S 4 SF 1/21 DS ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 4 SF 1/21 DS ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 1/21 DS B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 6.3.2021 wird abgelehnt.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt. 

Gründe

Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom Antragsgegner die Löschung von ihm erhobener personenbezogener Daten sowie die Verpflichtung des Antragsgegners, es zukünftig zu unterlassen, Daten über den Antragsteller „rechtswidrig“ anzufordern, zu erheben oder zu verarbeiten. 

Der Antragsteller ist der getrennt lebende Ehegatte von C. A., welche mit ihren minderjährigen Kindern - der Antragsteller ist Vater dreier Kinder - im SGB II-Leistungsbezug bei dem Antragsgegner steht. Der Antragsteller selbst steht nicht im SGB II-Leistungsbezug. Im Zusammenhang mit Leistungsangelegenheiten der Bedarfsgemeinschaft C. A. (BG A.) stellte der Antragsgegner betreffend den Antragsteller unter dem 24.1.2018 beim Bundeszentralamt für Steuern ein Kontenabrufersuchen. Mit Antwortschreiben vom 7.2.2018 übermittelte das Bundeszentralamt für Steuern dem Antragsgegner die Kontodaten des Antragstellers für den Zeitraum ab 21.1.2015.

Am 25.2.2021 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Löschung der rechtswidrig erlangten Daten, insbesondere der durch das Bundeszentralamt für Steuern unter dem 7.2.2021 erhaltenen Daten. Hierzu setzte er dem Antragsgegner eine Frist bis zum 3.3.2021.

Unter dem 4.3.2021 teilte der stellvertretende Datenschutzbeauftragte des Antragsgegners mit, dass er das Datenschutzanliegen geprüft und das Kontenabrufersuchen sowie die daraus folgenden Auskünfte des Bundeszentralamtes für Steuern in der elektronischen Akte der BG A. „ausgeblendet“ habe.

Am 6.3.2021 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Kassel einen Eilantrag gestellt. Er führt aus, dass ein „Ausblenden“ der Akten nicht ausreichend sei, da ihm ein Anspruch auf Löschung gemäß Art. 17 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zustehe. Auch seien, soweit Papierakten vorlägen, die entsprechenden Aktenteile zu vernichten. Ferner folge bereits aus dem einmaligen Rechtsverstoß des Antragsgegners eine Wiederholungsgefahr. Insoweit stehe ihm (dem Antragsteller) ein Unterlassungsanspruch gegen den Antragsgegner zu.

Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, das rechtswidrig erlangte Kontenabrufverfahren betreffend die Daten des Antragstellers, hier die Antwort des Bundeszentralamtes für Steuern vom 7.2.2021, aus der Verwaltungsakte der BG A. zu entfernen und zu löschen;
ferner den Antragsgegner zu verpflichten, es zukünftig zu unterlassen, derartige Daten über den Antragsteller rechtswidrig anzufordern, zu erheben und zu verarbeiten. 

Der Antragsgegner beantragt, 
den Antrag abzulehnen. 

Zur Begründung führt er aus, dass er der Datenschutzeingabe des Antragstellers mit Schreiben vom 4.3.2021 bereits entsprochen habe. Einen Anspruch auf eine Unterlassungserklärung gebe es im (Sozial)-Datenschutzrecht nicht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die mit Einverständnis von C. A. beigezogene Verwaltungsakte der BG A. des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Das Sozialgericht ist gemäß § 81b Abs.1 SGB X i.V.m. § 51 Abs. 1 SGG sachlich zuständig. Für Klagen gegen einen Verantwortlichen wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO) bei der Verarbeitung von Sozialdaten im Zusammenhang mit einer Angelegenheit nach § 51 Abs. 1 und 2 SGG ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet (§ 81b Abs. 1 SGB X). Zwar steht der Antragsteller selbst nicht im Leistungsbezug bei dem Antragsgegner, d.h. es besteht zwischen beiden kein Sozialleistungsverhältnis. Dennoch ist ein sozialrechtlicher Zusammenhang im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG gegeben; denn der Antragsgegner hat die personenbezogenen Daten des Antragstellers hier im Rahmen seiner Zuständigkeit im Zusammenhang mit der Gewährung von SGB II-Leistungen an die BG A. erhoben, die aus seiner Sicht im Rahmen der Prüfung der Bedürftigkeit der Leistungsberechtigten nach dem SGB II von Bedeutung sind (= gegenüber den Leistungsansprüchen vorrangige Unterhaltsansprüche der Betroffenen gegen einen Dritten). Er hat sich hierbei im Rahmen seiner Ermittlungen - wenn auch möglicherweise zu Unrecht - auf § 93 Abs. 8 i.V.m. § 93 b AO gestützt. Das Verwaltungshandeln des Antragsgegners im Rahmen seiner sozialrechtlichen Zuständigkeit und der in Anspruch genommene unmittelbare Bezug zu Regelungen des Sozialrechts, an denen er sich ebenfalls dem mitbetroffenen Antragsteller gegenüber orientiert hat, ist ausreichend, um für dessen Rechtsschutzersuchen über die Berechtigung des vermeintlich in seine Rechte eingreifenden sozialbehördlichen Vorgehens den Sozialrechtsweg zu eröffnen.

1. Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Die einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Eine Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes überwiegend wahrscheinlich sind. Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (Hessisches LSG, Beschluss vom 5.2.2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris Rn 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (Hessisches LSG, Beschluss vom 5.2.2007 aaO).

2. Unter Anwendung dieser Maßstäbe war der Antrag insgesamt abzulehnen, da es jedenfalls an dem Anordnungsgrund der Eilbedürftigkeit fehlt.

a) Es kann offenbleiben, ob der Antragsteller - der im Übrigen selbst nicht in einem Sonderrechtsverhältnis zu dem Antragsgegner nach dem SGB II steht - den geltend gemachten Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat oder ob bereits im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages dem Anspruch auf Löschung der Daten durch das Handeln des Antragsgegners entsprochen worden war; insoweit stellt sich auch die Frage nach dem Bestehen eines Rechtschutzbedürfnisses für das Begehren des Antragstellers. Denn jedenfalls enthält die elektronische Akte der BG A. bereits zum Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages am 6.3.2021 keine Daten des Antragstellers bezogen auf das Kontoabrufverfahren vom 28.1.2018 mehr.

Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner die Löschung der im Zusammenhang mit dem Kontenabrufverfahren vom 28.1.2018 in die Akte der BG A. gelangten Daten auf der Grundlage von Art. 17 DSGVO. Bereits vor Stellung des Eilantrages teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass er die entsprechenden Aktenteile, der Kontenabruf beim Bundeszentralamt für Steuern sowie die Antwort des Bundeszentralamtes bereits „ausgeblendet“ habe. Dieses „Ausblenden“ führt nach Angaben des Antragsgegners dazu, dass sich die jeweiligen Daten (jedenfalls) aktuell nicht mehr automatisch in der elektronischen Akte der BG A. befinden. Allerdings - so die vom Antragsgegner übermittelten Informationen über das „Ausblenden“ - seien ausgeblendete Daten nach dem Vier-Augen-Prinzip von hierzu berechtigten Personen grundsätzlich wieder aufrufbar. Im vorliegenden Eilverfahren kann es vorliegend dahinstehen, ob dieses „Ausblenden“ mit der Möglichkeit des „Wiedereinblendens“ dem Begriff des „Löschens“ von Daten genügt.

b) Ebenso kann offenbleiben, ob ein Unterlassungsanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner glaubhaft gemacht worden ist. Hierzu müsste zumindest - geht man von einer rechtswidrigen Erhebung der Daten aus - eine Wiederholungsgefahr bestehen, die vorliegend zweifelhaft ist. Denn bereits seit Februar 2018 war der Antragsgegner im Besitz der vom Bundeszentralamt für Steuern erlangten Daten des Antragstellers, ohne dass in diesen drei Jahren eine weitere Nutzung, Verarbeitung oder gar eine erneute Einholung von Informationen den Antragsteller betreffend erfolgt oder erkennbar ist. 

c) Jedenfalls fehlt es vorliegend an dem Anordnungsgrund, d.h. an der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller bei Versagung einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit rechtlich bedeutsame „wesentliche Nachteile“ entstünden, die ein sofortiges gerichtliches Einschreiten außerhalb eines Hauptsacheverfahrens geböten. Allein der Vortrag des Antragstellers, es bestehe eine Wiederholungsgefahr, genügt zur Glaubhaftmachung nicht. Dem steht schon entgegen, dass - wie bereits ausgeführt - seit der unterstellten rechtswidrigen Erhebung von Daten des Antragstellers im Zusammenhang mit dem Kontenabrufverfahren Januar/Februar 2018, weitere Daten des Antragstellers nicht erkennbar erhoben oder verarbeitet worden sind. Ein Vortrag des Antragstellers bzw. nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner ausgerechnet jetzt, d.h. vor einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - die dieser im Übrigen gar nicht anhängig gemacht hat-, die Daten des Antragstellers erneut erheben bzw. verarbeiten werde, liegen nicht vor. Vielmehr hat der Antragsgegner durch das „Ausblenden“ das automatische Auftauchen der beanstandeten Daten in der Verwaltungsakte der BG A. bereits gestoppt und damit dem Löschungsbegehren vielleicht nicht vollständig, jedoch in großem Umfang entsprochen. Eine Eilbedürftigkeit ist mithin nicht erkennbar.

Nach alldem war der Antrag insgesamt abzulehnen. 

3. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht war auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO abzulehnen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung von § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.

5. Der Streitwert ist in Anwendung von § 197a Abs. 1 S. 1 SGG festzusetzen, da der Antragsteller nicht zu dem in § 183 SGG benannten kostenrechtlich privilegierten Personen gehört; der Antragsteller steht nicht in einem Leistungsverhältnis zu dem Antragsgegner. 
Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG. Da der Sach- und Streitstand zur Bestimmung des Streitwertes keine ausreichenden Anhaltspunkte bietet, ist von einem Streitwert von 5.000 € auszugehen. Da es sich vorliegend um ein Verfahren des gerichtlichen Eilrechtsschutzes handelt, erscheint es sachgerecht, lediglich die Hälfte des Regelstreitwertes, also einen Betrag von 2.500 € als Streitwert festzusetzen.  

Rechtskraft
Aus
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