L 5 KR 230/20

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 3 KR 721/16
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 230/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine per De-Mail an das EGVP des Gerichts versandte Berufungsschrift genügt nur dann der elektronischen Form, wenn sich der Absender die sichere Anmeldung gemäß § 5 Abs. 5 De-Mail-G bestätigen lässt. Die Absenderauthentifizierung muss sich grundsätzlich aus dem Prüf- oder Transfervermerk des Gerichts ergeben (§ 5 Abs. 5 Satz 5 De-Mail-G).

2. Die wirksame Einreichung per De-Mail setzt voraus, dass die Person, deren (einfache) Signatur auf dem Dokument aufgebracht ist, mit der verantwortenden Person identisch ist. Dies gilt auch dann, wenn eine Vollmacht der verantwortenden Person für die Person, deren Signatur auf dem Dokument aufgebracht ist, nach § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG unterstellt werden könnte.

3. Bei einer auf dem Postweg übersandten Berufungsschrift ist die Schriftform grundsätzlich nicht gewahrt, wenn das Dokument mit einer eingescannten Unterschrift versehen ist.

4. Die Rechtsmittelbelehrung genügt den Anforderungen des § 66 Abs. 1 SGG, wenn sie die für die Einreichung in elektronischer Form geltenden Anforderungen des § 65a Abs. 2-4 SGG in ihren Grundzügen richtig darstellt und wegen der Anforderungen im Einzelnen auf das Justizprotal des Bundes und der Länder verweist.

5. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt in jedem Fall voraus, dass die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird (§ 67 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 4. August 2020 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in der Sache über einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für den Zeitraum 16. April bis 30. Juni 2016.

Die 1975 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit März 2013 wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld II gesetzlich krankenversichert. Am Morgen des 6. Juli 2015 schloss sie mit einem Leiharbeitsunternehmen einen bis zum 8. Oktober 2015 befristeten Arbeitsvertrag als Lagerarbeiterin. Auf dem Rückweg von der Vertragsunterzeichnung stürzte sie und zog sich eine Wirbelsäulenprellung zu. Das Arbeitsverhältnis wurde seitens der Arbeitgeberin in der Probezeit mit Wirkung zum 13. Juli 2015 gekündigt. Die Arbeitgeberin zahlte für die Dauer des Arbeitsverhältnisses Arbeitsentgelt.

Der die Klägerin behandelnde Arzt R hatte Arbeitsunfähigkeit zunächst vom 6. bis 10. Juli 2015 festgestellt. Folgebescheinigungen wurden durch R und schließlich durch W bis zum 30. Juni 2016 ausgestellt. Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft hatte der Klägerin zunächst bis zum 24. Juli 2015 Verletztengeld gewährt. Im Anschluss daran gewährte die Beklagte ihr vom 25. Juli 2015 an bis 15. April 2016 Krankengeld in Höhe von kalendertägig 30,27 EUR brutto.

Zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit holte die Beklagte am 23. Februar 2016 ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. L gelangte am 29. März 2016 zu dem Ergebnis, dass Arbeitsunfähigkeit aus medizinischer Sicht nicht weiter bestehe. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten (Bl. 90 ff. der Leistungsakte) Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 30. März 2016 gewährte die Beklagte der Klägerin Krankengeld nur noch bis zum 15. April 2016 und berief sich zur Begründung auf das Gutachten von L. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 98 der Leistungsakte Bezug genommen.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 10. April 2016 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, weiter arbeitsunfähig zu sein.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte weitere gutachterliche Stellungnahmen des MDK (L) ein. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 115 und 126 der Leistungsakte Bezug genommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholte und vertiefte sie ihre Begründung des Ausgangsbescheids. Es bestehe keine weitere Arbeitsunfähigkeit.

Gegen den Bescheid vom 30. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2016 hat die Klägerin am 1. Oktober 2016 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben.

Sie hat zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Es habe weiterhin Arbeitsunfähigkeit bestanden. Da sie zwischenzeitlich erneut ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen und wegen erneuter Arbeitsunfähigkeit wiederum Krankengeld bezogen habe, werde Krankengeld nur für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2016 begehrt.

