L 6 SB 1242/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 2880/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1242/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Berufungsverfahren noch die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 40.

Er ist 1961 geboren, hat nach der Fachschule eine Berufsausbildung zum Former abgeschlossen und von 1985 bis 1987 die Technikerschule besucht. Bis 2010 arbeitete er als Gießereitechniker, ist derzeit in der Endkontrolle von Teilen tätig. Er ist seit 1988 verheiratet und hat zwei volljährige Kinder. Von seiner Ehefrau lebt er zwischenzeitlich getrennt und bewohnt alleine das Eigenheim mit Garten, das er selbst versorgt.

Am 14. November 2011 beantragte er bei dem Landratsamt O (LRA) erstmals die Feststellung des GdB und machte eine schizoaffektive Störung sowie einen Bandscheibenvorfall geltend. Das LRA zog den Entlassungsbericht des Klinikum S über die – wiederholte – stationäre Behandlung des Klägers vom 27. Oktober 2011 bis 13. Januar 2012 bei. Nach vorbestehender Alkoholabhängigkeit bestehe sei Januar 2011 Abstinenz. Die stationäre Einweisung sei wegen einer depressiven Symptomatik mit im Vordergrund stehender innerer Unruhe und Antriebsminderung erfolgt. Die ambulante Medikation sei fortgeführt worden, anfangs sei zusätzlich Tavor gegeben, aber im Verlauf ausgeschlichen worden. Zyprexa habe man bei fehlender psychotischer Symptomatik ebenfalls abgesetzt. Der Kläger habe immer wieder panikartige Ängste beschrieben, die Antriebsminderung habe weiterhin vordergründig bestanden.

Die P sah für die seelische Krankheit einen GdB von 50, den das LRA mit Bescheid vom 29. März 2012 seit dem 14. November 2011 feststellte.

Im Februar 2014 leitete das LRA eine Nachprüfung von Amts wegen ein und zog den Befundbericht des Klinikums S vom 26. Mai 2014 bei. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger mit seiner Frau und zwei Töchtern im eigenen Haus wohne. Früher sei er selbstständig gewesen und arbeite gegenwärtig angestellt. Er sei wach, bewusstseinsklar und in allen Qualitäten orientiert mit unauffälligem äußeren Erscheinungsbild. Im Kontakt sei er freundlich zugewandt, psychomotorisch ruhig. Der Antrieb sei reduziert mit Anhalt für Auffassungs-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Die Schwingungsfähigkeit zeige sich eingeschränkt bei geordneten formalen Denkabläufen.

Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme der N (Stabilisierung im Gesundheitszustand eingetreten, seit 2012 keine stationären Behandlungen mehr) und Anhörung des Klägers (§ 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) hob das LRA mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 den Bescheid vom 29. März 2012 auf und stellte einen GdB von 30 seit dem 16. Oktober 2014 fest.

Am 22. Dezember 2016 beantragte der Kläger die Neufeststellung des GdB. Das LRA zog den Entlassungsbericht der A Klinik für Psychosomatik B über die stationäre Behandlung vom 10. März bis 21. April 2016 bei, in dem eine bipolare affektive Störung mit gegenwärtig leichter oder mittelgradiger depressiver Episode, eine Adipositas Grad II und Rückenschmerzen benannt wurden. Es bestehe ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Gegen Ende der Therapie habe sich eine gute Stimmungsstabilität sowie eine Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit mit einer gewissen Zunahme des Selbstvertrauens gezeigt. Die Linderung der Rückenschmerzen und die nebenwirkungslose Dosisanpassung der Medikation habe Mut und Zuversicht gegeben, zu Hause die Leistungsfähigkeit aufrecht erhalten zu können. Er habe sich gut psychophysisch stabilisieren können und sei bei Entlassung affektstabil, geordnet und zuversichtlich gewesen. Die Behandlung habe zu einer Reduktion der depressiven Beschwerden geführt.

Weiter holte das LRA den Befundschein des A1, Z Klinikum W, ein, der die Diagnose einer bipolaren affektiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome benannte. Beim letzten Kontakt im Dezember 2016 habe der Kläger berichtet, dass er bereits nach dem Wiedereinstieg in den Beruf 2010 nicht in der Lage gewesen sei, ihm übertragene Tätigkeiten zu bewältigen und deshalb von seinen Kollegen kritisiert worden sei. Schon 2010 hätten sich die Beeinträchtigungen durch Übernahme neuer Aufgaben abgezeichnet, dies führe zu seiner Unzufriedenheit, inneren Anspannung und Angst vor erneuter Erkrankung. Psychopathologisch sei er wach und orientiert gewesen, im Kontakt leicht dysphorisch, angespannt und psychomotorisch verlangsamt. Der Gedankengang sei zeitweise mit Grübelgedanken und Insuffizienzgefühlen gehemmt. Der GdB betrage mindestens 50.

Z hielt versorgungsärztlich an der bisherigen Einschätzung fest. Die bisher anerkannten Funktionseinbußen seien ausreichend hoch bewertet. Eine messbare Verschlechterung finde sich nicht. Die seelische Erkrankung sei vorübergehend durch eine depressive Störung verschlimmert gewesen. Durch die psychotherapeutische Behandlung habe wieder eine Stabilisierung erreicht werden können.

Mit Bescheid vom 1. März 2017 lehnte das LRA den Neufeststellungsantrag ab, da keine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen vorliege.

