S 25 KR 2655/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 25 KR 2655/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 397/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

1.    Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für einen Elektrorollstuhl mit Stehfunktion Modell Permobil F5 Corpus VS zu übernehmen. 

2.    Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion. 

Der 1990 geborene Kläger ist als Labormitarbeiter beschäftigt und bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihm besteht seit Geburt eine progrediente Muskeldystrophie vom Typ Becker-Kiener mit Spitzfußstellung beidseits und einem Immobilitätssyndrom. Die Gehfähigkeit ist aufgehoben, das Stehen ist nur eingeschränkt möglich. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 und dem Merkzeichen „aG“ anerkannt und bezieht Leistungen der Pflegeversicherung nach der früheren Pflegestufe I. Die Beklagte versorgte den Kläger im Juni 2014 mit einem Elektrorollstuhl „Quickie Jive M mit Sitzlift“, der über eine elektrische Rückenverstellung, Sitzkantelung und einen Hub verfügt. 

Am 6. März 2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage einer Verordnung des Dr. D. vom 13. Februar 2017 die Kostenübernahme für einen Elektrorollstuhl mit Aufstehfunktion. Entsprechend einem Kostenvoranschlag der Firma E. GmbH sollten die Kosten für einen Elektrorollstuhl mit Stehfunktion und elektrischen Verstell- und Programmiermöglichkeiten Modell „Permobil F5 Corpus VS“ des Herstellers F. GmbH nebst Zubehör insgesamt 34.653,56 € betragen. 

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21. März 2017 den Antrag mit der Begründung ab, eine geeignete wirtschaftliche Alternative sei ein Greifenrollstuhl mit Stehfunktion. 

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 27. März 2017 Widerspruch ein. Er machte geltend, die Muskeldystrophie ziehe den Beckengürtel und zunehmend auch den Schultergürtel in Mitleidenschaft. Als Nebenerkrankung leide er bereits an einer Herzinsuffizienz. Um sich den dauerhaften Anforderungen des täglichen Lebens und im Arbeitsleben langfristig stellen zu können, sei ein Positionswechsel in den unterschiedlichen Anforderungen nötig. Der ihm in 2014 überlassene Elektrorollstuhl ohne Stehfunktion könne die zunehmenden Behinderungen der Erkrankung nicht mehr ausreichend ausgleichen. Aufgrund der fortschreitenden Erkrankung könne er mittlerweile auch die Funktion des aus dem Rollstuhl Aufstehens nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen. Die motorische Unterstützung des Bewegens, des Aufstehens und Wiederhinsetzens mit elektrischer Hilfe stelle zusammen mit den behindertengerechten Zurichtungen einen wichtigen Bestandteil seines Behinderungsausgleiches dar. Auch diene der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion der Kontraktionsprophylaxe, der Kreislaufstabilisierung bei bekannter Herzinsuffizienz und der Partizipation mit anderen Menschen. 
Das Angebot der Beklagten vom 28. November 2017, ihn mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion „C 400 VS“ zu versorgen, lehnte der Kläger ab, da die Stehkurve nicht individuell programmiert werden könne. 
Vorgelegt hatte der Kläger einen Arztbericht der Orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus Würzburg vom 7. Januar 2013, ein Attest des Arztes G. vom 19. Januar 2018, einen Arztbericht der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg vom 21. Mai 2018, eine befürwortende Begründung für einen Elektrorollstuhl mit Stehfunktion des Neuromuskulären Zentrums der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg vom 9. Juli 2018 sowie ein Attest des Facharztes für Neurologie Dr. H. vom 6. September 2018. 

Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Hessen vom 12. September 2018 ein. Darin gelangte der Gutachter nach Aktenlage zu der Beurteilung, der derzeit vorhandene Elektrorollstuhl Modell Quickie Jive sei für den Kläger noch ausreichend und zweckmäßig. Die Stehfunktion im Elektrorollstuhl sei derzeit nicht zwingend erforderlich. Die Durchführung des Stehtrainings bedinge keine Neuanschaffung mit dem beantragten Rollstuhl. Er führte aus, der Elektrorollstuhl Modell Quickie Jive sei mit elektrischen Verstellmöglichkeiten der Sitzposition versehen und verfüge über eine Hubfunktion des Sitzes. Mit dieser Hubfunktion ließen sich auch Transfers auf Toilette, Bett usw. ausführen und auch die Kommunikation mit Blickkontakt erleichtert werden. 

Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29. November 2018 als unbegründet zurück. 

