S 8 KR 411/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 411/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 458/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

Bei Nichteinhaltung des Beschaffungsweges scheidet ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine Hörgeräteversorgung aus.

  1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Erstattung von den Festbetrag übersteigenden Kosten einer Hörgeräteversorgung i.H.v. 2962 €

Die 1938 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit rechts und einer hochgradigen Innenohrhrschwerhörigkeit links. Am 14.12.2017 wurde ihr von ihrem behandelnden HNO-Arzt, Doktor C., eine neue Hörhilfe verordnet. Im April 2018 erfolgte eine Anpassung durch den Hörgeräteakustiker D. in A-Stadt. Getestet wurden zwei Geräte, jedoch keines, welches aufzahlungsfrei gewesen wäre. Die Klägerin entschied sich für das Gerät " GN Resound Linx-3D 762" rechts und links. Seitens des Hörgeräteakustikers wurde hierfür unter dem 19.4.2018 (Bl. 154 der Gerichtsakte) eine Rechnung unter Abzug eines Betrages von 1534 € i.H.v. dann noch 3053,20 € in Rechnung gestellt (Kostenvoranschlag vom 17.04.2018 (Bl. 48 der Gerichtsakte). Die Klägerin beglich diesen Betrag am 25.4.2018 (Kontoauszug, Bl. 92 der Gerichtsakte).

Am 8.5.2018 erhielt die Beklagte die Abrechnung der Festbeträge seitens des Hörgeräteakustikers und zahlte auf diese am 15.5.2018 einen Betrag i.H.v. 1514 € unter Berücksichtigung eines Eigenanteils von 20 €.

Nachdem der Schwager der Klägerin, Herr Dipl.-Rechtspfleger B. A., als Bevollmächtigter der Klägerin mit Schreiben vom 7.6.2018 die Beklagte um Überprüfung gebeten hatte, warum die Klägerin von der Beklagten keinen Leistungsbescheid erhalten habe und diese mit Schreiben vom 11.6.2018 mitgeteilt hatte, dass durch das Abrechnungszentrum ein Betrag von 1514 € übernommen worden sei, stellte Herr Dipl.- Rechtspfleger B. A. mit Schreiben vom 14.6.2018 einen Antrag auf Übernahme der Mehrkosten für die Hörgeräteversorgung i.H.v. 2962 € bei der Beklagten. Die Beklagte holte ein HNO-ärztliches Gutachten vom 6.7.2018 bei dem HNO-Arzt Doktor E. ein und lehnte sodann mit Bescheid vom 10.7.2018 die Kostenübernahme über die Festbeträge hinaus ab. Hiergegen erhob der Schwager der Klägerin, Herr Dipl.-Rechtspfleger B. A., mit Schreiben vom 31.7.2018 Widerspruch. Der Hörverlust der Klägerin könne nicht mit Hörgeräten zum Festbetrag ausgeglichen werden. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte nochmals ein HNO-ärztliches Gutachten bei Doktor E. vom 14.8.2018 ein, in dem dieser bei seiner zuvor bereits im Gutachten vom 6.7.2018 vertretenen Auffassung verblieb. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.9.2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 10.7.2018 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 11.10.2018 zum Sozialgericht Kassel erhobene Klage, die unter dem Az: S 8 KR 411/18 angelegt wurde, und mit der die Klägerin weiterhin Mehrkosten i.H.v. 2962 € für ihre Hörgeräteversorgung erstrebt.

Im Klageverfahren hat das Gericht einen aktuellen Befundbericht des HNO-Arztes der Klägerin, Doktor C., vom 11.12.2018 eingeholt, der auch ein Ton- und ein Sprachaudiogramm übersandte. Die Beklagte hat hierzu ein drittes HNO-ärztliches Gutachten des Doktor E. vom 26.01.2019 eingeholt, in dem dieser bei seiner zuvor in den Gutachten vom 6.7.2018 und 14.8.2018 bereits vertretenen Auffassung verblieben ist.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr bereits ein Anspruch auf Übernahme der Mehrkosten i.H.v. 2962 € gemäß § 13 Abs. 3 a SGB V nach den Grundsätzen über die Genehmigungsfiktion zustehe. Davon unabhängig verhalte es sich darüber hinaus beim unmittelbaren Behinderungsausgleich so, dass der Anspruch von Versicherten sehr weit gehe. Hier gelte das Gebot eines möglichst vollständigen Ausgleich des Funktionsdefizits im Sinne eines Gleichziehens mit dem gesunden Menschen. Die Festbetragsregelung im Hilfsmittelrecht enthebe die Krankenkasse nicht von der Pflicht, im Rahmen der Sachleistungsverantwortung für die ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Hieraus könnten gesteigerte Obhuts- und Informationspflichten erwachsen, wenn-wie bei der Versorgung mit Hörgeräten-der notwendige Überblick über die Marktlage, die durch ein hohes Maß an Intransparenz gekennzeichnet sei, und geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig zu erlangen seien. Verletze die Krankenkasse diese Pflichten, trage sie und nicht der Versicherte die materielle Beweislast dafür, dass der Versicherte mit Festbetragsgeräten gleich gut wie mit den von ihm ausgewählten Hörgeräten versorgt werden könne.

