S 15 AL 94/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 94/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 66/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 42/21 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen einer erhaltenen Abfindung.

Die 1968 geborene Klägerin ist verheiratet. Sie war vom 1. Juni 2008 bis 31. Dezember 2018 als Anzeigenverkaufsleiterin in Vollzeit bei der C. GmbH & Co. KG (Arbeitgeberin) am Standort E. beschäftigt. Vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018 wurde beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 64.997,96 € erzielt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund eines am 11. November 2018 geschlossenen Aufhebungsvertrag. Grund hierfür war der Wegfall sämtlicher Arbeitsplätze am Standort E. der Arbeitgeberin nach gesellschaftlicher Anwachsung der Arbeitgeberin an die F. GmbH zum 31. Dezember 2018. Ab 1. Januar 2019 wäre eine Beschäftigung der Klägerin in G. möglich gewesen. Die Klägerin erhielt zum 31. Dezember 2018 einen Betrag i.H.v. 27.000,- € brutto, der nach § 4 als „Einmalzahlung zur beruflichen Neuorientierung“ benannt wurde. Nach § 5 bestand Einigkeit, dass der Klägerin aufgrund der Anwachsung aufgrund eines Sozialplans keine Abfindung zustehe. Vor Abschluss des Aufhebungsvertrages hatte die Beklagte auf Anfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 (Bl. 1 f. VA) mitgeteilt, dass nach Sichtung der Unterlagen in diesem Fall keine Sperrzeit eintrete (Bl. 14 VA).

Die Klägerin meldete sich am 14. November 2018 persönlich arbeitssuchend und zum 1. Januar 2019 persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Die Beklagte stellte das Ruhen des Anspruchs vom 1. Januar bis 22. Februar 2019 wegen der erhaltenen Abfindung aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fest. Maßgeblich sei allein die Einhaltung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers, welche vorliegend nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit vier Monate zum Ende des Kalendermonats betragen habe. Die Abfindung werde i.H.v. 35 Prozent mithin 9.450,- €, angerechnet. Vom 1. Januar bis 31. Dezember 2018 seien an 365 Tagen Arbeitsentgelt i.H.v. 64.997,96 € erzielt worden, was ein tägliches Bemessungsentgelt i.H.v. 178,08 € ergebe. Die Entlassungsentschädigung entspreche daher einem Entgelt für 53 Tage (Ruhensbescheid v. 22.1.2019, Bl. 44 VA; Widerspruchsbescheid v. 22.2.2019, Bl. 66 f. VA). Zugleich bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab 1. Januar 2019 für eine Anspruchsdauer von 450 Kalendertagen mit einem täglichen Leistungsbetrag i.H.v. 0,- € bis 22. Februar 2019 wegen der Entlassungsentschädigung, im Anschluss i.H.v. 61,25 € (Bewilligungsbescheid v. 22.1.2019; Bl. 46 f. VA).

Die Bewilligung von Arbeitslosengeld wurde wegen der Aufnahme einer Beschäftigung ab 1. März 2019 aufgehoben (Bl. 72 der Verwaltungsakte).

