1. Die Bescheide der Beklagten vom 18.09.2015 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 08.02.2016 werden aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 2. für die Klägerin 1. nicht als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wird.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu tragen.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status der Klägerin zu 2 als Vertretungsärztin.
Am 11. März 2015 ging ein Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status bei der Beklagten ein. In dem Antrag wird angegeben, dass die Klägerin zu 2 neben der hier zu beurteilenden Tätigkeit als angestellte Oberärztin im Krankenhaus tätig sei. Hierfür liege eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht vor (Bl. 3 VA). Die Klägerin zu 2 übernehme vorübergehende (Urlaubs-) Vertretung als Ärztin in der Praxis der Klägerin zu 1.
In der Anlage zum Antragsformular wird angegeben, dass keine Kontrolle und Vorgaben erfolgten, sondern ein eigenständiges Arbeiten der Klägerin zu 2. Keine regelmäßigen Arbeitszeiten. Telefonische Vereinbarung der Urlaubsvertretung und Termine. Die Tätigkeit werde in den Praxisräumen der Klägerin zu 1 ausgeführt. Es erfolge keine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Klägerin zu 1. Die Klägerin zu 2 trage ein unternehmerisches Risiko aufgrund der bestehenden eigenen Berufshaftpflichtversicherung und der Teilnahme an Fortbildungen. Sie stelle ihre eigene Arbeitskleidung. Das unternehmerische Risiko bestünde auch im Hinblick auf einen krankheitsbedingten Ausfall.
Mit Schreiben vom 16. März 2015 wandte sich die Beklagte an die Klägerinnen (Bl. 10, 11 VA).
Die Klägerin zu 1 teilte mit, dass eine Vertretung bei Abwesenheit eines Praxispartners wegen Urlaub oder Krankheit ausgeübt werde. Es lägen keine besonderen Beschränkungen vor, die Klägerin zu 2 handele nach denselben Kriterien wie die Praxispartner der Klägerin zu 1 gegenüber den Patienten der Praxis. Es würden von der Klägerin zu 2 keine eigenen Betriebsmittel verwendet; sie stelle lediglich ihre eigene Arbeitskleidung. Die Schutzkleidung für die Endoskopie werde von der Praxis gestellt. Es stünden alle Einrichtung der Praxis zur Verfügung. Die Klägerin zu 2 unterhalte eine eigene Haftpflichtversicherung. Sie sei angestellte Krankenhausärztin in Teilzeit, eine eigene Praxistätigkeit bestehen nach Kenntnis der Klägerin zu 1 nicht.
Vorgelegt wurden des Weiteren mehrere Rechnungen für den Zeitraum 19. Februar 2013 bis 31. Dezember 2014 (Bl. 35 VA).
Die Klägerin zu 2 führte aus, dass sie die Tätigkeit bereits aufgenommen habe. Es lägen keine besonderen Beschränkungen vor. Sie habe vollständige Handlungsfreiheit in der Diagnostik und Behandlung der Patienten. Sie stelle ihre eigene Arbeitskleidung. Die Arbeitsgeräte in den Praxisräumlichkeiten stünden zur Verfügung.
Sie habe eine eigene Berufshaftpflichtversicherung für Praxisvertretungen. Sie sei angestellte Oberärztin in Teilzeit (50 % seit Beendigung der Elternzeit).
Sie stehe der Gemeinschaftspraxis nicht als ständige Vertretung, sondern nur nach Anfrage zur Verfügung. Die Termine würden kurzfristig telefonisch oder via E-Mail abgesprochen. Über die Zusage zu Terminanfragen, welche mit ihrer Hauptbeschäftigung oder ihrer familiären Situation konkurrieren, entscheiden sie frei und eigenständig. Ihren Urlaub planen sie ohne Rücksprache/ Terminabsprache mit den Praxisinhabern.
Praxisbedingte Ausfälle ihrerseits würden nicht vergütet (Bl. 36, 37 VA).
