Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hinsichtlich der Aufrechnung mit der Rente des Antragstellers in Höhe von 213,00 € monatlich aufgrund einer Gesamtforderung von 4.292,14 € wegen einer Beitragsnacherhebung.
Der Antragsteller bezieht seit dem 01.02.2010 von der Antragsgegnerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Schreiben vom 10.05.2017 teilte die AOK Nordwest der Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller seit dem 01.11.2012 bis laufend in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner pflichtversichert sei. Nach Anhörung erhob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13.10.2017 für die Zeit vom 1.1.2013 bis 30.6.2010 eine Gesamtforderung i.H.v. 5.439,74 € als Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung der Rentner und zur sozialen Pflegeversicherung nach und teilte mit, zur Tilgung der Gesamtforderung würden monatlich 457,07 € von der laufenden Rente des Antragstellers einbehalten.
Hiergegen erhob der Antragsteller ein Eilverfahren am damals örtlich zuständigen Sozialgericht Koblenz, Aktenzeichen S 16 ER 197/18 ER und bestritt den Zugang des Bescheids. Nach Hinweis des Gerichts, dass der Bescheid dem wohnsitzlosen Antragsteller nicht bekannt gegeben worden sei, erklärte sich die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 04.05.2018 bereit, die Rente des Antragstellers unverzüglich wieder in voller Höhe anzuweisen. Mit Beschluss vom 30.05.2018 wies das SG Koblenz den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück. Der Antrag sei unzulässig geworden, nachdem sich die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 04.05.2018 bereit erklärt habe, wegen der fehlenden Bekanntgabe des Einbehaltungsbescheids vom 13.10.2017 dem Antragsteller die Rente wegen voller Erwerbsminderung unverzüglich wieder in voller Höhe anzuweisen.
Parallel zu dem Eilverfahren erhob der Antragsteller ein Hauptsacheverfahren am SG Koblenz, Az. S 16 R 196/18. Nach erwiesener Nachzahlung mit Rentenbescheid vom 27.06.2018 der für die Zeit von März bis Juni 2018 erfolgten einbehaltenen Zahlungen aufgrund der schon erfolgten Aufrechnung in Höhe von 1.832,36 € wies das SG Koblenz mit Gerichtsbescheid vom 28.02.2020 die Klage zurück. Hiergegen hat der Antragsteller am LSG Rheinland-Pfalz Berufung eingelegt, Az. L 4 R 79/20. Dieses Verfahren läuft noch.
Mit Bescheid vom 26.06.2018 erhob die Antragsgegnerin erneut Beiträge i.H.v. 4.292,14 € nach und teilte mit, dass monatlich 472,85 € von der laufenden Rentenzahlung einbehalten würden. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass der Bescheid Gegenstand des laufenden Klageverfahrens (AZ. S 16 R 196/18) werde. Dieser Bescheid kam als unzustellbar zu der Antragsgegnerin zurück. Mit Bescheid vom 23.07.2018 erhob diese daher nochmals eine Gesamtforderung von 4.292,14 € nach und teilte mit, das monatlich 472,85 € von der laufenden Rente einbehalten würden. Dieser Bescheid wurde dem Antragssteller ausweislich der PZU vom 26.07.2018 zugestellt. Mit Schreiben vom 05.08.2018 erhob der Antragsteller „Widerspruch gegen alle Bescheide“. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2019 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.07.2018 zurück. Mit Schreiben vom 06.01.2020 teilte die Antragsgegnerin mit, ab dem 01.03.2020 werde die Aufrechnung wie im Bescheid vom 23.07.2018 durchgeführt.
Mit Schreiben vom 09.01.2020 erhob der Antragsteller erneut ein Eilverfahren am SG Koblenz, AZ S 16 R 20/20 ER. Mit Beschluss vom 10.03.2020 wies das SG Koblenz den Antrag zurück. Der ausdrücklich gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei unstatthaft. Der Antrag könne auch nicht sachdienlich so ausgelegt werden, dass der Antragsteller ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG stelle, da der Antragsteller gegen den Bescheid vom 23.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2019 nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist Klage erhoben habe. Hiergegen erhob der Antragsteller Beschwerde beim LSG Rheinland-Pfalz, Az. L 4 R 78/20 B ER. Mit Beschluss vom 29.04.2020 hat das LSG Rheinland-Pfalz den Beschluss des SG Koblenz vom 10.03.2020 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23.07.2018 festgestellt. Der Zugang des Widerspruchsbescheids sei nicht geführt, so dass das Widerspruchsverfahren betreffendend den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.07.2018 noch nicht abgeschlossen sei.
Am 06.06.2020 sandte die Antragsgegnerin daher den Widerspruchsbescheid erneut mit einem „Rückschein National“ ab, welcher am 15.06.2020 an die Antragsgegnerin zurückgeschickt wurde.
Mit Schreiben vom 29.06.2020 hat der nunmehr in A-Stadt wohnende Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sowie eine Klage in der Hauptsache am Sozialgericht Gießen erhoben.
Der Antragsteller beantragt wörtlich,
die Aussetzung der Vollziehung bis zur Entscheidung in der Sache (s. auch Beschluss d. LSG Rheinland-Pfalz L 4 R 78/20 B ER).