Sie hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für die Zeit vom 16. April 2016 bis 30 Juni 2016 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

          die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf ihre Bescheide Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat ein medizinisches Sachverständigengutachten des Arztes für Chirurgie, Unfallchirurgie, Rettungsmedizin und Sozialmedizin K eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 64 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 4. August 2020 hat das Sozialgericht Lübeck die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte die Zahlung von Krankengeld zu Recht eingestellt habe, da die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nach dem 15. April 2016 nicht mehr vorgelegen hätten. Der Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ergebe sich aus dem Umfang des Versicherungsschutzes in dem jeweils konkret bestehenden Versicherungsverhältnis. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bleibe für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit nur dann maßgebend, wenn der Versicherte bereits bei Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis im Krankengeldbezug gestanden habe. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Erkranke der Versicherte dagegen während einer Zeit der Arbeitslosigkeit, richte sich die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit an Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus. Mit dem angesichts des für überzeugend erachteten medizinischen Sachverständigengutachtens von K festgestellten Leistungsvermögen sei die Klägerin nicht arbeitsunfähig gewesen, weil sie leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe vollschichtig ausüben können. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urteilsbegründung (Bl. 98 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Mit der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung hat das Sozialgericht über das Rechtsmittel der Berufung, den Sitz des Berufungsgerichts, die einzuhaltende Monatsfrist und über die zulässigen Einlegungsformen belehrt. Das Sozialgericht hat insoweit insbesondere darauf hingewiesen, die elektronische Form durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt werde, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sei und von der verantwortenden Person entweder qualifiziert elektronisch signiert über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht werde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Belehrung wird auf Bl. 105 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Gegen das ihr am 26. August 2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. September 2020 Berufung per De-Mail an das EGVP des Sozialgerichts Lübeck erhoben oder erheben lassen. Ausweislich des Prüfvermerks vom 15. September 2020, 13:15:05 Uhr wurde die Nachricht per De-Mail ohne Absenderbestätigung versandt. Der Prüfvermerk weist als „Absender (nicht authentifiziert)“ einen „De-Mail-Dienst“ aus. Das übersandte PDF-Dokument ist nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, sondern mit einer eingescannten Unterschrift der Klägerin versehen gewesen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 119 f. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Ein mit dem per EGVP übersandten Dokument vom 15. September 2020 inhaltsgleiches Schreiben ist am 16. September 2020 per Briefpost beim Sozialgericht Lübeck eingegangen. Dieser Schriftsatz ist nicht handschriftlich unterschrieben, sondern ebenfalls mit einer eingescannten Unterschrift der Klägerin versehen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 123 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Nachdem das Sozialgericht Lübeck die Akten dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 22. September 2020 übersandt hatte, hat der Berichterstatter mit Hinweisverfügung vom 24. September 2020 darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht in der erforderlichen Form erhoben und daher gegenwärtig unzulässig sein dürfte. Für die elektronische Form fehle es an einer absenderauthentifizierten De-Mail, für die Schriftform an der grundsätzlich erforderlichen eigenhändigen Unterschrift. Es werde empfohlen, die formgerechte Berufungserhebung unverzüglich nachzuholen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 126 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Dieses Schreiben hat die Klägerin am 29. September 2020 per De-Mail (nicht absenderauthentifiziert) dahingehend beantwortet bzw. beantworten lassen, dass eine De-Mail-Adresse bei einem Telekommunikationsdienstleister angelegt und diese Adresse vom Telekommunikationsdienstleister auch identifiziert worden sei. Ihre Schreiben würden generell elektronisch erstellt und hätten auch ohne Unterschrift ihre Wirksamkeit. Rein Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt. Das Schreiben ist mit einer eingescannten Unterschrift der Klägerin signiert worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 135 f. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 15. November 2020 hat der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen.