Mit Schreiben vom 13. Juli 2015 hörte die Beklagte die Klägerinnen dahingehend an, dass beabsichtigt sei, für die Tätigkeit der Klägerin zu 2 als Vertretungsärztin bei der Klägerin zu 1 vom 25. Januar 2013 bis 5. Dezember 2014 einen Bescheid über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zu erlassen. Es sei beabsichtigt, die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung festzustellen. (Bl. 62, 64 VA).
Im Anhörungsverfahren wurde ausgeführt, dass die Klägerin zu 2 jeweils in Vertretungsfällen für die Klägerin zu 1 tätig geworden ist. Die jeweils vertretenen Partner seien in der Praxis wegen Urlaub, Erkrankung oder Fortbildung nicht anwesend gewesen. Im Verhältnis zu den Patienten sei die Behandlung durch die Klägerin als Vertretungsfall gekennzeichnet worden. Die Patienten hätten ihre Einwilligung erteilt, so dass auch insoweit die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung in der vertragsärztlichen Praxis nicht verletzt sei. Die von der Klägerin anlässlich der von ihr durchgeführten Untersuchung erhobenen Befunde seien in ihrem Namen unterschrieben und auch entsprechend gekennzeichnet worden.
Die Tage, an denen die Klägerin die Vertretungstätigkeit übernahm, seien vorab zwischen den Parteien vereinbart worden. Es läge keine „Arbeit auf Abruf“ noch eine sonstige Teilzeitbeschäftigung vor.
Die Klägerinnen berufen sich insoweit auch auf ein Urteil des BSG vom 15. Dezember 1959, Az. 2 Ru 141/56. Auch das bayerische Landessozialgericht habe die Vertretungstätigkeit eines Tierarztes als selbständige Tätigkeit anerkannt (L 2 U 424/09).
Die Klägerin zu 2 habe auch ihre Einkünfte aus der Vertretungstätigkeit dem ärztlichen Versorgungswerk gemeldet. Diese seien vom Versorgungswerk bei der Beitragsberechnung zugrunde gelegt worden, was ebenfalls beweise, dass auch aus Sicht des Versorgungswerks eine selbständige Tätigkeit vorliege. Zudem habe die Klägerin nicht 15 Stunden pro Woche als Vertreterin gearbeitet, sondern deutlich weniger. Dies ergebe sich aus den vorgelegten Abrechnungen. Unabhängig davon, habe es sich um eine kurzfristige Beschäftigung gehandelt, da die Klägerin im Jahre 2013 nicht regelmäßig tätig dort wurde und im Gesamtjahr die 50 Arbeitstage nicht erreicht habe. Es lag auch kein Rahmenvertrag oder Ähnliches vor, aufgrund dessen eine regelmäßige Tätigkeit - sei es auf Abruf oder nicht - vereinbart worden war (Bl. 77 ff VA).
Mit Bescheiden vom 28. September 2015 stellte die Beklagte gegenüber den Klägerinnen fest, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 2 als Vertragsärztin bei der Klägerin zu 1 vom 25. Januar 2013 bis 19. August 2013, am 22. Oktober 2013, vom 6. Januar 2014 bis 1. August 2014 und vom 28. November 2014 bis zum 5. Dezember 2014 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde und in diesem Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung seit 25. Januar 2013 bestand (Bl. 86, 89 VA).
Die Klägerinnen legten mit Schreiben vom 6. Oktober 2015 und 13. Oktober 2015 Widerspruch ein (Bl. 92, 93 VA).
In der Widerspruchsbegründung wird ausgeführt, dass die Einzelaufträge entsprechend der jeweiligen zeitlichen Inanspruchnahme von der Klägerin zu 1 vergütet wurden. Bei der Vertretung habe die Klägerin zu 2 die Funktion einer Ärztin wahrgenommen, weil der von ihr vertretene Arzt nicht anwesend war oder ein Vertretungsfall gemäß § 32 Ärzte-ZV vorlag. Die Klägerin sei nicht in einen fremden Betrieb eingegliedert gewesen, sondern sie übe ihre Tätigkeit als Vertreterin in gleicher Weise aus wie das von ihr vertretene Mitglied der Gemeinschaftspraxis. Die tatsächliche Wahrnehmung der ärztlichen Aufgaben orientierte sich an den Vorgaben der Berufsordnung bzw. die medizinischen Standards. Die Klägerin zu 2 erfüllte die beruflichen Anforderungen für die Ausübung eines Vertretungsfalls gemäß § 3 Abs. 2 Ärzte-ZV (Bl. 97 VA).
