S 1 U 109/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 109/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 95/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 3101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt.

Nach ärztlicher Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit nach Ziffer 3101 und 3102, erstellt von Frau Dr. C., Frauenärztin, Ärztin für Homöopathie und Traumatherapie, leitete die Beklagte ein Berufskrankheitenfeststellungsverfahren ein. Als Diagnosen wurden ärztlicherseits eine chronisch rezidivierende Tonsillitis, körperliche Erschöpfung, Wundheilungsstörungen und ein Immundefizit diagnostiziert, welche ursächlich auf die berufliche Tätigkeit als Veterinärmedizinerin zurückzuführen sein soll. 

Im Rahmen des Feststellungsverfahrens holte die Beklagte Stellungnahmen Ihrer zuständigen Technischen Aufsichtsdienste ein. Danach war die Klägerin während ihrer beruflichen Tätigkeit als Amtstierärztin im Schlachthof D-Stadt, E-Stadt und F-Stadt, im Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz G-Stadt sowie in der J. Landesanstalt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (J.LLV) einer Vielzahl von Zoonosen, Erregern und Krankheiten ausgesetzt. 

Zeitlich stellte sich dies wie folgt dar:

17.3.1989 bis 15.6.1990 und  
11.3.1991 bis 31.12.1992 Schlachthof D-Stadt
2.2.1993 bis 14.7.1999 Schlachthof E-Stadt
15.7.1999 bis 31.3.2000  Veterinäramt G-Stadt
1.1.2003 bis 31.12.2003 und  
15.6.2005 bis 15. 8. 2005 und  
15.11.2005 bis 30.12.2005 J.LLV H-Stadt

Von der Beklagten als auch von der Klägerin wurden medizinische Unterlagen eingeholt, die seit ca. 2003-2005 wiederholte Atemwegsinfekte, andauernde körperliche Schwäche und Regelblutungstörungen, Fieber und Husten, Sinusitis, Tonsillitis, Viruskonjunktivitis, Bronchopathie, Exantheme, Pharyngitis und Laryngitis belegen. Im Jahr 2006 wurden Gelenkschmerzen, Gelenksschwellungen, Parotitis, Gesichtsschwellungen, Allergien, Katzen- und Pferdeschnupfen sowie Schafräude diagnostiziert. Seit 2007 wurden bei der Klägerin wiederholt Perikardergüsse unterschiedlichen Ausmaßes sowie eine eingeschränkte Herzfunktion bei Veränderung der Herzklappen und geringer- bis mittelgradiger Aorteninsuffizienz festgestellt. Im Weiteren wurde seit 2008 mit Unterbrechungen Doxycyclin unter der Vorstellung einer Q-Fieber-Infektion verabreicht. 

Mit Bescheid vom 25.3.2014 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, dass keine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Siebtes Buch – (SGB VII) in Verbindung mit der Nr. 3101 der Anlage zur BKV vorliege. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht gegeben, da die Klägerin anhand der vorliegenden Tätigkeitsbeschreibungen sowie den im Rahmen des Feststellungsverfahrens eingeholten Expositionsanalysen der jeweils zuständigen Präventionsdienste, nicht zu dem unter der genannten Berufskrankheit gefährdeten Personenkreis gehöre. Eine derartige Gefährdung treffe hauptsächlich auf das Personal in stationären oder ambulanten medizinischen Einrichtungen der Human- und Zahnmedizin, in wohlfahrtspflegerischen Einrichtungen und Laboratorien für wissenschaftliche oder medizinische Untersuchungen und Versuche zu. Die in Laboratorien Tätigen müssten dabei entweder mit Kranken unmittelbar in Berührung kommen oder mit Stoffen umgehen, die kranken Menschen zur Untersuchung entnommen werden. Derartige Tätigkeiten seien von der Klägerin jedoch nicht verrichtet worden. Aus diesen Gründen würden keine Einwirkungen vorliegen, die zur Verursachung einer Berufskrankheit geeignet seien, und es seien auch keine Leistungen oder Maßnahmen erforderlich, die dem Entstehen einer Berufskrankheit entgegenwirken.

Mit Schreiben vom 10.4.2014 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.3.2014 ein. Zur Begründung verwies die Klägerin auf das Schreiben Ihres Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren bezüglich der Feststellung einer Berufskrankheit nach Nummer 3102. Danach sei gerade bei der beruflichen Tätigkeit der Klägerin im Sensoriklabor des J.LLV von einem erhöhten Ausmaß der Infektionsgefährdung mit Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten auszugehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.9.2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie führte darin im Wesentlichen aus, dass es sich bei den Tätigkeiten der Klägerin als Veterinärmedizinerin nicht um Tätigkeiten im Sinne der Berufskrankheit nach Nummer 3101 handele.

Hiergegen richtet sich die Klage, die die Klägerin am 20.10.2014 vor dem Sozialgericht Fulda erhoben hat.  

