S 7 P 6/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 7 P 6/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 P 31/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit steht die Gewährung eines Entlastungsbetrages nach § 45b SGB XI für Gartenarbeiten.

Der 1974 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert und erhält Pflegegeld nach dem Pflegegrad 3 (Bescheid vom 18.10.2017). Er und seine Ehefrau leben in einer Wohnung und beziehen jeweils volle Erwerbsminderungsrenten. Der Kläger schloss mit dem Sozialwerk Haushalt und Familie Hessen e.V., Sozialdienst B-Stadt, eine Leistungsvereinbarung über „Hauswirtschaftliche Unterstützung und Hilfe im Garten“ zu 26,50 € pro Stunde zuzüglich 6,00 € Hausbesuchspauschale als Betreuungs- und Entlastungsleistung nach § 45b SGB XI. Mit Schreiben vom 31.08.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten Überprüfung der Kostenübernahme für Gartenarbeit nach § 45b SGB XI. Mit Bescheid vom 16.11.2020 führte die Beklagte aus, der Antrag sei abzulehnen, da Gartenarbeit generell keine Leistung im Sinne des § 45b SGB XI sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. 

Am 29.01.2021 hat der Kläger Klage erhoben und beantragt, „ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 [SGG] durch Gerichtsbescheid zu entscheiden“. 

Der Kläger beantragt (sinngemäß), 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.11.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2021 zu verurteilen, dem Kläger einen Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI für Gartenarbeiten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die angegriffenen Bescheide. 

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 07.06.2021 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid bzw. durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). 

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung eines Entlastungsbetrages gemäß § 45b Abs. 1 Satz 1 SGB XI.

Pflegebedürftige in häuslicher Pflege haben Anspruch auf einen Entlastungsbetrag von bis zu 125,00 € monatlich (§ 45b Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen zur Entlastung Pflegender sowie zur Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen bei der Gestaltung ihres Alltags (vgl. § 45b Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Er dient gemäß § 45b Abs. 1 Satz 3 SGB XI der Erstattung von Aufwendungen, die den Versicherten entstehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von 

1.    Leistungen der Tages- oder Nachtpflege,
2.    Leistungen der Kurzzeitpflege,
3.    Leistungen der ambulanten Pflegedienste im Sinne des § 36 SGB XI, in den Pflegegraden 2 bis 5 jedoch nicht von Leistungen im Bereich der Selbstversorgung,
4.    Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne des § 45a SGB XI.

Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne von § 45b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB XI neben Betreuungsangeboten (Nr. 1) und Angeboten zur Entlastung von Pflegenden (Nr. 2) „Angebote, die dazu dienen, die Pflegebedürftigen bei der Bewältigung von allgemeinen oder pflegebedingten Anforderungen des Alltags oder im Haushalt, insbesondere bei der Haushaltsführung, oder bei der eigenverantwortlichen Organisation individuell benötigter Hilfeleistungen zu unterstützen (Angebote zur Entlastung im Alltag)“, § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB XI. Die Angebote benötigen eine Anerkennung durch die zuständige Behörde (vgl. § 45a Abs. 1 Satz 3 SGB XI). In Betracht kommen u.a. Serviceangebote für haushaltsnahe Dienstleistungen (§ 45a Abs. 1 Satz 5 SGB XI).

Der Anspruch auf den Entlastungsbetrag entsteht, sobald die in § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB XI genannten Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ohne dass es einer vorherigen Antragstellung bedarf (§ 45b Abs. 2 Satz 1 SGB XI). Die Kostenerstattung in Höhe des Entlastungsbetrags erhalten die Pflegebedürftigen gegen Vorlage entsprechender Belege über entstandene Eigenbelastungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der in § 45b Abs. 1 Satz 3 SGB XI genannten Leistungen (§ 45b Abs. 2 Satz 2 SGB XI).

Die Frage, ob „Gartenarbeiten“ vom allein in Betracht kommenden Anspruch nach § 45b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 i.V.m. § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB XI umfasst sind, dürfte ohne nähere Präzisierung der fraglichen Arbeit nicht allgemeingültig zu beantworten sein. Nach der Gesetzesbegründung zu § 45a SGB XI sollen Serviceangebote für haushaltsnahe Dienstleistungen insbesondere der Unterstützung bei der hauswirtschaftlichen Versorgung und der Bewältigung von sonstigen Alltagsanforderungen im Haushalt dienen. Erfasst werden sollen sowohl regelmäßig als auch unregelmäßig anfallende Aufgaben im Haushalt, wie etwa das Reinigen der Wohnung und der Wäsche, das Erledigen von Einkäufen oder der Fahrdienst zu Arzt- und sonstigen Terminen. Umfasst sein können aber auch Botengänge z.B. zu Post, Apotheke oder Behörden, Unterstützungsleistungen bei der Korrespondenz mit Behörden, Banken oder Versicherungen sowie Hilfen bei einem pflegebedingt notwendigen Umzug. Auch Rat und praktische Hilfe können dazu gehören (Waldhorst-Kahnau in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl., § 45a SGB XI (Stand: 29.06.2021), Rn. 23). Soweit im Gesetzesentwurf auch von „Blumenpflege“ die Rede ist, wird dies nur im Kontext mit Erledigungen innerhalb der Wohnung erwähnt (vgl. BR-Drs. 223/14, S. 39). Gartenarbeiten haben für sich genommen keinen Bezug zu den grundlegenden Bedürfnissen des zu Pflegenden. Sie könnten ggf. insoweit Relevanz haben, als sie - etwa aufgrund ordnungsrechtlicher Vorschriften (z.B. betreffend die Entfernung von Überwuchs) - durchgeführt werden müssen, um den Verbleib in der Wohnung zu sichern. 

Die Beantwortung der (abstrakten) Rechtsfrage, ob für Gartenarbeiten Entlastungsbeiträge gewährt werden können, kann die Kammer jedoch offenlassen. Denn vorliegend scheitert die Gewährung eines Entlastungsbetrages bereits daran, dass der Kläger keine Belege über entstandene Eigenbelastungen vorgelegt hat. Vorgelegt werden müssten Rechnungen über die im einzelnen abgerufenen Leistungen. Allein die Vorlage der mit dem Sozialwerk geschlossenen Leistungsvereinbarung reicht nicht aus. Denn sie gibt nur Aufschluss über das, was die Parteien vereinbart haben. Nicht ersichtlich ist jedoch, welche Leistungen der Kläger konkret erhalten und wieviel er dafür bezahlt hat. Es obliegt daher dem Kläger, die entsprechenden Rechnungen bei der Beklagten einzureichen.

Die Klage war nach alledem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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