Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 02.02.2017 bis 30.06.2017, längstens jedoch bis zur Entscheidung in einem Klageverfahren hinsichtlich des Widerspruchs des Antragstellers vom 24.01.2017 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.01.2017, Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch im Umfang der jeweiligen Regelleistungen sowie der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.
G r ü n d e
I.
Streitig ist ein Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) gegenüber der Antragsgegnerin.
Der 1988 geborene Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger. Ausweislich der Daten der Meldebehörde der Stadt Kassel ist der Antragsteller seit 01.08.2013 in A-Stadt in der A-Straße gemeldet. Nach eigenem Vorbringen hat sich der Antragsteller bereits von 2010 bis 2011 in Deutschland und zwar in D-Stadt aufgehalten. Nach vorübergehender Rückkehr nach Bulgarien will er dann im Verlaufe des Jahres 2012 wieder nach Deutschland eingereist sein. Hierüber liegen keinerlei Meldedaten vor. Seit 01.08.2013 ist er unter der o. g. Adresse gemeldet. Er lebt dort in einer Wohnung gemeinsam mit Frau C., seiner Halbschwester. Diese erhält aufstockend zu ihrem Erwerbseinkommen Leistungen vom Jobcenter Stadt Kassel. Der Antragsteller hat bisher in Deutschland keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Im Rahmen eines beim Sozialgericht Kassel geführten Verfahrens zur Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes (S 12 SO 8/16 ER) hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller ab 10.12.2015 Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt), d. h. neben dem Regelbedarf auch die anteiligen Unterkunftskosten für die Wohnung in der A-Straße in A-Stadt bewilligt. Ausweislich Blatt 129 der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin ist dem Antragsteller mit Bescheid vom 29.03.2016 ab 10.12.2015 für den Dezember 2015 und fortlaufend für die Monate Januar, Februar und März 2016 die genannte Leistung bewilligt worden. Diese ist ihm auch ab April 2016 fortlaufend weiter gezahlt worden.
Mit Schreiben vom 21.12.2016 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, er erhalte aufgrund der seit dem 03.12.2015 ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als erwerbsfähiger EU-Bürger zur Finanzierung seines Lebensunterhalts Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Aufgrund einer zum 01.01.2017 eingetretenen Gesetzesänderung zu § 23 SGB XII entfalle dieser Anspruch mit Ablauf des 31.12.2016. Sofern der Antragsteller keine Arbeitnehmereigenschaft aufweise, kein Aufenthaltsrecht besitze oder sich sein Aufenthaltszweck allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, habe er keinen weiteren Anspruch auf Sozialhilfe. Ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland habe der Antragsteller nur bei Erfüllung der Voraussetzungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU, § 2. Wenn er seinen Lebensunterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz nicht selbst sicherstellen könne, habe er kein Aufenthaltsrecht (§ 4 Freizügigkeitsgesetz/EU). Bis zu seiner Ausreise könne er für längstens einen Monat nochmals eingeschränkte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, der Unterkunfts- und Heizkosten sowie zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erhalten. Außerdem könne ihm für seine Rückreise ein Darlehen für angemessene Fahrtkosten bewilligt werden. Das Schreiben stelle eine Anhörung nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar. Der Antragsteller äußerte sich hierzu nicht.
