L 11 KR 2004/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 2477/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2004/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.05.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer stationären Leistung zur medizinischen Rehabilitation streitig.

Der 1974 geborene Kläger bezieht existenzsichernde Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) des zuständigen Sozialhilfeträgers Landkreis T. Die Beklagte übernimmt die Krankenbehandlung im Auftrag des Sozialhilfeträgers gegen Kostenerstattung nach § 264 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Am 16.02.2020 beantragte der Kläger wegen Rückenproblemen, Angstzuständen und „Kopfproblemen“ stationäre Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Er leide unter Bauch- und Magenschmerzen, Angstgefühl, Stuhlinkontinenz sowie Rücken- und Kreuzschmerzen.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 20.04.2020 ab. Der Kläger könne von ambulanten Maßnahmen am Wohnort profitieren, zB Heilmitteltherapie wie Krankengymnastik, Physiotherapie, Reha-Sport, AOK-Rückenstudio sowie Facharztbetreuung durch Orthopäden und Schmerztherapeuten.

Dagegen legte der Kläger am 27.04.2020 Widerspruch ein. Aufgrund seiner körperlichen und psychischen Erkrankungen sei er außerstande, ambulante Maßnahmen durchzuführen. Eine stationäre Behandlung sei dringend erforderlich. Mit Schriftsatz vom 04.05.2020 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass dieser sich in stationärer Behandlung in der Nklinik in T befinde. Er legte ein ärztliches Attest der K vom 30.08.2019 („zur Vorlage beim Ausländeramt der Stadt T“) mit den Diagnosen chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, chronische Lumbalgie bei degenerativen Veränderungen, depressive Störung und chronische Gastritis vor. Danach sei das Schmerzgeschehen des Klägers erheblich psychisch überlagert. Weiterhin legte er ein ärztliches Attest des S vom 24.04.2020 vor, wonach aus neurochirurgischer Sicht bei dem Kläger eine stationäre Rehabilitation zur Schmerzverbesserung medizinisch sinnvoll sei.

In der Zeit vom 07.04.2020 bis zum 13.06.2020 befand sich der Kläger in akutstationärer Behandlung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Uklinikums T. Der W diagnostizierte im Entlassbericht vom 12.05.2020 eine Somatisierungsstörung (ICD 10 F45.0) und äußerte den Verdacht auf schizotype Störung (ICD 10 F21). W berichtete ua über eine Sprachbarriere und eine darüberhinausgehende Problematik in der Verständigung. Der Kläger habe ausgeprägte Somatisierungstendenzen mit diffusen Schmerzen und Ängsten bezüglich des Blutdrucks und der unbegründeten Sorge, an einer ernsthaften somatischen Erkrankung zu leiden, gezeigt. Während des stationären Aufenthalts wurden keine somatischen Erklärungen für die vom Kläger beklagten Beschwerden gefunden. Die Klinikärzte organisierten einen Termin zum Vorgespräch bei der C, die Punjabi spricht. Für eine weitere stationäre akutpsychiatrische Therapie sahen die Klinikärzte keine Indikation und empfahlen eine ambulante muttersprachliche Psychotherapie.

Die Beklagte veranlasste ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). H gelangte im Gutachten vom 19.06.2020 zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für Leistungen zur stationären Rehabilitation nach § 40 SGB V nicht vorlägen. Die vom Kläger geklagten Schmerzen seien überwiegend psychisch überlagert und deshalb einer somatischen Behandlung nicht zugänglich. Die Durchführung einer somatischen Reha-Maßnahme würde die krankhafte Überzeugung des Klägers, an einer organischen Erkrankung zu leiden, noch verstärken und nicht zur Genesung beitragen. Wie im Rahmen des psychiatrischen Krankenhausaufenthaltes empfohlen, sei eine intensive Psychotherapie notwendig, um ein Psychogeneseverständnis zu erreichen, dysfunktionale Coping-Strategien zu verändern und Ressourcen zu aktivieren. Eine psychosomatisch-psychotherapeutische Rehabilitation in Deutschland scheitere an der Sprachbarriere. Die Psychotherapie müsse in der Muttersprache des Klägers erfolgen, damit sie Erfolg haben könne. Die von der Klinik initiierte Therapie bei einer muttersprachlichen Therapeutin sei dringend erforderlich. Begleitend dazu sei eine sportliche Betätigung in Eigenregie, ggf zunächst angestoßen durch ambulante Physiotherapie, zu empfehlen. Ein Rehabilitationsbedarf für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, Rehabilitationsfähigkeit und eine positive Rehabilitationsprognose ließen sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht ableiten.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2020 als unbegründet zurück. 

