Ein Prozessbeteiligter hat keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf Akteneinsicht in die elektronische Verwaltungsakte der prozessbeteiligten Behörde, wenn ihm das Gericht seinerseits bereits vollständige elektronische Akteneinsicht gewährt hat.
Ein Beteiligter hat jedenfalls bei elektronischen Verwaltungsakten keinen Anspruch auf Übermittlung einer paginierten Fassung.
Ein Beteiligter hat keinen Anspruch auf Übersendung eines papierhaften Ausdrucks einer elektronischen Verwaltungsakte.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung vollständiger Akteneinsicht in die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Der Kläger ist niedergelassener Zahnarzt mit mehreren Beschäftigten. Im Jahr 2020 fanden verschiedene Verwaltungsverfahren seitens der Beklagten über die Gewährung von Kurzarbeitergeld statt. Letztlich bewilligte die Beklagte jedenfalls Kurzarbeitergeld für die Monate März 2020 bis Mai 2020 und lehnte jedenfalls die Gewährung von Kurzarbeitergeld für die Monate September 2020 und Oktober 2020 ab.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob mit Schreiben vom 01.02.2021 Widerspruch gegen näher bezeichnete Bescheide der Beklagten und beantragte Akteneinsicht in die vollständigen Verwaltungsvorgänge. Mit Schreiben vom 02.02.2021 gewährte die Beklagte Einsicht in einen Teil der Verwaltungsakte. Mit Schreiben vom 25.03.2021 beantragte die Prozessbevollmächtigte wiederum Akteneinsicht in die vollständigen Verwaltungsvorgänge. Mit Schreiben vom 12.04.2021 erinnerte sie an die beantragte Akteneinsicht. Mit weiterem Schreiben vom 16.04.2021 erhob sie Widerspruch gegen einen weiteren Bescheid und beantragte abermals Akteneinsicht in die vollständigen Verwaltungsvorgänge. Mit Schreiben vom 19.04.2021 übersandte die Beklagte erneut Aktenbestandteile. Mit Schreiben vom 23.04.2021 monierte die Prozessbevollmächtigte, dass sie keine vollständige Akteneinsicht erhalten habe und forderte von der Beklagten erneut Einsicht in die Akten. Mit Schreiben vom 27.04.2021 teilte die Beklagte mit, dass die angeforderten Unterlagen gemäß der Aktenlage bereits übersandt worden seien.
Am 12.05.2021 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Der Kläger beantragt wörtlich,
die Beklagte zu verurteilen, ihm vollständige Akteneinsicht in ihre Verwaltungsvorgänge betreffend des Überprüfungsverfahrens gegenüber dem Kläger (Anträge auf Gewährung von Erstattung von Kurzarbeitergeld nach dem KuG für die Monate März bis Mai 2020, September und Oktober 2020) durch Übersendung einer vollständigen Kopie an die Kanzleiadresse der Prozessbevollmächtigten zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nachdem die Kammer bei der Beklagten in diesem bzw. in den weiteren drei Parallelverfahren des Klägers (S 20 AL 44/21, S 20 AL 69/21 ER sowie S 20 AL 93/21) die Übersendung der Verwaltungsakten angefordert hatte bzw. hat, hat die Beklagte, die gerichtsbekannt rein elektronische Verwaltungsakten führt, dem Gericht aus dem Aktenknoten „KuG“ zum Aktenzeichen xxxx1 den Teilaktenknoten „AA-1“, nämlich die Leistungsakte über das Kurzarbeitergeld, übersandt. Nachdem die Kammer im Rahmen der Bearbeitung festgestellt hat, dass diese Verwaltungsakte unvollständig ist und deshalb die Beklagte zur Übersendung der vollständigen Verwaltungsakte aufgefordert hat, hat diese mit elektronischer Nachricht vom 31.05.2021 noch den Teilaktenknoten „Klärungsfall“ des o.g. Aktenknotens „Kug“ übersandt.
