L 8 SO 186/21 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 SO 407/21 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 186/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

§ 141 Abs. 3 Satz 1 SGB XII i . d. F. vom 22.11.2021 erfasst nur Wohnungen, nicht jedoch "sonstige Unterkünfte" i. S. v. §§ 35 Abs. 5 Satz 2, 42a Abs. 7 SGB XII, da bei "sonstigen Unterkünften" nicht die Angemessenheit der Aufwendungen maßgeblich ist, sondern höchstens die durchschnittlichen angemessenen Aufwendungen.

 

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


G r ü n d e :

I.

Die Beschwerde richtet sich auf die Gewährung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft.

Der im Jahre 1980 geborene, ledige Antragsteller, ein gelernter Maler und Lackierer, arbeitete zuletzt als Trockenbauer und bezog bis zum 30.09.2017 Arbeitslosengeld II. Ab dem 01.10.2017 erhielt er, ergänzend zu einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom Landkreis F. Bei der erstmaligen Antragstellung legte der Antragsteller einen am 01.03.2007 geschlossenen Mietvertrag über eine Wohnung in A, L-Straße, vor, in dem als Vermieter sein Vater genannt war, und gab an, seine Eltern hätten ihren Wohnsitz in Kroatien, wenn sie aber nach Deutschland kämen, lebten sie mit ihm zusammen in der Wohnung. Diese Wohnung gehört dem Antragsteller und seinen Eltern je zu einem Drittel (E-Mail vom 11.10.2019).

Anlässlich eines beabsichtigten Hausbesuchs am 25.10.2019 erfuhr das Sozialamt von der Mutter des Antragstellers, dass dieser bei seinem Vater in Kroatien lebe. Mit Bescheid vom 28.02.2020 entschied der Landkreis F, dass die dem Antragsteller gewährten Leistungen zum 30.09.2019 eingestellt würden; weiterhin lehnte er die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 01.10.2019 bis 30.09.2020 ab. Der Bescheid wurde an die bekannte Anschrift des Antragstellers in Deutschland übersandt; ein Widerspruch wurde seitens des Antragstellers nicht erhoben.

Ab dem 08.03.2021 lebte der Antragsteller in einem möblierten Appartement im Hotel S M zu einem Preis von zunächst 45,- EUR, ab dem 07.04.2021 von 50,- EUR und ab dem 26.04.2021 von 55,- EUR täglich. Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 24.03.2021 im Wege einer vorläufigen Entscheidung für die Zeit vom 01.03.2021 bis zum 31.05.2021 Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung sozialhilferechtlich angemessener Unterkunftskosten (600,- EUR monatlich); dagegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Am 17.05.2021 rief er das Sozialgericht München (SG) an, mit dem Antrag, die Antragsgegnerin zur einstweiligen Übernahme seiner tatsächlichen Wohnkosten zu verpflichten. Mit Beschluss vom 04.06.2021 (S 50 SO 196/21 ER) lehnte das SG den Antrag ab.

Zum 05.08.2021 zog der Antragsteller in ein Zimmer in einem Flexi-Heim in der B Straße in M; die monatlichen Kosten hierfür betrugen 636,- EUR. Auf die Beschwerde des Antragstellers änderte der Senat die Entscheidung des SG vom 04.06.2021 mit Beschluss vom 10.09.2021 (L 8 SO 118/21 B ER) dahingehend, dass er die Antragsgegnerin zur einstweiligen Gewährung von Leistungen in Höhe von 582,63 EUR für die Zeit vom 05.08.2021 bis zum 30.09.2021 - unter Berücksichtigung monatlicher Wohnkosten in Höhe von 636,- EUR - verpflichtete.

