1. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
G r ü n d e
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Der Antragsteller stammt aus Somalia (Bl. 2.1 VA).
Der Antragsteller flüchtete über Libyen nach Italien, wo er am 28.7.2013 ankam (Bl. 18 GA). In Italien führte der Antragsteller ein Asylverfahren durch und erhielt die Zuerkennung internationalen Schutzes (Bl. 2.6 VA).
Der Antragsteller gab an, dass er von Italien aus nach Schweden floh. Dort sei er von der Polizei kontrolliert worden und ihm sei gesagt worden, dass er nach Italien zurück müsse. Er sei dann wieder nach Italien eingereist. Von dort sei er am 13.8.2014 nach Deutschland eingereist (Bl. 2.6 VA).
Er stellte am 8.10.2014 einen Asylantrag. Im Rahmen des Asylverfahrens gab der Antragsteller im Wege einer eidesstattlichen Versicherung am 01.04.2015 unter anderem folgendes an:
„Ich bin dann am 25.Juli 2013 mit 95 weiteren Flüchtlingen in einem 9 Meter langen Plastikboot aus Libyen geflohen. Das war eine sehr harte Reise, drei Tage waren wir auf dem Meer. Der Motor des Bootes ging kaputt. Das Satellitentelefon hatte über weite Strecken keinen Empfang. Aber irgendwann ging es und wir haben einen somalischen Journalisten in Rom angerufen und der hat die italienische Küstenwache zu unserer Rettung alarmiert. An die Rettung kann ich mich nicht erinnern, ich war nicht mehr bei Bewusstsein. Wir wurden direkt nach dem Ankommen notfallmäßig von Ärzten versorgt.
Ich bin am 28. Juli 2013 in Sizilien angekommen. Wir wurden mit Essen versorgt, es gab jedoch keine wirkliche Gesundheitsversorgung. Ich war sehr krank von der Haft in Libyen. ich hatte immer Schmerzen im unteren Rücken und im Bereich der Nieren. ich habe das oftmals gesagt, aber es ist kein Arzt gekommen.
Auch heute leide ich immer wieder an diesen Schmerzen.
Ich bin 4 Monate in diesem Camp geblieben. Dann wurde ich mit einer großen Gruppe weiterer Flüchtlinge rausgeworfen, weil sie den Platz für die Neuen brauchten. ich hatte ein weißes Papier bekommen, einen sogenannten „Soggiorno“. ich dachte nicht, dass das ein richtiges Aufenthaltspapier war, sondern nur eine Karte zur Registrierung. Jedenfalls hat mir niemand erklärt, dass das eine Aufenthaltserlaubnis gewesen sein soll. ich bin dann etwa vier weitere Monate in Sizilien geblieben. Drei Monate lang habe ich auf der Straße geschlafen. ich musste unter Brücken schlafen mit einem Pappkarton. ich hatte ein paar Mal versucht in Abbruchhäuser reinzukommen, aber diese Plätze waren alle schon von anderen besetzt und die haben mir einen Platz dort verweigert. Ich verlor meinen „Soggiorno“, der in einer Nacht in eine Pfütze fiel und sich auflöste. Ich habe dann eine Möglichkeit gefunden, ein paar Wochen in einer Wohnung zu schlafen, wo auch andere somalische Freunde schliefen.
Sie haben mir dann Geld geliehen und damit bin ich im April 2014 nach Schweden geflohen, weil mir Freunde gesagt haben, dass ich dort in Sicherheit sei. Nach Deutschland wollte ich damals nicht, denn ich hatte Leute getroffen, die von dort nach Italien zurückgeschoben worden waren. Als ich in Schweden ankam, war ich in einer Stadt, die Malmö hieß. ich wusste erst nicht, an wen ich mich wenden sollte, und wurde nach zwei Tagen von der Polizei kontrolliert. Die Polizei sagte mir, ich könne nicht in Schweden bleiben und müsse nach Italien zurück, und so bin ich wieder zurückgefahren.
in Italien ging es mir aber genauso schlecht wie vorher und deshalb bin ich im August 2014 schließlich doch nach Deutschland gereist. ich habe große Angst vor der Abschiebung nach Italien. Ich habe schlechte Träume und oft Kopfschmerzen und ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Dauernd denke ich an Italien und was mir vorher in Somalia und während der Flucht passiert ist, aber alles durcheinander. Papiere kann man nicht essen und ich brauche eine Zukunft“ (Bl. 18 GA).
Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9.3.2015 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet (Bl. 2.6 VA).
Der Antragsteller erhob Klage vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt. Mit Urteil vom 29.1.2016 wurde der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufgehoben (Bl. 19 GA). In der Entscheidung wird ausgeführt, dass der Abschiebung des Klägers angesichts seiner gesundheitlichen Situation aus rechtlichen Gründen unmöglich sei (Bl. 23 GA).
Mit Bescheid vom 16.3.2018 hob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Bescheid vom 9.3.2015 auf und lehnte den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Bl. 26 GA). Der Kläger erhob am 4.4.2018 Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (Bl. 30 GA).
Der Antragsteller, der über eine Duldung verfügt, bezog seit November 2014 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von dem Antragsgegner (Bl. 1.13, 2.37 VA).
Mit Bescheid vom 15.1.2018 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für den Monat Januar 2018 Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz i.H.v. 689,11 € (Bl. 4.117 VA).
In dem Bescheid wird ausgeführt, dass die ab 1.1.2018 festgesetzte Hilfe grundsätzlich nur für einen Monat bewilligt wird. Zahlungen, die dieser Bewilligung folgen, stellen eine Neubewilligung dar. Dieser Bescheid gilt nur, solange nicht eine Änderung leistungsrelevanter Verhältnisse eintritt.
Mit Schreiben vom 12.4.2018 hörte der Antragsgegner den Antragsteller dahingehend an, dass beabsichtigt sei die bisher gewährten Leistungen mit Wirkung ab 1.5.2018 zu kürzen. In dem Anhörungsschreiben wird ausgeführt, dass gemäß § 1 Abs. 1 und 4 Asylbewerberleistungsgesetz anspruchsberechtigten Personen, denen internationaler Schutz in einem anderen europäischen Mitgliedstaat gewährt wurden und die sich in den Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetz begeben haben, um Leistungen nach diesem zu erlangen, nur die unabweisbaren notwendigen Hilfen zu leisten ist. Der Antragsgegner führte aus, dass im Fall des Antragsteller er diesen Tatbestand als gegeben ansieht und daher beabsichtigt, die bisher gewährten Bargeldleistung auf Grundlage des §§ 1 Asylbewerberleistungsgesetz bis auf das zum lebennotwendigste zu kürzen (Bl. 4.120 VA).
Mit Schreiben vom 26.4.2018 trug der Antragsteller vor, dass die Behauptung des Antragsgegners, er sei lediglich ins Bundesgebiet eingereist, um Sozialleistungen zu erhalten, nicht zutreffe. Er sei aus Italien geflohen, weil er krank und nicht in der Lage war, angesichts der dort existenzbedrohenden Situation zu überleben. Dies sei unschwer seiner damaligen eidesstattlichen Versicherung zu entnehmen. Seiner Ansicht nach verstoße die Anwendung des § 1a Abs. 4 Asylbewerberleistungsgesetz gegen die Verfassung.
Mit Bescheid vom 2.5.2018 kürzte der Antragsgegner ab 1.5.2018 die bis dahin gewährten Leistungen (Bl. 4.129 VA).
Der Antragsteller legte mit Schreiben vom 14.5.2018, eingegangen am 15.5.2018, Widerspruch ein (Bl. 4.131 VA).
Der Antragsteller stellte am 17.5. 2018 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Frankfurt am Main.
Er ist der Ansicht, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig sei. Der Antragsgegner erkenne offenbar nicht den Unterschied zwischen dem von ihm behaupteten Einreisemotive „Sozialhilfebezug“ einerseits und seinem Bedürfnis, einer existenzbedrohenden Situation wie der in Italien erlebten Obdachlosigkeit bei jeglichem Fehlen einer sozialen und gesundheitlichen Versorgung zu entkommen. In Italien habe er dieser Situation vollkommen hilflos gegenübergestanden.
Der Antragsteller beantragt,
die bis zum angegriffenen Bescheid gezahlten Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG gewährten Leistungen vorläufig, bis zur Entscheidung über seinen Widerspruch vom 14.5.2018 weiterzugewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Ansicht, dass ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1, Nr. 2 SGG nicht begründet sei. Der Bescheid des Antragsgegners vom 2.5.2018 sei nicht offensichtlich rechtswidrig, so dass das private Aufschiebungsinteresse des Antragstellers nicht das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiege. Vielmehr sei der Bestand des Antragsgegners formell und materiell rechtmäßig.
