S 8 VE 13/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 VE 13/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 VE 4/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Absenkung des bei ihr festgestellten Grades der Schädigungsfolgen (GdS). Die 1969 geborene Klägerin wurde von ihrem 7. bis zu ihrem 14. Lebensjahr wiederholt Opfer sexuellen Missbrauchs durch ihren Großvater. 

Am 14.03.2012 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Infolge des sexuellen Missbrauchs leide sie unter seelischen und gynäkologischen Gesundheitsschäden, Rückenbeschwerden und seit ihrer Kindheit unter Darmbeschwerden beim Toilettengang. Insgesamt bestünde bei ihr eine psychische Störung und ihre alltägliche Lebensqualität vom Essen bis Zwischenmenschliches sei beeinträchtigt. In einer Anlage zu Ihrem Antrag beschrieb die Klägerin ausführlich den Missbrauch durch ihren Großvater und führte in einem ergänzenden Schreiben vom 09.03.2011 zu den durch den Missbrauch bedingten Beeinträchtigungen aus. In Schreiben vom 07.03.2012, 14.03.2012 und 11.03.2012 berichteten der Vater der Klägerin, Herr D., und der zweite Ehemann der Klägerin, Herr C. A., ausführlich. Zur Vorlage kam ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Dr. E. vom 12.04.2012 aus einem beim Sozialgericht Kassel anhängigen Rentenverfahren (Az. S 8 R 435/10) und ein Änderungsantrag der Klägerin nach dem Schwerbehindertenrecht vom 23.06.1999 nebst entsprechender medizinischer Unterlagen (Bl. 81 bis 90 der Verwaltungsakte). 

Der Beklagte gelang am 27.05.2014 (Bl. 99 der Verwaltungsakte) zu der Auffassung, dass die Klägerin von ihrem 7. bis 14. Lebensjahr von ihrem Großvater regelmäßig sexuell missbraucht worden sei. Direkte Zeugen gäbe es zwar keine. Die Großeltern seien zwischenzeitlich verstorben. Die Schreiben des Vaters und des Ehemannes könnten nicht zur Sachaufklärung beitragen, da diese von den Taten nur durch die Klägerin erfahren hätten. Eine Tante der Klägerin sei angeschrieben worden als mögliche Zeugin, habe aber nicht geantwortet. Die Klägerin, deren Angaben glaubhaft erschienen, habe aber am 27.05.2014 bei ihrer persönlichen Vorsprache eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, so dass den Vorschriften des § 15 KOVVfg damit genüge getan sei. Der Beklagte zog einen Bericht des Ergotherapeuten F. vom 18.06.2014 (Bl. 104 der Verwaltungsakte) bei sowie die Unterlagen der Wicker-Klinik Bad Wwildungen, wo sich die Klägerin vom 10.08.2012 bis 24.08.2012 zu einer Reha-Maßnahme aufgehalten hatte (Bl. 107 bis 126 der Verwaltungsakte). Sodann veranlasste der Beklagte ein Gutachten bei dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. G., vom 17.09.2014 (Bl. 139 bis 151 der Verwaltungsakte). Prof. G. gelang in seinem Gutachten zu der Auffassung, dass bei der Klägerin eine Traumafolgestörung verursacht durch den sexuellen Missbrauch durch einen Familienangehörigen zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr bestehe. Dieser sei auch die alleinige Ursache für das Entstehen der Trauma-Folgestörung. Es hätten sich keine begutachtungsrelevanten Mitursachen ergeben. Vor dem sexuellen Missbrauch habe es keine psychischen Vorerkrankungen mit Einfluss auf das Schadensereignis gegeben, nachträglich seien keine schädigungsunabhängigen Faktoren von Einfluss auf die Traumafolgestörung eingetreten. Prof. G. schlug vor, die Traumafolgestörung, der Klägerin ab der Antragstellung im März 2012 mit einem GDS von 30 zu bewerten. In der Untersuchung vom 11.09.2014 hatte die Klägerin über Probleme mit männlichen Personen, namentlich wenn diese sich im fortgeschrittenen Alter befänden und von Statur und Gestik oder Stimme dem inzwischen verstorbenen Großvater entsprächen, berichtet. Erinnerungsbilder träten einmal pro Woche an bestimmte Szenen mit dem Großvater auf, ähnliche Erscheinungen könnten auch nachts in Wachphasen auftreten, ferner sei ab dem 6. Lebensjahr eine Dunkelangst und Angst in engen Räumen aufgetreten. Um das 16. Lebensjahr habe die Klägerin eine Höhenangst entwickelt und Ängste vor dem Alleinsein, der Anblick von Pferden, die seinerzeit auf dem Reiterhof des Großvaters immer präsent gewesen seien, könnten Flashbacks hervorrufen. Es bestehe eine Abneigung gegen Körperkontakt und Geschlechtsverkehr, der deshalb nur zwei- bis dreimal im Jahr stattfinde. Es sei weiterhin über eine täglich auftretende Ein- und Durchschlafstörung seit der Kindheit berichtet worden. Außerdem bestehe eine übermäßige Schreckhaftigkeit. Prof. G. führte aus, dass die Prognose unter Fortsetzung der gegenwärtigen Therapie günstig erscheine, was bedeute, dass die zur Zeit noch vorhandene wesentliche Beeinträchtigung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit besserungsfähig erscheine. 