Nachdem der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 14.06.2021 und vom 06.07.2021 gegenüber dem Gericht Akteneinsicht hinsichtlich der Verwaltungsvorgänge der Beklagten beantragt hat, hat das Gericht gegenüber der Beklagten angefragt, für welche Aktenteile sie die Akteneinsicht ausschließt und ob sie sich hier auf Gründe von § 119 SGG stützt. Daraufhin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.07.2021 mitgeteilt, dass sie es in das Ermessen des Gerichts stelle, welche Aktenteile zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt würden. Mit Verfügung vom 22.07.2021 hat das Gericht den Beteiligten wiederum mitgeteilt, dass dem Gericht in Bezug auf die Akteneinsicht kein Ermessen zusteht und es der Klägerseite vollständige Akteneinsicht gewähren werde, sofern die Beklagte nicht binnen zwei Wochen bestimmte Teile von der Akteneinsicht ausschließt. Mit Verfügung vom 27.08.2021 hat das Gericht der Prozessbevollmächtigten des Klägers sodann sämtliche vorliegenden elektronischen Verwaltungsakten der Beklagten über einen sicheren Übermittlungsweg, nämlich das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), zur Akteneinsicht übersandt.
Daraufhin hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 07.09.2021 wortwörtlich mitgeteilt, mangels einer Paginierung der einzelnen Dokumente, die in den jeweiligen pdf-files vorhanden seien, müsse der Kläger darauf bestehen, dass der zuständige Verfahrensbevollmächtigte der Beklagten die Richtigkeit und Vollständigkeit der an das Gericht übersandten Verwaltungsvorgänge an Eides statt versichere. Das Gericht hat den Beteiligten daraufhin mitgeteilt, dass aus gerichtlicher Sicht hierfür keine Veranlassung bestehe und zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid angehört.
Entscheidungsgründe
Diesen Rechtsstreit konnte das Gericht nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung per Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist hinreichend geklärt. Auch wurden die Beteiligten gehört.
Die Klage ist allerdings unzulässig, weil dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben, dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns; sie verlangt vom Kläger, dass er ein Mindestmaß an berechtigtem Rechtsverfolgungsinteresse geltend machen kann, das dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Rechtspflege gegenübergestellt werden kann (BeckOGK/Bieresborn, 01.08.2021, SGG § 54 Rn. 127). Das Gericht prüft in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen (MKLS, SGG vor § 51 Rn. 20, beck-online, m.w.N.). In Fällen, in denen der Kläger bereits oder mittlerweile klaglos gestellt ist, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis (BSG Urteil vom 28.05.2015 – B 12 KR 7/14 R, BeckRS 2015, 73054 Rn. 41, beck-online). So steht es vorliegend.
Der Kläger verfolgt mit seiner Klage allein das Ziel, vollständige Einsicht in die Verwaltungsakten der Beklagten zu erhalten. Der Kläger hat ohne Zweifel einen Rechtsanspruch auf Einsicht in die Verwaltungsakte der Beklagten (hierzu im Einzelnen Engin in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 25 SGB X (Stand: 25.03.2021), Rn. 10) und dies auch gegenüber der Beklagten selbst. Dieses Ziel hat er aber bereits durch die elektronische Übersendung der Verwaltungsakten durch das Gericht an seine Prozessbevollmächtigte erreicht. Unter keinem denkbaren Gesichtspunkt kann er noch ein rechtsrelevantes Interesse daran haben, diese Akteneinsicht nochmals durch die Beklagte gewährt zu bekommen.