Die Klägerin hat wegen der Ruhensentscheidung am 14. März 2019 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Die Klägerin verweist auf den Wegfall ihres Arbeitsplatzes in E. und die anstehende Weiterbeschäftigung in G. Ihr habe ein Sonderkündigungsrecht zugestanden. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 habe die Beklagte zugesichert, dass keine Sperrzeit eintreten werde. Nunmehr eine Sanktion „durch die Hintertür“ einzuführen, widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben. Der Sanktionscharakter der Regelung sei vorliegend nicht gerechtfertigt, da der Klägerin aus persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen keine andere Wahl verblieben sei, als das Arbeitsverhältnis zu beenden. Es seien die Grundsätze der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 8. Dezember 2016 anzuwenden, wonach selbst unkündbare Arbeitnehmer mit einer sozialen Auslauffrist gekündigt werden könnten, ohne dass es zu einem Ruhen wegen der erhaltenen Abfindung komme. Zugleich sei zu berücksichtigen, dass durch die Anwachsung die Regelung des § 613 BGB (Betriebsübergang) umgangen worden sei. Die Klägerin habe dem Wechsel des Arbeitsgebers nicht widersprechen können.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ruhensbescheid vom 22. Januar 2019 und Abänderung des Bewilligungsbescheids vom 22. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 2019 zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld ab 1. Januar 2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Streitgegenständlich ist der Ruhensbescheid vom 22. Januar 2019 sowie der Bewilligungsbescheid vom 22. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 2019, die die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG angreift. Ruhens- und Bewilligungsbescheid bilden hinsichtlich der Ablehnung der Gewährung von Arbeitslosengeld eine rechtliche Einheit.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld für den Ruhenszeitraum vom 1. Januar bis 22. Februar 2019. Der Ruhensbescheid vom 22. Januar 2019 sowie der Bewilligungsbescheid vom 22. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat nach § 137 Abs. 1 Drittes Sozialgesetzbuch, wer arbeitslos ist (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Nr. 3). Die Klägerin erfüllte diese Voraussetzungen zum 1. Januar 2019, da sie sich am 14. November 2018 zu diesem Zeitpunkt persönlich bei der Beklagten arbeitslos meldete, arbeitslos i. S. d. § 138 Abs.1 SGB III war und zugleich die Anwartschaftszeit nach §§ 142 Abs. 1 S. 1, 143 Abs. 1 SGB III (i. d. bis 31.12.2019 gültigen Fassung) durch ihre bis 31. Dezember 2018 andauernde Beschäftigung erfüllte.

Der Anspruch ruhte jedoch vom 1. Januar bis 22. Februar 2019 aufgrund erhaltener Abfindung bei Nichteinhaltung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers nach § 158 Abs. 1 S. 1 SGB III.

Hat die oder der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld gem. § 158 Abs. 1 SGB III von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte. Diese Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nach Abs. 2 Nr. 1 ruht der Anspruch maximal bis zu dem Tag, bis zu dem die oder der Arbeitslose bei Weiterzahlung des während der letzten Beschäftigungszeit kalendertäglich verdienten Arbeitsentgelts einen Betrag in Höhe von 60 Prozent der nach § 158 Abs. 1 SGB III zu berücksichtigenden Entlassungsentschädigung als Arbeitsentgelt verdient hätte. Der zu berücksichtigende Anteil der Entlassungsentschädigung vermindert sich sowohl für je fünf Jahre des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen als auch für je fünf Lebensjahre nach Vollendung des 35. Lebensjahres um je 5 Prozent. Er beträgt nicht weniger als 25 Prozent der zu berücksichtigenden Entlassungsentschädigung. Letzte Beschäftigungszeit sind die am Tag des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der letzten zwölf Monate.

Bei der zum 31. Dezember 2018 erhaltenen Zahlung nach § 4 des Aufhebungsvertrags handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts zunächst um eine Entlassungsentschädigung i.S.d. § 158 Abs. 1 S. 1 SGB III. Unter dem Begriff werden alle Leistungen, die im Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden unabhängig von ihrer Bezeichnung und dem Zweck erfasst, sofern ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Gewährung der Leistung besteht (st. Rspr., vgl. BSG Urt. v. 12.12.1984 – 7 Rar 87/83). Die Zahlung der Leistung ausweislich § 4 des Aufhebungsvertrags wörtlich „zur beruflichen Neuorientierung“ ist demnach unschädlich zur Einordnung als Entlassungsentschädigung. 