Mit Bescheid vom 09.10.2014 (Bl. 156 f. der Verwaltungsakte) stellte der Beklagte fest, dass bei der Klägerin die Gesundheitsstörung „Posttraumatische Belastungsstörung“ durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 OEG hervorgerufen sei, und zwar durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff in I-Stadt. Diese Schädigungsfolgen seien ab dem 01.03.2012 mit einem Grad der Schädigung (GdS) von 30 gemäß § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu bewerten. 

Im Jahr 2015 leitete der Beklagte entsprechend der Empfehlung von Prof. G. ein Überprüfungsverfahren von Amts wegen ein. Er zog den Entlassungsbericht des Klinikzentrums Lindenallee vom 09.03.2015 bei, wo sich die Klägerin in der Zeit vom 02.02.2015 bis zum 21.02.2015 in stationärer Behandlung befunden hatte (Bl. 176 bis 183 der Verwaltungsakte). Hier wurde ausgeführt, dass sich die Klägerin insgesamt nur sehr begrenzt auf das Therapiesetting habe einlassen können, im Sinne einer ersten Selbststabilisierung und psychoedukativen Lernens von den therapeutischen Angeboten jedoch habe profitieren können. Entsprechend der formulierten psychotherapeutischen Behandlungsziele sei es im Verlauf des stationären Aufenthaltes insgesamt zu einer ersten Verbesserung der Symptomatik gekommen. Dies habe sich in einer vorsichtigen Beziehungsaufnahme und einer Steigerung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen gezeigt. Zu dieser Verbesserung der Symptomatik habe insbesondere die Vermittlung eines angemessenen Krankheitsverständnisses und die Vermittlung von Stabilisierungstechniken zur Emotionsregulation und -kontrolle geführt. Die Klägerin habe die Reha dann jedoch impulsiv und ohne Regulationsmöglichkeiten abgebrochen. Ebenso zog der Beklagte einen aktuellen Befund des Ergotherapeuten F. vom 27.10.2015 (Bl. 184 f. der Verwaltungsakte) bei. Dieser berichtete von einem im Allgemeinen erfreulichen Verlauf mit zunehmend positiver Prognose. In der sozialmedizinischen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Beklagten nahm Dr. J. am 11.12.2015 zu den vorgelegten Befunden Stellung (Bl. 190 f. der Verwaltungsakte) und führte aus, dass sich aus den vorliegenden Befundunterlagen eine nachhaltige Stabilisierung des Gesundheitszustandes nicht erkennen lasse, so dass gegenwärtig eine erneute fachärztliche Begutachtung nicht indiziert sei. Er empfahl, die Nachuntersuchung noch einmal um ein Jahr zu verschieben.