Die Beklagte führt ihre Verwaltungsakten elektronisch in einem Fachverfahren. Diese Entscheidung, die Akten nicht papierhaft zu führen, unterliegt ihrem eigenen Organisationsermessen. Wie die Wortlaute von § 25 Abs. 5 S. 2 SGB X und § 36a Abs. 2 S. 4 Nr. 3 SGB I zeigen, eröffnet der Gesetzgeber insbesondere die Möglichkeit zur Führung von elektronischen Akten (vgl. insb. auch die Sollvorschrift des § 6 S. 1 EGovG für Bundesbehörden). Soweit die Akteneinsicht in eine elektronische Akte zu gestatten ist, kann die Behörde nach § 25 Abs. 5 S. 2 SGB X Akteneinsicht gewähren, indem sie Unterlagen ganz oder teilweise ausdruckt, elektronische Dokumente auf einem Bildschirm wiedergibt, elektronische Dokumente zur Verfügung stellt oder den elektronischen Zugriff auf den Inhalt der Akte gestattet. Gerichtsbekannt gewährt die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits Akteneinsicht in elektronische Verwaltungsakten bei Beteiligung eines (Prozess-)bevollmächtigten generell durch Übermittlung über den elektronischen Rechtsverkehr. Dies ist nicht zu beanstanden. Das Repräsentat, das sie hierbei exportiert, besteht aus Einzeldokumenten im Dateiformat „.pdf“ und zugehörigen Dateien qualifizierter elektronischer Signaturen im Dateiformat „.p7s“ sowie einem strukturierten maschinenlesbaren Datensatz, der Datei „xjustiz_nachricht.xml“, mit der die Einzeldokumente vom Empfänger strukturiert, nämlich nach Teilbänden getrennt und inhaltlich sortiert, dargestellt werden können. Exakt in diesem Format hat die Beklagte ihre Verwaltungsakten aus dem diesem Rechtstreit zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren an das Gericht übersandt. Das Gericht hat sie dann inhaltlich unverändert weitergereicht (freilich unter automatisierter Umbenennung lediglich des Dateinamens der Datei xjustiz_nachricht.xml, um dessen automatische Überschreibung und damit Vernichtung im Rahmen der Übersendung zu verhindern). Im Zuge einer hypothetischen erneuten Akteneinsichtsgewährung gegenüber dem Kläger durch die Beklagte selbst erhielte dieser identische elektronische Kopien der bereits dem Gericht und sukzessiv seiner Prozessbevollmächtigten übermittelten Dokumente. Dies wäre ein gänzlich redundanter Vorgang.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Verlangen des Klägers nach Paginierung der Akte. Dieses Verlangen ist unbeachtlich. Die Paginierung, also die Seitennummerierung eines Schriftstückes, ist ein Relikt aus der papierhaften Dokumentenbearbeitung, die zwar als Komfortfunktion auch elektronischen Dokumenten technisch hinzugefügt werden kann, die aber zur Gewährleistung von Aktenwahrheit, Aktenklarheit und Aktenvollständigkeit in der elektronischen Dokumentenbearbeitung nicht erforderlich ist, weil es andere, effektivere und zugleich effizientere Maßnahmen zur Gewährleistung des Gebots ordnungsgemäßer Aktenführung gibt.