Der Antragsteller habe in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 1.4.2015 im Asylverfahren angegeben, dass er aufgrund seiner Situation in Italien zunächst nach Schweden geflohen sei. Nach Deutschland habe er nicht gehen wollen, daher Leute kennengelernt habe, die von Deutschland nach Italien zurückgeschoben worden sein. In Schweden sei er von der Polizei aufgegriffen worden und es sei ihm mitgeteilt worden, dass er zurück nach Italien müsse. Da es ihm in Italien erneut nicht gelang, Zugang zur Sozialleistung zu erhalten, habe er sich entschlossen, doch nach Deutschland zu reisen. Der Antragsteller habe damit explizit angegeben, dass er aufgrund des Sozialleistungsbezuges nach Deutschland eingereist sei.
Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller zwar angibt, dass er in Italien keine feste Wohnung hatte. Allerdings wurde er in Italien bereits als Flüchtling anerkannt. Er sei dementsprechend nicht verpflichtet, in einer Aufnahmeeinrichtung zu leben und habe weitreichende Ansprüche.
Anerkannte Flüchtlinge haben in Italien bezüglich aller Sozialleistungen, einschließlich des Gesundheitswesens, das Recht auf gleiche Behandlung wie italienische Bürger. Das sei zwar mit Eigeninitiative verbunden, diese Leistungen tatsächlich zu erhalten, ein Anspruch hierauf bestehe jedoch.
Es könne sein, dass zum Zeitpunkt des Erlass des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main eine Abschiebung aufgrund der gesundheitlichen Situation des Antragstellers nicht möglich gewesen sei, allerdings habe der Antragsteller weder dazu vorgetragen noch eine Glaubhaftmachung angeboten, wie seine derzeitige gesundheitliche Verfassung zu bewerten sei.
Im Jahre 2015 seien drei Behandlungen aufgrund des Verdachts einer posttraumatischen Belastungsstörung erfolgt. Hiernach sei keine weitere Behandlung des Antragstellers aufgrund einer psychischen Erkrankung erfolgt. Es sei daher weder vorgetragen noch belegt, dass der Antragsteller noch immer derartig schwerwiegend erkrankt sei wie im Zeitpunkt des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Januar 2016.
Letztendlich könne dies jedoch dahinstehen, da die Leistungskürzung eben nicht aufgrund einer rechtsmissbräuchlichen Verlängerung des Aufenthalts erfolgte, sondern aufgrund der Einreise des Antragstellers zur Erlangung von Sozialleistungen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung zulässig aber unbegründet. Gegenstand des Verfahrens ist eine vorläufige Regelung hinsichtlich des Bescheides des Antragsgegners vom 2.5.2018.
Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf. Richtige Klageart im Hauptsacheverfahren wäre eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Antragsteller strebt eine Erweiterung seiner Rechtspositionen an; daher ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG statthaft. Der Eilantrag ist statthaft als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG, weil kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt. Der Antragsteller kann sein Rechtsschutzziel - die (vorläufige) Gewährung höherer Leistungen - nicht mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 2.5.2018 gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erreichen. Ein Widerspruch gegen die Feststellung einer Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG hat zwar keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG). Aus der Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde sich aber nur dann die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Gewährung höherer Leistungen ergeben, wenn und soweit für den streitigen Zeitraum zuvor höhere Leistungen bewilligt worden wären. Mit dem Bescheid vom 02.05.2018 sind dem Antragsteller jedoch erstmals Leistungen für die Zeit ab Mai 2018 bewilligt worden, die zuvor ergangenen Bewilligungsbescheide waren jeweils - zuletzt bis April 2018 – befristet (vgl. SG Landshut, Beschluss vom 22. Juni 2018 – S 11 AY 120/18 ER –, Rn. 25, juris).
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine derartige Anordnung muss ergehen, wenn durch das Vorbringen des Antragstellers erkennbar wird, dass das Begehren in der Sache überwiegende Aussicht auf Erfolg hat (Anordnungsanspruch) und die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen müssen von dem Antragsteller glaubhaft gemacht werden (§§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Das setzt voraus, dass dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch voraussichtlich zusteht und es ihm nicht zumutbar ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Nur wenn der Antragsteller eine akute Notlage glaubhaft macht, die es rechtfertigt, das Hauptsacheverfahren vorwegzunehmen und den Antragsgegner zur vorläufigen Zahlung der beantragten Leistungen zu verpflichten, darf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erlassen werden (LSG Niedersachen Bremen, Beschluss vom 14.11.2007 - L 9 AS 551/07 ER -).
Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Gemäß § 1a AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 und Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familienangehörige der in § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 genannten Personen handelt, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.
Voraussetzung ist insoweit, dass der Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG der einzige Einreisegrund ist oder aber bei verschiedenen Einreisemotiven das prägende ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 - 5 C 22/87 - juris Rn. 12 zu der nahezu wortgleichen Regelung des § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG; vgl. auch BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 8 SO 9/13 R - juris Rn. 25; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. Mai 2018 – L 8 AY 7/17 –, Rn. 30, juris).
Der Antragsteller zählt zu den Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 Asylbewerberleistungsgesetz. Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen des §§ 1 Buchst. a Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz vor, denn entgegen der Ansicht des Antragstellers sprechen seine Angaben während des Asylverfahrens in Form der eidesstattlichen Versicherung dafür, dass der Antragsteller zum Zweck des Erhalts von Sozialleistungen nach Deutschland einreiste. Zwar gibt der Antragsteller nicht explizit in der eidesstattlichen Versicherung an, dass er zum Zwecke des Erhalts von Sozialleistungen einreiste, dieser unmittelbare Einreisezweck ergibt sich jedoch aus dem Erklärungsinhalt. Denn der Antragsteller gibt an, dass er in Italien keinerlei Zugang zu Sozialleistungen hatte und daher ohne Obdach und ohne Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung war. Weil es ihm dort so schlecht gegangen sei, so führt er wortwörtlich aus, habe er sich im August 2014 dazu entschlossen nach Deutschland zu reisen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass Einreisezweck der Zugang zu einer adäquaten Versorgung war. Daher ist vorliegend auszugehen, dass der vom BSG geforderte prägende Zusammenhang von Einreisegrund und dem Bezug von Sozialleistungen besteht.
Eine andere Auslegung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nach Ansicht des BSG nicht geboten (BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 7 AY 1/16 R). In der Entscheidung wird ausgeführt: „Verfassungsrecht gebietet keine abweichende Auslegung des § 1a AsylbLG. Die an ein persönliches Fehlverhalten anknüpfende Anspruchseinschränkung nach dieser Vorschrift begegnet weder aufgrund der Bindungswirkung des Urteils des BVerfG vom 18.7.2012 noch aufgrund der dort entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl zu Art 100 Abs 1 GG nur zB BVerfG Beschluss vom 4.6.2012 - 2 BvL 9/08 ua - BVerfGE 131, 88 RdNr 90 f mwN).
Die Bindungswirkung der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 (aaO) umfasst lediglich die im Tenor enthaltene Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Gesetzes (vgl BVerfG Beschluss vom 27.6.2014 - 2 BvR 429/12 - RdNr 18; vgl auch Lenz/Hansel, BVerfGG, 1. Aufl 2013, § 31 RdNr 42), hier also von § 3 Abs 2 Satz 2 Nr 1 bis 3 und Satz 3 iVm Abs 1 Satz 4 Nr 1 und 2 AsylbLG in der bis zur Entscheidung geltenden Fassung.
Die Regelung des § 1a Nr 2 AsylbLG aF war jedoch nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem BVerfG. Solche Sachverhalte waren von den seinerzeitigen Vorlagebeschlüssen (LSG NRW Beschlüsse vom 26.7.2010 - L 20 AY 13/09 - und 22.11.2010 - L 20 AY 1/09) nicht erfasst; von der Möglichkeit, weitere Bestimmungen eines Gesetzes, dessen Verfassungsmäßigkeit es zu beurteilen hat, gleichfalls für nichtig zu erklären, wenn diese aus denselben Gründen mit dem GG oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar sind (§ 78 Satz 2 BVerfGG), hat das BVerfG keinen Gebrauch gemacht.