Auch im Rahmen eines Neufeststellungsantrags der Klägerin vom 12.09.2016 (ab Bl. 221 ff. der Verwaltungsakte), in dem diese ausgeführt hatte, dass sich ihr posttraumatische Belastungsstörung verschlimmert habe und außerdem eine Fibromyalgie hinzugetreten sei, holte der Beklagte zunächst einen Befundbericht bei der Hausärztin der Klägerin Frau Dr. K. vom 28.10.2016 (Bl. 248 der Verwaltungsakte) ein, die auch einen ärztlichen Bericht der AMEOS Klinik Neustadt Ostsee übersandte, wo sich die Klägerin am 16.06.2016 bis 20.06.2016 akutpsychiatrisch hatte behandeln lassen. Hier hatte die Klägerin von sozialem Rückzug berichtet, Selbstverletzungen oder Suizidgedanken waren jedoch verneint worden. Allerdings hatte die Klägerin bereits nach dem Wochenende Ihren Entlassungswunsch geäußert, da sie ihre körperlichen Beeinträchtigungen wie die Fibromyalgie und Schmerzen im Vordergrund stehend ansehe und ein akut-psychiatrisches Krankenhaus ihr nicht in dem Umfang physikalische Therapie anbieten könne, wie sie es benötige. Daraufhin sei sie am 20.06.2016 gegen ärztlichen Rat entlassen worden. Sodann beauftragte der Beklagte die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Frau Dr. L. mit der Erstellung eines Nachgutachtens (Bl. 299 bis 310 der Verwaltungsakte). Die Klägerin habe während der Reha in Bad Schalbach Stabilisierungstechniken zur Emotionsregulation und -kontrolle erlernen können, die ihr im sozialen Umgang eine höhere Kompetenz und Akzepttanz verleihen würden. Auf Nachfrage vom 02.02.2017 (Bl. 288 der Verwaltungsakte) konkretisierte Frau Dr. L. am 08.02.2017 (Bl. 312 f. der Verwaltungsakte), dass seit der letzten Stellungnahme durch Dr. J. wesentliche Symptome der PDBS in den Hintergrund getreten seien und psychische Symptome aufgrund schädigungsunabhängiger Ereignisse und Erlebnisse in den Vordergrund gerückt seien. Hierdurch sei es zu einer ausscherenden, nicht mehr durch das schädigende Ereignis hervorgerufenen Symptomatik gekommen, die die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wesentlich mit beeinflusst habe. Als Symptome der PDPS lägen noch Schlafstörungen mit seltenen Albträumen und eine Einschränkung der sexuellen Erlebnisfähigkeit vor. Diese Symptomatik sei mit einem GdS von 20 zu bewerten. 

Hierauf stellte der Beklagte nach erfolgter Anhörung mit Schreiben vom 16.03.2017 (Bl. 332 der Verwaltungsakte) mit Bescheid vom 08.05.2017 (Bl. 359 ff. der Verwaltungsakte) fest, dass sich bei der Klägerin die mit Bescheid vom 09.10.2014 festgestellte Gesundheitsstörung „posttraumatische Belastungsstörung“ gebessert habe und nunmehr nur noch als „posttraumatische Belastungsstörung (Teilsymptomatik)“ vorliege, die nunmehr nur noch mit einem Grad der Schädigung von 20 zu bewerten sei. Den hiergegen mit Schreiben vom 12.05.2017 (Bl. 362 der Verwaltungsakte) erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2017 (Bl. 365 f. der Verwaltungsakte als unbegründet zurück. 

Hiergegen richtet sich die am 08.06.2017 zum Sozialgericht Kassel erhobene Klage, die unter dem Aktenezichen S 8 VE 13/17 angelegt wurde und mit der die Klägerin die Beibehaltung ihres GdS i. H. v. 30 begehrt.