Die zeitliche und organisatorische Einbindung in die Praxis gehe nicht weiter als die Nutzung der Praxisorganisation durch den vertretenen Arzt. Die ärztliche Leistung wurde persönlich erbracht. Dies folge aus der Regelung des §§ 33 Ärzte-ZV der maßgeblichen Berufsordnung und dem Bundesmantelvertrag-Ärzte. Maßgeblich für die Tätigkeitsausübung sei die medizinische Expertise gewesen.
Sie habe keine Kosten für Raumnutzung oder Arbeitsmittel zu zahlen, weil sie als Vertreterin für den Vertragsarzt tätig wurde. Als Vertreterin habe sie nicht die Leistung mit der kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet, sondern der von ihr Vertretene (Bl. 96 ff VA).
Die Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 8. Februar 2016 zurückgewiesen. In der Begründung wird u.a. ausgeführt: Die Sozialversicherungsträger vertreten gemeinschaftlich die Auffassung, dass Ärzte in ihren eigentlichen ärztlichen Tätigkeiten keinen Weisungen unterliegen. Daher kommt es für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung entscheidend darauf an, inwieweit der Arzt in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Diese Eingliederung kann nach ständiger Besprechung des BSG insbesondere bei Diensten höherer Art- wie zweifelsfrei ärztlichen Tätigkeiten- zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess des Arbeitgebers verfeinert sein (vergleiche dazu BSG, Urteil vom 29. März 1962, Az. 3 RK 74/57, und vom 29. August 1963, Az. 3 RK 86/59). Die Klägerin zu 2 war zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung unterstützend in einer vertragsärztlichen Gemeinschaftspraxis tätig, die von einem Mitglied der Gemeinschaftspraxis aus persönlichen Gründen (Krankheit, Urlaub) lediglich vorübergehend nicht im vollem Umfang (weiter-) mitgeführt werden konnte. Entscheidungserheblich sei vorliegend, dass nicht die Klägerin zu 2, sondern die weiteren Mitglieder der Gemeinschaftspraxis weiterhin die Arbeitgeberfunktionen gegenüber den dort tätigen Arbeitnehmern wahrnahmen und im vollen Umfang das Unternehmerrisiko trugen.
Die Klägerin nutzte kostenlos die (fremde) Praxiseinrichtung, das zur Verfügung gestellte Material und arbeitete mit dem Praxispersonal (kostenlos) zusammen.
Sie setzte regelmäßig kein eigenes Kapital mit dem Risiko des Verlusts ein und trug insofern auch kein wesentliches unternehmerisches Risiko. Nach der Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen überwiegen die Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (Bl. 109, 111 VA).
Die Klägerin zu 1 hat am 22. Februar 2016 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Das Verfahren wurde unter dem Az. S 18 R 97/16 angelegt.
Die Klägerin zu 2 hat am 11. März 2016 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Das Verfahren wurde unter dem Az. 24 R 125/16 angelegt und mit Beschluss vom 7. April 2016 an das Sozialgericht Wiesbaden verwiesen. Nach einem Hinweis des SG Wiesbaden, wonach die Verweisung offensichtlich unrichtig erfolgte, wurde der Rechtsstreit zurück an das Sozialgericht Frankfurt am Main verwiesen (Bl. 56 S 25 R 349/16). Das Verfahren wurde durch Beschluss vom 7. Juli 2016 mit dem Verfahren S 18 R 97/16 verbunden. Nach einem weiteren Wechsel im Kammervorsitz zum 1. August 2020 trägt das Verfahren nun das Aktenzeichen S 20 R 97/16.