Mit Bescheid vom 30.12.2016 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für die Zeit ab 1. Januar 2017 Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des geänderten Regelbedarfs (409,00 €) und der Unterkunftskosten wie bisher. Der Bescheid enthielt den Berechnungsbogen für den Monat Januar 2017 und in der dem Bescheid beigefügten Bescheinigung zur Inanspruchnahme von Vergünstigungen die Formulierung: „Die Leistung wird bis auf weiteres gewährt. Anhaltspunkte für eine Beendigung der Leistung liegen gegenwärtig nicht vor.“
Mit Bescheid vom 17.01.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, die bisher nach dem Dritten Kapitel des SGB XII gewährten Leistungen stelle sie ein zum 01.02.2017. Zur Begründung führte sie aus, ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland habe der Antragsteller nur bei Erfüllung der Voraussetzungen des Freizügigkeitsgesetzes (§ 2). Da er sich in der Vergangenheit nicht um die Arbeitsuche bemüht habe und sich auch zum Anhörungsschreiben vom 21.12.2016 nicht geäußert habe, gehe die Antragsgegnerin davon aus, dass der Antragsteller nicht zum Zwecke der Arbeitsuche eingereist sei. Weiterhin sei er nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt und den Krankenversicherungsschutz selbst sicher zu stellen. Demnach habe er gemäß § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU kein Aufenthaltsrecht in Deutschland und halte sich illegal hier auf. Da der Antragsteller derzeit kein Aufenthaltsrecht in Deutschland besitze, sei er vom Leistungsbezug nach dem SGB XII ausgeschlossen, § 23 Abs. 3. Die Leistungen seien daher einzustellen. Da er bei der Anhörung keine Angaben gemacht habe, sei eine Berücksichtigung von Leistungen bis zur Ausreise und die Finanzierung der Ausreise durch das Sozialamt ausgeschlossen.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 24.01.2017 legte der Antragsteller Widerspruch ein. Dazu wurde geltend gemacht, der Antragsteller habe weiterhin Anspruch auf Gewährung existenzieller Leistungen. Der Antragsteller sei nicht zum Zwecke des Bezugs von Sozialleistungen eingereist. Es sei zwar richtig, dass der Antragsteller in den vergangen Jahren aktiv keine Arbeit gesucht und gefunden habe. Allerdings sei es so, dass ihm dies aus gesundheitlichen Gründen heraus nicht mehr möglich sei, da er zwischenzeitlich drogenabhängig geworden sei. Er benötige wohl eine Drogentherapie. Er habe bislang keine Leistungen vom Jobcenter bezogen und sei daher auch nicht in einem Eingliederungsprogramm gewesen. Ohne genügende Sprachkompetenz und Hilfestellung sei es unrealistisch, einen Arbeitsplatz zu finden. Unabhängig davon, ob der Antragsteller aktuell freizügigkeitsberechtigt sei, habe er einen Anspruch auf Gewährung des soziokulturellen Existenzminimums. Dieses Recht sei als Menschenrecht verbürgt. Das Recht auf Existenzsicherung ergebe sich unmittelbar als Leistungsanspruch aus der Verfassung gemäß Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GG. Der Staat habe die Pflicht, dieses Recht zu verwirklichen. Der Verweis auf die Möglichkeit, in das Heimatland auszureisen, sei unzulässig. Denn wer sich faktisch hier aufhalte, habe einen Anspruch auf Lebensunterhaltssicherung. Wolle man den Bezug von Sozialhilfeleistungen ausschließen, gebe es nur einen verfassungsmäßigen Weg, nämlich die rechtskräftige Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde mit anschließender Abschiebung. Der Prozessbevollmächtigten sei bewusst, dass die Antragsgegnerin an Recht und Gesetz gebunden sei und insofern die neue Leistungsausschlussregelung grundsätzlich anwenden müsse. Es werde ein Eilantrag beim Sozialgericht Kassel erwogen, um dort die neue Gesetzeslage überprüfen zu lassen.