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie hält Ihren Bescheid für rechtmäßig. Ein Nachweis, dass der Antragsteller durch die Aufrechnung sozialhilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II werde, habe dieser bis heute nicht vorgelegt. In dem Verfahren L 4 R 78/20 B ER habe sich die Antragsgegnerin bereit erklärt, bis zum durch Postzustellungsurkunde nachgewiesenen Zugang des Widerspruchbescheids keine Beiträge zur Tilgung der Forderung von der Rente des Antragstellers einzubehalten. Weiterhin habe sich die Antragstellerin bereit erklärt, von der laufenden Rente des Antragstellers nur ein Betrag i.H.v. 213,00 € statt 472,85 € zur Tilgung einzubehalten. Der Widerspruchsbescheid sei dem Antragsteller am 12.06.2020 zugestellt worden. Über den Beginn der Einbehaltung erhalte der Antragsteller noch eine gesonderte Mitteilung.
Das Verfahren wurde zunächst fälschlicherweise in der 4. Kammer des Sozialgerichts Gießen angelegt und mit Verfügung vom 04.08.2020 an die 6. Kammer des Sozialgerichts Gießen abgegeben. Das Gericht hat dem Antragsteller mit Verfügung vom 06.08.2020 sowie Verfügung vom 08.09.2020 aufgegeben, Nachweise der Ausgaben und Einnahmen vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Antragsteller nicht nach. Die Antragsgegnerin hat auf Nachfrage des Gerichts ausgeführt, mit der Aufrechnung sei im August 2020 in Höhe von 213,00 € monatlich begonnen worden; die Nettorente des Antragstellers betrage seit dem 01.07.2020 1.008,92 €.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung sind.
I.
Der Antrag gegen den Antragsgegner ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.
Nach § 86a Abs. 1 S. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Die Kammer legt daher das Begehren des Kläger dahingehend aus, dass dieser die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage in der Hauptsache gegen den Bescheid vom 23.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2019 aufgrund der beabsichtigten Aufrechnung mit der laufenden Rentenleistung des Antragstellers begehrt.
Der Antrag ist unbegründet.
Das Gericht entscheidet aufgrund einer Interessenabwägung. Hinsichtlich der Fälle des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG hat der Gesetzgeber die sofortige Vollziehbarkeit erst einmal angeordnet und damit den grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses klargestellt. Bei der Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG hat das Gericht in diesen Fällen entsprechend der Konzeption des Gesetzgebers nach den Kriterien des § 86a Abs. 3 S. 2 SGG vorzugehen. Die Prüfung des Gerichts erfolgt nicht aufgrund eines starren Prüfungsschemas. Vielmehr gilt: Je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht besteht. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei der Grad der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen ist. Es gilt der Grundsatz: Je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage aber später Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 86b, Rn. 12ff.).
Vorliegend verspricht die Klage des Antragstellers nach der Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg.
Der Widerspruchsbescheid vom 04.06.2019 ist dem Antragsteller ausweislich des Rückscheins zugestellt worden. Hierfür spricht auch, dass der Antragsteller den Widerspruchsbescheid in seiner Antragsschrift an das Gericht mitgeschickt hat. Im Unterschied zu dem Verfahren des LSG Rheinland-Pfalz, Az. L 4 R 78/20 B ER ist damit der Nachweis des Zugangs des Widerspruchsbescheids erbracht und das Widerspruchsverfahren abgeschlossen. Der Antragsteller kann damit mit seinem Hinweis auf genannte Entscheidung des LSG Rheinland-Pfalz nicht durchdringen.
Weiterhin hat der Antragsteller trotz Aufforderung durch das Gericht keine Nachweise eingereicht, dass er durch die Aufrechnung sozialhilfebedürftig im Sinne des SGB XII werden würde.
Nach § 51 Abs. 2 SGG kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.
Nach §§ 27a, 28 SGB XII sowie der Anlage zu § 28 SGB XII steht dem Kläger ein Regelbedarf i.H.v. 432 € monatlich zu. Nachweise über monatlich zu zahlende Mietzahlungen und sonstige Belastungen hat der Antragsteller nicht eingereicht. Auch im Vorverfahren wurden solche Nachweise nicht eingereicht. Der Nachweis der Hilfebedürftigkeit ist allerdings eine Obliegenheit des Versicherten (vgl. Gutzler in: BeckOK SozR, Stand: 1.6.2020, SGB I, § 51, Rn. 22 m.w.N.). Die monatliche Rentenleistung des Antragstellers beträgt seit dem 01.07.2020 1.008,92 € netto. Bei einer beabsichtigten monatlichen Aufrechnung von 213,00 € verbleiben dem Kläger hiervon ohne die Berücksichtigung einer Mietzahlung folglich 795,92 € netto. Eine Hilfebedürftigkeit kann die Kammer nicht erkennen; die Klage verspricht keine Aussicht auf Erfolg.
Eine andere Entscheidung ergibt sich auch nicht, wenn zugunsten des Antragstellers berücksichtigt wird, dass zusätzlich zum Regelbedarf nach § 27a Abs. 1 S. 1 SGB XII auch Kosten von Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Denn da die Höhe der monatlichen Mietzahlungen vorliegend unbekannt sind, ist offen, ob die Klage in der Hauptsache Erfolg haben wird oder nicht. Es bleibt damit eine allgemeine Interessenabwägung, bei welcher auch die fehlende Mitwirkung des Antragstellers an der Aufklägerung des Sachverhaltes zu berücksichtigen ist (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 86b, Rn. 12g). Weiterhin ist zu beachten, dass im vorliegenden Fall nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG die aufschiebende Wirkung grundsätzlich entfällt, so dass die Kriterien des § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu beachten sind (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 86b, Rn. 12f). Hiernach soll in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Beides ist vorliegend zu verneinen.
Der Antrag war daher abzuweisen.