Mit Beschluss vom 3. August 2016 erfolgte die Beiladung der Agentur für Arbeit (Bl. 37 GA).
Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass die angegriffenen Bescheide rechtswidrig seien.
Die Klägerin zu 1 sei eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Ärzte der Klägerin zu 1 benötigten im Fall der urlaubsbedingten Abwesenheit, bei Krankheit oder bei Fortbildung eine Vertretung. Diese Vertretung werde durch die Klägerin zu 2 als Fachärztin geführt. Sie sei im Rahmen ihrer Vertretungstätigkeit nicht an Weisungen der Klägerin zu 1 gebunden. Sie sei in der Praxis nicht als Ärztin tätig, die funktionsgerecht dienend an den Arbeitsprozessen der Gemeinschaftspraxis teilnehme, sondern sie übe eine eigenverantwortliche ärztliche Vertretungstätigkeit aus. Die sei auch nicht vergleichbar mit der Tätigkeit eines Chefarztes in einem Krankenhaus, worauf die Beklagte im Wesentlichen abstelle.
Die Beklagte setzte sich zudem über die Bestimmung des SGB V im Hinblick auf die Zulassung von Leistungserbringern hinweg. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich vorgesehen, dass Ärztinnen und Ärzte in einer Gemeinschaftspraxis freiberuflichen selbständig tätig sein. Dann müsse es diesen Ärzten noch möglich sein, sich durch eine selbständige Ärztin vertreten zu lassen. Die die Vertretungstätigkeit werde dadurch nicht zu einer Angestelltentätigkeit, weil die Vertreterin von der Organisation der Praxis profitiere (Bl. 31 f GA).
Die Klägerinnen haben des Weiteren auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Februar 2017 verwiesen, wonach die schriftliche Befundung radiologischer Bilder durch eine Fachärztin für Radiologie in einer radiologischen Praxis im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit erfolge, wenn die als Urlaubsvertretung tätig gewordener Fachärztin frei entscheiden könne, an welchen Tagen sie eine Urlaubsvertretung wahrnehme, sie nach Anzahl der geleisteten Stunden honoriert werde, aber nicht in das Zeiterfassungssystem der Praxis und auch sonst nicht in die Praxisorganisation eingebunden sei (Bl. 47 GA).
Die Kläger beantragen,
die Bescheide der Beklagten vom 28. September 2015 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 8. Februar 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 2. als Vertreterin der Gemeinschaftspraxis nicht der Sozialversicherungspflicht aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses unterliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig. Zudem verweist die Beklagte auf eine Entscheidung des LSG Hessen vom 13. September 2018, Az.: L 1 KR 481/17. In der Entscheidung sei eine abhängige Beschäftigung einer HNO-Ärztin in einer Praxis bejaht worden.
In der mündlichen Verhandlung wurde ein Vertreter der Klägerin zu 1 und die Klägerin zu 2 befragt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und der Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 2. November 2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Bescheide vom 28. September 2015 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 8. Februar 2016 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten. Denn entgegen der Ansicht der Beklagten war die Klägerin zu 2 nicht vom 25. Januar 2013 bis 5. Dezember 2014 versicherungspflichtig bei der Klägerin zu 1 beschäftigt.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist als Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit insbesondere in einem Arbeitsverhältnis anzusehen. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (stRspr; vgl. zum Ganzen z.B. BSG Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR 14/16 R - BSGE 124, 37 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 31, RdNr 17 <Kreishandwerksmeister> und BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 R 7/15 R - BSGE 123, 50 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 30, RdNr 21 <Erziehungsbeistand>; BSG Urteil vom 30.4.2013 - B 12 KR 19/11 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 21 RdNr 13 mwN; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG <Kammer> Beschluss vom 20.5.1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG Urteil vom 23.5.2017 - B 12 KR 9/16 R - BSGE 123, 180 = SozR 4-2400 § 26 Nr. 4, RdNr 24 <Taxifahrer>; BSG, Urteil vom 4.6.2019 – B 12 R 12/18 R –, Rn. 17, juris).