Im Klageverfahren hat das Gericht zunächst Befundberichte bei den die Klägerin behandelnden Ärzten eingeholt und zwar einen Befundbericht bei der behandelnden Hausärztin Dr. K. vom 18.08.2017 (ab Bl. 65 ff. der Gerichtsakte), einen Bericht des Diplom-Psychologen und Psychoanalytikers und Psychotherapeuten H. (Bl. 69 ff. der Gerichtsakte), einen Bericht des behandelnden Ergotherapeuten F. vom 13.08.2017 (Bl. 60 f. der Gerichtsakte), der behandelnden Psychologin M. vom 14.08.2017 (Bl. 59 der Gerichtsakte), einen Bericht der Kliniken Essen-Mitte vom 06.05.2017 (ab Bl. 40 ff. der Gerichtsakte), wo sich die Klägerin vom 25.04.2017 bis zum 06.05.2017 aufgehalten hatte sowie einen Bericht der Vitos Klinik Kurhessen vom 14.08.2017, wo sich die Klägerin einmalig am 23.03.2017 vorgestellt hatte (Bl. 63 f. der Gerichtsakte). Mit Schreiben vom 10.10.2017 überreichte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen Entlassungsbericht der Curtius Klinik vom 05.10.2017 in Kurzform, wo sich die Klägerin vom 01.09.2017 bis 05.10.2017 aufgehalten hatte. Zu diesen Befunden nahm der ärztliche Dienst des Beklagten am 01.09.2017 und 27.09.2017 durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. Stellung (ab Bl. 78 ff. der Gerichtsakte).

Sodann hat das Gericht ein Gutachten bei der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Frau N. eingeholt, welche diese nach einer Untersuchung der Klägerin am 19.12.2018 am 10.01.2019 vorgelegt hat. Seit der Begutachtung durch Prof. G. habe die Klägerin in der Zwischenzeit zahlreiche familiäre Belastungen in Gestalt von Konflikten und Beziehungsabbrüchen mit beiden Söhnen, Schwiegertöchtern, Enkeln sowie mit ihrem Vater erlebt. Vor dem Hintergrund dieser, die Probandin emotional sehr belastenden Ereignisse, sei die jetzt zu beobachtende Beschwerdesymptomatik primär mit den aktuellen Belastungen in Verbindung zu bringen, so dass als Schädigungsfolge nur noch die Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung bestehe, die mit einem GdS von 20 zu bewerten sei. Auf einen Schriftsatz der Klägerin vom 21.02.2019 (ab Bl. 166 ff. der Gerichtsakte) wurde nochmals eine ergänzende Stellungnahme der gerichtlichen Gutachterin N. vom 27.04.2019 (ab Bl. 185 ff. der Gerichtsakte) eingeholt, in welcher diese bei ihrer ursprünglichen Einschätzung geblieben ist. 

Die Klägerin ist auch in Kenntnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens und der ergänzenden Stellungnahme der Gutachterin vom 27.04.2019 der Auffassung, dass bei ihr nach wie vor ein GdS in Höhe von 30 bestehe, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass bei ihr ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne von § 30 Abs. 2 BVG vorliege und beantragt, 

den Bescheid des Beklagten vom 08.05.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2017 aufzuheben. 

Der Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich im Wesentlichen auf das Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere dem Inhalt der Gutachten von Prof. G., Frau Dr. L. und Frau N. wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die das Gericht beigezogen hat und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen ist. 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache erfolglos. 

Denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens war der Beklagte berechtigt, den GdS für die Schädigungsfolge „posttraumatische Belastungsstörung“ unter gleichzeitiger Änderung derer Bezeichnung auf 20 mit Wirkung ab dem 01.06.2017 festzustellen, weil die hierfür erforderliche wesentliche Änderung der Verhältnisse in Gestalt einer entsprechenden Veränderung des durch Bescheid vom 09.10.2014 nach Art und Umfang anerkannten Leidens festgestellt werden kann. 

