1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung von Berufskrankheiten nach Nr. 1317, hilfsweise den Nrn. 1302, 1303 oder 1306 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und Gewährung der gesetzlichen Entschädigungsleistungen.
Der 1971 geborene Kläger durchlief zunächst bei der C. AG eine Ausbildung zum Chemielaboranten im Zeitraum vom 01.09.1990 bis 08.09.1993, danach war er im Zeitraum vom 01.04.1994 bis 31.03.2011 als Chemielaborant im analytischen Laborbereich bei der Firma D. Deutschland GmbH beschäftigt und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Aufgrund einer Berufskrankheiten-Verdachtanzeige des Dr. E. vom 06.10.2010 eröffnete die Beklagte ein Verwaltungsverfahren. Sie zog in diesem zahlreiche Befundunterlagen und Akten des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales zu Feststellungen im Schwerbehindertenrecht bei. Danach beauftragte sie ihren Präventionsdienst mit der Erstellung mehrerer arbeitstechnischer Stellungnahmen zu den beruflichen Belastungen des Klägers mit chemischen Stoffen. Es handelte sich dabei insbesondere um die Stellungnahmen vom 10.02.2011 (Bl. 96 ff. der Verwaltungsakte), 04.04.2011 (Bl. 132 der Verwaltungsakte), 03.06.2011 (Bl. 154 ff. der Verwaltungsakte) und vom 17.11.2011 (Bl. 193 ff. der Verwaltungsakte). Dabei hat Dr. F., Präventionsdienst, teilweise telefonisch Mitarbeiter und Vorgesetzte der Fa. D. Deutschland GmbH befragt und teilweise seine Ermittlungen auf Betriebsbesuche und direkte Befragung von Bediensteten erstreckt. Wegen der Einzelheiten dieser Ermittlungen wird ausdrücklich auf die in der Verwaltungsakte dokumentierten Ermittlungsberichte Bezug genommen. Letztlich kam Dr. F. in seinem Ermittlungsbericht vom 17.11.2011 zu dem Ergebnis, dass der Kläger als Laborant bei der Fa. D. seines Erachtens keine gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK 1317 ausgeführt habe. Mit Bescheid vom 14.07.2011 lehnte die Beklagte deshalb die Anerkennung von Berufskrankheiten nach Nr. 1302, 1303, 1306 und 1317 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ab und bezog sich zur Begründung auf die Gefährdungsbeurteilung ihres Präventionsdienstes. Hiergegen legte der Kläger über seinen damaligen Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und bezog sich zur Begründung auf ein Gutachten des Diplombiologen und Fachtoxikologen Dr. G., G-Stadt (Gutachten vom 24.11.2011), das er der Beklagten vorlegte. Darin wird die toxikologische Belastung unterstellt und zum Zusammenhang der bei dem Kläger bestehenden Erkrankungen mit dieser Belastung ausführlich erörtert. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 13.02.2012 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Er ist der Ansicht, er sei bei seiner Tätigkeit für die D. GmbH in relevantem Maße Lösungsmitteln und anderen toxischen Stoffen ausgesetzt gewesen, die zu den zahlreichen bei ihm bestehenden Erkrankungen geführt hätten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2012 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung, hilfsweise nach Nr. 1302, 1303 oder 1306 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen;
hilfsweise beantragt er
1. Zeugenbeweis zu den tatsächlichen Gegebenheiten im Labor bei den Beschäftigungsbetrieben des Klägers zu erheben anhand der Zeugenliste, die schriftsätzlich vorgelegt worden ist,
2. repräsentative Messungen der Belastungen durch die Beklagte vorzunehmen und
3. ein unabhängiges toxikologisches Gutachten zu den tatsächlichen Belastungen durch Lösungsmittel und andere toxische Stoffe einzuholen, die bei den im Hauptantrag genannten Berufskrankheiten vorkommen können.
Höchst hilfsweise,
ein medizinisches Gutachten von Amts wegen nach § 106 SGG zu den medizinischen Problematiken einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und legt eine weitere Stellungnahme von Dr. F., Präventionsdienst, vom 27.09.2012 vor.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht ein medizinisches Zusammenhangsgutachten bei Prof. J., J-Stadt, mit neuropsychologischem Zusatzgutachten von Dr. H. eingeholt. Prof. J. kommt in seinem Gutachten vom 13.06.2014 zu dem Ergebnis, beim Kläger sei eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm sei Verletztenrente nach einer MdE von 50 v. H. zu gewähren. Auch er unterstellt dabei die toxische Belastung in relevantem Maße.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des detaillierten Inhaltes der im Verfahren eingeholten und vorgelegten Gutachten und weiteren Befundunterlagen sowie wegen des detaillierten Inhaltes der Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten wird ausdrücklich auf die Klage- und Verwaltungsakten über den Kläger Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 29.05.2015 gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Sachlich ist die Klage unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit ihren angegriffenen Verwaltungsentscheidungen die Anerkennung einer der begehrten Berufskrankheiten abgelehnt, denn der Kläger war während seiner Tätigkeit als Chemielaborant keinen relevanten toxischen Belastungen ausgesetzt.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird dabei nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht sind, oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die diesen Kriterien entsprechenden Berufskrankheiten sind in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31.10.1997, zuletzt geändert durch Verordnung vom 29.12.2014 (BGBl. I Seite 2397), aufgeführt. Unter Nr. 1317 der Anlage zur BKV sind als Berufskrankheit „Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische“, unter Nr. 1302 als Berufskrankheit „Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe“, unter Nr. 1303 „Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol“ und unter Nr. 1306 „Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol)“ genannt. Nähere Voraussetzungen für die Anerkennung der jeweils genannten Berufskrankheit werden in der BKV nicht geregelt, insoweit kommen die hierzu ergangenen Merkblätter des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - Sektion „Berufskrankheiten“ - zur Anwendung, da dieser Sachverständigenbeirat bei der Aufnahme von Berufskrankheiten zwingend zu beteiligen ist. Auf diese Merkblätter wird im Einzelnen Bezug genommen, sie sind veröffentlicht im Internet-Auftritt der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (www.baua.de). Eine gedruckte Version ist jeweils auch dem Bundesarbeitsblatt zu entnehmen.