Für die Bestimmung, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist auf das Gesamtbild der die tatsächlichen Verhältnisse prägenden Umstände abzustellen. (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.03.2013, Az. L 2 R 372/12).
Nach Ansicht der Kammer überwiegen bei der von der Klägerin zu 2 für die Kläger zu 1 ausgeübten Tätigkeit die Merkmale einer selbständigen Tätigkeit.
Ein schriftlicher Vertrag lag der Tätigkeit nicht zugrunde. Daher ist die Bewertung anhand der gelebten rechtlichen Beziehung zu beurteilen.
Für eine abhängige Beschäftigung sprechen folgende Umstände: Die Klägerin zu 2 konnte zur Ausübung ihrer Tätigkeit kostenlos die Räumlichkeiten und Geräte der Praxis nutzen und auf das Personal der Klägerin zu 1 zu greifen.
Die benötigten Untersuchungsgeräte und Räumlichkeiten wurden der Klägerin zu 2 von Seiten der Klägerin zu 1 zur Behandlung kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Des Weiteren hat sie nicht selbst gegenüber den behandelten Patienten abgerechnet, denn die Abrechnung erfolgte weiterhin durch den Vertretenen.
Für die abhängige Beschäftigung kann auch eine gewisse Form der Eingliederung der Klägerin zu 2 in die Organisation der Klägerin zu 1 angeführt werden. Die Eingliederung bestand in zweierlei Form. Zum einen entschied nicht die Klägerin zu 2, welche Patienten sie befundete. Die zu Untersuchenden wurden durch die Klägerin zu 1 bestimmt. In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen übereinstimmend mitgeteilt, dass die Aufgabe der Klägerin zu 2 darin bestand, eine von der Klägerin zu 1 bestimmte Gruppe von Patienten durch Magen- oder Darmspiegelungen zu befunden.
Zum anderen bestand eine gewisse Form der Eingliederung in die Arbeitsorganisation, weil die Klägerin zu 2 zur Ausübung ihrer vertraglich geschuldeten Leistung auf die Assistenz des medizinischen Personals der Klägerin zu 1 angewiesen war. In der mündlichen Verhandlung haben beide Klägerinnen dargelegt, dass die Klägerin zu 2 die Untersuchungen wie Magen- und Darmspiegelung nicht alleine, sondern zwingend unter Hilfestellung medizinischen Personals der Klägerin zu 1 durchführte. Während der Untersuchung, bei der der Klägerin zu 2 eine medizinische Hilfskraft der Klägerin zu 1 attestierte und eine weitere die Vitalfunktionen der Patienten überwachte, bestand eine Weisungsbefugnis der Klägerin zu 2 gegenüber dem ihr attestierenden medizinischen Personals der Klägerin zu 1. Diese Weisungsbefugnis ist Folge der ärztlichen Tätigkeit. Denn ohne eine Befolgung der medizinischen Anordnungen wäre eine Behandlung der Patienten nicht vorstellbar. Dass das medizinische Personal Anweisungen des Arztes folgt, zeichnet einer auf Arbeitsteilung basierende medizinische Tätigkeit geradezu aus. Aus diesem Umstand kann aber nicht der Rückschluss gezogen werden, dass die Klägerin zu 2 eine abhängige Beschäftigung ausgeübt hat.
Nach Ansicht der Kammer überwiegen die Indizien, die für eine selbständige Tätigkeit der Klägerin zu 2 sprechen.
Die Klägerin zu 2 trägt ein wirtschaftliches Risiko dahingehend, dass sie über eine eigene Berufshaftpflichtversicherung verfügt, welche die Risiken ihre Tätigkeit hinreichend und angemessen absichert.
Nach der Befragung der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin keinerlei Weisungen hinsichtlich ihrer Berufsausübung bei den Untersuchungen unterlag. Sie unterlag hinsichtlich der Diagnostik der Patienten lediglich den facharztspezifischen Standards.
