1. Eine Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG wird nicht dadurch unwirksam, dass ein Mitglied des Spruchkörpers, und sei es auch der/die einzige Berufsrichter/in im Spruchkörper erster Instanz, den Beteiligten ohne Änderung der Sach-, Beweis- oder Rechtslage in Abweichung vom, vor der Einverständniserklärung erteilten, rechtlichen Hinweis einen neuen rechtlichen Hinweis erteilt. Hierdurch tritt insbesondere keine "wesentliche Änderung der Prozesslage" ein.
2. Die Gewährung unfallversicherungsrechtlicher Einzelleistungen durch den Unfallversicherungsträger (wie Heilbehandlung, Verletztengeld, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) kann als schlichtes, konkludentes Verwaltungshandeln im Sinne eines "in anderer Weise" (§ 33 Abs. 2 Satz 1 vierte Alternative SGB X) erlassenen Verwaltungsaktes auszulegen sein, der den Versicherungsfall feststellt, weil die Gewährung der Einzelleistungen das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach § 7 Abs. 1 SGB VII voraussetzt.
3. Bei der Auslegung des Verwaltungshandelns nach dem objektiven Empfängerhorizont sind neben den Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zugrunde zu legen, soweit sie dem (Leistungs-)Empfänger vor oder spätestens gleichzeitig mit dem Verwaltungshandeln bekannt geworden sind bzw. werden. Hierzu können auch vorab erteilte allgemeine Hinweise gehören, wenn sich diese im späteren Verwaltungshandeln (in der Leistungserbringung) widerspiegeln.
Rechtsunerheblich ist es demgegenüber, wenn die Behörde das dem Empfänger gegenüber im Verwaltungshandeln zum Ausdruck Gebrachte – aus welchem Grund auch immer – nicht in dem Sinne verstanden wissen will, wie es nach dem objektiven Empfängerhorizont zu verstehen ist.
4. Der Unfallversicherungsträger ist an Verwaltungshandeln, das als den Versicherungsfall feststellender Verwaltungsakt auszulegen ist, sofort gebunden, weil es für den Betroffenen ausschließlich begünstigend ist, und der Unfallversicherungsträger hat diese Bindung bei späteren Bescheidungen des Betroffenen zu beachten. Dass der Unfallversicherungsträger sich „insgeheim“ vorbehält, Erstattungsansprüche gegenüber einem anderen Leistungsträger geltend zu machen, falls ein Versicherungsfall nicht vorliegt, ändert hieran nichts.
Der Bescheid vom 08.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2018 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte das Ereignis vom 16.03.2016 durch konkludentes Verwaltungshandeln, spätestens aber durch ihr Schreiben an den Kläger vom 22.08.2016, diesem zugestellt am 25.08.2016, als Arbeitsunfall anerkannt hat.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Versicherungsfalls vom 16.03.2016.
Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt als Omnibusfahrer abhängig beschäftigt und in Ausübung dieser Tätigkeit mit einem Linienbus unterwegs. Unter dem 21.03.2016 zeigte die Arbeitgeberin des Klägers bei der Beklagten den Unfall vom 16.03.2016 an. Der Kläger sei mit einem Fahrgast in einen Streit verwickelt gewesen. Er habe den Fahrgast aufgefordert, an der Haltestelle C-Straße in C-Stadt auszusteigen, der Fahrgast habe sich aber geweigert und der Kläger habe die Fahrt fortgesetzt. An der Haltestelle D-Straße in A-Stadt seien Fahrgast und Kläger ausgestiegen und der Streit sei draußen vor dem Bus eskaliert. Die beiden Männer hätten gerangelt und seien zu Boden gefallen, wobei sich der Kläger schwer am linken Knie verletzt habe. Im Durchgangsarztbericht vom 17.03.2016 des Dr. E. (St. Vinzenz-Krankenhaus Hanau), den der Kläger am Unfalltag aufsuchte, wird der Unfallhergang so geschildert, dass der Kläger von einem Fahrgast attackiert worden und in der körperlichen Auseinandersetzung mit diesem zu Boden auf das linke Knie gestürzt sei. Die Erstdiagnose lautete auf Tibiakopffraktur. Der Kläger wurde bereits am Folgetag operiert (offene Reposition, Implantation von allogenem Knochenersatz sowie osteosynthetische Versorgung mittels winkelstabiler Platte von lateral, Zwischenbericht des St. Vinzenz-Krankenhauses vom 24.03.2016).
Unter dem 01.04.2016 schrieb die Beklagte den Kläger unter dem Betreff „Ihr Versicherungsfall vom 16.03.2016“ an, um zur Prüfung, ob dem Kläger „Leistungen wegen eines Arbeitsunfalls zustehen“, sein Einverständnis mit der Erhebung von Daten zur Durchführung von Sachverhaltsermittlungen einzuholen. U. a. zog die Beklagte sodann die Akte der Staatsanwaltschaft Hanau zum Verfahren bei, da der Kläger gegen den besagten Fahrgast Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt hatte.