Mit am 02.02.2017 beim Sozialgericht Kassel eingegangenen Schreiben stellt der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und macht dazu geltend, ein materielles Freizügigkeitsrecht sei nicht ersichtlich, so dass das Jobcenter Stadt Kassel nicht als Leistungsträger in Betracht komme. § 23 Abs. 3 SGB XII in der neuen Fassung stehe einem Leistungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin aber nicht entgegen. Der Antragsteller sei nicht zum Zwecke des Bezugs von Sozialhilfeleistungen nach Deutschland eingereist. Er habe seine Schwester begleiten und Arbeit finden wollen. Dies sei allerdings gescheitert und auch auf absehbare Zeit wegen der Drogensucht ausgeschlossen. Im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse die neue Ausschlussregelung für EU-Bürger als verfassungswidrig angesehen werden. Die Vorschrift verstoße gegen die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip aus Artikel 1 Abs. 1 GG und Artikel 20 Abs. 1 GG. Aus Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GG leite sich ein Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums ab. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 1 BVL 2/11) entschieden, dass jedem Menschen, der sich in Deutschland faktisch aufhalte, ein Anspruch auf das soziokulturelle Existenzminimum als Menschenrecht zustehe. Das BVerfG führe zudem in einem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09) aus, dass dieses Gewährleistungsrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum dem Grunde nach unverfügbar sei und eingelöst werden müsse. Der Staat habe die Menschenwürde zu schützen und die materiellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, nicht abzuschaffen. Aus Sicht der Prozessbevollmächtigten gäbe es nur einen verfassungsgemäßen Weg, den Sozialleistungsbezug von EU-Bürgern zu beenden: Die rechtskräftige Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde mit anschließender Abschiebung. Ein bloßer Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung scheide vorliegend im Hinblick darauf aus, dass es um die Verwirklichung eines Menschenrechts gehe. Diesbezüglich werde auch auf einen Beschluss des SG Leipzig vom 02.12.2016 (S 5 AY 13/16 ER) hingewiesen. Darin gehe es um einen geduldeten Asylsuchenden. Soweit ein Anspruch aus § 23 SGB XII nicht abgeleitet werden könne, ergebe sich ein entsprechender Anspruch unmittelbar aus dem Grundgesetz nach Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GG. Der Antragsteller habe bis zum 31.01.2017 im unmittelbaren Leistungsbezug der Antragsgegnerin gestanden. An seiner Hilfebedürftigkeit habe sich nichts geändert. Der Antragsteller versichert, er befinde sich aktuell nicht in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Er habe aufgrund des Drogenkonsums körperlich aber massiv abgebaut. Vorliegend müsse auch geprüft werden, ob dem Widerspruch vom 24.01.2017 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.01.2017 aufschiebende Wirkung zukomme. Bei dem angefochtenen Bescheid könne es sich durchaus um einen belastenden Verwaltungsakt handeln. Denn wenn der Bedarf jeden Monat neu geprüft werde, impliziere der „Einstellungsbescheid“ die Ablehnung weiterer Leistungen, was als belastend anzusehen sei. Die Prozessbevollmächtigte sei allerdings bisher davon ausgegangen, und gebe insoweit auch der Antragsgegnerin Recht, dass tatsächlich jeden Monat neu „beschieden“ werde, auch ohne Bescheid, und dass deshalb kein Dauerverwaltungsakt vorliege. Der Antrag sei deswegen auch entsprechend als einstweilige Anordnung formuliert worden. Generell müsse beachtet werden, dass das BSG in seiner Entscheidung vom 03.12.2015 (B 4 AS 44/15 R, Rd.-Nr. 57) keine Bedenken gehabt habe, aus der Entscheidung des BVerfG allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze zur Existenzsicherung über das Asylrecht und den Einzelfall hinaus abzuleiten.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt ab Antragstellung beim Gericht bis zu einem ins Ermessen des Gerichts gestellten Zeitpunkt zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Eilantrag vom 02.02.2017 abzulehnen.