Am 11.10.2021 rief der Antragsteller erneut das SG an. Im persönlich abgegebenen Antrag gab er die Adresse "L-Straße, A" an. Er habe seine letzte Unterkunft aus gesundheitlichen Gründen verlassen müssen und lebe nun "bei Vater im Auto". Ausweislich der von ihm vorgelegten Atteste benötige er eine "barrierefreie und allergiefreie Unterkunft". Er legte einen Kostenvoranschlag des Hotel S M vom 08.10.2021 (monatlich 1.150,- EUR zuzüglich 10,- EUR pro Nacht für den Hund) vor.

Die Antragsgegnerin führte aus, der Antragsteller habe seinen Wohnsitz aktuell in A, so dass das Landratsamt F zuständig sei. Sie sei für den Antragsteller, der offenbar derzeit in A lebe, örtlich nicht zuständig. Für die Zuweisung einer barrierefreien Wohnung bzw. die Beantragung einer Sozialwohnung sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

Das SG lehnte den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 25.10.2021 ab. Gem. § 42a Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII würden Bedarfe für die Unterkunft grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Überstiegen die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, seien sie gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII insoweit als Bedarf der leistungsberechtigten Personen anzuerkennen. Dies gelte nach § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII so lange, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft hätten Leistungsberechtigte gem. § 35 Abs. 2 Satz 3 SGB XII den dort zuständigen Träger der Sozialhilfe über die nach § 35 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB XII maßgeblichen Umstände in Kenntnis zu setzen. Seien die Aufwendungen für die neue Unterkunft unangemessen hoch, sei der Träger der Sozialhilfe gem. § 35 Abs. 2 Satz 4 SGB XII nur zur Übernahme angemessener Aufwendungen verpflichtet, es sei denn, er habe den darüber hinausgehenden Aufwendungen vorher zugestimmt. Im vorliegenden Fall sei die Antragsgegnerin nicht zur Abgabe einer solchen Zusicherung verpflichtet, da die Wohnkosten laut Kostenvoranschlag vom 08.10.2021 sozialhilferechtlich offensichtlich unangemessen seien. Etwas anderes folge auch nicht aus § 42a Abs. 7 Satz 3 SGB XII. Lebe eine leistungsberechtigte Person in einer "sonstigen Unterkunft" nach § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII, also etwa einem Pensionszimmer, einer Ferienwohnung, einem Notquartier oder einer Gemeinschaftsunterkunft, so seien gem. § 42a Abs. 7 Satz 1 SGB XII grundsätzlich höchstens die durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes im örtlichen Zuständigkeitsbereich des für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständigen Trägers als Bedarf anzuerkennen. Höhere als diese Aufwendungen könnten im Einzelfall als Bedarf anerkannt werden, wenn eine leistungsberechtigte Person voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten ab der erstmaligen Anerkennung von Bedarfen nach § 42a Abs. 7 Satz 1 SGB XII in einer angemessenen Wohnung untergebracht werden könne oder, sofern dies als nicht möglich erscheine, voraussichtlich auch keine hinsichtlich Ausstattung und Größe sowie Höhe der Aufwendungen angemessene Unterbringung in einer sonstigen Unterkunft verfügbar sei oder die Aufwendungen zusätzliche haushaltsbezogene Aufwendungen beinhalten würden, die ansonsten über die Regelbedarfe abzudecken wären. Ein solcher Fall liege hier nicht vor, weil es dem Antragsteller über zwei Jahre hinweg nicht gelungen sei, eine für ihn passende kostenangemessene Unterkunft zu finden. Der Antragsteller habe überdies nicht glaubhaft gemacht, dass dieser Umstand entscheidend auf seine gesundheitlichen Einschränkungen zurückzuführen sei. Weshalb der Antragsteller, der nach der Aktenlage in seiner Mobilität nicht eingeschränkt sei, auf eine "barrierefreie" Wohnung angewiesen sein solle, sei aufgrund der vorgelegten Atteste nicht zu erkennen. Im Übrigen sei der Antragsteller als Miteigentümer der Eigentumswohnung in A grundsätzlich zur Nutzung dieser Wohnung berechtigt, erst recht im Falle der ansonsten drohenden Wohnungslosigkeit. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg. Denn es gehöre nicht zu den Aufgaben des Sozialhilfeträgers, (potentiell) leistungsberechtigten Personen eine Wohnung zu verschaffen. Der Antragsteller könne hierbei ggf. durch die bei der Antragsgegnerin eingerichtete Fachstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit Unterstützung erhalten. Seinen Regelbedarf (§ 42 Nr. 1 SGB XII) könne der Antragsteller mit seiner Erwerbsminderungsrente in Höhe von 521,37 EUR (Stand: Mai 2021) decken.