Auch nach der Entlassung aus der stationären Krankenhausbehandlung war der Kläger fortlaufend arbeitsunfähig und behandlungsbedürftig. Die Beklagte übernahm die Behandlungskosten und die Krankenkasse des Klägers zahlte ihm ab dem 27.04.2016 im Auftrag der Beklagten Verletztengeld (vgl. von der Barmer GEK mit Schreiben vom 14.06.2016 geltend gemachter Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten).
Unter dem 03.08.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie eine ambulante Heilverfahrenskontrolle veranlasst habe, um festzustellen, „welche weiteren Behandlungsmaßnahmen zur Besserung der Unfallfolgen noch erforderlich sind [..]“. Infolge des Ausbleibens des Klägers zum vereinbarten Termin wies die Beklagten den Kläger mit Schreiben vom 22.08.2016 auf seine Mitwirkungspflichten hin und endete mit der Rechtsfolgenbelehrung: „Sollten Sie diesen Termin [..] erneut nicht wahrnehmen, werden wir die Versagungsvorschriften anwenden und Ihnen das Verletztengeld ab diesem Tag bis auf weiteres, d. h. bis zur Nachholung Ihrer Mitwirkungspflicht, entziehen.“
Bei dem Kläger erfolgte im September 2016 zu Lasten der Beklagten ein stationärer Krankenhausaufenthalt mit „Teil-Materialentfernung sowie arthroskopischer Knorpelglättung laterales Tibiaplateau linkes Knie“ im St. Vinzenz-Krankenhaus Hanau mit stationärer Anschlussheilbehandlung im Klinikzentrum Lindenallee GmbH. Von dort wurde er weiterhin als arbeitsunfähig entlassen. Unter dem 03.03.2017 teilte Dr. E. der Beklagten auf Anfrage mit, dass sich bei dem Kläger posttraumatisch eine Arthrose entwickelt habe und ein Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit deshalb nicht absehbar sei.
Nachdem die Beklagte ihren Leistungen bisher (vgl. interne Bearbeitungsvermerke der Sachbearbeiter) das Vorliegen eines Arbeitsunfalls vom 16.03.2016 zugrunde gelegt hatte, erfolgte am 22.03.2017 eine hiervon abweichende interne Bewertung. Ein innerer Zusammenhang des Streits zwischen Kläger und Fahrgast mit der versicherten Tätigkeit sei nicht zu erkennen, da der Streit vom Versicherten ausgegangen und von ihm wiederholt fortgesetzt worden sei und in keiner Weise erforderlich gewesen sei, um der Tätigkeit weiter nachzugehen. Dennoch fand am 24.03.2017 in der BG-Unfallklinik Frankfurt ein Reha-Beratungsgespräch inklusive körperlicher Untersuchung des Klägers statt, bei dem ein Reha-Plan („Aufnahme zur stationären Kurzabklärung in der BG-Unfallklinik zur Planung, ob und welche Maßnahmen noch durchzuführen sind“) erstellt wurde, der auch zu Lasten der Beklagten umgesetzt wurde. Hierbei wurde ärztlicherseits angegeben, dass der Kläger aufgrund der schweren Schädigung des Tibiakopfes die Tätigkeit als Busfahrer auf Dauer nicht wieder ausüben könne; außerdem wurde die Implantation einer Knie-TEP empfohlen. Der Kläger wandte sich deswegen (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) unter dem 25.04.2017 an seine Sachbearbeiterin, die mit ihm ein Gespräch zur Planung der beruflichen Wiedereingliederung führte. Anschließend wurden dem Kläger Teilhabeleistungen bewilligt (Unterstützung bei der Vermittlung einer zumutbaren leidensgerechten Tätigkeit durch das „Center für Berufsintegration“). Am 04.08.2017 rief die dortige Sachbearbeiterin bei der Beklagten an und teilte mit, dass der Kläger gerne ein Franchise-Unternehmen übernehmen würde, bei dem er bereits zur Probe gearbeitet habe.
Unter dem 08.08.2017 jedoch erteilte die Beklagte dem Kläger einen Bescheid, in dem sie verfügte, dass das Ereignis vom 16.03.2016 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und Leistungen der Berufsgenossenschaft wegen dieses Ereignisses nicht zu erbringen seien.
