S 7 AS 7/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 7 AS 7/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 316/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

1.    Der Bescheid des Beklagten vom 28.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2014 (W 1645/14) wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, seinen Leistungsbewilligungsbescheid vom 14.04.2014 teilweise zurückzunehmen, und der Klägerin dem Grunde nach Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.04.2014 bis 30.09.2014 zu gewähren (Rechtsstreit S 7 AS 8/15). 

2.    Der Bescheid des Beklagten vom 21.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2014 (W 1985/14) wird aufgehoben. Der Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld II vom 01.10.2014 bis 31.12.2014 zu gewähren (Rechtsstreit S 7 AS 7/15).

3.    Der Beklagte hat der Klägerin ihre Kosten zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten. 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II oder XII für die Zeit vom April 2014 bis Dezember 2014, davon bis zum 30.9.2014 im Rahmen von § 44 SGB X.

Die 1991 geborene, ledige Klägerin ist österreichische Staatsangehörige und befand sich nach eigenen Eingaben sowie nach der Auskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt Kassel seit dem 1.8.2013 in der Bundesrepublik Deutschland; mittlerweile ist sie wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt. Nach den Erkenntnissen des Gerichtes zog sie im November 2013 gemeinsam mit ihrem früheren Lebensgefährten in eine Wohnung. Nach der Auskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt Kassel handelt es sich hier um die dritte Wohnung der Klägerin seit ihrer Ankunft in Deutschland im August 2013. Im Protokoll des Erörterungstermines im Rechtsstreit auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht Kassel (S 6 AS 142/14 ER) vom 20.8.2014 gab der damalige Lebensgefährte der Klägerin an, beide hätten sich im August 2014 kennengelernt. 

Der damalige Lebensgefährte der Klägerin beantragte für die Bedarfsgemeinschaft am 8.4.2014 Leistungen bei dem Beklagten. Mit bestandskräftig (§ 77 Sozialgerichtsgesetz   SGG  ) gewordenem Bescheid vom 14.4.2014 wurden dem Lebensgefährten der Klägerin Leistungen bewilligt für die Zeit vom 1.4.2014 bis 30.9.2014. Hierbei berücksichtigte der Beklagte jedoch nach dem Kopfteilprinzip für die Haushaltsgemeinschaft nur die Hälfte der Kosten der Unterkunft und Heizung zu Gunsten des Lebensgefährten. Hinsichtlich der Klägerin selbst lehnte der Beklagte die Leistungsgewährung ab. Mit Beschluss vom 21.8.2014 des Sozialgerichts Kassel im Rechtsstreit S 6 AS 156/14 ER sowie nachfolgendem, bestätigenden Beschluss des Hessischen Landessozialgerichtes (Az.: L 6 AS 666/14 B ER) vom 4.11.2014 wurde der Beklagte dazu verpflichtet, der Klägerin vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem 22. Juli 2014 zu bewilligen bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache C-333/13. Bis zum 30.11.2014 erbrachte der Beklagte aufgrund der Verpflichtung durch die Gerichte Leistungen nach dem SGB II, hob jedoch wegen der am 11.11.2014 ergangenen EuGH-Entscheidung in der Rechtssache C-333/13 wegen seiner Auffassung nach nunmehr veränderter Rechtslage die Leistungsbewilligung ab dem 1.12.2014 auf. Hiernach verpflichtete das Sozialgericht Kassel in einem erneuten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Az.: S1 AS 254/14 ER den Beklagten erneut mit Beschluss vom 14.12.2014, der Klägerin für die Zeit vom 2. Dezember 2014 bis 31. Mai 2015 Leistungen zu bewilligen.

Auf den von der Klägerin gestellten Antrag vom 19.8.2014 auf Überprüfung des Ablehnungsbescheides bzw. der Leistungsablehnung mit Bescheid vom 14.4.2014 lehnte der Beklagte mit - hier streitgegenständlichen - Bescheid vom 28.8.2014 eine teilweise Rücknahme ab, da Leistungen zu Recht nicht bewilligt geworden sein. Mit Widerspruchsbescheid vom 8.12.2014 (W 1645/14) wies der Beklagte den zwischenzeitlich erhobenen Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zusammengefasst führte der Beklagte aus, er gehe von einem Leistungsausschluss der Klägerin von den Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II aus. 