Dagegen hat der Kläger am 12.11.2020 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen einvernommen. Die K hat mit Schreiben vom 15.01.2021 über Vorstellungen des Klägers am 29.01.2020, 04.03.2020, 16.10.2020 und 04.12.2020 berichtet. Bei den körperlichen Untersuchungen des Rückens und der Beweglichkeit der Wirbelsäule habe sie eine schwach ausgeprägte Rückenmuskulatur, eine leichte Hyperlordose, einen Druckschmerz im Bereich der Wirbelsäule und eine schmerzbedingt endgradige Bewegungseinschränkung beim Beugen festgestellt. K hat sich der Beurteilung des MDK angeschlossen. Eine intensive psychotherapeutische und parallel dazu physiotherapeutische Behandlung im ambulanten Setting sei sinnvoll.

Die S1 hat mit Schreiben vom 26.02.2021 berichtet, dass der Kläger die Praxis sehr häufig aufsuche. Alle körperlichen Symptome (vorwiegend Kraftlosigkeit, Kältegefühle, diffuse Bauchschmerzen, Meteorismus <Blähbauch>, Brennen im Bauch, selten Rückenschmerzen) habe der Kläger mit großer Sorge und Ängsten um seine Gesundheit vorgebracht. Der Kläger sei nur schwer davon zu überzeugen, dass keine schwerwiegende Erkrankung dahinterstecke. Diverse Untersuchungen (Ultraschall, laborchemische Untersuchung, fachärztliche Abklärungen) hätten keine pathologischen Werte ergeben. Bei dem Kläger bestehe eine eingeschränkte Compliance. Eine Rehabilitationsfähigkeit sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Klägers und seiner Unzuverlässigkeit, sich an Regeln und Termine zu halten, schwierig. Außerdem bestehe eine große Sprachbarriere, die gezielte Anwendung oder Gespräche mit komplexeren Inhalten nicht zulasse. Für die Verbesserung der Situation des Klägers wäre eine Einweisung in eine psychosomatische Klinik sinnvoll, diese sei aber aufgrund der Sprachbarriere des Klägers nicht möglich. S1 hat sich der Beurteilung des MDK angeschlossen.

Der hausärztliche M hat mit Schreiben vom 08.03.2021 mitgeteilt, der Kläger leide unter Verdauungsstörungen, einer depressiven Störung und einer somatoformen autonomen Funktionsstörung. Er sei nicht in der Lage, einer dauerhaft regelmäßigen Tätigkeit nachzugehen.

Der S hat mit Schreiben vom 12.01.2021 einen Auszug aus der Patientenakte vorgelegt. Da neben der - durch die mäßigen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule durchaus verständlichen - Rückenschmerzsymptomatik eine chronische Schmerzerkrankung mit Aggravation der Beschwerden vorliege, sei eine psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme sinnvoll, bei der auch die Rückenproblematik mitbehandelt werden könnte. Dabei müsse allerdings das Sprachproblem gelöst werden, da der Kläger nur schlecht Deutsch spreche und in der Praxis es immer wieder zu Missverständnissen im Gespräch gekommen sei. Im ambulanten Rahmen seien die Probleme des Klägers aufgrund der Sprachbarriere kaum zu lösen. Auf neurochirurgischem und orthopädischem Fachgebiet bestehe keine Indikation für weiterführende invasive Maßnahmen oder gar eine Operation.