Die Klägerin geht davon aus, die Berufung formgerecht erhoben zu haben. Die übersandte De-Mail genüge des gesetzlichen Anforderungen. Entsprechende, per De-Mail übersandte Erklärungen würden von anderen Gerichten und von Behörden akzeptiert. Die eingescannte Unterschrift genüge den Anforderungen an die Schriftform. Auch Schriftstücke von Gerichten und Verwaltungen seien nicht eigenhändig unterschrieben und gleichwohl wirksam. In der Sache halte sie an ihrem erstinstanzlich geltend gemachten Begehren weiter fest.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 4. August 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für die Zeit vom 16. April 2016 bis 30 Juni 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

          die Berufung als unzulässig zu verwerfen,  hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.

Sie geht von einer nicht formgerechten Berufungserhebung aus. In der Sache verteidigt sie das angegriffene Urteil.

Dem Senat haben die Leistungsakten der Beklagten vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakte wird wegen des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter entscheidet über die Berufung gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern, weil der Senat ihm die Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 15. November 2020 gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung übertragen hat.

Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie weder schriftlich oder in elektronischer Form, noch fristgerecht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben worden ist (§ 158 Satz 1 SGG).

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG). Sowohl beim Landessozialgericht als auch beim Sozialgericht können schriftlich einzureichende Anträge überdies als elektronische Dokumente eingereicht werden (§ 65a Abs. 1 SGG), sofern die weiteren Voraussetzungen des § 65a Abs. 2 bis 6 SGG erfüllt sind. Nach keiner dieser Vorschriften ist hier von einer formgerechten Erhebung der Berufung innerhalb der Berufungsfrist auszugehen.

Die am 15. September 2020 an das EGVP des Sozialgerichts Lübeck als PDF-Dokument übersandte Berufungsschrift erfüllt zunächst nicht die Anforderungen an die elektronische Form. Nach § 65a Abs. 1 SGG in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung des Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2633) können vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden. Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 65a Abs. 3 Satz 1 SGG). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die Berufungsschrift ist zunächst nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen gewesen. Der Prüfvermerk vom 15. September 2020 (Bl. 120 f. der Gerichtsakte) weist im Feld mit dem Titel „Qualifiziert signiert nach ERVB?“ die Antwort „nein“ aus. Die Klägerin hat weder die Aufbringung einer qualifizierten elektronischen Signatur behauptet noch für eine vom Prüfvermerk abweichende Aussage Beweis angeboten. Letztlich ist das Fehlen einer qualifizierten elektronischen Signatur zwischen den Beteiligten unstreitig.

Die Berufungsschrift ist auch nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg beim Sozialgericht Lübeck eingereicht worden. Als sicherer Übermittlungsweg kommt hier lediglich der Versand über einen Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos (§ 65a Abs. 4 Nr. 1 SGG) in Betracht. Voraussetzung dafür ist, dass

  1. der Absender bei Versand der Nachricht sicher i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes (De-Mail-G) angemeldet ist und
  2. er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Abs. 5 De-Mail-G bestätigen lässt, sowie dass das Dokument von der verantwortenden Person signiert worden ist.

    Mindestens an einer dieser Voraussetzungen fehlt es hier.

 

Das Gericht kann zugunsten der Klägerin noch nicht einmal davon ausgehen, dass der Absender der Berufungsschrift bei Versand der Nachricht sicher i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 De-Mail-G angemeldet gewesen ist. Für die sichere Anmeldung hat der akkreditierte Diensteanbieter danach sicherzustellen, dass zum Schutz gegen eine unberechtigte Nutzung der Zugang zum De-Mail-Konto nur möglich ist, wenn zwei geeignete und voneinander unabhängige Sicherungsmittel eingesetzt werden; soweit bei den Sicherungsmitteln Geheimnisse verwendet werden, ist deren Einmaligkeit und Geheimhaltung sicherzustellen. Diese Voraussetzungen könnten hier vorliegen, da die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten hat vortragen lassen, dass „extra umständlich eine De-Mail-Adresse bei T-Online angelegt“ worden und „diese Adresse auch umständlich von T-Online identifiziert“ worden sei. Allerdings sprechen auch diese Vorkehrungen bei der Einrichtung des De-Mail-Kontos nicht ohne Weiteres für eine sichere Anmeldung, da der Diensteanbieter den Zugang zum Konto auf Verlangen des Nutzers auch ohne sichere Anmeldung ermöglichen muss (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 3 De-Mail-G).

