L 7 AS 343/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 AS 2339/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 343/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ein Widerspruch mittels E-Mail ist formunwirksam.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29. April 2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Rückforderung von Umzugskosten in Höhe von 1.773,10 €.

Am 24.2.2015 beantragte der 1973 geb. Kläger eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget. Der Kläger wollte eine Stelle als Regionlleiter bei der Firma E im Raum G antreten. Hierzu legte er ein Umzugsangebot, einen unterschriebenen Mietvertrag mit Mietbeginn ab 15.3.2015 sowie eine ausgedruckte E-Mail mit einer Einstellungszusage der Firma E ab 4.5.2015 vor. Die Übersendung des Arbeitsvertrages vorab per E-Mail und dann per Post wurde für die kommenden Tage in der E-Mail angekündigt. Der Umzug war für den 9.3.2015 geplant. Daraufhin bewilligte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 3.3.2015 aus dem Vermittlungsbudget gemäß § 16 SGB II i.V.m. § 44 SGB III Umzugskosten in Höhe von 1.773,10 €. Der Förderbetrag werde nach Eingang einer detaillierten Rechnung an die Spedition überwiesen. Eine Rechtsbeziehung zwischen dem Umzugsunternehmen und dem Beklagten entstehe dadurch nicht. Die Rechnung werde vorbehaltlich beglichen, Voraussetzung für die Finanzierung eines Umzuges sei die Vorlage eines Arbeitsvertrages. Dieser liege dem Beklagten bislang nicht vor. Der Kläger wurde aufgefordert, den fehlenden Arbeitsvertrag spätestens bis 15.4.15 beim Beklagten einzureichen, ansonsten sei er gehalten, den an die Spedition gezahlten Betrag ohne jegliche weitere Anhörung vom Kläger zurückzufordern. Der Kläger zog am 9.3.2015 von H nach K in den Landkreis G um. Am 14.4.2015 wurde die Rechnung, nachdem sie von der Spedition mehrmals angemahnt worden war, durch den Beklagten beglichen.

Am 17.3.2016 erhielt der Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger vom Jobcenter GAP SGB II-Leistungen bezog. Mit Schreiben vom 17.3.2016 forderte der Beklagte den Kläger erneut unter Fristsetzung auf, den Arbeitsvertrag zu übermitteln. Hierauf reagierte der Kläger nicht.

Mit Bescheid vom 25.5.2016 widerrief der Beklagte die Bewilligung vom 3.3.2015 und verlangte Erstattung von 1.773,10 € vom Kläger. Der Kläger habe trotz mehrfacher Aufforderung den Arbeitsvertrag nicht vorgelegt. Der Bescheid enthielt eine Rechtbehelfsbelehrung zum schriftlichen Widerspruch bzw. zur Niederschrift binnen eines Monats ab Bekanntgabe des Bescheids.

Mit E-Mail vom 30.5.2016 legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 9.8.2016 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass der Widerspruch nicht formgerecht sei, der Kläger aber bis 23.8.2016 noch einen formgerechten Widerspruch einreichen könne. Der Kläger reagierte darauf nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 2.9.2016 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig.

Am 5.10.2016 erhob der Kläger "Widerspruch" beim Beklagten und zugleich Klage zum Sozialgericht München. Der Bescheid vom 2.9.2016 sei völlig falsch. Mit seiner E-Mail vom 30.5.2016 habe er sich form- und fristgerecht an den Inkasso Service der Arbeitsagentur gewandt und sich gegen die falsche Forderung gewehrt. Aus seiner E-Mail gehe einwandfrei hervor, dass er keine Leistungen zu Unrecht bezogen habe. Alle Nachweise zur Arbeitsaufnahme seien vor dem Umzug erbracht worden, sonst wäre der Umzug nicht genehmigt worden. Das Schreiben vom 9.8.2016 habe er nie erhalten. Beim Umzug zurück nach B seien Unterlagen verloren gegangen. Er könne keine Nachweise zur Arbeitsaufnahme mehr vorlegen. Er könne sich auch nicht erinnern, um welches Arbeitsverhältnis es sich handle (Schreiben vom 5.10.2016 und 8.3.2019).

Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG wies das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 29.4.2020 die Klage als unbegründet ab. Zu Recht habe der Beklagte den Widerspruch als unzulässig verworfen. Hilfsweise sei die Klage unbegründet.