Zudem wurde die Entlassungsentschädigung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt. Dies ist gegeben, wenn die Beendigung nicht nur Anlass der Zahlung ist. Erforderlich ist ein ursächlicher Zusammenhang, der anzunehmen ist, wenn der Arbeitnehmer die jeweilige Leistung ohne die Beendigung nicht erhalten hätte. Eine Kausalität zwischen der Vorzeitigkeit der Beendigung und der Zuwendung ist hingegen nicht erforderlich (vgl. BSG Urt. v. 21.9.1995 – 11 Rar 23/95). Nach diesen Grundsätzen wurde der Betrag i.H.v. 27.000,- € wegen der Beendigung gezahlt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat bereits in seinem Schreiben vom 25. September 2018 an die Beklagte, sodann im weiteren gerichtlichen Verfahren ausgeführt, dass die, auch von ihm so bezeichnete, „Abfindung“ im Rahmen der Verhandlung über den Aufhebungsvertrag ausverhandelt worden sei und ohne Aufhebungsvertrag nicht gezahlt worden wäre.

Bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird grundsätzlich unwiderlegbar vermutet, dass die Entlassungsentschädigung Arbeitsentgelt für den Zeitraum enthält, der durch die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist als Zeit des Arbeitsverhältnisses (und damit als Zeit mit Anspruch auf Arbeitsentgelts) entfallen ist (st. Rspr., vgl. BSG Urt. v. 12.12.1984 – 7 Rar 87/83; Urt. v. 25.10.1989 – 7 Rar 108/88). § 158 SGB III ergänzt insoweit § 157 Abs. 1 SGB III, der das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosigkeit bei Erhalt von Leistungen bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses anordnet. Die pauschale Regelung soll Manipulationsmöglichkeiten dergestalt verhindern, dass die Arbeitsvertragsparteien durch vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Entlassungsentschädigung den Doppelbezug mit Arbeitslosengeld rechnerisch verursachen, den § 157 Abs. 1 SGB III gerade verhindern soll (s. grds. Düe in: Brand, SGG, 8. Aufl. 2018, § 158 Rn. 3 f., m.w.N.). Entsprechend diesem Sinn und Zweck sind die Ruhensfristen des § 158 Abs. 1 S. 2 SGB III ausgestaltet.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Ausführungen in dem von der Klägerin in Bezug genommenen Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. Dezember 2016 (Az. B 11 AL 5/15 R). Das Bundessozialgericht hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass eine Abfindung nach der Maßgabe des § 1a Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) nicht zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 158 Abs. 1 S. 1 SGB III führt, wenn die Arbeitgeberkündigung nach §§ 7, 4 S. 1 KSchG als rechtswirksam gelte und die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten gewesen sei. Denn dann sei die § 158 Abs. 1 S. 1 SGB III zugrunde liegende Vermutung, dass in der Abfindung das dem Arbeitnehmer wegen vorzeitiger Beendigung entgangene zukünftige Arbeitsentgelt enthalten sei, widerlegt. § 1a KSchG gibt demjenigen, dem der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG und der bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG keine Klage auf Feststellung erhebt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, einen Anspruch auf eine Abfindung i.H.v. 0,5 Monatsverdiensten für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. § 1a KSchG erfordert das Vorliegen einer ordentlichen Kündigung, mitunter unter Einhaltung der für diese Kündigung maßgeblichen Kündigungsfristen (§ 622 BGB), die zudem auf betriebsbedingten Gründen beruht. In dieser rechtlichen Situation, bei Verzicht des Arbeitnehmers auf sein Kündigungsrecht bei fristgerechter ordentlicher Kündigung, bestehe für den Arbeitgeber kein Grund mehr, dem (wirksam gekündigten) Arbeitnehmer Arbeitsentgelt (nach) zu zahlen (vgl. Rn. 26 und 32 der Entscheidung). Denn bei Einhaltung der Kündigungsfrist (und Verzicht auf die Kündigungsschutzklage) erfüllt der Arbeitgeber seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Entlohnung im gesetzlichen Umfang bis zum gesetzlich vorgegebenen Fristende. Dann verbleibt jedoch kein Raum für eine Vermutung im Rahmen des § 158 Abs. 1 SGB III.