Die Klägerin beantragt (sachgerecht ausgelegt),

den Bescheid vom 10.7.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.9.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Mehrkosten i.H.v. 2962 € für zwei Hörgeräte zu erstatten und diesen Betrag ab dem 25.04.2018 mit vier vom Hundert zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin den Beschaffungsweg nicht eingehalten hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die das Gericht beigezogen und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist und die Beteiligten zuvor zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden sind. 

Die form-und fristgemäß erhobene Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Denn die von der Klägerin angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine zusätzliche Hörgeräteversorgung in Höhe von 2962 €.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist neben der unmittelbar angegriffenen Entscheidung über das Kostenerstattungsbegehren der Klägerin auch die Leistungsbegrenzung im zumindest konkludent erteilten Bewilligungsbescheid vom 15.5.2018. Durch ihn hat die Beklagte mit der Leistungsgewährung zugleich ihre Leistungspflicht auf den Festbetrag i.H.v. 1514 € begrenzt. Damit ist das weitergehende Leistungsbegehren der Klägerin abgelehnt und mit Bindungswirkung ihr gegenüber entschieden worden, dass Ansprüche nur im Rahmen einer Festbetragsversorgung bestehen (BSGE 84,281,285 = SozR 3-2200 § 605 Nr.1 S 5; Steinwedel in; Kasseler Kommentar, SGB X, Stand Mai 2006, § 44 Rn. 24; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 44 Rn. 22). Bei sachgerechter Auslegung ihres Begehrens musste die Beklagte folglich den Kostenerstattungsantrag vom 11.6.2018 zugleich als Widerspruch gegen den konkludent erteilten Bewilligungsbescheid vom 15. 05.2018 verstehen, soweit darin der Antrag auf vollständige Hörgeräteversorgung abgelehnt worden war. Hierüber war auch eine Sachentscheidung zu treffen. Der Widerspruchsbescheid vom 26.9.2018 ist bei sachgerechter Auslegung nicht nur als Bestätigung der ablehnenden Entscheidung vom 10.7.2018, sondern auch als Billigung der Leistungsbegrenzung vom 15.5.2018 zu verstehen. Dies stellt den Gegenstand des Rechtsstreites dar, ohne dass es im Klageantrag auch einer ausdrücklichen Teilaufhebung der Bewilligung vom 15.5.2018 bedurft hätte.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. SGB V. Danach gilt: "Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der Erstattungsanspruch reicht, wie in der Rechtsprechung des BSG geklärt ist, nicht weiter als ein entsprechender-primärer-Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach-oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vergleiche z.B. BSGE 79,125,126 f=SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S 51 f mwN; BSGE 97,190 =SozR 4-2500 § 13 Nr 19 RdNr 12; vergleiche zum Ganzen auch Hauck in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, 19. Auflage 66. Lieferung, Stand: 1.3.2008, § 13 SGB V RdNr 233 ff). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbstbeschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. zuletzt BSGE SozR 4-500 § 13 Nr. 20 RdNr. 25; eingehend Hauck, aaO, mwN).

Vorliegend scheitert der Kostenerstattungsanspruch jedoch an der fehlenden Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung. Ansprüche nach § 13 Abs. 3 S. 1 Fall 2 SGB V sind nämlich nur dann gegeben, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten "dadurch" Kosten für die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind. Dazu muss die Kostenbelastung des Versicherten der ständigen Rechtsprechung des BSGE zufolge wesentlich auf der Leistungsversagung der Krankenkasse beruhen (vergleiche etwa BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 8, jeweils Rdnr. 24). Hieran fehlt es, wenn diese vor Inanspruchnahme der Versorgung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 15 S 74 mwN; BSGE 98, 26= SozR 4-2500 § 13 Nr. 12, jeweils RdNR 10; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 13 mwN), oder wenn der Versicherte auf eine bestimmte Versorgung von vornherein festgelegt war (ständige Rechtsprechung; vergleiche etwa BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 20 RdNr 29).