Im Widerspruchsverfahren holte das LRA einen weiteren Befundschein des A1 ein. Nach der Anamnese sowie dem Verlauf der bisherigen stationären und ambulanten Behandlungen liege eine bipolare Störung vor. Gegenwärtig bahne sich eine hypomanische Episode an. Der Kläger könne nur die depressiven Phasen als Ausdruck seiner Erkrankung akzeptieren, die Symptome der bisherigen manischen respektive hypomanischen Phasen würden nicht als Ausdruck der bipolaren Störung erachtet, sondern als „überbewertet“, teilweise „übertriebene“ Einschätzung seiner Ehefrau bezeichnet. Im Vergleich zu Januar 2017 sei eine Teilremission der depressiven Symptomatik erkennbar, jedoch weise der aktuelle psychopathologische Befund auf eine beginnende hypomanische Phase hin. Der Kläger sei zur Zeit mit einer medikamentösen Prophylaxe nicht einverstanden.

Nachdem die P keine ändernden Aspekte sah, da schon eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit anerkannt sei, wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2017 zurück. Über den GdB sei letztmals mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 entschieden worden. In den Verhältnissen, die diesem Bescheid zu Grunde lagen, sei eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Wie die Auswertung der vorliegenden Befundunterlagen gezeigt habe, lasse sich eine Verschlimmerung, die eine Erhöhung des GdB rechtfertige, nicht feststellen.

Am 20. September 2017 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte eingeholt hat.

Der V hat seit Jahren bestehende chronisch rezidivierende Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Ausstrahlung in das rechte Bein beschrieben. Seit Sommer 2017 bestehe eine deutliche Fußsenkerschwäche rechts. In der Kernspintomographie (MRT) der LWS zeige sich eine vorbestehende deutliche Degeneratose L2 bis S1. Im Segment L4/L5 bestehe ein manifester Bandscheibenvorfall. Ergänzend hat er den MRT-Befund vom 16. Oktober 2017 vorgelegt.

Der A1 hat bekundet, dass der Kläger beim Erstkontakt im Oktober 2016 angegeben habe, dass seit sechs Monaten keine Panikattacken mehr aufgetreten seien. Seit 2012 seien zwei manische Phasen und schwere depressive Episoden mit Suizidalität aufgetreten. Im November 2017 habe er über einen Schwankschwindel mit Fallneigung nach rechts geklagt. Er habe Angst, umzufallen. Aufgrund der Angst könne er nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, seine Konzentration und Merkfähigkeit seien beeinträchtigt. Beim letzten Kontakt sei eine Verschlechterung im affektiven Bereich erkennbar gewesen. Die Stimmung sei gedrückt, psychomotorisch sei er verlangsamt. Eine notfallmäßige Hals-Nasen-Ohrenärztliche (HNO) Untersuchung und eine MRT hätten keine pathologischen Befunde gezeigt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handele es sich um einen Angstzustand. Die bipolare affektive Störung sei als mittelschwer bis schwer ausgeprägt zu bezeichnen.

Der S1 hat beschrieben, dass nur eine einmalige Untersuchung erfolgt sei und sich der Kläger nicht zu einer Nachuntersuchung vorgestellt habe. Ob chronische Beschwerden bestünden, könne er daher nicht beurteilen.

G hat versorgungsärztlich den Bandscheibenschaden mit einem Teil-GdB von 20 bewertet. Die psychiatrischen Verlaufsberichte seit November 2017 sollten beigezogen werden. Diese sind von dem A1 sodann vorgelegt worden.

Der Beklagte unterbreitete ein Vergleichsangebot auf Feststellung eines GdB von 40 seit dem 1. Juli 2017 unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des W1. Danach seien keine aktuellen, sondern zum Teil erheblich veraltete psychiatrische Befundberichte vorgelegt worden. Ein höherer Teil-GdB als 30 ergebe sich hieraus nicht. Der Teil-GdB für den Bandscheibenschaden könne auf 20 erhöht werden, an der Einschätzung ändere sich durch den Befundbericht des V (Achillessehenriss) nichts. Aus den HNO-Befunden ergebe sich kein messbarer GdB.

Das Vergleichsangebot hat der Kläger abgelehnt, nachdem die Wirbelsäulenbeschwerden als schwer einzustufen und das Gehvermögen nicht unerheblich eingeschränkt seien.

Daraufhin hat das SG das orthopädische Sachverständigengutachten des K nach ambulanter Untersuchung vom 12. Dezember 2018 erhoben. Diesem gegenüber hat der Kläger angegeben, dass er Schmerzen im Rücken habe, die in beide Beine ausstrahlten. Er könne gut gehen, das Gehvermögen sei nicht eingeschränkt. Er könne Autofahren, den öffentlichen Nahverkehr nutzen und leide sehr an seinen Depressionen. Das Gangbild auf ebener Erde wirke unauffällig, die in den Akten vermerkte Fußsenkerparese habe sich nicht nachweisen lassen. Einbeinige Gangvariationen seien demonstrierbar gewesen, ein sensomotorisches Defizit habe nicht bestanden. Das Zeichen nach Ott habe 30:31 cm betragen, das Zeichen nach Schober 10:13,5 cm. Es bestehe eine mehrsegmentale Verschleißerkrankung der LWS mit Einengung des Wirbelkanals zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper und Kraftminderung für die Fußsenkung des rechten Beines mit entsprechender Einschränkung der Gehstrecke und Belastbarkeit. Daneben liege eine chronische Entzündung der linken Achillessehne mit Funktions- und Belastungsminderung vor. Aufgrund der Spinalkanalstenose sei das degenerative Wirbelsäulenleiden als sehr schwer einzustufen und mit einem GdB von 40 v. H. zu bewerten. Zusammen mit der seelischen Erkrankung (Teil-GdB 30) betrage der Gesamt-GdB 50. Ein Teil-GdB von 20 werde dem Wirbelsäulenleiden nicht gerecht. Es bestehe nicht eine schlichte degenerative Wirbelsäulenerkrankung, sondern ebenso eine relevante Claudicatio-Symptomatik bei deutlicher Einengung des Wirbelsäulenkanals mit bereits vorliegender und manifester neurologischer Störung der rechten Extremität und entsprechenden Einschränkungen. Ein GdB von 40 sei auch bei überwiegender Beteiligung von nur einem Wirbelsäulenabschnitt, jedoch mit Nervenkompressionserscheinung, gerechtfertigt.