Streitgegenständlich ist die mit Bescheid vom 08.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2017 getroffene Entscheidung des Beklagten, den GdS der Klägerin von 30 auf 20 herabzusetzen, die mit der Anfechtungsklage angegriffen wird. Die Frage, ob die Herabsetzung rechtmäßig ist, beurteilt sich bei einer solchen Anfechtungsklage nicht nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, sondern nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 13.07.2015, Az.: L 15 SB 16/14).

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, hierum handelt es sich bei der Feststellung der Schädigungsfolge und der Höhe des GdS, vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. 

Der GdS ist nach § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Nach Abs. 1 S. 2 ist der Grad der Schädigungsfolgen nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mitumfasst. Nach S. 3 des Abs. 1 sind vorübergehende Gesundheitsstörungen nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten. Im Interesse einer einheitlichen und gleichmäßigen Behandlung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund der Ermächtigung des bis zum 30.06.2011 geltenden §§ 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX, § 1 Abs. 1 VfG-KOV, § 30 Abs. 17 BVG nach § 2 S. 1 Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl, I 2412) in den „versorgungsmedizinischen Grundsätzen“, Ausgabe 2008 (Anlage zu § 2 der VersMedV) die Grundsätze für die medizinische Bewertung des GdS festgelegt, die fortlaufend auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft fortentwickelt werden (§ 2 S. 2 VersMedV). Die „versorgungsmedizinischen Grundsätze“ ersetzen die bis zum 31.12.2008 anzuwendenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (letzte Ausgabe 2008) und stellen eine verbindliche Rechtsquelle für die Feststellung einer Schädigungsfolge und des GdS dar (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2009, Az. B 9 SB 4/8 R). 