Der F hat mit Schreiben vom 16.03.2021 über eine erschwerte Behandlung durch die Sprachbarriere und die geringe Compliance des Klägers berichtet. Bei dem Kläger bestehe eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie Angst und depressive Störung, gemischt. Der Kläger sei fixiert auf körperliche Beschwerden und Ungerechtigkeiten. Die ambulanten Maßnahmen seien noch nicht ausgeschöpft. Eine ambulante Psychotherapie komme in Frage und sei auch dringend indiziert. Allerdings sei hierzu eine muttersprachliche Therapeutin erforderlich. Im Gutachten des MDK werde ein Vorgespräch im Mai 2020 erwähnt. Ihm sei davon nichts bekannt. Aus diesem Grund habe er eine psychosomatische Rehamaßnahme im Februar 2020 verordnet. Aus psychiatrischer Sicht gehe er davon aus, dass ein Großteil der Beschwerden psychischen Ursprungs sei. F hat eine „Verordnung von medizinsicher Rehabilitation“ vom 07.02.2020 vorgelegt, in der der auch auf die Sprachbarriere und das Erfordernis einer muttersprachlichen Therapie in Hindi oder Panjabi hingewiesen wird. Als rehabilitationsbegründende Diagnosen werden dort eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie Angst und Depression, gemischt, genannt. In den Bereichen Lernen und Wissensanwendung, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, häusliches Leben, interpersonelle Aktivitäten, bedeutende Lebensbereiche sowie Gemeinschaftsleben und soziales Leben bestünden Einschränkungen. Als Rehabilitationsziele werden Stabilisierung, Entlastung vom Umfeld, Psychoedukation sowie den Umfang mit Stress genannt.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 05.05.2021 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 20.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2020 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Versicherte hätten nach § 11 Abs 2 Satz 1 SGB V Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig seien, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Reiche eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um die in § 11 Abs 2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen, erbringe die Krankenkasse gemäß § 40 Abs 1 Satz 1 SGB V aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen. Reichten auch ambulante Rehabilitationsleistungen nicht aus, erbringe die Krankenkasse gemäß § 40 Abs 2 Satz 1 SGB V stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer nach § 37 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V bestehe. Die Krankenkasse bestimme gemäß § 40 Abs 3 Satz 1 SGB V nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der stationären Rehabilitation sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des Anspruchs nach Krankenversicherungsrecht werde deutlich, dass die genannten Vorschriften ein Stufenverhältnis der verschiedenen Maßnahmen der Krankenbehandlung vorsähen, welche bereits aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V folge, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssten und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürften. Daraus folge, dass eine stationäre Reha mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung nur dann in Betracht komme, wenn weder eine ambulante Krankenbehandlung, eine ambulante Rehabilitation in einer wohnortnahen Einrichtung noch eine ambulante Rehabilitation in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V bestehe, ausreichend seien.

Der Anspruch auf Rehabilitation setze daneben Behandlungsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit und eine positive Rehabilitationsprognose voraus. Dies werde durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Rehabilitations-Richtlinie) in der Fassung vom 19.12.2019 (BAnz 17.03.2020 B 3) konkretisiert. Nach § 9 Rehabilitations-Richtlinie seien Versicherte rehabilitationsfähig, wenn sie aufgrund ihrer somatischen und psychischen Verfassung die für die Durchführung und Mitwirkung bei der Leistung zur medizinischen Rehabilitation notwendige Belastbarkeit besäßen. Die Rehabilitationsprognose sei gemäß § 10 Rehabilitations-Richtlinie eine medizinisch begründete Wahrscheinlichkeitsaussage für den Erfolg der Leistung zur medizinischen Rehabilitation auf der Basis der Erkrankung oder Behinderung, des bisherigen Verlaufs, des Kompensationspotentials oder der Rückbildungsfähigkeit unter Beachtung und Förderung individueller positiver Kontexfaktoren, insbesondere der Motivation der oder des Versicherten zur Rehabilitation, oder der Möglichkeit der Verminderung negativ wirkender Kontexfaktoren über die Erreichbarkeit eines festgelegten Rehabilitationszieles oder festgelegter Rehabilitationsziele durch eine geeignete Leistung zur medizinischen Rehabilitation in einem notwendigen Zeitraum.