Die der Klägerin gezahlte Entlassungsentschädigung entspricht bereits nicht den Anforderungen des § 1a KSchG. Hierfür ist es nicht ausreichend, dass durch die berechnete Höhe die Grenze des § 1a Abs. 2 KSchG im vorliegenden Fall eingehalten worden ist. § 1a KSchG Abs. 1 KSchG erfordert vielmehr zwingend, dass eine ordentliche sowie betriebsbedingte Kündigung vorangegangen ist. Maßgeblich hierfür ist die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist, die jedoch, wie oben dargelegt, erheblich unterschritten wurde. Der vorliegende Sachverhalt entspricht vielmehr derjenigen Fallkonstellation, die den Gesetzgeber zur Schaffung des § 158 SGB III (bzw. seiner Vorgängerregelungen) bewogen hat. Der Arbeitgeber der Klägerin hat sich im Vergleich zu der Situation, dass er ordentlich betriebsbedingt fristgerecht am 14. November mit viermonatiger Kündigungsfrist zum 31. März 2019 gekündigt hätte, die Erfüllung des Anspruchs der Monatsgehälter von Januar bis März „erspart“, die Aufnahme dieser Monatsgehälter in die Abfindung wird vermutet.

Unbeachtlich ist zudem die Art und Weise des Wechsels des Arbeitgebers, insbesondere, ob der Eintritt der „neuen“ Arbeitgeberin aufgrund einer gesellschaftlichen Anwachsung oder im Wege des Übergangs eines Betriebs(teils) nach § 613a BGB erfolgte. Im Rahmen der Anwachsung erlischt die „alte“ Arbeitgeberin nach der Anwachsung, wohingegen bei einem Betriebsübergang nach § 613a BGB die alte Arbeitgeberin (zumindest kurzzeitig) weiter fortbesteht. Gemeinsam ist beiden Varianten, dass der Standort E. in Folge geschlossen wurde bzw. bei § 613a BGB geschlossen worden wäre. Der für die Klägerin maßgebliche Unterschied, dass sie bei einem Betriebsübergang nach § 613a BGB die Möglichkeit gehabt hätte, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die neue Arbeitgeberin zu widersprechen, berührt die Ruhensentscheidung nach § 158 Abs. 1 SGB III nicht. Denn weder bei zugrundeliegender gesellschaftlicher Anwachsung noch bei Betriebsübergang nach § 613a BGB hat der „neue“ oder „alte“ Arbeitgeber die Möglichkeit, die Kündigungsfrist für die ordentliche Kündigung zu unterschreiten.

Dem Eintritt des Ruhens steht zudem nicht das Schreiben der Beklagten vom 4. Oktober 2018 entgegen. Diesem Schreiben der Beklagten kann eine Zusicherung i. S. d. § 34 Abs. 1 S. 1 Zehntes Sozialgesetzbuch hinsichtlich des Nichteintritts des Ruhens wegen Entlassungsentschädigung nicht entnommen werden.

Die Zusicherung i.S.d. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB X muss auf einen bestimmten Verwaltungsakt gerichtet sein. Dazu gehört zum einen der Wille der Behörde, sich auf ein zukünftiges Tun oder Unterlassen zu verpflichten (BSG Urt. v 8.12.1993 – 10 RKg 19/92); zum anderen muss sich die Erklärung auf einen konkreten Sachverhalt beziehen. Welchen Regelungsgehalt die Zusicherung hat, muss durch Auslegung ermittelt werden. 

Die Auslegung eines Verwaltungsaktes hat ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 BGB ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern den wirklichen Willen der Behörde bzw. des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die den Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (vgl. BSG Urt. v. 22.3.2018 - B 5 RE 5/16 R).