Hiergegen richtet sich die Klage im Rechtsstreit bei dem Sozialgericht Kassel S 7 AS 8/15

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin und ihres damaligen Lebensgefährten vom 30.9.2014 bewilligte der Beklagte zwar wegen des im Eilverfahren ergangenen Beschlusses des Sozialgerichts Kassel vom 22.7.2014 (S 6 AS 156/14 ER) mit vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 2.10.2014 für die Zeit vom 1.10.2014 bis 31.12.2014 auch der Klägerin Leistungen, lehnte jedoch mit - hier streitgegenständlichem - Bescheid vom 21.11.2014 die Leistungen für die Klägerin vom Oktober bis Dezember 2014 ab.

Den Widerspruch hiergegen vom 2.12.2014 begründete die Klägerin damit, dass sie in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, weil Ihr Freund hier lebe, und sie in der Bundesrepublik Deutschland eine Arbeit oder eine Berufsausbildung habe aufnehmen wollen. Nunmehr komme in Betracht, ein freiwilliges soziales Jahr abzuleisten. Am 2.12.2014 stellten die Klägerin und ihr Lebensgefährte für die Bedarfsgemeinschaft einen neuen Antrag auf Leistungen für die hier nicht zum Streitgegenstand zählende Zeit ab Januar 2015 gestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8.12.2014 (W 1985,14) wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie sei von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Auf den erneuten Eilantrag der Klägerin bei dem Sozialgericht Kassel (Az.: S1 AS 254/14 ER vom 14.12.2014) bewilligte der Beklagte der Klägerin in Ausführung des Beschlusses SGB II-Leistungen für die Zeit vom 2.12.2014 bis 31.12.2014. 

Hiergegen richtet sich die am 6.1.2015 bei dem Sozialgericht Kassel eingegangene Klage zum Aktenzeichen S 7 AS 7/15.

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stünden im Streitzeitraum vom 1.4.2014 bis 30.9.2014 (ursprünglicher Rechtsstreit S 7 AS 8/15) und vom 1.10.2014 bis 31.12.2014 (ursprünglicher Rechtsstreit S 7 AS 7/15) Leistungen nach dem SGB II zu. Sie sei nicht von den Leistungen nach § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Die übrigen Voraussetzungen für Ansprüche auf Leistungen lägen bei ihr vor. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sie einen Anspruch aufgrund des Deutsch-österreichischen Fürsorgeabkommens DÖFA) gegenüber dem Beklagten geltend machen könne. 

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2014 (W 1645/14) aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bewilligungsbescheid vom 14.04.2014 teilweise zurückzunehmen, ferner den Bescheid des Beklagten vom 21.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2014 (W 1985/14) aufzuheben und den Beklagten dem Grunde nach zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.04.2014 bis 31.12.2014 Arbeitslosengeld II zu gewähren, 
hilfsweise die Beigeladene dem Grunde nach zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB XII für die Zeit vom 01.04.2014 bis 31.12.2014 zu gewähren. 

Der Vertreter des Beklagten beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Er hält an seiner Rechtsauffassung fest, wonach die Klägerin gemäß § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Hieran ändere auch das DÖFA nichts, da es sich hierbei um ein Abkommen handele, das nicht auf Leistungen nach dem SGB II anzuwenden sei. Bei dem SGB II handele es nicht um ein reines Fürsorgesystem. 

Die Beigeladene, die keinen eigenen Antrag gestellt hat, ist der Auffassung, bei der Klägerin bestünde eine Leistungspflicht des Beklagten aufgrund der Regelungen im DÖFA.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind. Gleichermaßen wird Bezug genommen auf die Akteninhalte der Rechtsstreite S 6 AS 156/14 ER, S 1 AS 254/14 ER, S 7 AS 210/14 ER und S 7 AS 144/15 ER.