Zur Begründung berief sich die Beklagte auf die polizeiliche Auswertung des Bildmaterials aus dem Bus, wonach der Kläger den Fahrgast außerhalb des Busses mit den Händen am Oberkörper gestoßen habe, daraufhin beide Männer zu Boden gestürzt seien und aufeinander eingeschlagen hätten. Hierbei habe sich der Kläger einen Schienbeinkopfbruch links zugezogen. Als der Kläger den Bus angehalten und den Fahrgast gepackt habe und beide sich geschlagen hätten, habe der Kläger seine versicherte Tätigkeit (Busfahren) zeitlich und räumlich unterbrochen, seine Handlungstendenz sei nicht mehr auf das Busfahren gerichtet gewesen, sondern auf die Verärgerung gegenüber dem Fahrgast. Es habe sich um eine eigenwirtschaftliche und damit unversicherte Tätigkeit gehandelt.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und machte geltend, dass die Beklagte von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei und dass die Tätigkeit, die zur streitgegenständlichen gesundheitlichen Schädigung geführt habe, in unmittelbarem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Klägers gestanden habe. Der Kläger benötige weiterhin Krankenbehandlung, ggf. auch Reha- und Wiedereingliederungsmaßnahmen.
Die Beklagte zog erneut die Akte der Staatsanwaltschaft bei und wies nach deren Auswertung mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2018 den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 08.08.2017 zurück. Zur Begründung bekräftigte die Beklagte die Begründung des Ausgangsbescheids und führte ergänzend aus, dass die Klärung eines betrieblichen Disputs zwar auch im betrieblichen Interesse liegen könne, jedoch sei die Rauferei zwischen dem Kläger und dem Fahrgast erst nach der Beendigung des aus betrieblichem Anlass erwachsenen Disputs entstanden. Der Kläger habe danach nämlich die Fahrtätigkeit wiederaufgenommen und eine Fahrtstrecke von rund einer Viertelstunde zurückgelegt und habe erst nach dem Ende der Fahrt gezielt die körperliche Auseinandersetzung mit dem Fahrgast gesucht. Es sei davon auszugehen, dass im Vordergrund sein Bedürfnis gestanden habe, den Fahrgast körperlich anzugehen, was dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sei.
Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten am 20.08.2018 Klage zum Sozialgericht Frankfurt/Main erhoben.
Der Klägervertreter macht weiterhin geltend, dass die tätliche Auseinandersetzung des Klägers mit dem Fahrgast im inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit gestanden habe.
Der Klägervertreter legt auf Anfrage der Kammervorsitzenden das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Landgerichts Hanau vom 05.11.2018 in dem vom Kläger gegen den Fahrgast angestrengten Zivilrechtsstreit sowie das daraufhin ergangene Urteil vom 15.11.2018 vor.
Der Klägervertreter beantragt wörtlich,
den Bescheid vom 08.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2018 aufzuheben oder abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 16.03.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt ihre Entscheidung, wonach ein Versicherungsfall nicht vorliege, weil die Handlungstendenz des Klägers bei dem Ereignis vom 16.03.2016 nicht darauf ausgelegt gewesen sei, seine Tätigkeit als Busfahrer auszuführen und sieht diese Entscheidung durch die Zeugenaussagen in der Sitzungsniederschrift des Landgerichts Hanau und das Urteil desselben bestätigt.
Mit rechtlichem Hinweis vom 13.04.2021 hat die Kammervorsitzende die Beklagte aufgefordert, mitzuteilen, ob sie anerkennt, dass sie spätestens mit der Verletztengeldbewilligung ab 27.04.2016 das Ereignis vom 16.03.2016 als Arbeitsunfall anerkannt hat und daher bereit ist, den hier streitgegenständlichen Bescheid vom 08.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2018 aufzuheben. Dies hat die Beklagte abgelehnt und hierzu vorgetragen, dass ihrem Schreiben an den Kläger vom 01.04.2016 (s. o.) keine Anerkennung des Unfalls als Versicherungsfall zu entnehmen sei, auch wenn es in der Überschrift von „Versicherungsfall“ spreche, da der Überschrift kein Regelungsgehalt zukomme und es im Übrigen in dem Schreiben heiße: „Wir prüfen, ob Ihnen Leistungen wegen eines Arbeitsunfalls zustehen.