S 34 KR 590/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 34 KR 590/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 222/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 77/21 B
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung einer zahnärztlichen Behandlung i.H.v. 773,89 €.

Der Kläger reichte am 19. April 2016 einen Heil- und Kostenplan der Zahnärztin Dr. C. über eine bevorstehende zahnärztliche Behandlung bei der Beklagten ein. Nachdem die Beklagte den vom Kläger eingereichten Heil- und Kostenplan genehmigte, fragte der Kläger mit Schreiben vom 19. Mai 2016 und unter Beifügung eines Ausdrucks der Internetseite der Zahnartz-Praxis „D.“ in A-Stadt, auf dem unter anderem von einem Zahnarzt angegeben wird, nicht selber direkt mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu können und daher die Patienten mit einem bereits genehmigten Heil- und Kostenplan eines anderen Zahnarztes zum ihm kommen sollten, bei der Beklagten an, ob er den Festzuschuss der Beklagten nach der durchgeführten Behandlung erhalten würde. Mit Schreiben vom 20. Mai 2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie die vorgeschlagene Vorgehensweise ablehne.

Nach der durchgeführten Behandlung reichte der Kläger am 23. Juni 2016 bei der Beklagten eine Rechnung des Zahnarzt Dr. E. vom 6. Juni 2016 in Höhe von insgesamt 1.414 € ein, mit dem Antrag auf Kostenerstattung hinsichtlich des Festzuschusses i.H.v. 657,89 € zzgl. 114 € für sonstige zahnärztliche Leistungen.    Der Zahnarzt Dr. E. ist niedergelassener Zahnarzt in F-Stadt (Italien) und praktiziert teilweise in einer vorübergehenden innergemeinschaftlichen Betriebsstätte in A-Stadt.

Mit Schreiben vom 7. Juli 2016 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung der durchgeführten zahnärztlichen Behandlung ab, wogegen der Kläger fristgerecht Widerspruch einlegte. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, da der behandelnde Zahnarzt Dr. E. über keine Zulassung in Deutschland verfüge und auch keine Meldung bei der zuständigen Zahnärztekammer vorliege. Es handele sich somit um eine rechtswidrige Behandlung die keine Erstattungspflicht der Beklagten begründe.

Am 30. September 2016 hat der Kläger Klage erhoben.

Der Kläger behauptet, dass der behandelnde Zahnarzt Dr. E. am 19. April 2016 per E-Mail und Post der Landeszahnärztekammer Hessen eine Erneuerungsanzeige für das Jahr 2016 über seine gelegentliche und vorübergehende Berufsausübung in A-Stadt zugesandt habe. Der Kläger ist der Auffassung, dass sich die Erstattungspflicht der Beklagten aus Art. 6 b der Richtlinie 2005/36/EG ergebe.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 31. August 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2016 aufzuheben und dem Kläger einen Betrag in Höhe von 773,89 € zu erstatten und festzustellen, dass von der Beklagten bei der Rechnungserstattung keine Verwaltungskosten in Abzug gebracht werden dürfen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Richtlinie 2005/36/EG ausschließlich die Fälle betreffe, in denen eine Behandlung im Ausland bei einem dort zugelassenen Behandler durchgeführt wurde. Nicht dagegen den Fall, dass ein im Ausland zugelassener Behandler in Deutschland ohne Zulassung tätig werde. Dies sei schon deshalb so, weil ein solcher Fall einen Verstoß gegen die deutsche Regelung zur Zulassung einer ärztlichen Tätigkeit darstelle (Heilberufegesetz, Meldeordnung der Landeszahnärztekammer Hessen). Weiterhin führt die Beklagte aus, dass die angeführte Anzeige bei der Landeszahnärztekammer unzureichend und damit nicht wirksam sei, da sie keine oder nur unklaren Angaben über den Zeitraum des Praktizierens in Deutschland enthalte.

Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter sind zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung war, sowie das übrige Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte in Abwesenheit des Klägers einseitig mündlich verhandeln. Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter sind mit Ladung vom 4. Juni 2020, zugestellt am 8. Juni 2020, ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden. 

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die durchgeführte Zahnbehandlung bei dem Zahnarzt Dr. E. nach der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 13 Abs. 3 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V).

Gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V sind Kosten, die dem Versicherten durch selbstbeschaffte notwendige Leistungen entstanden sind, von der Krankenkasse zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. 