W1 hat versorgungsärztlich eingewandt, dass sich allenfalls eine endgradige Funktionsminderung der Halswirbelsäule (HWS) und eine maximal mittelgradige Funktionsminderung der Rumpfwirbelsäule, welche als Funktionseinheit von Brustwirbelsäule (BWS) und LWS zu sehen sei, ergebe. Das Lasègue-Zeichen werde als negativ angegeben, was akute Nervenwurzelreizerscheinungen von Seiten des LWS ausschließe. Eine radikuläre Symptomatik bestehe nach dem Sachverständigengutachten nicht, eine eindeutige Parese der Beine habe nicht festgestellt werden können. Weiter werde eine Claudicatio-Symptomatik (intermittierendes Hinken) in die Bewertung einbezogen, die wohl nur aus dem MRT-Befund abgeleitet werde. Auf solche rein bildgebenden Befunde komme es indessen nicht an. Der Kläger selbst habe angegeben, dass er gut gehen könne und seine Gehfähigkeit nicht eingeschränkt sei.

K hat ergänzend gehört eingeräumt, dass sich ein Gesamt-GdB von 50 allein aus der Bildgebung nicht rechtfertige. Es bestehe eine deutliche Spinalkanalstenose, die Gehfähigkeit sei jedoch noch nicht in relevantem Umfang eingeschränkt. Dennoch sei eine Kraftminderung gegeben, die sich funktionell beim Treppensteigen auswirke. Der Teil-GdB für das Wirbelsäulenleiden sei auf 30 zu erhöhen und der Gesamt-GdB daher mit nur 40 anzunehmen.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27. Februar 2020 hat das SG den Bescheid vom 1. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2017 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, einen Grad der Behinderung von 40 seit dem 12. Dezember 2018 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ sei ein Teil-GdB von 30 anzunehmen. Zwar sei davon auszugehen, dass es Ende 2016/Anfang 2017 zu erneuten depressiven und hypomahnen Phasen gekommen sei, es seien aber keine stationären oder teilstationären Aufenthalte zu verzeichnen. Der Kläger habe vielmehr seinen Beruf fortführen und sein familiäres Leben aufrecht erhalten können. Im Funktionssystem „Rumpf“ sei ab dem 12. Dezember 2018 ein Teil-GdB von 20 anzunehmen, der die Erhöhung des Gesamt-GdB ab diesem Zeitpunkt rechtfertige. Der Kläger leide an einer Verschleißerkrankung der LWS mit Einengung des Wirbelkanals. Es bestünden aber nur mittelgradige Funktionsbehinderungen und keine radikuläre Symptomatik. Zwar gebe er eine Kraftminderung an, während der Untersuchung sei eine Fußheberparese aber nicht nachweisbar und dem Kläger die Durchführung aller Gangvaria möglich gewesen. Nach seinen eigenen Angaben sei die Gehfähigkeit nicht eingeschränkt, die bildgebend nachgewiesene Spinalkanalstenose begründe bei Fehlen entsprechender klinischer Befunde keinen höheren GdB. Die Entzündung der Achillessehne ohne Auswirkungen auf die Gehfähigkeit bedinge keinen Teil-GdB im Funktionssystem „Beine“. Der geltend gemachte Schwindel sei als dauerhafte Gesundheitsstörung nicht nachgewiesen, ein pathologischer Befund nicht gesichert worden. Der Gesamt-GdB sei auf 40 aufgrund der Verschlechterung im Funktionssystem „Rumpf“ zu erhöhen.

Am 17. April 2020 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Der Sachverständige K habe neben der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung eine Verminderung der Gehfähigkeit sowie eine Kraftminderung im rechten Bein beschrieben und die Erkrankung als sehr schwer beschrieben. Seine Reduzierung des Einzel-GdB auf 30 sei nicht nachvollziehbar. Entgegen der Ausführungen des Sachverständigen sei von einer eingeschränkten Gehfähigkeit auszugehen. Die Wirbelsäulenproblematik habe sich weiter verschlimmert.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27. Februar 2020 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, unter weiterer Abänderung des Bescheides vom 1. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2017 sowie unter weiterer Aufhebung des Bescheides vom 13. Oktober 2014, einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 12. Dezember 2018 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.

Zur weiteren Sachaufklärung hat der Senat die sachverständige Zeugenauskunft des Orthopäden V erhoben, der auf deutliche Schmerzen im Bereich der LWS mit Parästhesien der Großzehen und einer Schwäche des Fußsenkers rechts verwiesen sowie den Bericht über die MRT vom 6. Februar 2020 (breitbasige Protusion L3/L4 deutlich progredient gegenüber 2017 mit hochgradiger Spinalkanalstenose in diesem Segment, ansonsten kein signifikanter Befundwandel) vorgelegt hat.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat das chirurgische Sachverständigengutachten des S2 mit neurologisch-psychiatrischem Zusatzgutachten des L und radiologischem Zusatzgutachten des P1 jeweils aufgrund ambulanter Untersuchung vom 6. April 2021 erhoben.

