche Behinderung im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der linken Hand vorliegt. Durch das Fehlen der Finger wird die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft gehindert. Die begehrte Silikon-Teilhandprothese bedingt jedoch keinen Gewinn bisher nicht möglicher Funktionen und fördert damit nicht die Teilhabe.

Das Gericht bezieht sich hierbei auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. I. unter Heranziehung der Ausführungen des MDK Hessen, sowie die öffentlich online zur Prothese zur Verfügung gestellten Informationen des Herstellers L. (https://www.xxxxxxx/prothesen/armprothesen/handprothesen/finger-und-teilhandprothesen-aus-silikon/).

Der Sachverständige hat nach einer umfassenden Untersuchung und Begutachten nachvollziehbar dargelegt, dass die begehrte Silikon-Teilhandprothese ausschließlich die fehlenden Handteile als solche ersetzt, ohne dass sich hierdurch mangels Gelenken ein weiterer Funktionsgewinn ergibt. Dies wird durch die Angaben von L. auf der Website bestätigt: Es handelt sich um eine naturgetreue Nachbildung der fehlenden Hand. Der Klägerin ist es jedoch durch diese Prothese zur Überzeugung des Gerichts weder möglich, einen Drei-Punkt-Griff (z.B. zum Halten eines Stiftes), einen Schlüsselgriff (zum Aufschließen mittels eines Schlüssels), den Kugelgriff, den Klammergriff/Affengriff (Schließen der Zeige- bis kleinen Finger zum Handballen ohne Beteiligung des Daumens), Faustgriff oder Fingerkuppengriff ausüben. Die Prothese ist vollständig unbeweglich. Soweit der Sachverständige gegenteiliges ausführt, ist dies bereits nicht nachvollziehbar. Das Silikon der Prothese wird bei dem begehrten Hilfsmittel einmalig in eine (der intakten Hand spiegelbildlich entsprechende) Form gebracht, in welcher eine Veränderung nicht mehr möglich ist. Die Prothese besitzt gerade keine (feststellbaren) Gelenke, sondern ist teilweise in Vollsilikon, teilweise hohl (s. Herstellerangaben).

Auch wird durch die Prothese die Trage- und Greiffunktion der linken Hand nicht verbessert. Soweit der Sachverständige hierbei die Einklemmmöglichkeiten von leichten Gegenständen heranzieht, bedingt dies keinen Vorteil. Möglich ist zunächst nur das Einklemmen zwischen Daumen und Zeigerfinger (der Prothese) unter Ausnutzung der Elastizität des verwendeten Silikons. Hierbei handelt es sich jedoch um einen auf einen äußerst kleinen Anwendungsbereich möglichen Vorteil. Alltägliche Gebrauchsgegenstände, wie Besteck, Stifte, Zahnbürsten, Schlüssel oder auch ein Mobiltelefon stellen bereits keine Gegenstände dar, die auf diese Art und Weise eingeklemmt werden können, da der Zwischenraum zwischen Daumen und Zeigefinger hierfür zu groß ist. Die im Hinblick auf den Zwischenraum in Betracht kommenden größeren Gegenstände, wie volle Gläser oder Tassen, Bücher, sind sodann jedoch weit überwiegend zu schwer, als das die elastische Prothese diese halten könne. So hat auch der Sachverständige bereits keinen Gegenstand, der in Betracht kommt, genannt, sondern es bei einer allgemein gehaltenen Angabe belassen. Auch ist es durch die Prothese nicht möglich, die Gegenstände derart einzuklemmen, dass ein Verrutschen verhindert wird, was insbesondere gegen den Gebrauchsvorteil spricht, dass ein Lenkrad gehalten werden könne. Diese Gebrauchsmöglichkeit stellt sich eher als Möglichkeit dar, die Hand an einem Lenkrad „einzuhaken“. Mangels Eigenstabilität der Prothese ist es der Klägerin mit dieser jedoch aufgrund der Silikonelastizität nicht möglich, eine ungewollte Bewegung des Lenkrads zu verhindern. Vielmehr besteht diesbezüglich die Gefahr, dass die Prothese den Halt am Stumpf verlieren könnte, da diese nicht mit Verschlüssen, sondern durch ein Vakuum am Stumpf festgehalten wird (vgl. Herstellerangaben auf der Website). Darüber hinaus bedingen die durch den Sachverständigen genannten Einklemmmöglichkeiten eine stete (kurzzeitige) Überdehnung des Silikons an der Nachbildung des Daumens und des Zeigefingers, wofür die Prothese ausweislich der Angaben des Herstellers nicht vorgesehen ist. Es handelt sich bei diesem Prothesenangebot ausschließlich um ein Ersatzstück fehlender Körperteile ohne weiteren Funktionsgewinn.

Auch die Verbesserung an Tastaturen, Maus oder berührungsempfindlichen Bildschirmen ist nicht nachvollziehbar. Die Klägerin kann die Finger der Prothese gerade nicht individuell bewegen, sodass ein Tippen mit allen Fingern der linken Hand nicht in Betracht kommt. Vielmehr wird sich die Klägerin auch, wie bisher mit dem vorhandenen kleinen Finger, mit der Prothese auf das Tippen mit nur einem Finger der linken Hand beschränken müssen. Ebenso verhält es sich mit der Bedienung der Maus und Bildschirmen, wobei hierbei zudem zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin Rechtshänderin ist.

Soweit der Hausarzt der Klägerin Dr. D. ausführt, dass die Prothese zudem den Stumpf, mithin den vorhandenen Handteller der Klägerin schützen würde, ist sie im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht von der Versorgung als Teilhabeleistung erfasst. Denn zum Schutz eines Stumpfes stehen günstigere Möglichkeiten zur Verfügung, insbesondere muss hierfür keine Rekonstruktion der fehlenden Handteile in hautechter Kolorierung mit der Möglichkeit der Lackierung der Fingernägel angefertigt werden. Ausreichend ist hierfür eine Schutzkappe (vgl. BSG Urt. v. 30.9.2015 – B 3 KR 14/14 R).

Die Klägerin wird in ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auch nicht durch eine erhebliche oder außergewöhnliche äußerliche Auffälligkeit beeinträchtigt. Eine solche teilhaberechtlich relevante äußerliche Auffälligkeit liegt erst dann vor, wenn der Betroffene aufgrund seines Erscheinungsbildes zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird, er sich nicht mehr frei und unbefangen unter Mitmenschen bewegen kann und daher sein Rückzug aus dem Leben in der Gesellschaft droht (vgl BSG Urt. v. 22.4.2015 - B 3 KR 3/14 R). Eine solche Rückzugstendenz ist bei der Klägerin nicht erkennbar. Vielmehr zeigt ihre Berufstätigkeit in einem mit erhöhtem Publikumsverkehr verbundenen Beruf (Arzthelferin), dass die Klägerin am Leben in der Gesellschaft in einem überdurchschnittlichen Maß teilnimmt. 

Ebenso sind Ansprüche auf die begehrte Hilfsmittelversorgung als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 9 ff. SGB VI sowie §§ 112 ff. SGB III i.V.m. § 49 Abs. 1, 8 Nr. 4 SGB IX nicht gegeben. Denn eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin in ihrem Beruf als Arzthelferin ist nicht ersichtlich. Von einer Beiladung der für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach materiell-rechtlich zuständigen Leistungsträgern (Deutsche Rentenversicherung bzw. Bundesagentur für Arbeit) wurde daher im Hinblick auf den fehlenden Anspruch abgesehen. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Das zulässige Rechtsmittel der Berufung folgt aus §§ 143 ff. SGG.

Rechtskraft
Aus
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