Das Gericht hat die Rechtsstreite S 7 AS 7/15 und S 7 AS 8/15 in der mündlichen Verhandlung der Rechtsstreite am 24.5.2017 gemäß § 113 Abs. 1 SGG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen S 7 AS 7/15 verbunden. 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte hat der Klägerin zu Unrecht Leistungen nach dem SGB II verweigert für die Zeit vom 1.4.2014 bis 31.12.2014 (Gesamtstreitzeitraum in den Verfahren S 7 AS 7/15 und S 7 AS 8/15). Denn die Klägerin hatte in dieser Zeit dem Grunde nach einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Insbesondere der vom Beklagten angenommene Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift nicht ein, weil die Klägerin dem deutsch-österreichischen Fürsorgeabkommen unterliegt, gegen das von der Bundesregierung kein Vorbehalt erhoben worden ist. 

Streitgegenstand ist zum einen im Rahmen von § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X der Zeitraum vom 1.4.2014 bis 30.9.2014, weil der ursprüngliche Leistungsbewilligungsbescheid des Beklagten – der lediglich zu Gunsten des Lebensgefährten der Klägerin erging und für die Klägerin in der Bedarfsgemeinschaft die Leistungen ablehnte - gemäß § 77 SGG bestandskräftig geworden ist. Für den Folgezeitraum vom 1.10.2014 bis 31.12.2014 ist der Bescheid des Beklagten vom 21.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2014 rechtswidrig, weil er der Klägerin Arbeitslosengeld II vorenthält; über die Zeit bis zum 31.12.2014 erstreckt sich der Streitzeitraum nicht, weil am 1.1.2015 auf den Antrag der Klägerin und ihres Lebensgefährten vom 2.12.2014 ein neuer Bewilligungsabschnitt begann.

Gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist nach dieser Vorschrift ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden gemäß § 44 Abs. 4 SGB X Sozialleistungen aus den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkende Leistungen zu erbringen sind, an Stelle der Rücknahme der Antrag. Ob ein früherer Bescheid nach seinem Erlass rechtswidrig war, entscheidet sich nach der damaligen Sach- und Rechtslage, jedoch aus heutiger Sicht. Hierbei spielt ein Verschulden ebenso wenig eine Rolle wie eine evtl. Übereinstimmung des früheren Verwaltungsaktes mit einer weit verbreiteten Rechtsauffassung oder einer inzwischen geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Aufgegebene Rechtsauffassungen sind nur dann nicht rechtswidrig, wenn ihre Änderung auf später eingetretenen tatsächlichen Entwicklungen oder geänderten rechtlichen Grundlagen beruht. 

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28.8.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2014 (W 1645/14), ursprüngliches Klageverfahren S 7 AS 8/15, ist jedoch rechtswidrig, weil der Beklagte mit Leistungsbewilligungsbescheid vom 14.4.2014 die Klägerin von Leistungen nach dem SGB II ausklammerte und nur ihrem damaligen Lebensgefährten Leistungen bewilligte. Die Klägerin hatte jedoch gleichermaßen Anspruch auf Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1.4.2014 bis 30.9.2014. Auf die statthafte Anfechtung-, Verpflichtungs- und Leistungsklage der Klägerin gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 SGG war die Beklagte der Beklagte daher zu Leistungen für diese Zeit zu verpflichten.

Gleichermaßen ist (Rechtsstreit S 7 AS 7/15) der Bescheid des Beklagten vom 21.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2014 (W 1985/14) rechtswidrig, da er der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den - hier allein noch bestehenden Streitzeitraum - vom 1.10.2014 bis 31.12.2014 verweigert. Hier war der Beklagte auf die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage der Klägerin gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 SGG zur Gewährung von Leistungen dem Grunde nach zu verurteilen. 

Das Gericht konnte jeweils gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Grundurteil entscheiden, da eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Darüber hinaus ist die Leistungspflicht des Beklagten der Höhe nach wahrscheinlich.

Die Klägerin war im gesamten Streitzeitraum leistungsberechtigt gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7 a SGB II noch nicht erreicht hatte und erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II war. Sie war auch hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II, da sie ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen nach § 11 SGB II oder Vermögen nach § 12 SGB II sichern konnte und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalten hat. Denn hierzu liegen für das Gericht keine Anhaltspunkte vor.

Die Klägerin war auch nicht - wie vom Beklagten vertreten - gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen ausgeschlossen Nach dieser Vorschrift sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. 
Auf die Frage einer Aufenthaltsberechtigung nach § 2 Freizügigkeitsgesetz/EU kommt es bei der Klägerin nicht an. Die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in seinen Urteilen vom 3.12 2015 (vgl. B 4 AS 44/15 R) sind im vorliegenden Falle nicht einschlägig. Vielmehr handelt es sich hier um einen mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, juris, vergleichbaren Fall. Nach dieser Entscheidung war ein Ausländer, der sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableitete, nicht von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ausgeschlossen, wenn er vom Schutzbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) erfasst wird.