L hat dargelegt, dass der Kläger keine Medikamente einnehme. Eine bipolare Störung habe 2011 beinahe ein Jahr zur stationären Maßnahme geführt, auch zur tagesklinischen Behandlung, dies sei zuletzt 2017/2018 der Fall gewesen. Als sehr belastend sei die Sorge um die Schwiegereltern bis 2018 gewesen, seit vier Wochen sei er getrennt und lebe allein im eigenen Haus mit Garten. Er stehe morgens auf, mache sich ab 6:15 Uhr auf den Weg zu Arbeit und habe um 15:15 Uhr Feierabend. Dann begebe er sich auf den Nachhauseweg, kümmere sich um seinen Haushalt, gehe einkaufen, schaue nach dem Garten oder sitze am Abend vor dem Fernseher. Neurologisch habe eine 3-4/5 Fußsenkerparese und eine 4/5 Fußheberschwäche bestanden. Darüber hinaus lägen keine Paresen vor, insbesondere keine durch zentrale oder periphere Störungen zu erklärenden Auffälligkeiten. Das Stehen und Gehen im Untersuchungszimmer sei jeweils frei gewesen. Es seien glaubhaft belastungs- und haltungsabhängig ausstrahlende Beschwerden und Schwäche an den unteren Extremitäten im Kontext der bekannten hochgradigen lumbalen Spinalstenose festzustellen, ein Lasègue habe sich nicht gefunden. Die Sensibilitätsprüfung habe abgesehen von einem sensiblen Defizit L5 und S1 rechts weder an den unteren noch an den oberen Extremitäten eine Gefühlsstörung ergeben, Ausfälle im Versorgungsgebiet peripherer Nerven lägen nicht vor. Hirnorganisch, soweit im Zuge einer klinischen Untersuchung beurteilbar, sei der Status unauffällig. Der Kläger sei wach, bewusstseinsklar und voll orientiert. Umschriebene Hirnwerkzeugstörungen lägen nicht vor, das Auffassungsvermögen sei ebenso wie die Umstellungsfähigkeit regelrecht. Psychiatrisch sei er offen, freundlich zugewandt und kooperationsbereit gewesen. Sämtliche Fragen habe er prompt und ohne Umschweife beantwortet, wenn auch bei bestimmten Themen mit erkennbarer emotionaler Belastung. Die Stimmung sei leicht bis mittelschwer depressiv ausgelenkt, affektiv bestehe eine eingeschränkte Schwingungsfähigkeit. Die Psychomotorik sei gebunden, der Antrieb eingeschränkt. Das formale Denken zeige Hemmungen, das inhaltliche sei regelrecht. Depressionstypische Schlafstörungen würden vorgebracht. Aktuell sei von einer leichtgradig ausgeprägten depressiven Episode ohne die Notwendigkeit einer Medikation im Rahmen einer bipolaren Störung auszugehen. Da keine Medikation eingenommen werden, sei ein Rezidiv einer wohl manischen als auch depressiven Störung sehr wahrscheinlich. Trotz des gegenwärtigen Befundes sei mit Blick auf die vergangenen Jahre von einer stärker behindernden Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen (Teil-GdB 30). Die hochgradige lumbale Spinalstenose mache belastungs- und haltungsabhängige Beschwerden nachvollziehbar. Eine spinale Weite von 5 mm sagittal sei als eine extrem ausgeprägte spinale Enge anzusehen. Dass lediglich eine 3-4/5 Parese der von S1 versorgten Muskulatur und eine 4/5 Parese der von L5 versorgten Muskulatur bestehe, sei als glücklicher Umstand zu werten.

P1 hat beschrieben, dass die MRT der LWS vom 6. April 2021 eine regelrechte Lordosierung de LWS mit mäßigen multisegmentalten Osteochondrosen und Spondylosen der unteren vier lumbalen Segmente, teilweise mit minimaler erosive Komponente ergeben habe. Bei L2/3 zeige sich unverändert eine kräftige Protrusion und beginnende Spondylarthrose sowie eine epidurale Lipomatose mit einer weitgehend konstanten absoluten Spinalstenose und Reduktion des ap-Spinalkanaldurchmesser auf circa 8 mm. Unverändert sei die dadurch bedingte mäßige Caudakompression. Im Vergleich zur Voruntersuchung von Februar 2020 habe die Protrusion bei L3/4 tendenziell wieder etwas abgenommen und der Liquorraum um die Caudafasern lasse sich wieder etwas besser abgrenzen. Eine signifikante Caudakompression liege nicht mehr vor, die bilateralen Recessus lateralis und Neuroforamina seien etwas eingeengt mit potentieller radikulärer Irritation L3/L4 beidseits. Unverändert bestehe eine flache Protrusion sowie Spondylarthrose L4/5 mit einer bilateralen Recessus- und auch Foramenstenose sowie potentieller Irritation L4/5 beidseits. Bei L5/S1 lägen eine aktivierte linksbetonte Spondylarthrose und geringgradige Protrusion ohne relevanten Wurzelkontakt vor. Im gesamten Verlauf zeige sich eine weitgehend unveränderte Darstellung mäßiger Osteochondrosen und Spondylosen mit zum Teil leichter erosiver Komponente in den unteren vier lumbalen Segmenten. In allen drei Untersuchungen bestehe weitgehend eine identische absolute Spinalstenose im Segment L2/3 aufgrund einer zirkulären Protrusion, epiduraler Lipomatose und mäßiger Spondylarthrose, sodass jeweils konstant eine mäßige Caudakompression in diesem Segment nachweisbar sei. Bei L3/4 zeige sich zunächst nur eine relative spinale Enge aus den oben genannten Gründen, in der Verlaufsuntersuchung von Februar 2020 dann jedoch eine Zunahme der Protrusion und absoluten Spinalstenose mit damals mäßiger Caudakompression. In der aktuellen MRT habe die Protrusion bei L3/4 etwas abgenommen, mit jetzt wieder besser entfaltetem Liquorraum um die Cauda equina sowie lediglich noch potentieller radikulärer Irritation L3/4 beidseits in den etwas eingeengten Laterales und Neuroforamina. Im Verlauf weitgehend unverändert bestünden eine flache Protrusion und mäßige Spondylarthrose bei L4/5 bei bilateralen Recessus- und Foramenstenosen sowie potentieller radikulärer Irritation. Ebenfalls weitgehend unverändert sei die aktivierte linksbetonte Spondylarthrose bei L5/S1 bei nur flacher Bandscheibenprotrusion ohne relevanten Wurzelkontakt. Am linken Knie bestünden niedriggradige Chondropathien mit geringem Reizerguss, rechts eine dritt- bis viertgradige retropatellare Chondropathie mit leichtem Reizerguss.

