L 5 KR 110/18

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 20 KR 289/18
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 110/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 24/21 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses, der zur Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG berechtigt, darf erst nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls angenommen werden; bei der Gesamtwürdigung sind die Umstände vor und nach Erlass der Betreibensaufforderung zu berücksichtigen (Anschluss an BSG, Urteil vom 4. Juli 2017 - B a AS 2/16 R - BSGE 123, 62).

2. Die ordnungsgemäße Klageerhebung setzt auch bei anwaltlich vertretenen Klägern eine Klagebegründung nicht voraus. Das Ausbleiben einer Klagebegründung ist aber insbesondere bei deren vorheriger Ankündigung ein bei der anzustellenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigender Umstand.

3. Auf die Nichtbescheidung eines mit der Klageerhebung gestellten PKH-Antrags kann sich die Klägerin im Erledigungsstreit nicht berufen, wenn sie an die Bescheidung weder vor Ergehen der Betreibensaufforderung noch innerhalb der Betreibensfrist erinnert hat.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Itzehoe vom 4. September 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Krankengeld über den 14. April 2013 hinaus. Vorgreiflich streitig ist zwischen den Beteiligten, ob das diesbezügliche Klageverfahren durch fiktive Klagerücknahme erledigt worden ist.

Die 1970 geborene Klägerin war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Nach dem Bezug von Übergangsgeld wegen einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2012 ab 9. August 2012 Krankengeld in Höhe von kalendertägig 33,54 EUR brutto. Bis 20. September 2012 befand sich die Klägerin in stationärer Krankenhausbehandlung. Am 21. September 2012 bescheinigte ihre Hausärztin T erstmals Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 16. Oktober 2012. Eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde ausgestellt am 16. Oktober 2012 bis zum 2. November 2012.

Am 5. November 2012 suchte die Klägerin erneut ihre Ärztin T auf, die weitere Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 30. November 2012 bescheinigte. Aktenkundig sind weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 3. Dezember 2012 bis 10. Januar 2013, vom 10. Januar 2013 bis 4. Februar 2013, vom 8. Februar 2013 bis 8. März 2013 und vom 4. April 2013 bis 29. April 2013.

Mit Bescheid vom 4. April 2013 beendete die Beklagte die Krankengeldzahlung mit dem 14. April 2013. Zur Begründung verwies sie auf die zwischen dem 2. und 5. November 2012 bestehende Lücke bzgl. der ärztlichen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit. Ab dem 5. November 2012 habe deshalb kein Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden. Die gleichwohl erfolgte Weiterzahlung des Krankengeldes habe auf einem Irrtum beruht. Da insoweit Vertrauensschutz bestehe, könne die Krankengeldbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht mehr aufgehoben und das gezahlte Krankengeld nicht zurückgefordert werden. Für die Zukunft müsse die Krankengeldzahlung jedoch beendet werden.

Den gegen diesen Bescheid am 15. April 2013 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2013 als unbegründet zurück. Sie wiederholte und vertiefte ihre Begründung des angefochtenen Bescheids. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 39 f. der Leistungsakte Bezug genommen.

Gegen den Bescheid vom 4. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2013 hat die Klägerin am 4. Juli 2013 Klage beim Sozialgericht Itzehoe erhoben und zugleich einen Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten gestellt.

Die Klage ist trotz einer entsprechenden Ankündigung in der Klageschrift und trotz Erinnerung mit richterlichen Verfügungen vom 4. Oktober 2013, 7. Januar 2014, 9. Juli 2014, 27. August 2014 und 29. Oktober 2014 weder begründet worden, noch ist eine sonstige Reaktion auf die richterlichen Verfügungen erfolgt.

Mit Betreibensaufforderung vom 11. Dezember 2014 hat die Vorsitzende der 20. Kammer den Bevollmächtigten der Klägerin aufgefordert, das Verfahren dadurch zu betreiben, dass die angekündigte Klagebegründung und ein Klageantrag formuliert wird. Insbesondere hat sie um Beantwortung der Frage gebeten, bis wann die Klägerin Krankengeld begehre. Die Betreibensaufforderung hat einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) enthalten und ist von der Vorsitzenden mit vollem Namen unterzeichnet worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 14 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Betreibensaufforderung ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 16. Dezember 2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 17 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Verfügung vom 17. März 2015 ist das Verfahren aus dem Prozessregister ausgetragen worden.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 5. Juni 2018 hat die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens beantragt.

Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht am 4. September 2018 durch Gerichtsbescheid festgestellt, dass das Verfahren durch Klagerücknahme beendet worden ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gelte. Der Prozessbevollmächtigte sei wirksam unter Hinweis auf die Folgen des Nichtbetreibens innerhalb der dreimonatigen Betreibensfrist zum Betreiben des Verfahrens aufgefordert worden. Die Betreibensaufforderung sei von der Vorsitzenden der Kammer richterlich verfügt und mit vollem Nachnamen unterzeichnet worden. Die Aufforderung sei inhaltlich hinreichend bestimmt und verständlich. Sie habe die Rechtsfolge der Klagerücknahmefiktion ausgelöst, da die Klägerin auf die Betreibensaufforderung drei Monate nicht reagiert habe. Das Gericht habe dabei insgesamt davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin das Interesse an der Fortsetzung des Rechtsstreits verloren habe. Zwar sei die Klagebegründung keine zwingende Voraussetzung für eine wirksame Klageerhebung. Die Vorschrift des § 92 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGG sei allerdings vor dem Hintergrund zu betrachten, dass bei Sozialgerichten auch anwaltlich unvertretene Laien Schutz suchten. Gerade von diesem Schutzzweck würden anwaltlich vertretene Kläger nicht erfasst. Für die Wahrung der prozessualen Rechte solcher Kläger sei es nicht erforderlich, die formalen Anforderungen an die Klagebegründung herabzusetzen. Von einem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege müsse die Begründung der Klage vielmehr verlangt werden können, was sich im Wege der teleologischen Reduktion des § 92 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGG aus § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 253 Abs. 2 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) ergebe. Diese Auslegung entspreche zwar nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Aber auch danach sei eine fiktive Klagerücknahme eingetreten. Denn die Klägerin habe ihren prozessualen Mitwirkungspflichten nicht entsprochen und insbesondere durch das entschuldigungslose Ausbleiben der zunächst angekündigten Klagebegründung den Eindruck vermittelt, das Interesse am Rechtsstreit verloren zu haben. Dies gelte auch deshalb, weil die Klägerin auf die Betreibensaufforderung überhaupt nicht reagiert und also auch keine Gründe dargelegt habe, warum sie sich zur Klagebegründung oder zur angeforderten Konkretisierung des Begehrens außerstande gesehen habe. Denkbar sei darüber hinaus eine Verwirkung des Rechtsschutzinteresses, nachdem die Klägerin erst drei Jahre, nachdem das Verfahren ausgetragen worden ist, Fortsetzung beantragt hat. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid (Bl. 28 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Gegen den ihr am 19. September 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. Oktober 2018 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt.

Auch die Berufung hat die Klägerin erst auf eine Betreibensaufforderung des Berichterstatters hin begründet.

Sie macht geltend, dass die Voraussetzungen für eine Klagerücknahmefiktion nicht vorgelegen hätten, weil die Klagebegründung nicht zu ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten gehöre. Es handele sich bei dem § 92 Abs. 1 Satz 4 SGG nach wie vor um eine Soll-Vorschrift. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass sie bereits mit der Klageschrift einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt habe, der zunächst hätte beschieden werden müssen. Die Nichtbescheidung des Prozesskostenhilfegesuchs stelle sich als verfahrensfehlerhaft dar und führe zugleich zur Rechtswidrigkeit der Betreibensaufforderung. In der Sache müsse die Klage Erfolg haben, denn die Beklagte habe der Klägerin durchgehend Krankengeld gezahlt und die Entscheidung auch nicht rückwirkend aufgehoben. Die Lücke sei folglich in jedem Falle überzahlt. Dessen ungeachtet habe sie Anfang November 2012 auch alles aus ihrer Sicht Erforderliche getan, um eine lückenlose Bescheinigung ihrer Arbeitsunfähigkeit zu erlangen. Sie habe am 2. November 2012 Kontakt zur Praxis ihrer Hausärztin aufgenommen, die sie jedoch wegen Überlastung abgewiesen und auf den folgenden Montag (den 5. November 2012) verwiesen habe. Diesen Termin habe sie wahrgenommen. In einer solchen Konstellation könne die Arbeitsunfähigkeit nach höchstrichterlicher Rechtsprechung krankengeldunschädlich auch noch rückwirkend festgestellt werden.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Itzehoe vom 4. September 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften über den 14. April 2013 hinaus bis zum 14. November 2014 zu gewähren, hilfsweise,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Itzehoe vom 4. September 2018 aufzuheben und das Verfahren vor dem Sozialgericht Itzehoe fortzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

          die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise,

festzustellen, dass der Rechtsstreit durch fiktive Klagerücknahme erledigt ist.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und geht ebenfalls von einer wirksamen Klagerücknahme aus.

Mit Beschluss vom 20. März 2019 hat der Senat dem Berichterstatter die Berufung nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen, nachdem dieser die Beteiligten zuvor zu dieser Verfahrensweise angehört hat.