Die sinngemäße Rüge der Unvollständigkeit führt ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. Im vorliegenden Verfahren ist nachvollziehbar erkennbar, dass die Beklagte die Verwaltungsvorgänge zum Leistungsteil des Kurzarbeitergeld-(„KuG“ )Verwaltungsverfahrens auf Anforderung des Gerichts unmittelbar übersandt, jedoch den Aktenteil „Klärungsfall“ zunächst zurückgehalten hat. In diesem Aktenbestandteil enthalten ist die Behauptung einer Mitarbeiterin oder ehemaligen Mitarbeiterin des Klägers, der Kläger mache gegenüber der Beklagten unwahre Angaben über die tatsächlichen Verhältnisse, um umfangreichere Leistungen der Beklagten zu erzielen. Nachdem das Gericht die Beklagte zur Übersendung der vollständigen Aktenteile aufgefordert hat, hat die Beklagte den aus dem Tatbestand ersichtlichen zusätzlichen Aktenteil unverzüglich übersandt. Das Gericht hat aufgrund der konkludenten Behauptung des Klägers, die Akte könnte unvollständig sein, keinerlei Anhaltspunkte, diesbezüglich weitere Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen. Die Beklagte führt gerichtsbekannt ein erprobtes und in Fachkreisen mehrfach transparent vorgestelltes System verlässlicher elektronischer Aktenführung. Zwar steht außer Frage, dass die gerichtsbekannt nicht statische, sondern dynamische Vergabe von Ordnungsnummern für die einzelnen elektronischen Dokumente im Zuge jeder einzelnen Übersendung ein Einfallstor für missbräuchliche Unterdrückung einzelner Aktenteile darstellt, weil die Gerichte die Vollständigkeit nicht anhand der Lückenlosigkeit solcher Nummern überprüfen können. Bislang ist aber kein Fall bekannt geworden, in dem entweder Aktenteile bei der Beklagten aufgrund von Fehlern ihrer Fachanwendung versehentlich untergegangen sind noch solche, in denen Bedienstete manuell Teile unterdrückt haben. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist die Beklagte an Recht und Gesetz gebunden. Anlass, an ihrer Rechtstreue zu zweifeln und die systematische Vernichtung oder Unterdrückung von Aktenteilen oder solche im vorliegenden Einzelfall durch Bedienstete der Beklagten anzunehmen, hätte das Gericht allenfalls, sofern der Kläger substantiierte Anhaltspunkte hierzu vorträgt (siehe hierzu auch OVG Münster, Beschl. v. 17.12.2018 – 1 A 203/17). Dies allerdings ist nicht erfolgt.
Sollte schließlich mit der Antragsformulierung „durch Übersendung einer vollständigen Kopie an die Kanzleiadresse der Prozessbevollmächtigten“ eine papierhafte Übersendung gemeint sein, ändert auch dies nichts. Wie oben bereits erwähnt, steht es im Ermessen der Behörde, ihre elektronischen Akten auch als solche zur Verfügung zu stellen. Einen Anspruch auf Ausdruck hat der Kläger nicht (vgl. zur Konstellation zwischen Behörde und Gericht: Gädeke in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 104 SGG (Stand: 01.11.2020), Rn. 19). Ein rechtsrelevantes Interesse des Klägers kann hiermit auch nicht verbunden sein. Da die Akten der Beklagten elektronisch geführt werden, kann der mit einem Ausdruck einhergehende Medienbruch allenfalls zu einer Qualitätsminderung, nicht aber zu einem Erkenntnisgewinn führen. Gerade in Fällen, in denen Prozessbeteiligte, so wie es beim Kläger zu sein scheint, der Behörde Misstrauen entgegenbringen, enthalten die Repräsentate elektronischer Verwaltungsakten relevante Informationen zur Überprüfung ihrer Authentizität, z. B. Belege qualifizierter elektronischer Signaturen, die bei einem Ausdruck verloren gingen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kostengrundentscheidung ergeht nach pflichtgemäßem bzw. billigem Ermessen des Gerichts. Dabei ist zwar grundsätzlich vorrangig auf den Ausgang des Verfahrens und die Anteile des Obsiegens und Unterliegens abzustellen. Unter anderem zu beachten ist aber auch das Veranlasserprinzip, wonach der die Kosten zu tragen hat, der eine Klage durch sein Verhalten veranlasst hat (BeckOGK/Gutzler, 01.08.2021, SGG § 193 Rn. 28). Die Kostenteilung ist vorliegend sachgerecht. Zwar hat der Kläger die Klage weiterverfolgt, obwohl er sein Ziel bereits erreicht hatte. Allerdings hat die Beklagte Anlass zur Klage gegeben, indem sie die Einsicht in den Aktenteil „Klärungsfall“ im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, obwohl sich ihr regelrecht aufgedrängt haben muss, dass es dem Kläger um genau diesen geht, auch wenn er ihn freilich nicht gegenständlich benennen konnte.