Hiergegen legte die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 28.5.2020 Berufung beim Bay. Landessozialgericht ein. Der Beklagte habe den Umzug nach K in vollem Umfang genehmigt. Es sei ein Arbeitsvertrag der Bevollmächtigten bekannt gewesen und der Arbeitsvertrag des Klägers habe auch vorgelegen und somit sei der Umzug genehmigt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.4.2020 sowie den Bescheid des Beklagten vom 25.5.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.9.2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und des Beklagten Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet.

Der per E-Mail eingelegte Widerspruch vom 30.5.2016 ist formunwirksam. Eine einfache E-Mail erfüllt das Erfordernis der Schriftform nicht, § 84 Abs. 1 SGG (vgl. Bay. LSG vom 24.2.2012, L 8 SO 9/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg vom 28.9.2010, L 18 AL 76/10).

Unabhängig davon ist dem Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist zu gewähren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 66, 67 SGG zu gewähren, wenn die Behörde es unterlassen hat, den Betroffenen auf die Formunwirksamkeit hinzuweisen (vgl. jurisPK-SGG § 84 Rn 41). Nachdem der Zugang des Schreibens vom 9.8.2016 nicht feststellbar ist, kann ein entsprechender Hinweis nicht als erfolgt angesehen werden.
 
Eine schriftliche Widerspruchseinlegung erfolgte zusammen mit der Klageerhebung am 5.10.2016. Wiedereinsetzung kann auch das Gericht ohne Antrag gewähren (vgl. BSG vom 3.11.1976, 7 RAr 101/75).

Klage und Berufung sind unbegründet.

Der Bescheid vom 3.3.2015 ist bestandskräftig und zwischen den Beteiligten nach § 77 SGG bindend. Die Förderung der Umzugskosten nach § 16 SGB II i.V.m. § 44 SGB III stand im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Eine Ermessensentscheidung kann mit einer Nebenbestimmung versehen werden, vgl. § 32 Abs. 1 SGB X. Die Förderung stand unter dem Widerrufsvorbehalt nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X im Falle der Nichtvorlage des Arbeitsvertrages. Der Kläger hat entgegen seiner Behauptung den Arbeitsvertrag nicht vorgelegt. Der Arbeitsvertrag findet sich nicht in den Akten.

In der Sache handelt es sich um einen Widerruf für die Vergangenheit nach § 47 Abs. 2 SGB X. Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen, denn im Bescheid vom 3.3.2015 wurde er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Bescheid widerrufen wird, sollte er den Arbeitsvertrag nicht vorlegen. Zur zeitnahen Vorlage des Arbeitsvertrages war allein der Kläger im Stande. Die Firma selbst ist allein mit den Angaben in der damaligen E-Mail nicht weiter identifizierbar. Die Behauptung des Klägers, dass er keine Unterlagen mehr habe und wichtige Unterlagen infolge des Rückumzugs nach B verloren gegangen seien, sind wenig glaubhaft. Wenig überzeugend sind in diesem Zusammenhang auch die Erinnerungslücken des Klägers. So will er sich zwar einerseits nicht mehr daran erinnern können, um welches Arbeitsverhältnis es sich gehandelt habe, andererseits will er aber genau wissen, dass er das Schreiben vom 9.8.2016 nicht erhalten hat. Aus den Angaben der E-Mail ist die fragliche Firma jedoch nicht identifizier- und auffindbar. So ermöglicht es der Kläger dem Beklagten nicht einmal, im Nachhinein zu ermitteln, ob es damals zur Arbeitsaufnahme gekommen ist.

Das Ermessen des Beklagten für den Widerruf ist auf Null reduziert. Die Förderung wurde allein zu dem Zweck der Arbeitsaufnahme geleistet. Aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Umzugs war ein schnelles Handeln durch den Beklagten erforderlich. Der Kläger hat nicht mitgewirkt, obwohl es ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, den Arbeitsvertrag damals zeitnah vorzulegen. Dies hat der Kläger ohne sachlichen Grund nicht getan und damit die Erreichung des Förderzwecks vereitelt. Angesichts dieser Umstände im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der Pflicht des Beklagten zur sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung ist zur Überzeugung des Senats eine andere Entscheidung als ein Widerruf vorliegend nicht rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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