Hiergegen hat der Kläger am 6. Dezember 2018 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Er ist unter Verweis auf sein Vorbringen im Vorverfahren der Ansicht, der beantragte Elektrorollstuhl mit Stehfunktion sei notwendig, um allgemeine Grundbedürfnisse des täglichen Lebens auszugleichen. Im Vordergrund des neu gefassten Behinderungsbegriffes in § 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) stünden das Ziel der Teilhabe, die Stärkung individueller Möglichkeiten und der individuelle Bedarf (Verweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 12/17 R). 

Der Kläger beantragt (sinngemäß), 

den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für einen Elektrorollstuhl mit Stehfunktion Modell Permobil F5 Corpus VS zu übernehmen. 

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung aus den Gründen des Widerspruchsbescheides für zutreffend. Eine Versorgung mit dem beantragten Elektrorollstuhl überschreite das Maß des Notwendigen. Das Grundbedürfnis auf Sicherstellung eines körperlichen Freiraumes sei durch den in 2014 bewilligten Elektrorollstuhl sichergestellt. Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs bestehe nur ein Anspruch auf einen Basisausgleich. Physikalische Behandlungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Stehtraining, würden ebenfalls den Rücken entlasten und die Muskulatur fördern. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. 

Entscheidungsgründe

Gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besondere Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG vorher zu hören. Letzteres ist durch Anhörungsschreiben vom 3. März 2020 erfolgt. Die gerichtliche Verfügung wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Beklagten jeweils mit Empfangsbekenntnis am 18. März 2020 zugestellt. 

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist auch sachlich begründet. 

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion Modell Permobil F5 Corpus VS. 

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung des Elektrorollstuhls mit Stehfunktion Modell Permobil F5 Corpus VS ist § 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Variante), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Variante) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Variante), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der vom Kläger begehrte Elektrorollstuhl ist weder ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens noch nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. 

Im vorliegenden Fall geht es um die Frage eines Behinderungsausgleichs, der von der 3. Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst wird. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, wenn es erforderlich ist, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen. Der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst jedoch auch solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen. 

Leistungen zum Zweck des Behinderungsausgleichs sind aber nicht unbegrenzt von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen. Vielmehr ist der Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation von den Aufgabenbereichen anderer Rehabilitationsträger und der Eigenverantwortung abzugrenzen (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 30. September 2015 – B 3 KR 14/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 48 RdNr. 18 - Fingerendgliedprothese). Die gesetzliche Krankenversicherung hat nicht jegliche Folgen von Behinderung in allen Lebensbereichen - etwa im Hinblick auf spezielle Sport- oder Freizeitinteressen - durch Hilfsmittel auszugleichen und der Ausgleich für spezielle berufliche Anforderungen fällt in den Aufgabenbereich anderer Sozialleistungssysteme. Auch nach den Regelungen des Rechts der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach dem SGB IX ist die gesetzliche Krankenversicherung nur für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen zuständig (§ 6 Abs. 1 Nr. 1, § 5 SGB IX), nicht aber für die übrigen Teilhabeleistungen nach dem SGB IX (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft - § 5 Nr. 2 und 4 SGB IX a. F. beziehungsweise Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung und Leistungen zur sozialen Teilhabe - § 5 Nr. 2, 4 und 5 SGB IX i. d. F. des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – Bundesteilhabegesetz <BTHG> vom 23. Dezember 2016, Bundesgesetzblatt <BGBl>I Seite 3234, zuletzt geändert durch Artikel 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 30. November 2019, BGBl I Seite 1948). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG von der Krankenkasse nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Deshalb ist der Anspruch auf Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich im Rehabilitationsrecht nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX i. d. F. des BTHG (entspricht § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX a. F.) ausdrücklich auf solche zur Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens begrenzt. Denn unter dem Oberbegriff der Rehabilitation als Leistungen zur Teilhabe an der Gesellschaft (vgl. z. B. § 5 SGB IX) ist die medizinische Rehabilitation - in Abgrenzung zur beruflichen, sozialen und neuerdings auch der die Bildung betreffenden Rehabilitation - auf die Teilhabe am täglichen Leben, einschließlich der mit medizinischen Mitteln zu bewirkenden Selbstbestimmung und Selbstversorgung gerichtet (BSG, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 12/17 R –, RdNr. 43, Juris). 

Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören danach das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (stRspr; vgl. z. B. BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 3 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 30 RdNr. 12 - Lichtsignalanlage; BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 – B 3 KR 5/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 47 – Continuous Glucosemonitoring System, jeweils m. w. N.). Die durch den unmittelbaren Behinderungsausgleich bewirkte Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung einer beeinträchtigten Körperfunktion stellt regelmäßig bereits als solche ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens dar. Für den Versorgungsumfang, insbesondere die Qualität, Quantität und Diversität der Hilfsmittelausstattung kommt es sowohl beim unmittelbaren als auch beim mittelbaren Behinderungsausgleich allein auf den Umfang der mit dem begehrten Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile an (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 16. September 2004 – B 3 KR 20/04 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 8 - C-Leg II). Ohne Wertungsunterschiede besteht in beiden Bereichen Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (stRspr; vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 16. April 1998 – B 3 KR 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26 - Brailzeile; BSG, Urteil vom 6. Juni 2002 – B 3 KR 68/01 R SozR 3-2500 § 33 Nr. 44 - C-Leg I; BSG, Urteil vom 18. Juni 2014 – B 3 KR 8/13 R - BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 42, RdNr. 16 ff - Rauchwarnmelder; BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 13/13 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 44 RdNr. 19 ff - Autoschwenksitz; BSG, Urteil vom 30. September 2015 – B 3 KR 14/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 48 RdNr. 18 - Fingerendgliedprothese, jeweils m. w. N.); anderenfalls sind die Mehrkosten von dem Versicherten selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 9 SGB V i. V. m. § 47 Abs. 3. SGB IX). 

Der streitgegenständliche Elektrorollstuhl mit Stehfunktion dient dem mittelbaren Behinderungsausgleich, denn er soll die Folgen der Geh- und Stehbehinderung kompensieren. Im Falle des mittelbaren Behinderungsausgleichs sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Es geht dabei nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. 

Begrenzt ist der so umrissene Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Die Leistungen müssen danach ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 9 SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine kostenaufwendige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R – SozR 4-2500 § 36 Nr. 2 = BSGE 105, 170). 

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Versorgung mit dem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion Modell Permobil F5 Corpus VS. Die beanspruchte Versorgung ist objektiv und subjektiv erforderlich und geeignet im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 1 SGB V, um eine Behinderung des Klägers auszugleichen. Sein Einsatz wird zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt. Denn der Kläger ist infolge seiner Behinderung nicht in der Lage, selbstständig zu gehen und zu stehen. Er kann ohne ausgleichende Hilfsmittel beziehungsweise fremde Hilfe kein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags nicht meistern. Im Falle des Klägers sind die allgemeinen Grundbedürfnisse des Gehens, Stehens, des selbstständigen Wohnens sowie des Erschließens eines körperlichen Freiraums im Nahbereich der Wohnung und des Bedürfnisses, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, betroffen, die er alleine mittels des vorhandenen Rollstuhls und auch des von der Beklagten angebotenen Elektrorollstuhls mit Stehfunktion „C 400 VS“ nicht ausreichend befriedigen kann. Der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion Modell Permobil F5 Corpus VS ermöglicht dem Kläger, aus dem Rollstuhl selbstständig und ohne fremde Hilfe aufzustehen, eine stehende Position einzunehmen und beizubehalten sowie Positionswechsel durchzuführen. Die Stehfunktion des streitigen Elektrorollstuhls versetzt den Kläger somit in die Lage, Verrichtungen im Alltagsleben ohne die Hilfe anderer Personen in eigener Zeitautonomie selbstständig vornehmen zu können. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist somit nicht ein medizinisches Stehtraining, für das ein externer Stehtrainer ausreichend sein könnte, primärer Zweck der Stehfunktion des beantragten Elektrorollstuhls. Wesentliches Ziel der begehrten Hilfsmittelversorgung ist es vielmehr, dass der behinderte Kläger mittels ihrer funktionellen Gebrauchsvorteile allgemeine Grundbedürfnisse ohne fremde Hilfe umfassender wahrnehmen und ein selbstständiges Leben führen kann. 

Der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion Modell Permobil F5 Corpus VS ist somit aufgrund seiner funktionellen Gebrauchsvorteile und der Funktion der individuellen Programmierbarkeit der Stehkurve unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Klägers für diesen unentbehrlich. Der Facharzt für Neurologie Dr. H. bestätigte in seinem ärztlichen Attest vom 6. September 2018 die Notwendigkeit eines Elektrorollstuhls mit Stehfunktion, um Schäden an den Muskeln und Sehnen beim Aufrichten zu vermeiden. Ebenso bestätigte er die Erforderlichkeit eines individuell einstellbaren Winkels in der Höhe der Knie- und Sprunggelenke. Auf die Unverzichtbarkeit der elektrischen Optionen wird auch in der Stellungnahme des Neuromuskulären Zentrums der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg vom 9. Juli 2018 hingewiesen. Die darin ausgeführte medizinische Notwendigkeit eines regelmäßigen Positionswechsels im Alltag kann durch ein Stehtraining mittels eines externen Stehtrainers mangels Gleichwertigkeit nicht ersetzt werden. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Rechtskraft
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