Dazu führt die Antragsgegnerin aus, der Gesetzgeber habe mit dem zum 29.12.2016 in Kraft getretenen „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" (BGBI. l, S. 3155) auf die als unbillig empfundene (vgl. BT-Drs. 18/10211) Rechtsprechung des BSG reagiert, nachdem sich dieser Rechtsprechung auch eine Reihe von erst- und zweitinstanzlichen Gerichten nicht hätten anschließen können. Nach dem hier einschlägigen § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 4 SGB XII n. F. würden Ausländer wie der Antragsteller, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach § 4 FreizügG/EU verfügten oder zur Arbeitssuche bzw. zum Zwecke des Sozialleistungsbezugs eingereist seien, keine Leistungen mehr nach dem Dritten Kapitel des SGB Xll erhalten. Sie könnten grundsätzlich noch für einen Monat Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise erhalten, weitere Leistungen ausnahmsweise nur in begründeten Härtefällen, wofür vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte bestehen würden. Unstreitig sei, dass zulasten des Antragstellers der Ausschlusstatbestand des § 23 Abs. 3 SGB XII Anwendung finde. Er sei mit Schreiben vom 21.12.2016 zur beabsichtigten Leistungseinstellung angehört worden. Da er sich nicht gemeldet habe, habe die Antragsgegnerin ihm nochmals mit Bescheid vom 30.12.2016 Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für den Monat Januar 2017 gewährt und die Leistungen zum 01.02.2017 eingestellt. Hierüber sei der Antragsteller mit Bescheid vom 17.01.2017 informiert worden. Dem Widerspruch vom 24.01.2017 komme keine aufschiebende Wirkung gemäß § 86 a Abs. 1 SGG zu, weil der Bescheid vom 17.01.2017 trotz seines missverständlichen Wortlauts („stellen… ein") kein belastender Verwaltungsakt sei. Dem ‚Antragsteller seien zuletzt Hilfen nach dem Dritten Kapitel des SGB Xll gewährt worden, die an keinen festen Bewilligungszeitraum oder einen Dauerverwaltungsakt, sondern eine stete Bedarfsprüfung und Neubewilligung gebunden seien. HLU-Bescheide könnten nur dann als (einstellungsbedürftige) Grund- oder Dauerverwaltungsakte verstanden werden, wenn der Sozialhilfeträger längere Zeit hinweg Leistungen zahle, ohne gesondert darüber zu entscheiden und in einem vorangegangen Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass sich die Bewilligung stillschweigend von Tag zu Tag verlängere, solange die gesetzlichen und tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen würden. Dem Bescheid vom 30.12.2016 und dem Bescheid vom 17.01.2017 seien aber solche vertrauenstatbestandsauslösende Formulierungen nicht zu entnehmen. Vielmehr sei der anwaltlich vertretene Antragsteller durch das Schreiben vorn 21.12.2016 hinreichend in Kenntnis gesetzt worden, dass weitere Zahlungen ohne Verbescheidung nicht mehr erfolgen würden. Die jetzt pauschal vorgetragene These einer Verfassungswidrigkeit trage nicht. Das BSG-Urteil vom 03.12.2015 (B 4 AS 44/15 R) sei von verschiedenen Gerichten wiederholt kritisiert worden. Statt vieler werde auf einen Beschluss des LSG Mainz vom 11.02.2016 (L 3 AS 668/15 B ER, Rd.-Nr. 19-21, zitiert nach juris) hingewiesen. Sofern das Gericht anderer Auffassung sein sollte, müsse auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Sache ausgesetzt und die Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden. Jedenfalls sei das Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 zum AsylbLG nicht in dem behaupteten Umfang verallgemeinerungsfähig. Seine aktuelle Hilfebedürftigkeit habe der Antragsteller aus Sicht der Antragsgegnerin nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Sollte der Antragsteller voll erwerbsfähig sein, müssten der Dogmatik des BSG im Urteil vom 03.12.2015 folgend doch eigentlich Leistungsansprüche gegen das Jobcenter Stadt Kassel geltend gemacht werden. Auf eine etwaige Reise- oder Erwerbsunfähigkeit des Antragstellers könne trotz des Hinweises auf den Drogenkonsum aus Sicht der Antragsgegnerin nicht geschlossen werden. Letztlich werde auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund vom 31.01.2017 (S 62 SO 628/16 ER, Rd.-Nr. 47 ff. zitiert nach juris) hingewiesen. Danach würden gegen den Verweis auf die Selbsthilfemöglichkeiten (Erwerbsaufnahme hier oder im Herkunftsland, Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Herkunftsland) keine verfassungsrechtlichen Bedenken durchgreifen. Der Leistungsausschluss sei insbesondere mit auch der vorliegend ins Feld geführten Rechtsprechung des BVerfG zu vereinbaren.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere oder unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG 79, 69 74 m. w. N.). Soweit dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage in einem solchen Eilverfahren nicht möglich ist, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschlüsse v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, Rd.-Nr. 19, 26 und vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09, Rd.-Nr. 11, jeweils zitiert nach juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zulässig und im austenorierten Umfang jedenfalls im Rahmen der sogenannten Folgenabwägung auch begründet.