S2 hat ausgeführt, dass das Auskleiden ohne fremde Hilfe im Stehen mit Abstützen einer Hand erfolgt sei. Der Gang auf ebener Erde mit Konfektionsschuhen sei nicht hinkend gewesen, der Beckengürtel ohne Auffälligkeiten mit Beckengeradstand. Die Beinachsen seien gerade und die unteren Gliedmaßen seitengleich geformt. Es habe sich keine Verminderung der Oberschenkelmuskulatur rechts im Seitenvergleich und keine auffällige Schwellung im Bereich beider Kniegelenke gezeigt. Die Beschwielung der Fußgewölbe sei normal, das Fußgewölbe im Zehenstand erhalten. Beidseits habe sich kein tastbarer intraartikulärer Kniegelenkserguss gezeigt. Es bestehe eine Fußsenkerparese und eine Fußheberschwäche, die unteren Sprunggelenke und die Beweglichkeit der Zehen seien normal und ohne Einschränkungen. Der rechte Fuß werde jedoch nach außen gestellt. Dies könne als eine willentliche Reaktion auf eine motorische Einschränkung der Fußhebung rechts gedeutet werden. Der Fersengang links sei unauffällig, rechts weniger kraftvoll mit verringertem Abstand der Fußspitzen im Seitenvergleich. Der Zehenspitzenstand/-gang sei rechts unsicher und unbeholfener als links. Die Beweglichkeit der HWS sei bis auf eine eingeschränkte Seitneigung nach links normal. Bei der der Untersuchung von BWS/LWS seien ziehende Beschwerden angegeben worden, die paravertebrale Muskulatur sei im Tonus deutlich erhöht, ohne dass umschrieben Muskelverhärtungen nachweisbar seien. Der Finger-Boden-Abstand habe 8 cm betragen, die Messstrecken nach Ott und Schober seien verringert. Es bestünden geringe degenerative Veränderung am linken Kniegelenk, mittelgradige degenerative Veränderungen des rechten Kniegelenks und deutliche degenerative Veränderungen der LWS. Eine massive Schwellneigung und eine stärkere und schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Kniegelenke seien nicht nachweisbar. Unter Berücksichtigung des detaillierten MRT-Befundes (vgl. Zusatzgutachten des P1) und der neurologischen Einschätzung (vgl. Zusatzgutachten des L) mit über anhaltende Wurzelreizerscheinungen hinausgehenden Beschwerden erscheine ein GdB von 40 berechtigt und befundgerecht. Unter Einbeziehung der fachfremden Gesundheitsstörung „bipolare Störung mit dominierend depressiven Episoden“ liege der Gesamt-GdB bei 50. K habe den Teil-GdB noch zutreffend mit 30 eingeschätzt, da das Gangbild unauffällig gewesen sei und sich bei unauffälligen Gangvariationen kein sensomotorisches Defizit habe nachweisen lassen.