“ Das Schreiben der Beklagten vom 03.08.2016 (s. o.) stelle ebenfalls keine solche Anerkennung dar, da in der Überschrift von Unfall, nicht von einem Arbeitsunfall, gesprochen werde. Das Info-Schreiben an den Verletzten in Bezug auf die Unterstützung bei der Vermittlung einer zumutbaren, leidensgerechten Tätigkeit sei nach damaliger Rechtsauffassung nicht als Verwaltungsakt erteilt worden. Dieses Schreiben erfolge immer im Hinblick auf die Dauer der Arbeitsunfähigkeit (Eintritt der 78. Woche), wobei niemals zu diesem Zeitpunkt durch den Reha-Manager das Vorliegen eines Arbeitsunfalls geprüft werde, sondern einfach dem Umstand Rechnung getragen werde, dass die Verletztengeldzahlung enden könnte. Die Verletztengeldzahlung selbst sei bei einem Arbeitnehmer gewissermaßen ein Selbstläufer ohne weitere Prüfungsschritte in dem Moment, in dem dieser zu einem D-Arzt gehe und von einem Arbeitsunfall berichte. In dem Moment, in dem der Verletzte dann der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlege, erhalte er Verletztengeld. Alles Weitere werde im Rahmen der Erstattungsansprüche geregelt. Im Falle des Klägers habe es, wie dies häufig der Fall sei, unterschiedliche Schilderungen zu der Frage gegeben, ob der Verletzte bei einer versicherten Tätigkeit gewesen sei. Die Beklagte habe hierzu ermittelt, wobei es doch selbstverständlich sei, dass dies nicht zu Lasten des Verletzten gehen könne. Auch wenn nun eine Sachbearbeiterin in einem schriftlichen Vermerk ihre Rechtsauffassung kundtue, bedeute dies noch lange nicht, dass diese Rechtsauffassung auch zutreffend sei, schon gar nicht, dass damit der Arbeitsunfall anerkannt sei. Der Akte sei daher „nicht ansatzweise die Anerkennung eines Arbeitsunfalls zu entnehmen“. Sollte das Gericht dieser Auffassung nicht folgen, halte sich die Beklagte nicht mehr an ihre zuvor erteilte Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG gebunden und bitte um einen Termin zur mündlichen Verhandlung, um ihren Standpunkt nochmals zu verdeutlichen.
Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Verwaltungsakten der Beklagten zu dem Rechtsstreit beigezogen.
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte mit dem von den Beteiligten wirksam erteilten Einverständnis nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, auch wenn die Beklagte sich zuletzt (Schriftsatz vom 16.04.2021) an die von ihr abgegebene Einverständniserklärung nicht mehr gebunden gefühlt hat, sollte das erkennende Gericht ihrer Rechtsauffassung nicht folgen.
Denn die Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG ist nur solange widerruflich (falls man überhaupt von einer Widerruflichkeit und nicht von einer von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Fortdauer der Wirksamkeit der Einverständniserklärung vor gerichtlicher Entscheidung ausgeht), bis ihre prozessuale Wirkung eingetreten ist, d. h., solange die Erklärung noch nicht bei Gericht eingegangen ist oder die korrespondierende Erklärung der anderen beteiligten Partei noch nicht vorliegt (vgl. Bergner in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGG, 1. Auflage 2017, Stand 07.05.2018, § 124 Rz. 56). Zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes der Beklagten vom 16.04.2021 aber war die prozessuale Wirkung der zuvor erteilten Einverständniserklärung der Beklagten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bereits eingetreten.
Nach ihrem Wirksamwerden kann eine „wesentliche Änderung der Prozesslage“ dem bisherigen Verzicht auf eine mündliche Verhandlung die Grundlage entziehen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. nur Urteil vom 30.10.2019, B 14 AS 258/18 B; juris; der beizupflichten ist). Eine bereits wirksam abgegebene Verzichtserklärung steht damit unter dem Vorbehalt der im Wesentlichen unveränderten Sach-, Beweis- und Rechtslage. Die Prozesslage kann sich in diesem Sinne nach Abgabe der Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG wesentlich ändern durch z. B. Vorbringen neuer Tatsachen, Bezeichnung neuer Beweismittel, Stellung neuer Anträge, Vorlage neuer Dokumente, durch Eingehen von Dokumente, die von Amts wegen angefordert wurden, durch Vernehmung von Zeugen, durch Beweisbeschlüsse oder durch Gesetzesänderung oder Neuorientierung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Bergner aa0, § 124 Rz. 62-64). Vorliegend ist nichts dergleichen geschehen. Stattdessen hat die Kammervorsitzende, ohne dass sich Sach-, Beweis- oder Rechtslage geändert haben, den Beteiligten am 13.04.2021 einen (von ihrem vorher erteilten rechtlichen Hinweis abweichenden) rechtlichen Hinweis erteilt und die Beklagte hat hierzu ihre abweichende Rechtsauffassung mitgeteilt.