 

Zumindest fehlt es aber an der Bestätigung einer sicheren Anmeldung i.S. des § 5 Abs. 5 De-Mail-G. Danach muss der akkreditierte Diensteanbieter es dem Nutzer ermöglichen, seine sichere Anmeldung im Sinne von § 4 De-Mail-G in der Nachricht so bestätigen zu lassen, dass die Unverfälschtheit der Bestätigung jederzeit nachprüfbar ist (§ 5 Abs. 5 Satz 1 De-Mail-G). Um dieses dem Empfänger der Nachricht kenntlich zu machen, bestätigt der akkreditierte Diensteanbieter des Senders die Verwendung der sicheren Anmeldung nach § 4 De-Mail-G (§ 5 Abs. 5 Satz 2 De-Mail-G). Hierzu versieht er im Auftrag des Senders die Nachricht mit einer dauerhaft überprüfbaren qualifizierten elektronischen Signatur; sind der Nachricht eine oder mehrere Dateien beigefügt, bezieht sich die qualifizierte elektronische Signatur auch auf diese (§ 5 Abs. 5 Satz 3 De-Mail-G). Die Bestätigung enthält bei natürlichen Personen den Namen und die Vornamen, bei juristischen Personen, Personengesellschaften oder öffentlichen Stellen die Firma, den Namen oder die Bezeichnung des Senders in der Form, in der diese nach § 3 Absatz 2 hinterlegt sind (§ 5 Abs. 5 Satz 4 De-Mail-G). Die Tatsache, dass der Absender diese Versandart genutzt hat, muss sich aus der Nachricht in der Form, wie sie beim Empfänger ankommt, ergeben (§ 5 Abs. 5 Satz 5 De-Mail-G). Die Bestätigung nach Satz 1 ist nicht zulässig bei Verwendung einer pseudonymen De-Mail-Adresse nach Absatz 2 (§ 5 Abs. 5 Satz 6 De-Mail-G).

Diese Voraussetzungen sind schon deshalb nicht erfüllt, weil aus der am 15. September 2020 um 13:15 Uhr beim das Sozialgericht Lübeck eingegangenen Nachricht weder von Seiten des Diensteanbieters mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen worden ist (§ 5 Abs. 5 Satz 3 De-Mail-G), noch eine sichere Anmeldung des Nutzers unter Angabe von Name und Vorname der Klägerin bestätigt (§ 5 Abs. 5 Satz 2 und 4 De-Mail-G). Vielmehr weist der Prüfvermerk als „Absender (nicht authentifiziert)“ lediglich die Bezeichnung „De-Mail-Dienst“ auf. Um die notwendige Bestätigung zu erlangen, hätte eine besondere Versandart gewählt werden müssen, die bei diesem Diensteanbieter unter dem Namen „Absenderbestätigung“ angeboten wird und die in aller Regel ein zusätzliches Entgelt anfallen lässt (vgl. dazu auch BSG, Beschluss vom 13. Mai 2020 – B 13 R 35/20 BNJW 2020, 3055, juris Rn. 8).

Der Senat hat nach Lage des Gesamtergebnisses des Verfahrens schließlich auch erhebliche Zweifel daran, dass das elektronische Dokument von der verantwortenden Person signiert worden ist. Insoweit genügt die Aufbringung einer einfachen Signatur, die auch in eingescannter Form erfolgen kann (Müller in: jurisPK-ERV, 1. Aufl. 2020, § 65a SGG Rn. 102). Erforderlich ist allerdings, dass die Person, deren (einfache) Signatur auf dem Dokument angebracht ist, mit der „verantwortenden Person“ i.S. des § 65a Abs. 3 Satz 1 SGG identisch ist (vgl. zur Übersendung aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach BAG, Urteil vom 5. Juni 2020 – 10 AZN 53/20NJW 2020, 2351). Angesichts der Tatsache, dass in den Schreiben der Klägerin stets von „unseren Schreiben“ bzw. von „wir“ die Rede ist und dass die Klägerin in den Schriftsätzen vom 17. Mai 2021 einerseits für den Fall, dass die Vertretung durch ihren Ehemann nicht akzeptiert werde, die Zuziehung eines Dolmetschers der georgischen Sprache verlangt und andererseits auf die Mobiltelefonnummer ihres Ehemannes und dessen E-Mail-Adresse verwiesen hat, liegt allerdings die Vermutung nahe, dass das De-Mail-Konto nicht von der Klägerin, sondern von ihrem Ehemann verantwortet wird. Wenn dem so sein sollte, wäre es erforderlich gewesen, dass der Ehemann der Klägerin die Berufungsschrift (als deren Vertreter) unter seinem Namen signiert hätte.