Allerdings kann der Antragsteller keine Weitergewährung der bisherigen Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII auf Grundlage des § 86 a Abs. 1 SGG erreichen, denn mit der Antragsgegnerin geht auch die erkennende Kammer davon aus, dass dem Widerspruch vom 24.01.2017 gegen den Bescheid vom 17.01.2017 keine aufschiebende Wirkung zukommt, weil mit dem Bescheid vom 17.01.2017 gerade kein Dauerverwaltungsakt (Bescheid vom 30.12.2016) geändert wird, damit Vertrauensschutz auslösende und über den 31.01.2017 hinausgehende Entscheidungen getroffen worden sind. Die dem Bescheid vom 30.12.2016 beigefügte Bescheinigung zur „Inanspruchnahme von Vergünstigungen“ ändert hieran in Übereinstimmung mit der Auffassung der Antragsgegnerin nichts, weil diese Bescheinigung nur der Vorlage gegenüber Dritten dient und damit keinen eigentlichen Leistungs-Verfügungssatz regelt.
Indessen ist, anders wie die Antragsgegnerin meint, ihre (weitere), jedenfalls vorläufige Leistungsverpflichtung trotz der ab 29.12.2016 gültigen Neufassung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII (Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, BGBl. I, S. 3155) auf Grundlage der im Verfahren B 4 AS 44/15 R am 03.12.2015 ergangenen Entscheidung des BSG unter Beachtung der bedeutsamen verfassungsrechtlichen Grundsätze jedenfalls nach Maßgabe der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben.
Trotz der als Reaktion des Gesetzgebers auf die nicht gebilligte Rechtsprechung des BSG in der o. g. Entscheidung vorgenommenen Neufassung des § 7 Abs. 1 SGB II und des § 23 Abs. 3 SGB XII (vgl. BT-Drs. 18/10211, S. 2 B) mit einem nunmehrigen Leistungsanspruch für Ausländer nach § 23 SGB XII nach einem mindestens 5 Jahre dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechung (vgl. § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII n. F.), führt das Erwerbsverhalten des Antragstellers in 2016 und auch aktuell dazu, dass ein Leistungsanspruch des Antragsteller allein nach dem SGB XII angenommen werden muss. Eine Beiladung des Jobcenter Stadt Kassel scheidet daher aus. Dies begegnet auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken (vgl. statt vieler EuGH Rs Alimanovic vom 15.09.2015 – C – 67/14, Rd.-Nr. 63, zitiert nach juris).
Wegen des auch im Falle des Antragstellers (weiterhin) anzunehmenden Leistungsausschlusses im Rahmen des SGB II hat das BSG in der o. g. Entscheidung (a. a. O., zitiert nach juris, Rd.-Nr. 37) gleichwohl eine Leistungsberechtigung im Sinne des Sozialhilferechts angenommen, wenn ein Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht im Sinne des § 19 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 27 Abs. 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken kann. Dies ist indessen im Falle des Antragstellers wegen des bestandskräftigen Vorbezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII durch die Antragsgegnerin für die erkennende Kammer zweifellos zu bejahen.
Trotz der Bestimmung des § 23 Abs. 3 SGB XII (a. F. bis 28.12.2016) wonach Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthalt sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, hat das BSG in der o. g. Entscheidung (a. a. O., Rd.-Nr. 53 ff.) die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII (a. F. und n. F.) bejaht. Es hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass das Ermessen des Sozialhilfeträgers in einem solchen Fall dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert sei. Dies hat es gerade für den Fall angenommen, dass sich das Aufenthaltsrecht des von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat (BSG a. a. O.). Ein solches Aufenthaltsrecht hat das BSG insbesondere bejaht (vgl. Rd.-Nr. 55, zitiert nach juris), wenn der tatsächliche Aufenthalt des Betroffenen in Deutschland auch noch nach Ablauf von 6 Monaten besteht. Es hat hier für den Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung angenommen, der nach geltendem Recht nur ausländerbehördlich entgegen getreten werden könne. Im Falle des Antragstellers gibt es keinerlei Anhalt für ein irgendwie geartetes Tätigwerden der zuständigen Ausländerbehörde im Hinblick auf eine Beendigung des inzwischen weit über 6 Monate, ausgehend vom 01.08.2013 sogar über 3 ½ Jahre hinausgehenden Aufenthalts des Antragstellers in Deutschland. Hierzu hat das BSG ausgeführt: „Dieses nach Ablauf von 6 Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen“ (vgl. BSG a. a. O., Rd.-Nr. 56). Schließlich hat das BSG in der genannten Entscheidung (Rd.-Nr. 57), der die erkennende Kammer insoweit voll umfänglich folgt, unmissverständlich auf Grundlage der Entscheidungen des BVerfG einen Anspruch von Betroffenen, wie dem Antragsteller, auf Grundlage des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bekräftigt. Trotz der nicht zuletzt von der Antragsgegnerin unter Hinweis auf zahlreiche Entscheidungen von (anderen) Sozialgerichten in 2016 vehement geäußerten Kritik an der BSG-Rechtsprechung sieht sich das Gericht auch in Ansehung der gesetzlichen Neuregelung auf Basis verfassungsrechtlicher Grundsätze nicht gehindert, die weiterbestehende vorläufige Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers anzunehmen und damit die Antragsgegnerin zur vorläufigen Leistungsgewährung an den Antragsteller zu verpflichten.