Zwar wird vom BSG (Beschluss vom 12.04.2005, B 2 U 135/04 B; juris) vertreten, dass eine „wesentliche Änderung der Prozesslage, die dem Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG die Grundlage entzieht“, auch darin liegen kann, dass das Gericht seine den Beteiligten mitgeteilte Rechtsauffassung zu einer entscheidungserheblichen Frage nicht mehr aufrechterhält, indes nur in dem Fall, in dem der gesamte Spruchkörper gegenüber den Beteiligten eine rechtliche Bewertung des Prozessstoffs vorgenommen hat; explizit hiervon ausgenommen hat das BSG den Fall, in dem nur der/die Vorsitzende bzw. ein Mitglied des Spruchkörpers den Beteiligten seine Rechtsauffassung mitgeteilt hat (Beschluss aa0, Rz. 10). Dieser Rechtsprechung wird gefolgt, da (auch) nach der Überzeugung der erkennenden Kammer die Rechtsauffassung eines einzelnen Mitglieds des Spruchkörpers, das von den anderen Mitgliedern überstimmt werde kann, gerade wegen dieses Umstandes kein Vertrauen der Beteiligten in die Maßgeblichkeit dieser Rechtsauffassung begründen kann, auch wenn, in der ersten Instanz, die mitgeteilte Rechtsauffassung von der einzigen Berufsrichterin des Spruchkörpers vertreten wird. Denn der Gesetzgeber hat gerade in der ersten Instanz die Möglichkeit des Überstimmt-Werdens des Berufsrichters durch die Laienrichter vorgesehen, so dass gerade hier, neben rein rechtlichen Gesichtspunkten, Aspekte zum Tragen kommen können, die sich etwa aus dem „gesunden Menschenverstand“, der Lebenserfahrung oder der eigenen Berufserfahrung von Laienrichtern ergeben. Dies gilt im vorliegenden Fall sogar noch in gesteigertem Maße, weil über die Auslegung von Behördenhandeln zu entscheiden ist, die gerade nicht nach juristischem Verständnis, sondern nach der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ eines objektiven, verständigen Empfängers vorzunehmen ist (hierzu noch genauer s. u.).
Da die prozessual wirksam gewordene Einverständniserklärung der Beklagten somit nicht infolge des rechtlichen Hinweises der Kammervorsitzenden vom 13.04.2021 unwirksam geworden ist, war die Beklagte auch zum Entscheidungszeitpunkt hieran gebunden und das erkennende Gericht nicht an einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gehindert.
Auch wird durch die gerichtliche Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht der Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz) verletzt, denn der rechtliche Hinweis der Kammervorsitzenden vom 13.04.2021 wurde gerade erteilt, um eine sog. Überraschungsentscheidung zu verhindern, da sich der Klägervertreter weder im Laufe des Widerspruchs-, noch im Laufe des Klageverfahrens darauf berufen hat, dass die Beklagte den Unfall des Klägers bereits als Versicherungsfall anerkannt habe, und da die Kammervorsitzende den Beteiligten zunächst einen Hinweis erteilt hatte, mit dem dem Kläger Erfolgsaussichten seines Klagebegehrens nicht in Aussicht gestellt worden waren. Die Beklagte hat Gelegenheit gehabt, sich zu dem rechtlichen Hinweis vom 13.04.2021 zu äußern und hat dies auch getan.
Die Klage ist zulässig, insbesondere als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) statthaft, letztere gerichtet auf Feststellung des Versicherungsfalls durch die Beklagte, die das BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur Urteil vom 05. Juli 2011 – B 2 U 17/10 R – Rz. 15 f. des juris-Dokuments) nicht ohne berechtigte Kritik aus der Literatur (vgl. statt aller: Ricke, NZS 2016, 691; juris Literaturnachweis) aus § 102 SGB VII als „Ermächtigungsnorm und Anspruchsgrundlage“ ableitet; ein Rechtschutzbedürfnis für diese Feststellung ist wegen nicht auszuschließender künftiger Leistungsanträge des Klägers infolge seiner schweren Knieschädigung (s. Tatbestand) zu bejahen.
Die zulässige Klage führt auch in der Sache zum Erfolg.
Die mit der Klage angefochtene Behördenentscheidung vom 08.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn ihr steht die vorher getroffene, unanfechtbare Feststellung der Beklagten entgegen, dass es sich bei dem Ereignis vom 16.03.2016 um einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 SGB VII) handelt. Diese ist „eine hoheitliche Maßnahme zur Regelung (d. h. gemäß § 31 SGB I: auch zur Feststellung eines Rechts) eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (hier: Leistungsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung) mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (hier: gegenüber einem Versicherten).“ (BSG, Urteil vom 05.07.2011, aa0, Rz. 15), mithin ein Verwaltungsakt (§ 35 Satz 1 SGB X).