In Anwendung dieser Rechts- und Verordnungsgrundsätze ist zur Überzeugung der Kammer in freier Beweiswürdigung (vgl. § 128 SGG) keine Berufskrankheit beim Kläger anzuerkennen, denn er war an seinen Arbeitsplätzen keiner toxischen Belastung bezüglich der streitigen Berufskrankheiten in relevantem Umfang ausgesetzt. Die Überzeugung der Kammer gründet sich auf die umfangreichen, widerspruchsfreien und sehr sorgfältigen Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten. Dabei weist die Kammer ausdrücklich darauf hin, dass sie diese Ermittlungen nicht für Parteivortrag sondern für Ermittlungen eines öffentlich-rechtlichen Trägers in sorgfältiger Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes des § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) einstuft. Dr. F., Präventionsdienst, hat hier sehr eingehend ermittelt, immer wieder den häufig nachgeschobenen Vortrag des Klägers berücksichtigt und die Arbeitsplätze besichtigt. Er hat dies in der mündlichen Verhandlung vom 29.05.2015 der Kammer nochmals nachvollziehbar dargestellt. Danach handelt es sich bei den Arbeitsplätzen des Klägers um Tätigkeiten in einem analytischen Labor, bei dem nur geringste Mengen toxischer Mittel eingesetzt waren und alle Vorsorgeeinrichtungen vorhanden gewesen sind. Die Ausführungen hierzu sind für das Gericht vollständig nachvollziehbar. Soweit der Kläger hiergegen immer wieder und wechselnd argumentativ vorgetragen hat, sah die Kammer auch aufgrund dieses Vortrags keinen Anlass, weiteren Beweis von Amts wegen zu erheben. Diesen Angaben kommt für die Kammer kein Glaubhaftigkeitswert zu. In derselben Weise hat der Kläger schon in dem Rechtsstreit S 1 U 197/11 (Erkrankungen der Sehnenscheiden als Berufskrankheit) für dieselbe Tätigkeit vorgetragen und hier Behauptungen aufgestellt, die mit einem realistischen Berufsalltag nicht in Einklang stehen. Dasselbe gilt für die Einwirkungen der hier streitigen toxischen Belastungen. Die Angaben des Klägers liegen für die Kammer außerhalb der Reichweite einer Glaubhaftigkeit, dass hierzu überhaupt Beweis erhoben werden müsste. Der Kläger selbst hat hierzu in der mündlichen Verhandlung konkludent deutlich gemacht, dass ihm nicht an einer objektiven Untersuchung gelegen sei. Dr. F. vom Präventionsdienst hat insoweit Messungen am Arbeitsplatz angeboten. Der Kläger hat hierzu erklärt, dass die Arbeitsplätze aus den Jahren 2001 bis 2009 nicht mehr erhalten seien, weil das Gebäude jetzt ungenutzt sei. Dies war bisher so nicht vorgetragen, zeigt aber deutlich, dass der Kläger selbst entweder an objektiven Messungen kein Interesse hat oder die Ansicht vertritt, die hier relevanten Berufsjahre ließen sich auch durch Messungen in den heutigen Betriebsräumen nicht nachstellen. Dem insoweit in der mündlichen Verhandlung dennoch gestellten Hilfsantrag zu 2. war deshalb nicht nachzukommen. Auch der vom Klägervertreter gestellte Hilfsantrag zu 1. (Ermittlung durch Zeugenbeweis) war zurückzuweisen, denn das Auftreten und die Intensität toxischer Belastungen entziehen sich dem Zeugenbeweis. Insoweit war für die Kammer auch der Hilfsantrag zu 3., Einholung eines toxikologischen Gutachtens, nicht nachvollziehbar, wenn der Kläger gleichzeitig vorträgt, die entsprechenden Arbeitsplätze gäbe es nicht mehr.
Letztendlich war zu den toxikologischen Belastungen nicht weiter zu ermitteln. Die Kammer ist, wie oben dargestellt, von der Richtigkeit der Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten überzeugt. Da keine relevanten toxikologischen Belastungen vorlagen, war auch nicht weiter medizinisch zum Bestehen von Erkrankungen und deren Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit zu ermitteln. Die hier vom Kläger ins Widerspruchsverfahren eingeführten Gutachten des Dr. G. und das auf seinen Antrag im Gerichtsverfahren nach § 109 SGG eingeholte Gutachten von Prof. J. zeigen deutlich auf, dass bei dem hier vorliegenden Sachstand die Einholung medizinischer Gutachten ungeeignet ist. Beide Sachverständige müssen zu ihren Feststellungen nämlich toxikologische Belastungen unterstellen, die in keinster Weise im Vollbeweis gesichert sind. Insoweit war auch dem höchst hilfsweise gestellten Antrag nicht nachzukommen. Die Klage war wegen des Fehlens toxischer Belastungen entscheidungsreif, der Hauptantrag war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.