§ 1a Nr 2 AsylbLG aF verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dieses durch Art 1 Abs 1 GG begründete und nach dem Sozialstaatsgebot des Art 20 Abs 1 GG auf Konkretisierung durch den Gesetzgeber angelegte Grundrecht verpflichtet den Staat dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen zur Verfügung stehen, wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann (vgl BVerfGE 125, 175, 222 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 134; BVerfGE 132, 134 ff RdNr 62 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 88; BVerfGE 137, 34 ff RdNr 74). Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums umfasst als einheitliche grundrechtliche Garantie sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (vgl BVerfGE 125, 175, 223 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 mwN; BVerfGE 132, 134 ff RdNr 64 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 90). Der Leistungsanspruch aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG ist von der Verfassung jedoch nur dem Grunde nach vorgegeben. Sein Umfang kann nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation der Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen (BVerfGE 125, 175, 224 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 12; BVerfGE 132, 134 ff RdNr 67 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 93).
Bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Dieser Gestaltungsspielraum umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfGE 125, 175, aaO; BVerfGE 132, 134 ff RdNr 67 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 93). Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ist demnach kein Abwehrgrundrecht, sondern ein "Leistungsgrundrecht", dessen zentraler Gehalt durch den Gesetzgeber auszugestalten ist (vgl nur Jarass zum Schutzgehalt von Leistungsgrundrechten und des Grundrechts auf Gewährleistung eines Existenzminimums in Jarass/Pieroth, GG, 14. Aufl 2016, Vorb vor Art 1, RdNr 10 und Art 1 RdNr 23).
Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum eröffnet aber auch die Möglichkeit, die Leistungsgewährung an Voraussetzungen zu knüpfen (vgl ebenso zur Berücksichtigung von Einkommen BVerfG SozR 4-4200 § 11 Nr 33 = BVerfGK 17, 375 RdNr 13). Weder das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum noch das Sozialstaatsprinzip fordern eine voraussetzungslose Sicherung des Existenzminimums (vgl Berlit, info also 2013, 195, 200 ff; Lauterbach, ZFSH/SGB 2011, 584 ff; Spellbrink, JZ 2007, 28, 30; vgl weiter Eicker-Wolf, SF 2013, 172 ff; Opielka, SF 2004, 114 ff). Leistungseinschränkungen sind daher gegenüber dem durch den Menschenwürdeschutz und das Sozialstaatsprinzip vorgegebenen Niveau nicht generell und als solche unzulässig (vgl Petersen, ZFSH/SGB 2014, 669, 671 ff; Berlit, aaO, 198; ähnlich Rothkegel, ZAR 2012, 357, 360). Sofern diese an die Nichteinhaltung rechtlich zulässiger Voraussetzungen geknüpft sind, wird die staatliche Verantwortung gelockert; sie rechtfertigt eine Absicherung auf einem niedrigeren Niveau (vgl Berlit, aaO, 198; Wahrendorf, aaO, § 1a AsylbLG RdNr 12, 14 f; Hohm, aaO, § 1a RdNr 29 ff).
30Dies gilt insbesondere für ein System eingeschränkter Leistungen als Reaktion auf festgestellte Obliegenheitsverletzungen oder Verletzungen anderweitiger gesetzlicher Mitwirkungspflichten. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, die Gewährung existenzsichernder Leistungen an die Einhaltung solcher Pflichten zu knüpfen und bei deren Verletzung leistungsrechtliche Minderungen vorzusehen (so aber Gerloff, Humboldt Forum Recht, 2014, 24, 29 ff; wie hier dagegen Petersen, aaO; Wahrendorf, aaO; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 1a AsylbLG RdNr 7 ff; Hohm, aaO, § 1a RdNr 29). Er darf die uneingeschränkte Leistungsgewährung von der Rechtstreue des einzelnen abhängig machen. Wo Leistungen rechtsmissbräuchlich bezogen werden, ist daher von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass diese Leistungen auch unterhalb das Niveau des typisierend bestimmten Existenzminimums abgesenkt oder mit Einschränkungen ausgestaltet werden (vgl Wahrendorf, aaO, § 1a AsylbLG RdNr 14; vgl ähnlich auch Thym, NVwZ 2015, 1625, 1631). Die verfassungsrechtliche Grenze bildet dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Gesetzes- und Obliegenheitsverletzungen eines Leistungsberechtigten entlassen den Staat nicht vollständig aus seiner leistungsrechtlichen Verpflichtung.
31Diesen Anforderungen wird § 1a Nr 2 AsylbLG aF gerecht“ (BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 7 AY 1/16 R –, Rn. 25- 31).
Aus den dargelegten Gründen ist der Antrag abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.
Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig (§ 172 Abs. 1 SGG).