Ohne Zweifel ist die Klägerin nicht vom EFA umfasst, da sie österreichische Staatsangehörige ist, das EFA jedoch die Republik Österreich nicht einschließt. Vielmehr hat die Bundesrepublik Deutschland mit der Republik Österreich ein eigenes Fürsorgeabkommen geschlossen, das Deutsch-österreichische Fürsorgeabkommen (DÖFA), Gesetz zum Abkommen vom 17.1.1966 vom 28.12.1968 (Bundesgesetzblatt 1969 II Seite 1).
Daher kann ein Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Absatz ein S. 2 Nr. 2 SGB II dahinstehen. Ein solcher Leistungsabschluss ist auf sie nicht anwendbar, weil sie sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 2 Abs. 1 DÖFA berufen kann, wonach Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt wird. 

Leistungen nach dem SGB II sind Fürsorge im Sinne von § 2 Abs. 1 DÖFA.

Das Bundessozialgericht hat in dem genannten Urteil vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10 R, juris, Rn. 24) zunächst ausgeführt, dass es sich bei dem EFA um unmittelbar geltendes Bundesrecht handelte, da der Bundestag mit dem mit Zustimmung des Bundesrats beschlossenen Gesetz vom 15.5.1956 dem EFA zugestimmt hat. Vergleichbares gilt für das DÖFA, weil die Bundesrepublik Deutschland mit dem Gesetz vom 28.12.1968 (Bundesgesetzblatt 1969 II Seite 1) entsprechend Art. 1 des Gesetzes dem in Bonn am 17.1.1966 unterzeichneten Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege zugestimmt hat.

Das Bundessozialgericht hat in dem genannten Urteil (a.a.O, juris, Rn. 21) weiter ausgeführt, ein Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei wegen des - in diesem Rechtsstreit anzuwendenden - EFA unanwendbar, weil das im EFA verankerte Gleichbehandlungsgebot dem dortigen Kläger einen Leistungsanspruch gegenüber dem SGB II-Träger gab. Für Das hier einschlägige DÖFA gilt nichts anderes,

Nach bereits genanntem Art. 2 Abs. 1 DÖFA werden Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt (Gleichbehandlungsgrundsatz). Diese Gleichbehandlung mit Deutschen gilt für die Klägerin als österreichische Staatsangehörige (wobei die Staatsangehörigkeit zwischen den Beteiligten unstreitig ist). 

Zwar ist in der Rechtsprechung umstritten, ob es sich bei dem DÖFA um ein Abkommen handelt, welches das SGB I verdrängt. Hierzu vertritt das Sozialgericht Aachen im Beschluss vom 20.3.2015, S 11 AS 169/15 ER, die Auffassung, dass das DÖFA auf Leistungen nach dem SGB II nicht anzuwenden sei, da sich bei den SGB II- Leistungen nicht um Fürsorgeleistungen im Sinne von Art. 1 Nr. 4 DÖFA handele. Dieser Auffassung folgt das erkennende Gericht nicht. Vorzuziehen ist die Auffassung des Sozialgerichts München im Urteil vom 10.2.2017, S 46 AS 204 15, wonach das Gleichbehandlungsgebot nach Paragraf Art. 2 Abs. 1 DÖFA dazu führt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf österreichische Staatsbürger grundsätzlich nicht anwendbar ist (so SG München, Urteil 10.2.2017, S 46 AS 2004 15, juris, Leitsatz und Rn. 20 ff). Letztlich ist die Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum europäischen Fürsorgeabkommen entschieden. Denn bereits mit seinem Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R (Juris, Rn. 32 f) hat das Bundessozialgericht entschieden, dass es sich bei der Regelleistung nach § 20 SGB II um „ Fürsorge“ im Sinne des Artikels 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) handelt. Nach dem Art. 2 Absatz a Nummer i EFA meine Fürsorge im Sinne des Abkommens jede Fürsorge, die jeder der Vertragschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewährt, und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert. Das Bundessozialgericht hat weiter ausgeführt (a.a.O., juris, Rn. 33), dass das SGB II - anders als bis zum 1.1.2005 die Arbeitslosenhilfe als Lohnersatzleistung - ein bedarfsabhängiges Leistungssystem darstellt. Darüber hinaus sei die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes zum 1.1.2005 auch nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitssuchende unterschieden sich zwar nach ihrem Adressatenkreis. Das SGB II verliere dadurch aber nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz. 