Das am 16. September 2020 beim Sozialgericht Lübeck per Briefpost eingegangene Schriftstück vom 15. September 2020 erfüllt nicht die Anforderungen an die Schriftform i.S. des § 151 Abs. 1 und 2 SGG. Im Grundsatz muss die Berufungsschrift vom Berufungskläger oder dem Prozessbevollmächtigte eigenhändig und mit vollem Familiennamen unterzeichnet sein (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 151 Rn. 4a m.w.N.).
Eine eingescannte Unterschrift reicht bei einer per Briefpost versandten Berufungsschrift – anders als bei einem auf das Faxgerät des Gerichts übermittelten Computerfax (dazu GemS-OGB, Beschluss vom 5. April 2000 – GmS-OGB 1/98NJW 2000, 2340) – nicht aus (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – XI ZB 40/05NJW 2006, 3784; zweifelnd BFH, Urteil vom 22. Juni 2010 – VIII R 38/08BFHE 230, 115).

Daran gemessen liegt eine den Anforderungen entsprechende Unterschriftsleistung nicht vor. Es handelt sich bei der auf der Berufungsschrift aufgebrachten Unterschrift schon nach einfacher Inaugenscheinnahme offensichtlich um eine eingescannte Unterschrift der Klägerin. Dies wird von der Klägerin auch nicht bestritten. Von Seiten der Klägerin ist vielmehr bereits mit Schriftsatz vom 29. September 2020 vorgetragen worden, dass „unsere Schreiben (…) generell elektronisch erstellt [würden] und „auch ohne Unterschrift ihre Wirksamkeit“ [hätten]. Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2021 wird ferner seitens der Klägerin dezidiert darauf abgestellt, dass eine eingescannte Unterschrift genauso rechtsgültig sei wie eine handschriftliche.

Auch die Voraussetzungen dafür, dass von einer eigenhändigen Unterschrifts–leistung ausnahmsweise abgesehen werden könnte (dazu Keller, a.a.O., § 151 Rn. 5a) liegen nicht vor. Denn für alle Ausnahmen vom Unterschriftserfordernis ist es gleichermaßen erforderlich, dass sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher, d.h. ohne die Notwendigkeit einer Klärung durch Beweiserhebung, ergibt (BSG, Beschluss vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 178/16 B – juris Rn. 4). Das ist hier nicht der Fall, weil die Urheberschaft der Klägerin sich aus der Berufungsschrift gerade nicht ohne die Notwendigkeit einer Klärung durch Beweisaufnahme ergibt. Vielmehr deuten die Rahmenbedingungen, wie bereits oben ausgeführt, darauf hin, dass nicht die der deutschen Sprache offenbar nur bedingt mächtige Klägerin, sondern ihr Ehemann den Schriftsatz verfasst und die eingescannte Unterschrift der Klägerin auf dem Dokument aufgebracht hat. Dass die Bevollmächtigung des Ehemannes der Klägerin gemäß § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG vermutet werden kann – klägerseitig ist eine ebenfalls nur mit der eingescannten Unterschrift der Klägerin versehene Vollmacht auf ihren Ehemann zu den Akten gereicht worden –, reicht in diesem Zusammenhang nicht aus, weil der Ehemann ein etwaiges Stellvertreterhandeln nicht offengelegt hat.