Nach diesen Grundsätzen ist eine Zusicherung zum Nichteintritt einer Sperrzeit, jedoch nicht zum Nichteintritt des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Entlassungsentschädigung durch die Beklagte gegeben worden. Zur Auslegung neben dem Wortlaut des Schreibens das Anfrageschreiben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten heranzuziehen. Der Prozessbevollmächtigte hat in diesem Schreiben vom 25. September 2018 ausführlich dargelegt, dass es der Klägerin „aus persönlichen Gründen nicht möglich“ sei, in G. zu arbeiten. Zudem hat der Prozessbevollmächtigte als Jurist folgendes ausgeführt, dass er davon ausgehe, „dass ein Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung bei der oben geschilderten Sachlage keine Sperre beim Bezug von Arbeitslosengeld I auslöst“. Weiter führt er aus, dass „in dem Abschluss des Aufhebungsvertrags ein Lösen des Arbeitnehmers von dem Arbeitsverhältnis zu sehen sein“ werde, „jedoch davon auszugehen“ sei, dass die Klägerin „für den Abschluss des Aufhebungsvertrags einen wichtigen Grund“ habe. Zudem gehe er davon aus, dass „eine Aufhebungsvereinbarung mit der zweiwöchigen Beendigungsfrist ebenfalls sperrzeitunschädlich“ sei. Entsprechend antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 4. Oktober 2018, dass „in diesem Fall keine Sperrzeit eintreten“ werde.

Bei den Begriffen der Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 SGB III sowie den Begriffen des Ruhens aus anderen Gründen handelt es sich zudem um unterschiedliche Regelungsgegenstände. Insbesondere tritt die Sperrzeit auch ein, wenn sich die betroffene Person erst nach Ablauf der Sperrzeit arbeitslos meldet und Arbeitslosengeld beantragt, da aufgrund einer Sperrzeit nach § 148 Abs. 4 SGB III die Gesamtanspruchsdauer gemindert wird. Der Eintritt des Ruhens wegen Entlassungsentschädigung hingegen ist abhängig vom beantragten Beginn der Gewährung des Arbeitslosengeldes und lässt die Gesamtanspruchsdauer unberührt. Die Beklagte war aufgrund des zielgerichteten Vortrags des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie der eindeutigen Nachfrage nach dem Eintritt einer Sperrzeit zudem nicht gehalten, über mögliche weitere Konsequenzen eines Aufhebungsvertrags zu beraten. Weder lagen ihr der Aufhebungsvertrag vor, noch wusste sie, wann die Klägerin sich arbeitslos melden würde, was jedoch für das Ruhen des Anspruchs wegen Entlassungsentschädigung maßgeblich ist. Auch hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, ein ausgewiesener Fachanwalt für Arbeitsrecht, die zielgerichtete Anfrage gestellt, was die Beklagte wiederum nicht veranlassen musste, umfassend über jedwede Konsequenz eines Aufhebungsvertrags mit Abfindung zu informieren.

Die Berechnung der Beklagten begegnet im Übrigen keinen Bedenken. Zutreffend hat die Beklagte den Faktor von 60 % um 10 % wegen der zehnjährigen Betriebszugehörigkeit (2 x 5%), sowie weitere 15 % wegen des Lebensalters der Klägerin von über 50 Jahren (3 x 5 %) auf 35 % nach § 158 Abs. 2 S. 3 SGB III gemindert. Ausweislich der Arbeitgeberbescheinigung erzielte die Klägerin im maßgeblichen Jahr 2018 (§ 158 Abs. 2 S. 4 SGB III) ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 64.997,96 €, mithin bei 365 Kalendertagen 178,08 € täglich. Dies ergibt einen Ruhenszeitraum von 53 Kalendertagen vom 1. Januar bis 22. Februar 2019, § 158 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, S. 2 SGB III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Das zulässige Rechtsmittel der Berufung folgt aus §§ 143 ff. SGG.

Rechtskraft
Aus
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