Denn die Beachtung der maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze nach Vorgabe der BSG-Entscheidung, zu denen auch das erstinstanzlich tätig werdende Gericht verpflichtet ist, lassen es geboten erscheinen, in Abweichung vom bloßen Wortlaut der Regelung des § 23 Abs. 3 SGB XII (n. F.) im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren maßgeblichen Folgenabwägung eine (vorläufige) weitere Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Gewährung von Hilfen zum Lebensunterhalt zu bejahen. Dabei kann nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass die Antragsgegnerin in dem früheren vom Antragsteller geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 12 SO 8/16 ER) ihre Leistungsverpflichtung ab dem 15.12.2015 angenommen und dem Antragsteller mithin für das gesamte Jahr 2016 Hilfe zum Lebensunterhalt auf Grundlage des SGB XII gewährt hat. Dies schafft jedenfalls vorliegend nach Auffassung der erkennenden Kammer einen so weitgehenden Vertrauensschutz, dass die zulasten des Antragstellers übergangslos mit Wirkung ab 29.12.2016 geltende Bestimmung des § 23 Abs. 3 SGB XII unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (vorläufig) anders zu bewerten ist als etwa im Falle eines Neu-Antragstellers im Jahr 2017. Die vom Gesetzgeber mit der Neuregelung vorgesehenen Überbrückungsleistungen, auch in Härtefällen sowie für den Fall der Rückreise (vgl. § 23 Abs. 3 S. 3, S. 5 und Abs. 3 a SGB XII, n. F.) stellen keinen verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich für den Wegfall der grundsätzlichen Hilfeleistung von einem Tag auf den anderen dar (trotz grundsätzlicher Bestätigung des Leistungsausschlusses nach dem neuen § 23 Abs. 3 SGB XII, Beschluss des SG Dortmund, 31.01.2017, S 62 SO 628/16 ER, zitiert nach juris, Rd.-Nr. 44 und 45).
Wegen der durchaus zweifelhaften Verfassungsmäßigkeit (auch) der Neuregelung des § 23 Abs. 3 SGB XII ab 29.12.2016, die wegen der Dringlichkeit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nicht erschöpfend und abschließend von der erkennenden Kammer geprüft werden kann, ist zur Vermeidung einer existenziellen Notlage des Antragstellers, die bei ungewissem Ausgang des Hauptsacheverfahrens (nachträglich) nicht mehr ausgeglichen werden kann, wie austenoriert die vorläufige Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin auszusprechen. Da die Antragsgegnerin selbst bis einschließlich 31.01.2017 die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nicht in Frage gestellt hat, besteht auch für die erkennende Kammer ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht ab 02.02.2017 kein Anlass, an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers für den vorläufig festgelegten Leistungszeitraum zu zweifeln. Vom Vorliegen des Anordnungsgrundes wird daher ausgegangen. Nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit war die Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin jedoch bis 30.06.2017 zu begrenzen. Dabei geht die erkennende Kammer davon aus, dass die Antragsgegnerin auf jeden Fall diese Entscheidung beim Hessischen Landessozialgericht in einem Beschwerdeverfahren überprüfen lassen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 193 SGG.