Soweit man die Antragstellung des Vertreters der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2021 als einen der Erhebung der Berufung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gleichwertigen Akt anerkennen und insoweit von einer formgerechten Einlegung ausgehen will, ist diese Erklärung jedenfalls außerhalb der Berufungsfrist erfolgt. Die einmonatige Berufungsfrist des § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist nach Zustellung des Gerichtsbescheids bei der Klägerin am 26. August 2020 am Montag, den 28. September 2020 abgelaufen (§ 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGG). Die Frist ist auch durch die Zustellung in Lauf gesetzt worden, weil die Klägerin über das Rechtsmittel, das Rechtsmittelgericht, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist (§ 66 Abs. 1 SGG).

Eine Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Rechtsmittelbelehrung, die zum Lauf der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG geführt haben würde, ist nicht ersichtlich. Das Sozialgericht hat mit seiner Rechtsmittelbelehrung insbesondere zutreffend auf die Möglichkeit der Erhebung der Berufung auch in elektronischer Form hingewiesen und die dafür nötigen Voraussetzungen des § 65a Abs. 2 bis 4 SGG in ihren Grundzügen richtig dargestellt. Soweit das Sozialgericht wegen der Anforderungen im Einzelnen insbesondere auf das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) verwiesen hat, ist dies nicht zu beanstanden. Dabei ist zu beachten, dass die Rechtsmittelbelehrung nur einen Hinweis darauf geben soll, welche ersten Schritte der Beteiligte zur Durchführung des Rechtsmittels unternehmen muss. Sie soll auch für einen juristischen Laien verständlich bleiben und deshalb nicht mit komplizierten rechtlichen Hinweisen überfrachtet werden (BSG, Beschluss vom 7. Juli 1999 – B 3 P 4/99 RSozR 3-1500 § 67 Nr 13, juris Rn. 4). Daraus folgt, dass – zumal § 66 SGG Anforderungen an die Belehrung über die Form des Rechtsmittels nicht explizit reglementiert – nur über den wesentlichen Inhalt der Formvorschriften belehrt werden muss (Keller in: Meyer-Ladewig/Kelller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 66 Rn. 10). Dies ist hier geschehen.

Der Klägerin ist schließlich auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine Verpflichtung dazu besteht für das Gericht dann, wenn jemand ohne sein Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 67 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs. 2 Satz 2 SGG). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 67 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 67 Abs. 2 Satz 4 SGG). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Zwar ist von Seiten der Klägerin mit Schriftsatz vom 29. September 2020 „rein vorsorglich“ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt worden. Die Klägerin hat die versäumte Rechtshandlung aber nicht innerhalb der Monatsfrist nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt (§ 67 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGG). Dabei geht der Senat davon aus, dass ein der fristgemäßen Berufungseinlegung entgegenstehendes Hindernis spätestens mit Zugang der Hinweisverfügung des Berichterstatters vom 24. September 2020 weggefallen ist, die die Klägerin am 29. September 2020 erhalten haben will. Die Frist für die Nachholung einer ordnungsgemäßen Berufungseinlegung wäre damit ohne Rücksicht auf die sonstigen Wiedereinsetzungsvoraussetzungen spätestens am Donnerstag, dem 29. Oktober 2020 24:00 Uhr fruchtlos abgelaufen (vgl. § 64 Abs. 2 SGG).

Deshalb kommt es auf die Frage, ob die Versäumung der Berufungsfrist von der Klägerin oder ihrem Vertreter verschuldet worden ist, nicht entscheidend an. Insbesondere ist nicht zu entscheiden, ob es für die Klägerin oder ihren Vertreter erkennbar war, dass die von ihnen gewählte Versandart durch den gewählten Diensteanbieter nicht ausreichend gewesen ist, die gesetzlichen Voraussetzungen an die elektronische Form zu wahren. In diesem Zusammenhang wäre ggf. zu berücksichtigen gewesen, dass die Absenderauthentifizierung bei De-Mails in der Literatur gelegentlich als „eine gute getarnte Falle für den Einsender“ bewertet wird (Müller, Was prüft das Gericht bei De-Mails?, online im Internet unter https://ervjustiz.de/was-prueft-das-gericht-bei-eingehenden-de-mails, recherchiert am 8. Juni 2021).

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Rechtskraft
Aus
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