Unaufschiebbar ist eine Leistung nur dann, wenn es sich um einen Notfall im Sinne des § 76 SGB V und andere dringliche Bedarfslagen wie beispielsweise Versorgungslücken handelt (vgl. Krauskopf/Wagner, SGB V, § 13 Rn. 23). Ein Notfall liegt vor, wenn aus medizinischen Gründen eine umgehende Behandlung des Versicherten notwendig ist und ein Vertragsarzt nicht in der gebotenen Eile herbeigerufen oder aufgesucht werden kann (vgl. Krauskopf/Sproll, SGB V, § 76 Rn. 15-17). Es muss also ein Erkrankungsbild vorliegen, das etwa wegen massiver Schmerzen eine sofortige ärztliche Behandlung erforderlich macht, und dem Versicherten deshalb die Inanspruchnahme eines Vertragsarztes anstelle des Nichtvertragsarztes nicht zuzumuten ist (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. April 2010, Az. L 1 KR 95/08). Vorliegend ist weder ein derartiger Notfall noch eine andere dringliche Bedarfslage ersichtlich. Der Kläger hat auch keinen Fall einer dringend gebotenen (Eil-)Behandlungsbedürftigkeit vorgetragen.

Die Leistung wurde auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Der Kläger hatte weder einen Rechtsanspruch auf die durchgeführte Zahnbehandlung bei Dr. E., noch hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 20. Mai 2016, in dem sie die vom Kläger angefragte Vorgehensweise ablehnte, ermessensfehlerhaft gehandelt. Der Kläger hätte bereits als Versicherter keinen Anspruch auf eine Sachleistung bei Dr. E. gehabt.

Der Anspruch des Klägers scheitert daran, dass der Kläger einen Zahnarzt in Anspruch genommen hat, der im Zeitpunkt der Behandlung nicht zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ist ausgeschlossen, wenn der Versicherte von einem nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen oder ermächtigten Zahnarzt behandelt worden ist (so auch BSG, Urteil vom 10. Mai 1995, Az. 1 RK 1494). Dies ergibt sich unter anderem aus der Regelung des § 76 Abs. 1 SGB V, wonach die Versicherten unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen oder ermächtigten (Zahn-) Ärzten frei wählen können.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers, besteht sein Anspruch auf Kostenerstattung auch nicht auf Grund Art. 6 Abs. 1 b) der Richtlinie 2005/36/EG. Art. 6 Abs. 1 b) der Richtlinie 2005/36/EG bestimmt, dass der Aufnahmemitgliedstaat den Dienstleister, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, insbesondere von den folgenden Erfordernissen, die er an die in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Berufsangehörigen stellt befreit: Mitgliedschaft bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Bereich der sozialen Sicherheit zur Abrechnung mit einem Versicherer für Tätigkeiten zu Gunsten von Sozialversicherten. Vorliegend ist Dr. E. zwar in Italien zugelassener Zahnarzt, diese Zulassung kann jedoch die fehlende Zulassung in der Bundesrepublik nicht ersetzen. Die Richtlinie 2005/36/EG dient der gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen, nicht jedoch der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Krankenversicherungsrechts. Die Richtlinie soll Diskriminierungen aufgrund anderweitig erworbenen Berufsqualifikationen vermeiden. Vorliegend wird Dr. E. als ein in Italien zugelassener Zahnarzt, nicht anders behandelt als in Deutschland approbierte Zahnärzte, die zur vertragsärztlichen Versorgung nicht zugelassen sind. Es liegt daher kein Fall der Diskriminierung vor, da Dr. E. als Zahnarzt in Deutschland praktizieren kann, jedoch wie andere in Deutschland approbierte Zahnärzte gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen nur mit Zulassung abrechnen können. Eine andere Beurteilung würde zu einer unzulässigen Inländerdiskriminierung führen und dem Sinn und Zweck des Systems der sozialen Krankenversicherung widersprechen, da nicht zugelassene Ärzte nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V unterliegen. Das Erfordernis der Zulassung tangiert daher auch nicht die Dienstleistungsfreiheit des Dr. E.. Die Artikel 49 ff. des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) haben keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorgesehen. Die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Beschäftigten werden somit durch die Bestimmungen des EG-Vertrags nicht berührt (vgl. EUGH, Urteil vom 19. März 2002, C-393/99).

Die Kammer sah auch keine Veranlassung dem Gerichtshof der Europäischen Union die Auslegung der Richtlinie 2005/36 im Wege der Vorabentscheidung gemäß Art. 237 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Entscheidung vorzulegen. Wie bereits dargestellt, dient die Richtlinie 2005/36/EG der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen, nicht jedoch der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Krankenversicherungsrechts, so dass die Kammer keine Zweifel hinsichtlich dessen Auslegung oder Gültigkeit hat. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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