Gemessen an diesen Grundsätzen sei ein Anspruch auf eine stationäre medizinische Rehabilitationsleistung nicht festzustellen. Weder auf orthopädisch-neurochirurgischem Fachgebiet noch auf nervenärztlichem Fachgebiet seien die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten auch nur ansatzweise ausgeschöpft. Für das Jahr 2020 sei nur eine Verordnung über die Krankengymnastik in der Zeit vom 04.03.2020 bis 17.03.2020 abgerechnet. Ein am 16.10.2020 ausgestelltes Rezept für Krankengymnastik sei vom Kläger bislang nicht eingelöst. Die vom F sowie der K dokumentierten Vorstellungstermine wiesen Abstände von zum Teil mehreren Monaten auf. Wesentlich erschwert werde die Behandlung zudem durch die nur geringe Compliance des Klägers in Bezug auf die Einhaltung von vereinbarten Terminen sowie die Einnahme der verordneten Medikation. Ausweislich des Entlassberichts der Uklinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 12.05.2020 sei dem Kläger eine ambulante muttersprachliche Psychotherapie empfohlen und hierzu ein Vorgespräch vereinbart worden. Allein dieser Umstand belege, dass trotz der bestehenden Sprachbarriere auch im ambulanten Rahmen Behandlungsansätze zur Verfügung stünden. Soweit aus den Befundunterlagen erkennbar, sei eine Psychotherapie bislang nicht zustande gekommen. Soweit der behandelnde F die Auffassung vertrete, dass eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme die Grundlage für eine spätere ambulante Psychotherapie legen könne, werde das in § 40 SGB V ausdrücklich normierte Stufen- und Vorrangverhältnis verkannt. Rehabilitative Behandlungssätze könnten ambulant wahrgenommene Therapiemaßnahmen immer nur flankieren bzw ergänzen, hingegen nicht gänzlich oder weitgehend ersetzen. Das Gericht habe große Zweifel, ob der Kläger eine ausreichende Fähigkeit aufweise, sich auf den multimodal ausgerichteten Ansatz einer Rehabilitationsmaßnahme einzulassen. Insbesondere für eine psychodynamische Rehabilitationsleistung dürfte dem Kläger ein ausreichendes Verständnis in die Psychogenese seiner Beschwerden fehlen, was seine starke Fixierung auf die Abklärung vermeintlicher organischer Erkrankungen belege. Das im Entlassbericht vom 12.05.2020 beschriebene Interaktionsmuster mit deutlichen Störungen im Sozialverhalten dürfte zudem mit der mitunter gruppendynamischen Ausgestaltung rehabilitativer Therapieangebote nur schwer in Einklang zu bringen sein. Der Kläger habe sich im psychopathologischen Befund deutlich desorientiert, gedanklich deutlich verlangsamt und ungeordnet mit Verdacht auf deutliche Auffassungsstörungen gezeigt. Weiterhin sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine positive Rehabilitationsprognose zu stellen. Eine solche setze ua voraus, dass das im Rahmen einer Rehabilitation erzielte Behandlungsergebnis nach Abschluss der Maßnahme unter fachkundiger Anleitung und Überwachung nachhaltig gefestigt oder gar ausgebaut werden könne. Ohne eine engmaschig eingerichtete Behandlung im ambulanten Setting sei ein nachhaltiger Rehabilitationserfolg nicht gewährleistet. Vor diesem Hintergrund sei nicht erkennbar, dass der Kläger im gebotenen Umfang von einer Rehabilitationsmaßnahme profitieren könne.

Gegen den seinen Bevollmächtigten am 07.05.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 07.06.2021 beim SG eingelegten Berufung, mit der er unter Verweis auf sein bisheriges Vorbringen sein Begehren weiterverfolgt. Er - der Kläger - sei außerstande, eine ambulante Behandlung durchzustehen. Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen seien medizinisch durchaus sinnvoll und erforderlich.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.05.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2020 zu verurteilen, ihm eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihre Entscheidungen.

Der Berichterstatter hat mit Verfügung vom 09.08.2021 darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage die Berufung keinen Erfolg verspreche, zumal eine stationäre psychosomatische Einrichtung, die eine Therapie in der Muttersprache des Klägers anbiete, nicht bekannt sei, während durch die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie T im Mai 2020 eine muttersprachliche ambulante Psychotherapie angebahnt worden sei.