Auch die Entlohnung der Beigeladenen zu 1 spricht für eine selbständige Tätigkeit. Die Entlohnung erfolgte nach einem zuvor zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1 ausgehandelten Stundenlohn und ermöglicht der Beigeladenen die selbstständige Absicherung sozialer Risiken auf eigene Rechnung. Darüber hinaus stand es ihr frei für weitere Auftraggeber tätig zu werden.
Zudem war zwischen den Vertragsparteien vereinbart, dass die Klägerin zu 2 nur geleistete Tätigkeiten gegenüber der Klägerin abrechnen konnte. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass ihr im Fall von Krankheit oder Unfall kein Lohnfortzahlungsanspruch gegen die Klägerin zu 1 zugestanden hat. Ebenso bestand kein Anspruch auf bezahlten Urlaub.
Des Weiteren hat die Kammer als Indiz für eine selbständige Tätigkeit berücksichtigt, dass die Klägerin zu 2 in ihrer Zeiteinteilung frei war. Sie unterlag weder keinem zeitlichen Direktionsrecht der Klägerin zu 1. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 2 auch nicht wirtschaftlich abhängig von der Klägerin zu 1 war. Denn sie war durchgehend als angestellte Oberärztin in Teilzeit beschäftigt und erwirtschafte in dieser Beschäftigung ihr Haupteinkommen.
Daher ist die Aussage der Klägerin zu 2 glaubhaft, dass sie die Tätigkeit für die Klägerin zu 1 nur dann ausgeübt habe, wenn diese nicht mit ihrer Krankenhaustätigkeit und ihrem Familienleben kollidierte.
Zudem teilt die Kammer das Argument der Klägerinnen, dass hier auch zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin zu 1 ausschließlich in einer Vertretungssituation tätig wurde, also nur dann, wenn einer der selbständigen niedergelassenen Ärzte der Klägerin abwesend war. Eine Auslegung von § 7 SGB IV, dass im Fall der Vertretung von niedergelassenen ambulanten Ärzten eine abhängige Beschäftigung bestünde, wenn die Vertretung in den Räumlichkeiten der Praxis ausgeübt wird, ist zu schematisch und stellt eben nicht auf das Gesamtbild die das tatsächliche Verhältnis prägenden Umstände ab.
Aus diesem Grund steht der Entscheidung auch nicht das Urteil des Hessischen LSG vom 13. September 2018 entgegen, da sich der dort zugrundeliegende Sachverhalt vom hiesigen zum einen dahingehend unterscheidet, dass die dort beurteilte Tätigkeit während der Anwesenheit des niedergelassenen Praxisarztes ausgeübt wurde und daher eine Vertretungssituation nicht erkennbar ist. Zum anderen kann der Entscheidung auch nicht entnommen werden, dass die betroffene Ärztin für weitere Auftraggeber tätig war.
Nach Ansicht der Kammer sprechen die überwiegenden Charakteristiken der von der Klägerin zu 2 für die Klägerin zu 1 ausgeübten Tätigkeit als Vertretungsärztin für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit, in der keine Sozialversicherungspflicht bestand.
Aus diesem Grund ist der angegriffene Bescheid der Beklagten aufzuheben.
Auf Antrag der Klägerinnen wurde die Sprungrevision nach § 161 Abs. 1 S. 1 SGG zugelassen, da vom BSG die hierzugrundeliegende Sachverhaltskonstellation der Vertretung eines niedergelassenen Arztes noch nicht entschieden worden ist und der Rechtsstreit daher grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu kommt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, obwohl die Klägerin zu 1 nicht zum Kostenprivilegierten Personenkreis nach § 183 SGG zählt. Legen mehrere Beteiligte Rechtsmittel ein, von denen einer zum kostenrechtlich begünstigten Personenkreis des § 183 SGG gehört und ein anderer nicht, so richtet sich die Kostenentscheidung in dem Rechtszug für alle Beteiligten einheitlich nach § 193 SGG (BSG, Beschluss vom 29. Mai 2006 – B 2 U 391/05 B –, SozR 4-1500 § 193 Nr. 3).