Dem Senat haben die Leistungsakten der Beklagten vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakte wird wegen des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter entscheidet über die Berufung gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern, weil der Senat ihm die Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 20. März 2019 gemäß § 153 Abs. 5 SGG zur Entscheidung übertragen hat.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist zulassungsfrei statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG; zur grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Vorschrift im Erledigungsfeststellungsstreit BSG, Urteil vom 19. März 2020 – B 4 AS 4/20 R – SozR 4-1500 § 144 Nr 10, juris Rn. 13 ff.).

Die Berufung ist jedoch weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht festgestellt, dass das Klageverfahren durch fiktive Klagerücknahme beendet worden ist.

Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.

Zutreffend hat das Sozialgericht zunächst das Vorliegen der formalen Voraussetzungen der fiktiven Klagerücknahme festgestellt. Die Vorsitzende hat die Betreibensaufforderung mit ihrem vollen Nachnamen – und nicht nur mit Namensparaphe – unterzeichnet (vgl. dazu BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 RBSGE 106, 254 = SozR 4-1500 § 102 Nr 1, juris Rn. 49) und sie dem Bevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 16. Dezember 2014 zugestellt. Die Betreibensaufforderung ist auch hinreichend klar und konkret gewesen (dazu B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 102 Rn. 8c). Die Klägerin ist nicht nur allgemein zur Einreichung der (von ihrem Bevollmächtigten angekündigten) Klageschrift, sondern auch konkret zur Formulierung eines bestimmten Antrags und zur Eingrenzung des Zeitraums aufgefordert worden, für den Krankengeld begehrt werde. Gerade die letztgenannte Fragestellung ist nicht nur für die weitere Strukturierung der Sachverhaltsermittlung, sondern auch z.B. für die Bestimmung des Beschwerdewerts (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) von erheblicher Bedeutung und fällt angesichts der auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Dispositionsmaxime in den originären Verantwortungsbereich der Klägerin. In der Aufforderung ist die Klägerin i.S. des § 102 Abs. 2 Satz 3 SGG zutreffend auf die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens hingewiesen worden.

Die formal ordnungsgemäße Betreibensaufforderung hat auch die Fiktion der Klagerücknahme ausgelöst, weil für deren Erlass hinreichende sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses vorgelegen haben und die Klägerin das Verfahren sodann mehr als drei Monate lang nicht betrieben hat.

Die ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses beruht auf verfassungsrechtlichen Anforderungen, die die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz [GG]) an die Ausgestaltung des grundsätzlich zulässigen Instrumentariums der fiktiven Klagerücknahme stellt. Sie dient insbesondere dazu, den Eintritt der Wirkungen des § 102 Abs. 2 SGG auf Ausnahmefälle zu begrenzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1993 – 2 BvR 1972/92 – juris Rn. 14 m.w.N.). Der Senat folgt dabei hinsichtlich der an die „sachlichen Anhaltspunkte“ für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses zu stellenden Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der zufolge ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses erst nach einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls angenommen werden darf und bei der Gesamtwürdigung sowohl die Umstände vor und nach Erlass der Betreibensaufforderung als auch das Verhalten des Klägers zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 4. Juli 2017 – B 4 AS 2/16 RBSGE 123, 62 = SozR 4-1500 § 102 Nr 3, juris Rn. 28).

Daran gemessen ist hier von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen. Der Senat berücksichtigt bezogen auf den hier zu entscheidenden Fall, dass die Klägerin zunächst eine Klagebegründung in Aussicht gestellt, zu diesem Zweck Akteneinsicht beantragt und diese auch genommen hatte. Danach hat die Klägerin dann allerdings – sich zu der eigenen Erklärung in Widerspruch setzend – über Monate hinweg überhaupt keine Aktivitäten mehr entfaltet, weshalb sie nach gut einem halben Jahr erstmals an die Einreichung der der Klageschrift erinnert worden ist. Erst nachdem auf diese und vier weitere Erinnerungen keine Reaktion erfolgt war, hat das Sozialgericht die Klägerin mit Verfügung vom 11. Dezember 2014 – ca. 1,5 Jahre nach Klageerhebung – zum Betreiben aufgefordert. Bei dieser Sachlage und vor dem Hintergrund der begehrten Leistung (Krankengeld), die in Wechselwirkung mit anderen potentiell in Betracht kommenden Sozialleistungen steht und deren Anforderungen sehr stark von den aktuellen Gesundheits- und Lebensverhältnissen abhängig ist, hat das Sozialgericht davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin das Interesse an dem Rechtsstreit zwischenzeitlich verloren hat.

Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin geltend macht, seine Untätigkeit habe darauf beruht, dass das Sozialgericht das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin nicht bearbeitet und aus diesem Grund verfahrensfehlerhaft zum Betreiben aufgefordert habe, kann er damit nicht gehört werden. Zwar ist die Bereitstellung des Instrumentariums der Prozesskostenhilfe Ausdruck eines aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), dem Sozialstaatprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) folgenden verfassungsrechtlichen Gebots, das nicht nur den Zugang zum Gericht als solchen, sondern auch eine im Wesentlichen gleichberechtigte Wahrnehmung gerichtlichen Rechtsschutzes gewährleisten soll. Die Gewährleistung voraussetzungsloser Rechtsschutz- und Rechtswahrnehmungsgleichheit ist damit aber nicht verbunden (Leopold in: Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK-SGG, 2021, § 73a Rn. 10). Dementsprechend kann auch ein unbemittelter Beteiligter nicht die Erwartung hegen, eine erhobene Klage erst begründen bzw. sein Begehren in den wesentlichen Zügen skizzieren zu müssen, nachdem ihm Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Da die Gewährung von Prozesskostenhilfe ihrerseits nicht nur von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, sondern auch von hinreichenden Erfolgsaussichten abhängig ist (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO), setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe regelmäßig eine Darlegung des geltend gemachten Anspruchs in seinen wesentlichen Zügen zwangsläufig voraus, um auch unter Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) eine sachgerechte Entscheidung über den PKH-Anspruch überhaupt treffen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 2010 – 1 BvR 362/10 – juris Rn. 15).

Letztlich wäre es für den Bevollmächtigten der Klägerin aber auch ein Leichtes gewesen, das Gericht spätestens nach Zustellung der Betreibensaufforderung auf die seiner Ansicht nach vorrangige Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag hinzuweisen. Ein entsprechender Schriftsatz, der kaum mehr als drei Zeilen Text beansprucht hätte, hätte die Klägerin in ihrem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit nicht unverhältnismäßig belastet, wäre aber – da insoweit auch Umstände nach Erlass der Betreibensaufforderung zu berücksichtigen sind (BSG, a.a.O.) – bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung u.U. ins Gewicht gefallen. So jedoch hat der Bevollmächtigte der Klägerin auch nach Zustellung der Betreibensaufforderung nichts unternommen, um für die Klägerin das Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses in irgendeiner Form zu dokumentieren. Dieses nach Lage der äußeren Umstände beredte Schweigen ihres Bevollmächtigten muss sich die Kläger zurechnen lassen.

Soweit das Sozialgericht darüber hinaus meint, die Klagerücknahmefiktion sei (schon) deshalb eingetreten, weil der Bevollmächtigte der Klägerin einer – bei teleologischer Reduktion der Vorschriften über das sozialgerichtliche Verfahren – aus § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO folgenden Verpflichtung zur Klagebegründung nicht nachgekommen sei, folgt der Senat dem nicht. Dabei überzeugt schon die Prämisse des Sozialgerichts nicht, § 253 Abs. 2 ZPO stelle wegen der Vertretungspflicht durch Rechtsanwälte (§ 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO) höhere Anforderungen an den Inhalt der Klageschrift. Denn gemäß § 495 ZPO gilt § 253 ZPO auch für das Verfahren vor den Amtsgerichten, das nicht notwendig als Anwaltsprozess geführt wird. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Klageerhebung sind vielmehr für das sozialgerichtliche Verfahren in § 92 SGG abschließend geregelt und lassen keinen Raum für die ergänzende Anwendung des § 253 ZPO. Letztlich kommt es auf die Frage einer ordnungsgemäßen Klageerhebung für die Prüfung der Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG auch nicht entscheidend an. Denn die Rechtsfolgen einer nicht den Anforderungen des § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG entsprechenden Klage sind in § 92 Abs. 2 SGG geregelt: Der Vorsitzende hat den Kläger zur erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern und kann eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es insbesondere an der Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens fehlt. Ist eine derartige Frist fruchtlos abgelaufen, ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Eines Rückgriffs auf § 102 Abs. 2 SGG bedarf es dafür nicht.

Weil die Feststellung der Verfahrensbeendigung durch fiktive Klagerücknahme der rechtlichen Überprüfung durch den Senat im Ergebnis standhält, kann offenbleiben, ob Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nur die Feststellung der Klagerücknahme ist oder ob der Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens (Krankengeldanspruch für den Zeitraum 15. April bis 14. November 2013 unter Aufhebung der dem entgegenstehenden Bescheide) in vollem Umfang beim Landessozialgericht angefallen ist (dazu Groth in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl. 2016, Kap. VII Rn. 76a m.w.N.; offengelassen von BSG, Urteil vom 10. Oktober 2017 – B 12 KR 3/16 R – juris Rn. 12 und Urteil vom 19. März 2020 – B 4 AS 4/20 R – SozR 4-1500 § 144 Nr 10, juris Rn. 19).

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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