Der Beklagte ist dem Sachverständigengutachten unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des H entgegengetreten. Die in den beiden orthopädischen Sachverständigengutachten erhobenen Befunde seien im Wesentlichen übereinstimmend. Diagnostisch liege eine hochgradige lumbale Spinalstenose vor. Die Hauptsymptomatik bestehe in belastungs- und haltungsunabhängig ausstrahlenden Beschwerden mit einhergehender 3-4/5 Fußsenkerparese sowie 4/5-Fußheberparese. Das Gangbild werde mit Schuhwerk und barfuß auf ebenem Untergrund als nicht hinkend dargestellt. Die erschwerten Gangproben seien rechts unsicherer und weniger kraftvoll, aber durchführbar. Der Wirbelsäulenschaden sei als schwer in einem Wirbelsäulenabschnitt zu bewerten, wobei sich die Bewertung in erster Linie durch die Fußheber- und senkerschwäche rechts begründe. Die Beweglichkeit der LWS zeige nur geringe Einschränkungen. So führe S2 aus, dass Schmerzmittel nur unregelmäßig alle paar Monate eingenommen würden. Eine ärztliche Behandlung wegen der Schmerzen finde nicht statt, die letzte krankengymnastische Behandlung sei letztmals im Oktober 2020 erfolgt. Die Funktionseinschränkung der rechten unteren Extremität sei also bereits als schwere funktionelle Auswirkung der Wirbelsäulenerkrankung (Spinalkanalstenose) berücksichtigt und könne nicht doppelt bewertet werden. Ein Teil-GdB von 40 komme nicht in Betracht.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 27. Februar 2020 mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen den Bescheid vom 1. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 23. August 2017, soweit ein GdB von mehr als 40 ab dem 12. Dezember 2018 beansprucht wurde, abgewiesen worden ist. Soweit das SG die Klage bezüglich des davorliegenden Zeitraums abgewiesen ist, hat der Kläger hiergegen keine Berufung erhoben, wie sich aus seinem Berufungsantrag deutlich ergibt, sodass das Urteil insoweit rechtskräftig geworden ist. Der Beklagte hat seinerseits keine Berufung oder Anschlussberufung erhoben, sodass die Verpflichtung zur Feststellung eines GdB von 40 seit dem 12. Dezember 2018 ebenfalls rechtskräftig ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage im noch streitigen Umfang. Der Bescheid vom 1. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2017 ist im noch streitgegenständlichen Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das SG hat den Beklagten zu Recht nur zur Feststellung eines GdB von 40 verurteilt. Ein höherer GdB ist nicht gegeben, insbesondere rechtfertigt sich ein solcher nicht aus dem im Berufungsverfahren nach § 109 SGG erhobenen Sachverständigengutachten des S2 nebst neurologischem und radiologischem Zusatzgutachten. Hierdurch konnte keine so wesentliche Verschlechterung des Befundes objektiviert werden, die eine andere Beurteilung des Gesamt-GdB rechtfertigt.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand ist auszugehen, wenn diese einen um wenigsten 10 veränderten Gesamt-GdB rechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise – aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich des maßgeblichen Vergleichsbescheides vom 13. Oktober 2014 nur insofern vor, als der GdB seit dem 12. Dezember 2018 auf 40 zu erhöhen gewesen ist, wie vom SG im Einzelnen dargelegt. Eine darüberhinausgehende Erhöhung kann der Kläger nicht beanspruchen.

Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Soweit der Antrag sich auf den Zeitraum vor dem 1. Januar 2018 bezieht, richtet sich der Anspruch nach den in diesem Zeitraum geltenden gesetzlichen Vorgaben (vgl. §§ 69 SGB IX ff. a. F.), nach denen ebenso für die Bewertung des GdB die VersMedV und die VG die maßgebenden Beurteilungsgrundlagen waren.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Gesamt-GdB nicht mit mehr als 40 zu bewerten ist.

Die vorwiegenden Beeinträchtigungen des Klägers liegen im Funktionssystem „Rumpf“, zu dem auch die Wirbelsäule zu rechnen und dass mit einem Teil-GdB von maximal 30 zu beurteilen ist. Die anderweitige Einschätzung des Sachverständigen S2 berücksichtigt die Vorgaben der VG nicht hinreichend, sodass dieser nicht gefolgt werden kann.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung und Minderbelastbarkeit) sowie die Mitbeteiligung anderer Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu werten (vgl. VG, Teil A, Nr. 2 j). Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenerativen Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteochondrose) sind auch Gelenkschwellungen, muskuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen. Mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der Wirbelsäule (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation, Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen. Bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten sind unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben der strukturellen und funktionellen Einbuße die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 ergibt sich der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem so genannten „Postdiskotomiesyndrom“) primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. So genannte „Wirbelsäulensyndrome“ (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Für die Bewertung von chronisch-rezidivierenden Bandscheibensyndromen sind aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum von besonderer Bedeutung. Im beschwerdefreien Intervall können die objektiven Untersuchungsbefunde nur gering ausgeprägt sein.

Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität haben einen GdB von 0 zur Folge. Gehen diese mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz-dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einher, ist ein GdB von 10 gerechtfertigt. Ein GdB von 20 ist bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) vorgesehen. Liegen schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein Teil-GdB von 30 angemessen. Ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 ist bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorgesehen. Besonders schwere Auswirkungen (etwa Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) eröffnen einen GdB-Rahmen von 50 bis 70. Schließlich ist bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB-Rahmen zwischen 80 und 100 vorgesehen. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen – oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose – sowie Auswirkungen auf die inneren Organe (etwa Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen (z. B. Postdiskotomiesyndrom) ein GdB über 30 in Betracht kommen.

Bei dem Kläger besteht eine mehrsegmentale Verschleißerkrankung der Lendenwirbelsäule mit Einengung des Wirbelkanals zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper, wie der Senat dem Sachverständigengutachten des K entnimmt. Bedingt hierdurch kommt es indessen zu keiner schwerwiegenden Bewegungseinschränkung, vielmehr hat der Sachverständige das Zeichen nach Schober mit 10:13,5 cm (Norm: 10:15 cm) bestimmt, sodass keine wenigstens hälftige Einschränkung der Beweglichkeit vorliegt. Der FBA lag bei 5 cm und lässt daher ebenfalls keine relevante Limitierung der Beweglichkeit erkennen, worauf das SG bereits zutreffend hingewiesen hat. Im Bereich der HWS zeigt sich lediglich in der Vorneigung eine Einschränkung auf 30° (Norm: 40 bis 50°), ansonsten liegen nur endgradige Bewegungseinschränkungen vor, die nur leichte Funktionseinschränkungen ergeben. Ebenso ergeben sich mit einem Zeichen nach Ott von 30:31 cm keine schwergradigen Funktionseinschränkungen an der BWS.