Das ist hier der Fall. Die Klägerin hat sich die begehrten Hörhilfen mit Überweisung der ausstehenden 3053,20 € am 25.4.2018 auf die Rechnung des Hörgeräteakustikers vom 19.4.2018 endgültig beschafft und somit zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte bezüglich dieses Begehrens noch nicht befasst war.

Vor diesem Hintergrund greifen die Ausführungen der Klägerin zu einem Anspruch auf Übernahme der Mehrkosten nach § 13 Abs. 3 a SGB V schon von vornherein nicht.

Die Klage war dementsprechend abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Abschließend sieht sich das Gericht zu folgenden Ausführungen veranlasst:

Die Klägerin, die wiederholt der Beklagten eine Verletzung der Wahrheitspflicht und darüber hinaus der Beklagten und dem Hörgeräteakustiker kollusives Zusammenwirken zu ihrem Nachteil vorgeworfen hat (vergleiche ihre Schriftsätze vom 14.5.2020 und 3.11.2020), hat in diesem Verfahren ihrerseits durch ihren teils widersprüchlichen, teils nicht glaubhaften Vortrag erhebliche Bedenken an der Einhaltung der Wahrheitspflicht, die selbstverständlich auch für sie gilt, hervorgerufen. So hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19.9.2019 vorgetragen, sie habe beim Hörgeräteakustiker den Vordruck "Erklärung zur Versorgung mit Mehrkosten" erst unterschrieben, nachdem sich erwiesen habe, dass sie mit Hörgeräten zum Festbetrag nicht hinreichend versorgt gewesen wäre. Zu Recht hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 4.10.2019 darauf hingewiesen, dass diese Aussage nur schwer nachvollziehbar ist angesichts der Tatsache, dass die Klägerin überhaupt gar keine Geräte zum Festbetrag getestet hat. An anderer Stelle hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.5.2020 ausgeführt, der Hörgeräteakustiker hätte ihr die notwendigen Hörgeräte nicht ausgehändigt, solange sie die Mehrkostenerklärung nicht unterschrieben habe. Diesen Vortrag der Klägerin - der jedenfalls inhaltlich völlig von dem ihres Schriftsatzes vom 19.9.2019 abweicht - hält das Gericht vor dem Hintergrund der Auskunft des Hörgeräteakustikers D. vom 29.04.2020 für schlichtweg nicht glaubhaft. In dieser hat der Hörgeräteakustiker ausgeführt, dass er seinen Informationspflichten nachgekommen sei und die Klägerin umfassend und frühzeitig über die Möglichkeiten der aufzahlungsfreien Versorgung informiert habe. Die Klägerin habe diese Ausprobe abgelehnt und sich für eine Versorgung mit Mehrkosten entschieden. Dies korrespondiert auch mit der von ihr am 17.4.2018 unterzeichneten "Erklärung zur Versorgung mit Mehrkosten", in der angekreuzt wurde, dass eine Versorgung mit einem die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung übersteigenden Hörsystem aufgrund von Komfort gewünscht werde. 

Soweit die Klägerin darüber hinaus mehrfach ausgeführt hat, die Beklagte sei ihren gesteigerten Obhuts-und Informationspflichten (Schriftsatz vom 26.2.2019) nicht nachgekommen, hätte sich früher kümmern können und müssen und habe sie "ins offene Messer laufen lassen" (Schriftsatz vom 19.9.2019) weist das Gericht darauf hin, dass die Beklagte des vorliegenden Verfahrens überhaupt keine Möglichkeit hatte, der Klägerin im Vorfeld der Hörgeräteversorgung beratend zur Seite zu stehen, da die Klägerin zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte zum ersten Mal mit dem Anliegen befasst wurde, bereits mit den streitigen Hörgeräten versorgt war. Dem Gericht drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass die Klägerin von Anfang an auf eine bestimmte Versorgung, nämlich mit dem Hörgerätesystem "GN Resound Linx-3D 762" festgelegt war. Ersichtlich ist für das Gericht jedenfalls nicht, inwiefern es der Klägerin nicht möglich gewesen sein sollte, im Vorfeld der endgültigen Beschaffung am 25.04.2018 ihrerseits die beklagte Krankenkasse zu kontaktieren. Das Gericht stimmt den Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 2.6.2020 zu, dass die Klägerin des vorliegenden Verfahrens immer wieder neue Argumente vorgebracht hat, um die bestehenden Tatsachen zu Ihren Gunsten zu erklären oder zu beeinflussen und zudem die Verantwortung ihres Handels immer wieder auf andere Akteure zu schieben versucht hat.

Rechtskraft
Aus
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