Der Kläger hat seine Berufung aufrechterhalten. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die nach §§ 143, 151 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gegenstand des Rechtsstreits bildet der Bescheid vom 20.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) und begehrt die Gewährung (ausschließlich) einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 20.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2020 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid die rechtlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch zutreffend dargestellt sowie überzeugend begründet, dass hinsichtlich der chronischen Lumbalgie bei degenerativen Veränderungen sowie der ganz im Vordergrund stehenden psychischen Erkrankung (W: Somatisierungsstörung bei Verdacht auf schizotype Störung; F: anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie Angst und depressive Störung, gemischt) die ambulante Krankenbehandlung nicht ausgeschöpft ist mit der Folge, dass eine (stationäre) Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach § 40 Abs 2 SGB V ausscheidet, und zudem die Rehabilitationsfähigkeit des Klägers sowie eine positive Rehabilitationsprognose äußert zweifelhaft erscheint. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung des Klägers aus der Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs 2 SGG).

Zum Berufungsvorbringen des Klägers, dass nach der Stellungnahme des S er - der Kläger - außerstande sei, eine ambulante Behandlung durchzustehen, und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen medizinisch durchaus sinnvoll und erforderlich seien, weist der Senat darauf hin, dass ganz im Vordergrund die seelische Behinderung des Klägers steht. Die behandelnden Ärzte K, W, S1 und  haben eindrücklich beschrieben, dass die vom Kläger geltend gemachten somatischen Beschwerden im Wesentlichen psychisch überlagert sind. K hat in ihrer sachverständigen Stellungnahme nur von mäßigen Funktionseinschränkungen von Seiten der Wirbelsäule berichtet, nämlich von einer schwach ausgeprägten Rückenmuskulatur, einer leichten Hyperlordose, einem Druckschmerz im Bereich der Wirbelsäule und einer schmerzbedingt endgradigen Bewegungseinschränkung beim Beugen. Sie hat primär eine psychotherapeutische Behandlung (im ambulanten Setting) für erforderlich angesehen. S1 und der F haben die psychische Erkrankung des Klägers als maßgeblich beschrieben. Der S hat eingeräumt, dass hinsichtlich der Rückenschmerzsymptomatik eine Aggravation der Beschwerden vorliegt und der Behandlungsschwerpunkt auf psychosomatischem bzw psychiatrischem Fachgebiet liegt. Auf diesem Fachgebiet ist aber eine ambulante Behandlung möglich und nicht ausgeschöpft, mithin eine stationäre medizinische Rehabilitation gerade nicht erforderlich. Dies entnimmt der Senat dem schlüssigen Gutachten des MDK vom 19.06.2020 sowie den sachverständigen Äußerungen der Kund S1, die sich der Beurteilung des MDK ausdrücklich angeschlossen haben. Auch der F hat ausdrücklich bestätigt, dass die ambulanten Maßnahmen noch nicht ausgeschöpft sind sowie eine ambulante Psychotherapie dringend indiziert ist. Er hat eine stationäre Rehabilitation nur deshalb empfohlen, weil ihm eine ambulante muttersprachliche Therapie mangels Angebot nicht möglich erschien. Dabei war ihm nicht bekannt, dass im Rahmen der akutstationären Behandlung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie T die Einleitung einer muttersprachlichen Therapie gerade angebahnt worden ist. Auch hat der dortige stationäre Aufenthalt eindrücklich gezeigt, dass ein stationärer Aufenthalt nur bei Überwindung der durchgehend beschriebenen Sprachbarriere sinnvoll erscheint. Eine stationäre Rehabilitationseinrichtung, die Therapieangebote in der Muttersprache des Klägers (Hindi oder Panjabi) zur Verfügung stellt, ist dem Senat nicht bekannt. Eine solche wurde auch weder vom Kläger noch von den Ärzten F und S benannt. Auch auf den Hinweis in der Verfügung des Senats vom 09.08.2021 hat der Kläger nicht reagiert und keine psychosomatische Einrichtung mit Behandlungsangeboten in Hindi oder Panjabi genannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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