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie infolge ihrer beruflichen Tätigkeit als Veterinärmedizinerin trotz den vorliegenden Bezügen zur Tierhaltung/ -verarbeitung auch den von Mensch zu Mensch übertragbaren Krankheiten ausgesetzt gewesen sei. Die Exposition sei dabei auch einer Belastung von Personen gleichzustellen, die im Gesundheitsdienst, der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig sind. Durch ihr Betätigungsfeld sei sie in besonderem Maße gefährdet gewesen, sich auch mit von Mensch zu Mensch übertragbaren Krankheitserregern anzustecken. Dies werde durch die Vielzahl der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten bewiesen. Dieselbe Keimexposition und Infektionsgefährdung wie an den Schlachthöfen an jedem Untersuchungsamt, sei natürlich auch im J.LLV H-Stadt durch Anreicherung und Anzüchtung der Krankheitserreger aus den Proben der bakteriellen Fleischuntersuchung gegeben. Es sei darauf hinzuweisen, dass gerade im Aufgabenbereich der Sensorik von einem erhöhten Ausmaß der Infektionsgefährdung mit Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten auszugehen sei.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.3.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.9.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Voraussetzungen einer Berufserkrankung nach der Nr. 3101 der Anlage zur BKV anzuerkennen und Entschädigungsleistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
 die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass es sich bei den Tätigkeiten der Klägerin als Veterinärmedizinerin nicht um Tätigkeiten im Sinne der Berufskrankheit Nummer 3101 der Anlage 1 zur BKV handele.

Mit Schreiben vom 28.2.2017 sind die Beteiligten dazu angehört worden, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid in Beschlussbesetzung ohne ehrenamtliche Richter zu entscheiden. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 28.2.2017 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. 

Ermächtigungsgrundlage für die Bezeichnung von BKen ist § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII. Danach sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG v. 2.4.2009 - B 2 U 7/08 R = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 3 RdNr 14 ff.; Senatsurteil v. 19.10.2011 - L 2 U 1138/09): Die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG v. 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und BSG v. 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Der Verordnungsgeber hat unter Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV folgende BK bezeichnet: „Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.“

Unter dem Begriff „Gesundheitsdienst“ ist der Dienst zum Schutz, zur Erhaltung, Förderung oder Wiederherstellung der Gesundheit gefährdeter Menschen oder zur Pflege unheilbar Kranker oder Gebrechlicher zu verstehen (vgl. Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Schönberger/Mehrtens/Valentin, 9. Auflage, Seite 738). Unter „Wohlfahrtspflege“ ist die planmäßige, im Wohle der Allgemeinheit und nicht dem Erwerbs wegen ausgeübte vorbeugende oder abhelfende unmittelbare Betreuung von gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten Personen zu verstehen (vgl. Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Seite 739). Laboratorien sind solche für wissenschaftliche oder medizinische Untersuchung und Versuche. Dort Tätige müssen entweder mit Kranken unmittelbar in Berührung kommen oder mit Stoffen umgehen, die kranken Menschen zu Untersuchung entnommen wurden (vgl. Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Seite 739). „Oder eine andere Tätigkeit“ beinhaltet keinen Auffangtatbestand für jene Fälle, die nicht unter die genauer genannten Einrichtungen einzuordnen sind. Die Gefährdungstatbestände stehen insofern in einem von der sozialen Schutzwürdigkeit bestimmten Zusammenhang, als nur die dem Gesundheitsdienst u.a. typischen Infektionkrankheiten erfasst werden. Der Versicherte muss in ähnlichem Maße der Infektionsgefahr ausgesetzt sein, so dass die abstrakte Gefährdung in Art und Grad derjenigen in den bezeichneten Einrichtungen vergleichbar ist (vgl. Arbeitsunfall und Berufskrankheit Seite 739f.)

Anhand der vorliegenden Tätigkeitsbeschreibung sowie den im Rahmen des Feststellungsverfahrens eingeholten Expositionsanalysen der jeweils zuständigen Präventionsdienste gehört die Klägerin nicht zu dem unter der genannten Berufskrankheit gefährdeten Personenkreis.

Die Klägerin war als Amtstierärztin im Schlachthof D-Stadt, E-Stadt und F-Stadt, im Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz G-Stadt sowie in der J. Landesanstalt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (J.LLV) tätig und damit nicht im Bereich des Gesundheitsdienstes, der Wohlfahrtspflege oder einem Laboratorium.

Insbesondere die Tätigkeit beim J.LLV unterliegt nicht der Tätigkeit in einem Laboratorium. Dort war die Klägerin in der Abteilung 4 für Lebensmitteluntersuchung beschäftigt. Diese Abteilung ist zuständig unter anderem für die sensorische, chemische und mikrobiologische Untersuchung und Begutachtung von Lebensmitteln. Die Untersuchungen dienten dem Gesundheitsschutzes des Verbrauchers. Dabei wurden hauptsächlich Proben untersucht, die von den Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämtern im Rahmen der planmäßigen Stichprobenerhebung aus den Handelseinrichtungen eingesammelt werden sowie Proben, die nach Vorkommnissen oder aufgrund von Verbraucherbeschwerden eingeschickt werden. Konkret arbeitete die Klägerin im Dezernat Geflügelfleisch, Wildbret, Eier, Milcherzeugnisse. Diese Tätigkeit unterliegt nicht dem Begriff Laboratorien, da die dort Tätigen nicht mit Kranken unmittelbar in Berührung kommen oder mit Stoffen umgehen, die kranken Menschen zur Untersuchung entnommen wurden.

Auch die 4. Alternative „oder eine andere Tätigkeit“ kann hier nicht angenommen werden, da die Klägerin als Veterinärmedizinerin nicht der dem Gesundheitsdienst typischen Infektionsgefahr ausgesetzt war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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