Hiergegen legte der Antragsteller mit Telefax vom 17.11.2021 "zur Fristwahrung" Beschwerde ein. Als Adresse gab er wieder "L-Straße, A" an. Eine Begründung und Antragstellung erfolgte nicht.

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verwies auf den Vortrag in erster Instanz.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die beigezogenen Akten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Beklagte.

Im Beschwerdeverfahren trifft das Beschwerdegericht unter erneuter summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine neue Entscheidung, ohne auf die Überprüfung der Ausgangsentscheidung beschränkt zu sein (Karl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 176 Rn. 11). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Regelungsanordnung wie bei der Anfechtungs- und Leistungsklage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage § 86 b Rn. 42).

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer so genannten Regelungsanordnung ist, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 1 und 2 ZPO). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den materiell-rechtlichen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, also auf ein subjektives öffentliches Recht des Antragstellers. Er entspricht dem Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens. Der Anordnungsgrund bezieht sich auf die Eilbedürftigkeit; er liegt bei einer Regelungsanordnung vor, wenn die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist. Der Antragsteller muss also darlegen, welche Nachteile zu erwarten sind, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird. Er muss auch plausibel vortragen, dass er keine anderen zumutbaren Möglichkeiten hat, die Nachteile einstweilen zu vermeiden oder zu kompensieren. Die dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund zu Grunde liegenden Tatsachen müssen glaubhaft gemacht werden, wobei als Beweismittel auch eine eidesstattliche Versicherung möglich ist (§ 294 Abs. 1 ZPO). Hinsichtlich des Beweismaßes genügt also überwiegende Wahrscheinlichkeit, verbleibende Zweifel sind unschädlich (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 86 b Rn. 415).

Der Senat hält einen Anordnungsanspruch des Antragstellers auf die beantragten Kosten der Unterkunft bzw. eine Zustimmung (§§ 42 Abs. 1, 35 Abs. 2 SGB XII) wie das SG nicht für überwiegend wahrscheinlich im Sinne einer Glaubhaftmachung und verweist zur weiteren Begründung auf den Beschluss des SG (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend weist er darauf hin, dass § 141 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in der aktuellen Fassung vom 22.11.2021 wie auch in der gleichlautenden Fassung vom 25.06.2021 nicht zu einem anderen Ergebnis führt. Diese Sondervorschrift erfasst nur Wohnungen, nicht jedoch "sonstige Unterkünfte" i.S.d. §§ 35 Abs. 5 Satz 2, 42a Abs. 7 SGB XII (siehe die Gesetzesbegründung BT-Drs. 19/18107, S. 28), da nach dem Wortlaut nur die Angemessenheit der Aufwendungen im Sinne von § 35 Abs. 2 Satz 1und 2 SGB XII fiktiv ("gelten als") in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bestimmt wird, während bei den "sonstigen Unterkünften" eine besondere Obergrenze gilt, die regelmäßig unter der üblichen Angemessenheitsgrenze nach § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII liegt, weil höchstens die durchschnittlichen angemessenen Aufwendungen berücksichtigt werden (vgl. Berlit in: LPK-SGB XII, § 42a Rn. 25). Bedenken hinsichtlich eines Gleichheitsverstoßes sieht der Senat nicht, da "sonstige Unterkünfte" anders als Wohnungen nur einer kurzfristigen Unterbringung dienen, so dass eine Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist.

Damit war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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