Im Verwaltungsverfahren auch der gesetzlichen Unfallversicherung herrscht der Grundsatz der Nichtförmlichkeit. Soweit keine anderslautenden Vorschriften bestehen, ist das Verfahren nicht an bestimmte Formen gebunden, sondern einfach, zweckmäßig und zügig (§ 9 SGB X) durchzuführen (Köhler in: Hauck/Noftz, SGB, 04/20, § 102 SGB VII, Rz. 1). Die Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X setzt diesen Grundsatz im Hinblick auf den Bescheiderlass konsequent fort, indem sie bestimmt, dass Verwaltungsakte schriftlich, elektronisch, mündlich oder – worauf es hier ankommt – „in anderer Weise“ erlassen werden können. Eine schriftliche Entscheidung ist gemäß § 102 SGB VII nur bei einem Anspruch aus § 36 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV (also etwa bei einer Entscheidung über die Gewährung einer Rente) erforderlich. Schon aus dieser Vorschrift lässt sich der Rückschluss ziehen, dass eine bindende Feststellung (des Vorliegens) eines Versicherungsfalls nach § 7 Abs. 1 SGB VII auch anders als durch schriftlichen Bescheid ergehen kann. Dementsprechend kann die behördliche Feststellung eines Versicherungsfalls auch durch schlichtes, konkludentes Verwaltungshandeln getroffen werden, das in der Gewährung unfallversicherungsrechtlicher Leistungen bestehen kann, da Leistungen in der Gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie nicht unter Vorbehalt erbracht werden (s. sogleich), die Bejahung eines Versicherungsfalls zwingend voraussetzen (ausgenommen hiervon sind Leistungen, die, wie vorbeugende Leistungen nach § 3 Berufskrankheitenverordnung, auch ohne den Eintritt eines Versicherungsfalls gewährt werden, vgl. G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 7 SGB VII, Stand: 19.04.2021, Rz 8 und 9).
Maßgeblich für die Auslegung des Verwaltungshandelns ist der sog. objektive oder objektivierte Empfängerhorizont (vgl. statt aller: Littmann in: Hauck/Noftz, SGB, 12/16, § 33 SGB X Rz. 4 mwN). Dem objektiven Empfängerhorizont liegen die Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zugrunde, allerdings nur, soweit sie dem Empfänger vor oder spätestens gleichzeitig mit dem Verwaltungshandeln bekannt geworden sind bzw. werden. Umstände, die erst danach hinzutreten, sind bei der Auslegung unbeachtlich (vgl. Engelmann in v. Wulffen/Schütze, § 33 Rz 9b; zitiert nach Littmann aa0).
Zu Recht hat die Beklagte auch darauf hingewiesen, dass es unerheblich ist, welche Rechtsauffassung die Behörde rein intern vertritt; genauso wenig ist es allerdings auch rechtserheblich, wenn die Behörde das dem Empfänger gegenüber im Verwaltungshandeln zum Ausdruck Gebrachte – aus welchem Grund auch immer – nicht in dem Sinne verstanden wissen will, wie es nach dem objektiven Empfängerhorizont zu verstehen ist.
Vorliegend hat die Beklagte dem Kläger seit dem Ereignis vom 16.03.2016 und vor Erteilung des Bescheids vom 08.08.2017, in dem sie die Feststellung des Versicherungsfalls abgelehnt hat, wegen der hierbei erlittenen Tibiakopffraktur fortlaufend und ohne Vorbehalte (vorläufige Leistungen werden nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I iVm § 139 SGB VII erbracht) „Leistungen nach Eintritt eines Versicherungsfalls“ nach dem Dritten Kapitel des SGB VII (§ 26 Abs. 1 SGB VII) erbracht, nämlich von Anfang an Heilbehandlungen nach § 27 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 4 und 6 SGB VII, seit dem 27.04.2016 Verletztengeld nach § 45 SGB VII und zuletzt auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 35 SGB VII (s. Tatbestand).
Nach der Überzeugung der erkennenden Kammer war für einen objektiven, verständigen Empfänger die Leistungsgewährung durch die Beklagte daher in dem Sinne zu verstehen, dass diese dem Verletzten infolge des Ereignisses vom 16.03.2016 gegenüber der Beklagten zusteht (Parallelwertung in der Laiensphäre), rechtlich ausgedrückt, dass die Leistungsgewährung auf der Feststellung/Anerkennung des Ereignisses vom 16.03.2016 als Versicherungsfall (Arbeitsunfall) beruht.