Gemäß § 30 Abs. 2 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn 

1.    auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,

2.    zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder

3.    Die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

Unstreitig ist, dass die Klägerin im Alter von 7 bis 14 Jahren Opfer sexuellen Missbrauchs durch ihren Großvater geworden ist. Zur Überzeugung des Gerichts steht jedoch fest, dass sich hieraus nur noch eine „Posttraumatische Belastungsstörung in Teilsymptomatik“ zurückführen lässt, die mit einem Grad der Schädigung von 20 zu bewerten ist. Das Gericht folgt insofern den Ausführungen der bereits im Verwaltungsverfahren beauftragten Sachverständigen Frau Dr. L. in ihren Gutachten vom 26.01.2017 bzw. 08.02.2017 und den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Frau N. in ihrem Gutachten vom 10.01.2019 sowie ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 27.04.2019. Der Sachverständige Prof. G. hatte in seinem Gutachten vom 17.09.2014 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass die Klägerin über Probleme mit männlichen Personen, namentlich wenn diese sich im fortgeschrittenen Alter befänden und von Statur und Gestik oder Stimme dem inzwischen verstorbenen Großvater entsprächen, berichtet habe. Erinnerungsbilder träten auf, zum Zeitpunkt der Begutachtung habe sie einmal pro Woche bestimmte Szenen mit dem Großvater erinnert, ähnliche Erscheinungen seien auch nachts in Wachphasen aufgetreten. Ferner seien ab dem 6. Lebensjahr eine Dunkelangst und Angst in engen Räumen aufgetreten, weshalb die Klägerin auch schlecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren könne. Dies habe bereits in der Schulbuszeit begonnen. Um das 16. Lebensjahr herum habe die Klägerin noch eine Höhenangst und Ängste vor dem Alleinsein entwickelt. Der Anblick von Pferden, die seinerzeit auf dem Reiterhof des Großvaters immer präsent gewesen seien, könnten Flashbacks hervorrufen. Bezüglich ihrer Sexualität habe sich die Klägerin von ihrem Ex-Ehemann benutzt gefühlt, ihre zweite Ehe habe sie harmonischer beurteilt, ständig vorhanden seien aber eine Abneigung vor Körperkontakt und Geschlechtsverkehr, der deshalb nur zwei- bis dreimal im Jahr stattfinde. Die Klägerin habe weiter über täglich auftretende Ein- und Durchschlafstörungen seit der Kindheit berichtet, meistens sei der Schlaf zweimal für einen Toilettengang unterbrochen, mit anschließenden Wachphasen bis zu 1 Stunde, verbunden mit nächtlichen Schweißausbrüchen und innerer Unruhe seit Kindestagen. Die Klägerin habe auch von übermäßiger Schreckhaftigkeit berichtet, z.B. beim Knarren der Treppe oder beim Klappern einer Tür. Ab dem 8. Lebensjahr seien zunehmend auch Gewitterängste aufgetreten. Bereits bei der Nachbegutachtung im Verwaltungsverfahren durch Frau Dr. L. hatte die Klägerin angegeben, dass sich seit der Untersuchung bei Prof. G. Einiges bei ihr getan habe. Sie habe nur noch ihren Ehemann. Der Vater, Bruder und ihre Söhne hätten sich abgewandt, da sie ihr Recht auf „Nein zu sagen“ wahrgenommen habe, wie sie es in der psychosomatischen Rehabilitation 2015 gelernt habe. Nach wie vor gab die Klägerin an, unter Schlafstörungen zu leiden. Ängste konzentrierten sich nunmehr insbesondere auf ihre Enkelkinder, da ihre Schwiegertochter psychisch krank sei und derzeit keiner Therapie zugänglich. Das Kind sei zwei- oder dreimal gestürzt, einmal vom Wickeltisch, einmal aus dem Hochstuhl und einmal aus dem Bett. Sie habe ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter gekündigt, damit sie aus der Wohnung ausziehen. Die Sachverständige wies darauf hin, dass es durch die rehabilitative psychosomatische Behandlung vom 02.02.2015 bis 21.02.15 in Bad Schwalbach zu einer deutlichen Verbesserung der psychischen Symptome gekommen sei, die sich in einer vorsichtigen Beziehungsaufnahme, einer Steigerung der Selbstachtung und einem besseren angemessenen Krankheitsverständnis gezeigt habe. Die Klägerin habe Stabilisierungstechniken zur Emotionsregulation und -kontrolle erlernt, die ihr im sozialen Umgang eine höhere Kompetenz und Akzeptanz verliehen hätten. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass es im Vergleich zum Bescheid vom 09.10.2014 zu keiner wesentlichen Verbesserung bei der Klägerin gekommen sei, dass jedoch eine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten sei. Ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne von § 30 Abs. 2 BVG sei gegeben. In ihrer klarstellenden Stellungnahme vom 08.02.2017 hat die Sachverständige Dr. L. darauf hingewiesen, dass als Symptome der PTBS noch Schlafstörungen mit seltenen Albträumen und eine Einschränkung der sexuellen Erlebnisfähigkeit vorliegen, diese als Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung allerdings nur noch mit einem GdS von 20 zu bewerten seien.