Angesichts dieser Ausführungen des Bundessozialgerichtes vermag die Kammer der Einschätzung des Beklagten nicht zu folgen; die Rechtsfrage ist vom Bundessozialgericht entschieden. Denn der Begriff der Fürsorge des DÖFA unterscheidet sich nach Ziel, Umfang und Ausrichtung nicht von dem Begriff der Fürsorge im EFA (so auch Sozialgericht München, am angegebenen Ort, Rn. 27). Der Wortlaut des DÖFA ist hinsichtlich der Definition des Begriffes womöglich noch umfassender als der vom Bundessozialgericht zugrunde gelegte Begriff nach dem EFA, definiert Art. 1 Nr. 4 DÖFA „Fürsorge“ doch als alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfes für Personen, die keine andere Voraussetzung als die der Hilfebedürftigkeit zu erfüllen haben. Auch in Ansehung des Letzten Halbsatzes von Art. 1 Nr. 4 DÖFA vermag die Kammer keinen Unterschied zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes im entschiedenen Fall zu erkennen. Die im SGB II genannten weiteren Leistungsvoraussetzungen dienen allein der Systemabgrenzung im seit dem 1.1.2005 geschaffenen System der Sozialhilfe, wonach grds. nur nicht erwerbsfähige Personen Leistungen nach dem SGB II erhalten (ebenso SG München, a.a.O, juris, Rn. 22 ff).

Dass sich die Klägerin in der Zeit ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland und somit im Streitzeitraum zur Arbeits- oder Ausbildungsplatzsuche aufhielt, bezweifelt die Kammer nicht. Insbesondere ist dies auch die Argumentation des Beklagten, womit er den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGG seiner Auffassung nach zu begründen vermochte. Insoweit stellt sich die Frage der Arbeitssuche letztlich als unstreitig dar. 

Die Klägerin ist auch nicht in die Bundesrepublik eingereist, um Fürsorgeleistungen zu erhalten, wie es das Schlussprotokoll zum DÖFA vorsieht. Hiernach sollen Vergünstigungen nach dem Abkommen solchen Personen nicht zugutekommen, die das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufsuchen, um diese Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen (so genannte „um-zu-Einreise“). Von einem Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss der Klägerin und der Inanspruchnahme der Vergünstigung vermag die Kammer angesichts der Umstände des vorliegenden Einzelfalles nicht auszugehen (vgl. zum finalen Zusammenhang Sozialgericht München, a.a.O., Rn. 31, mit weiteren Nachweisen). Denn die Klägerin ist im August 2013 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und in der Folge mit ihrem Lebensgefährten im November 2013 in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Dass die Klägerin ausschließlich, um Sozialleistungen der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch zu nehmen, aus Österreich eingereist ist, ist angesichts ihres Vortrages der tatsächlichen Lebensumstände nicht anzunehmen. Anhaltspunkte, wonach die Klägerin alleine zum Zwecke des Sozialleistungsbezuges in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, ergeben sich nicht, und wurden auch vom Beklagten nicht aufgezeigt. Insbesondere ist der Vortrag des Zusammenlebens mit ihrem Freund und der Ausbildungsplatz- bzw. Arbeitssuche in sich schlüssig und nachvollziehbar. 

Schließlich ergibt sich die Unanwendbarkeit des DÖFA auch nicht etwa aus einem erklärten Vorbehalt der Bundesregierung wie beim EFA (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 3.12.2015. B 4 AS 43/15 R, juris), da ein solcher Vorbehalt nicht erklärt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Berufung an das hessische Landessozialgericht gegen dieses Urteil bedurfte nicht der Zulassung durch das Sozialgericht, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 € übersteigt (§§ 143, 144 Absatz ein S. 1 Nr. 1 SGG).

Rechtskraft
Aus
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