Dies gilt nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts selbst dann, wenn die Hergangsschilderung des Ereignisses durch den Verletzten (aus welchen Gründen auch immer) in Teilen nicht den Tatsachen entsprochen hat, denn hiermit ist beim objektiven, verständigen Empfänger weder automatisch noch zwingend noch regelhaft die Vorstellung verknüpft, dass (ihm) dem Verletzten die von der Behörde erbrachten Leistungen nicht zustehen, zumal, wenn die Behörde – wie hier – dem Verletzten bereits zu Beginn des Verwaltungsverfahrens mitgeteilt hat, dass sie zur Prüfung, ob ihm Leistungen wegen eines Arbeitsunfalls zustehen, weitere Ermittlungen (u. a. beim Arbeitgeber; Schreiben der Beklagten vom 01.04.2016 mit Formular „Einwilligungserklärung“) durchführen muss und der Verletzte (hier: am 12.04.2016) sein Einverständnis hiermit erteilt hat. Gerade in diesem Fall kann vom objektiven Empfängerhorizont her nicht davon ausgegangen werden, dass die Behörde die Prüfung ihrer Leistungspflicht ausschließlich an der Hergangsschilderung des Verletzten ausrichtet. Und gerade in einem solchen Fall wird sich der Verletzte, der einen Arbeitsunfall geltend gemacht hat, durch die Leistungserbringung der Behörde (in seiner Parallelwertung in der Laiensphäre) darin bestätigt sehen, dass ihm die Leistungen wegen eines Arbeitsunfalls zustehen.
Hinzu kommt, dass dem Kläger in dem soeben genannten Schreiben der Beklagten „Hinweise zum Verfahren und zu Leistungen nach einem Arbeitsunfall“ gegeben wurden, wobei mit „Verfahren“ das „Leistungsverfahren“ gemeint war, denn die Beklagte schrieb in diesem Hinweis zu „Heilbehandlung“: „Die Kosten der Heilbehandlung (ambulant und stationär) rechnet der Arzt bzw. das Krankenhaus direkt mit uns ab. Sie müssen keine Zuzahlungen leisten.“, zu „Arznei- und Verbandmitteln, Heil- und Hilfsmitteln“: „Die Kosten für Arznei- und Verbandmittel übernehmen wir bis zur Höhe der jeweiligen Festbeträge. Anders als in der gesetzlichen Krankenversicherung müssen Sie hierfür keinen Eigenanteil zahlen. Das gilt auch für die Versorgung mit Heilmitteln (z. B. Massagen, Krankengymnastik und sonstige physikalische Therapien) und Hilfsmittel (z. B. orthopädische Hilfsmittel, Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücke). […]“, zu „Reisekosten“: „Fahrt- und Transportkosten zur Durchführung der Heilbehandlung werden von uns übernommen. Sie müssen keine Zuzahlungen leisten. […]“, zu „Verletztengeld“: „Sobald die Entgeltfortzahlung durch Ihren Arbeitgeber beendet ist, erhalten Sie von uns Verletztengeld. Dieses wird für die Dauer Ihrer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit durch Ihre Krankenkasse ausgezahlt. […]“ und zu „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“: „Falls sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Unfallfolgen Ihre berufliche Tätigkeit beeinträchtigen, setzen wir uns mit Ihnen in Verbindung. Wir werden Sie frühzeitig beraten, welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht kommen. […] Sie erhalten dann auf der Grundlage einer gemeinsam getroffenen Zielvereinbarung die Ihnen zustehenden Sach- und Dienstleistungen als Geldbetrag […]“.
Genauso wie in dem Hinweis angegeben wurden dem Kläger sämtliche oben genannte Einzelleistungen erbracht, deren Entgegennahme er bei Krankengymnastik, Hilfsmitteln und Krankenbeförderung sogar auf Vordrucken, die die Kostenträgerschaft der Beklagten ausweisen, quittieren musste. Auch diese Umstände waren, nach dem oben Ausgeführten, bei der Auslegung des Behördenhandelns (der Leistungserbringung) zu berücksichtigen und führten den objektiven, verständigen Leistungsempfänger erst recht zu dem Schluss, dass die Beklagte einen Arbeitsunfall bejahte, weil sie die Leistungen genauso erbrachte, wie es in dem o. g. Hinweis „nach einem Arbeitsunfall“ beschrieben war.
Da die konkludente Feststellung des Versicherungsfalls vom 16.03.2016 durch schlichtes Verwaltungshandeln, sprich Leistungsgewährung, den Kläger ausschließlich begünstigte, war sie bereits mit ihrer Bekanntgabe – dies war der Leistungsempfang – für die Beklagte bindend (§ 77 SGG ist auf diesen Fall nicht anwendbar). An dieser Bindungswirkung gegenüber dem Kläger änderte sich auch nichts dadurch, dass die Beklagte sich in ihrem Rechtsverhältnis mit der Gesetzlichen Krankenversicherung vorbehielt, im Falle des Nichtvorliegens eines Arbeitsunfalls gegen diese Erstattungsansprüche anzumelden, da hiervon das zwischen Beklagter und Kläger bestehende Rechtverhältnis nicht berührt wird.