Zu diesem Ergebnis kommt auch die gerichtliche Sachverständige Frau N. in ihrem Gutachten vom 10.01.2019. Seit der Begutachtung durch Prof. G. habe die Klägerin zahlreiche familiäre Belastungen in Gestalt von Konflikten und Beziehungsabbrüchen mit beiden Söhnen, Schwiegertöchtern, Enkeln sowie mit ihrem Vater erlebt. Vor dem Hintergrund dieser die Probandin emotional sehr belastenden Ereignisse sei die jetzt zu beobachtende Beschwerdesymptomatik primär mit den aktuellen Belastungen in Verbindung zu bringen. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass sich die Klägerin mehreren stationären Behandlungen unterzogen habe, von denen sie auch partiell habe profitieren können. Insbesondere durch die ambulante Psychotherapie habe sich der Klägerin die Möglichkeit eröffnet, sich sowohl mit den Traumafolgen als auch mit den überaus problematischen Primärbeziehungen und den aktuellen Konflikten auseinanderzusetzen. Die im Rahmen der Untersuchung durch Prof. G. geschilderte übermäßige Schreckhaftigkeit sei aktuell nicht mehr berichtet worden. Die weiterhin beklagten Schlafstörungen seien nicht mehr eindeutig mit den sexuellen Traumatisierungen der Kindheit und Jugend in Verbindung zu bringen, sondern ließen sich auf dem Boden einer depressiven Vulnerabilität (vor dem Hintergrund einer pathologischen Primärsozialisation) als Reaktion auf die aktuellen Konflikte verstehen. Es bestehe weiterhin ein Vermeidungsverhalten, das sich überwiegend in einer Störung der sexuellen Erlebnisfähigkeit äußere. Es werde auch weiterhin über Albträume berichtet, die jedoch nur noch im geringen Umfang direktem sexuellen Missbrauch zugeordnet werden könnten sowie über Flashbacks, die im Zusammenhang mit der gutachterlichen Untersuchung aufgetreten seien. Der schädigungsbedingte Anteil sei bei der Klägerin deshalb nur noch mit einem GdS von 20 zu bewerten. 

An der Richtigkeit des Gerichtsgutachtens und der Einschätzung der Sachverständigen zu zweifeln, sieht die Kammer keinen Anlass. Sie ist zu der Überzeugung gelangt, dass unter Würdigung der Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen sowie der Sachverständigen im Verwaltungsverfahren Frau Dr. L. - die sich ausführlich mit den gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auseinandergesetzt haben - der Einschätzung der Sachverständigen in vollem Umfang zu folgen ist. 

Darüber hinaus liegt nach Ansicht der Kammer auch kein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG bei der Klägerin vor. Die Ausführungen der Sachverständigen Frau Dr. L. in ihrem Gutachten vom 26.01.2017 bzw. ihrer Stellungnahme vom 01.09.2017 sind für das Gericht nicht nachvollziehbar. Die Sachverständige Frau N. hat insofern in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 27.04.2019 ihre Ausführungen im Gutachten vom 19.12.2018 vertieft und ausgeführt, dass die Klägerin ihre Erzieherausbildung nicht habe abschließen können, weil sie ein Kind bekommen habe. Sie habe eine Ausbildung zur Fußpflegerin absolviert, habe diese Tätigkeit jedoch nach einer Unterleibsoperation nicht fortsetzen können. Nach einer Umschulung zur Sozialversicherungsangestellten sei die Klägerin bei der AOK tätig gewesen. Diese Arbeit sei durch einen Auflösungsvertrag beendet worden, nachdem die Klägerin an einem Speicheldrüsentumor operiert worden sei, mit dem danach verordneten Hörgerät nicht zurechtgekommen sei und deshalb nicht mehr bei der Hotline habe arbeiten können, wo sie zuvor eingesetzt worden sei. Auch im durch Dr. O. 2012 erstellten Gutachten im Rentenverfahren sei ausgeführt worden, dass die Klägerin bis zum Jahr 2000 privat und beruflich gut integriert gewesen sei, was auch der jetzigen Darstellung entsprochen habe. Der Speicheldrüsentumor 2002, Arbeitsplatzkonflikte, zunehmende Eheprobleme mit einer Trennung 2008 hätten dann zu einer Einbuße der Leistungsfähigkeit geführt. Die berufliche Anamnese habe keine Hinweise für das Vorliegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins durch die Schädigungsfolgen geliefert. Vor diesem Hintergrund sei die erstmals im Gutachten von Frau Dr. L. im Januar 2017 erfolgte Annahme eines besonderen beruflichen Betroffenseins nicht nachvollziehbar. Auch die Kammer konnte sich vor dem Hintergrund der Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen nicht von einem besonderen beruflichen Betroffensein im Sinne von § 30 Abs. 2 BVG bei der Klägerin überzeugen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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