Deshalb hätte die klagegegenständliche Behördenentscheidung rechtmäßig nur ergehen können, wenn die Beklagte spätestens gleichzeitig mit ihr (gedanklich allerdings eine „logische Sekunde“ davor) ihre konkludente Feststellung des Arbeitsunfalls vom 16.03.2016 in rechtmäßiger Weise (nach § 45 SGB X; diesbezüglich erfolgt hier kein Präjudiz) zurückgenommen hätte (vgl. auch Keller in: Hauck/Noftz, SGB, 08/18, § 7 SGB VII, Rz. 6c). Weder ist hier eine solche Rücknahmeentscheidung explizit erfolgt, noch konnte die klagegegenständliche Verwaltungsentscheidung als solche ausgelegt werden (soweit man dies überhaupt bei Verwaltungsakten, die in Rechte eingreifen, für rechtlich möglich erachtet), da die Beklagte sich ihrer Bindung an die konkludente Feststellung des Versicherungsfalls gar nicht bewusst war.
Da das erkennende Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Beklagte an der hier klagegegenständlichen Entscheidung durch die bindende Feststellung des Versicherungsfalls vom 16.03.2016 gehindert war, ist der Bescheid vom 08.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2018 rechtswidrig und fällt der Aufhebung anheim.
Da die Beklagte das Vorliegen des Arbeitsunfalls bereits bindend festgestellt hat, scheidet aber mangels Rechtschutzbedürfnisses eine Verurteilung der Beklagten zur Feststellung des Versicherungsfalls aus. Indes hat der Kläger in diesem Fall, weil die Beklagte ihre Bindung an die konkludente Feststellung des Versicherungsfalls nicht (an)erkennt (vgl. ihr Schreiben vom 16.04.2021, s. Tatbestand), Anspruch auf gerichtliche deklaratorische Feststellung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG iVm § 123 SGG, dass die Beklagte das Ereignis vom 16.03.2016 durch konkludentes Verwaltungshandeln als Versicherungsfall anerkannt hat. Da das die Anerkennung des Versicherungsfalls „implizierende“ Leistungsverhalten der Beklagten sämtlich zeitlich vor der Erteilung der klagegegenständlichen Behördenentscheidung stattfand, musste sich das erkennende Gericht hier nicht festlegen, welches die erste Einzelleistung der Beklagten war, die ein objektiver und verständiger Empfänger, juristisch ausgedrückt, als Feststellung des Versicherungsfalls „in anderer Weise“ (§ 33 Abs. 2 Satz 1 vierte Alternative SGB X) verstehen musste/konnte. Notfallmäßige oder unaufschiebbare d-ärztliche Erstbehandlungen scheiden in aller Regel schon deshalb aus, weil sie vor Kenntnis des Unfallversicherungsträgers von dem möglichen Versicherungsfall erbracht werden. Ob die Gewährung von Verletztengeld durch die Krankenkasse ab 27.04.2016, die im Auftrag der Beklagten erfolgt ist, für einen objektiven Empfänger als Verwaltungsakt im o. g. Sinne deutlich geworden ist, was aufgrund des „Leistungshinweises“ der Beklagten zum Verletztengeld im Schreiben vom 01.04.2016 (s. o.) zu bejahen sein dürfte (für die Fälle, dass der Empfänger von der Krankenkasse eine Leistungsmitteilung erhält oder die Zahlung im Auftrag der Berufsgenossenschaft aus dem der Geldüberweisung durch die Krankenkasse beigefügten Text hervorgeht, vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 09.03.2006, L 2 U 167/05 Rz. 25 und 26 mwN aus der BSG-Rechtsprechung), konnte dahinstehen.
Die zeitliche Festlegung im Tenor („spätestens aber durch ihr Schreiben an den Kläger vom 22.08.2016 [..]“) ist zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten zwischen den Beteiligten wegen etwaiger Fristenberechnungen vorgenommen worden. Denn in dem Schreiben der Beklagten vom 22.08.2016 („[..] werden wir [..] Ihnen das Verletztengeld ab diesem Tag bis auf Weiteres [..] entziehen.“) kommt, wie zuvor schon im Schreiben der Beklagten vom 03.08.2016 („[..] um festzustellen, welche weiteren Behandlungsmaßnahmen zur Besserung der Unfallfolgen noch erforderlich sind [..]“), nach der Überzeugung der erkennenden Kammer unzweifelhaft für den objektiven und verständigen Empfänger zum Ausdruck, dass die Beklagte ihm schon bis dahin „Versicherungsleistungen“ (im Falle des Schreibens vom 03.08.2016 Heilbehandlung, im Falle des Schreibens vom 22.08.2016 Verletztengeld) erbracht hat.
Nur rein vorsorglich sei angemerkt, dass die hier erfolgte gerichtliche deklaratorische Feststellung keine präjudizielle Wirkung im Hinblick auf künftige Leistungsansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten entfaltet.
Der Klage war (unter Modifikation des Klageantrags) vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.