Zu Unrecht schließt K aus der radiologisch gesicherten Spinalkanalstenose alleine auf eine schwergradige Funktionseinschränkung und berücksichtigt nicht, dass nach den Vorgaben der VG der radiologische Befund alleine nicht zur Einschätzung heranzuziehen ist, sondern dieser letztlich nur der Plausibilisierung des klinischen Befundes dient. Für den Senat überzeugend hat W1 ausgeführt, dass die klinische Untersuchung ein negatives Lasèque-Zeichen ergeben hat, was akute Nervenwurzelreizerscheinungen ausschließt. Das vom Kläger behauptete eingeschränkte Gehvermögen hat sich nicht objektivieren lassen, nachdem das Gangbild als unauffällig beschrieben worden ist und die Gangvariationen möglich waren. K hat in seiner ergänzenden Stellungnahme eingeräumt, dass seine Beurteilung vorwiegend auf der Bildgebung beruhte und der – berechtigten – Kritik des W1 folgend seine Bewertung korrigiert. Abgesehen davon, dass es auf die GdB-Einschätzung des Sachverständigen nicht ankommt, da es sich um eine rechtliche Frage handelt, ist die Korrektur durch K, anders als der Kläger meint, hinreichend begründet und in der Sache gerechtfertigt.

Aus den nach § 109 SGG erhobenen Sachverständigengutachten ergibt sich nichts anderes, da die behauptete weitere Verschlechterung des Wirbelsäulenbefundes durch diese gerade nicht objektiviert werden konnte. Dies hat H für den Senat überzeugend dargelegt, indem er auf die im Wesentlichen identischen Funktionsbefunde verwiesen hat.

In radiologischer Hinsicht konnte P1 keine relevante Verschlechterung gegenüber den Voraufnahmen bestätigen, sondern hat einen im wesentlichen gleichbleibenden Befund beschrieben. Hinsichtlich der Spinalkanalstenose weist er sogar auf eine leichte Besserung hin, nachdem er die Spinalkanalweite nunmehr mit 8 mm statt zuvor 5 mm bestimmen konnte.

Der Neurologe L hat ein Lasèque-Zeichen weiterhin verneint und damit den von K erhobenen Befund bestätigt. In dem er weiter ausführt, dass es als glücklicher Umstand zu werten sei, dass sich lediglich eine 3-4/5 Parese der von S1 versorgten Muskulatur und eine 4/5 Parese der von L5 versorgten Muskulatur zeigt, wird deutlich, dass auch er, wie zuvor K, davon ausgeht, dass der radiologische Befund zu weitreichenderen klinischen Ausfälle führen müsste, solche tatsächlich aber nicht eingetreten sind. Dementsprechend hat er das Stehen und Gehen im Untersuchungszimmer als frei beschrieben und nur auf glaubhafte belastungs- und bewegungsabhängig ausstrahlende Beschwerden verwiesen. Eine relevante Minderung der Oberschenkelmuskulatur rechts, die auf einen Mindergebrauch hindeuten würde, hat S2 indessen nicht befundet.

Bei dessen Untersuchung bestand an der HWS eine Beweglichkeit von 45-0-50° für die Vor-/und Rückneigung, von 40-0-20° für die Seitneigung und von 60-0-60° für die Drehung, sodass lediglich die Linksseitneigung bei ansonsten nur endgradigen Einschränkungen eingeschränkt gewesen ist. Das Zeichen nach Ott hat er entsprechend dem Vorbefund mit 30:31 cm befundet. Seitneigen und Drehen von BWS/LWS waren jeweils mit 30-0-30° möglich, sodass sich ebenfalls nur endgradige Einschränkungen und sogar bessere Beweglichkeiten als bei K zeigten. Das Zeichen nach Schober ist mit 10:13 cm bestimmt worden, der FBA betrug 8 cm. Für den Senat überzeugend hat H die Bewegungseinschränkungen daher als leichtgradig eingeschätzt. Letztlich hat der Sachverständige ein nicht hinkendes Gangbild auf ebener Erde beschrieben. Seine Einschätzung eines Teil-GdB von 40 wird daher den Bewertungsvorgaben der VG nicht gerecht. Er berücksichtigt nur unzureichend, dass der Funktionsbefund als solcher nur leichtgradig ist und die funktionellen Auswirkungen der Spinalkanalstenose ebenfalls nicht so schwerwiegend sind, wie aufgrund des radiologischen Befundes – so L – zu erwarten. Selbst unter Berücksichtigung der Fußsenkerparese und der Fußheberschwäche kommt maximal in Teil-GdB von 30 in Betracht. Eine darüber hinausgehende Bewertung setzt nach der Systematik der VG schwergradige Einschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten voraus, die beim Kläger nicht vorliegen. Vielmehr ist bei diesem nur die Lendenwirbelsäule und damit nur ein Wirbelsäulenabschnitt betroffen, worauf H zutreffend hingewiesen hat. Letztlich begründet S2 seine Einschätzung mit der Schmerzhaftigkeit der Erkrankung, berücksichtigt aber nicht, dass der Kläger nur sehr unregelmäßig Schmerzmittel einnehmen muss, was unterstreicht, dass die Symptomatik keinesfalls so ausgeprägt ist, wie gutachterlich angenommen.

Daneben sind die Einschränkungen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ nur mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten.

Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Aus der Aktenlage ergibt sich, dass bei dem Kläger 2011/2012 wegen einer depressiven Symptomatik wiederholte stationäre Behandlungen durchgeführt werden mussten, sodass der Beklagte von einem GdB von 50 ausgegangen war und diesen festgestellt hatte. Die eingeleitete Nachprüfung 2014 zeigte indessen eine deutliche Besserung im Befund, sodass N versorgungsärztlich überzeugend darlegte, dass eine Stabilisierung im Gesundheitszustand eingetreten ist, die sich insbesondere daran zeigte, dass seit 2012 keine stationären Behandlungen mehr erfolgten. Den Gesamt-GdB schätzte sie auf nur noch 30 ein, sodass mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 eine entsprechende Herabsetzung erfolgte.

In der Folge ist es nach Überzeugung des Senats zu einer weiteren Verbesserung des Befundes gekommen. Dem Entlassungsbericht der A-Klinik, den er im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]), entnimmt der Senat nämlich, dass sich durch die Therapie eine gute Stimmungsstabilität erreichen ließ und der Kläger bei Entlassung affektstabil, geordnet und zuversichtlich gewesen ist. Daraus wird deutlich, dass die depressive Symptomatik einer erfolgreichen Behandlung zugänglich war, wie Z versorgungsärztlich schlüssig dargelegt hat. Der Erfolg der Behandlung findet seinen Ausdruck auch darin, dass der Kläger mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für die berufliche Tätigkeit entlassen worden ist.

Letztere Einschätzung hat sich im weiteren Verlauf bestätigt, nachdem der Kläger seiner Tätigkeit vollschichtig nachgehen konnte und weiter nachgeht. Daher ist der Tagesablauf durch die Berufstätigkeit strukturiert. Daneben nutzt der Kläger, wie der Senat den Ausführungen des L entnimmt, den Heimweg von der Arbeit für Einkäufe und versorgt sich und seinen Haushalt selbst. Weiterhin kümmert er sich um seinen Garten und sieht fern, sodass sowohl ein erhaltendes Interessenspektrum besteht, wie auch eine Mediennutzung. Zum psychischen Befund hat L erhoben, dass der Kläger offen, freundlich zugewandt und kooperationsbereit gewesen ist. Auf sämtliche Fragen wurde prompt und ohne Umschweife geantwortet. Bei affektiv eingeschränkter Schwingungsfähigkeit wird die Stimmung als leicht bis mittelschwer depressiv ausgelenkt beschrieben, allerdings darauf verwiesen, dass die Einschränkungen eine medikamentöse Behandlung nicht erfordern und eine solche gegenwärtig tatsächlich nicht stattfindet. Die von L beschriebene leichtgradige depressive Episode rechtfertigt die Annahme einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht, wie dieser selbst einräumt. Soweit er die Einschätzung damit begründet, dass wegen der fehlenden Medikation mit einem Rezidiv der manischen und depressiven Störung zu rechnen ist, handelt es sich nicht um aktuell bestehende Störungen, die zu Teilhabeeinschränkungen führen. Diese Prognosen sind für die Einschätzung des GdB daher unbeachtlich. Daraus, dass nach den VG, Teil A, Nr. 2 f Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen ist, folgt nichts Anderes. Dass bei dem Kläger in der Vergangenheit ein schwerwiegender psychischer Befund bestanden hat, steht außer Frage und ist vom Beklagten entsprechend berücksichtigt worden. Dies ändert aber nichts daran, dass sich seit 2014 eine zunehmende Besserung eingestellt hat, die mit einer abnehmenden Behandlungsbedürftigkeit einhergegangen ist. Dem letzten Rehabilitationsentlassungsbericht aus 2016 ist eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes zu entnehmen, wie ihn L bei seiner Untersuchung im April 2021 erneut bestätigt hat und wie er durch die Alltagsaktivitäten des Klägers Ausdruck findet. Selbst bei Betrachtung eines Durchschnittes rechtfertigt es sich vor diesem Hintergrund nicht, auf die Befunde im Jahr 2011/2012 zurückzugreifen, um das derzeitige Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung zu bestimmen. Prognostische Veränderungen haben dabei ebenso außer Betracht zu bleiben. Ein höherer Teil-GdB als 20 kommt daher nicht in Betracht. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine zeitweilige Verschlechterung nicht zwingend Veranlassung zu einer Neubewertung des GdB ist, einzelne Befundberichte alleine hierfür nicht ausreichend sind. Vielmehr müssen Gesundheitsstörungen in der Regel über einen Zeitraum von sechs Monaten anhalten, um für die GdB-Einschätzung relevant werden zu können. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass aus dem Rehabilitationsentlassungsbericht deutlich wird, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers einer (medikamentösen) Therapie gut zugänglich sind.

Vorstehendes wird von dem A1 nicht berücksichtigt, sodass seiner Einschätzung des Teil-GdB mit 50 nicht gefolgt werden kann. Im Übrigen rekurriert er immer wieder auf die vorbeschriebenen Befunde und schließt daraus auf fortbestehende Beeinträchtigungen. Dass vom Kläger geschilderte Ausbleiben von Panikattacken würdigt er ebenso wenig wie die von ihm selbst beschriebene Teil-Remission der depressiven Symptomatik. W1 hat versorgungsärztlich daher überzeugend eingewandt, dass sich die Ausführungen im Wesentlichen auf veraltete Befundberichte stützen und eine Höherbewertung des Teil-GdB nicht rechtfertigen.

Soweit der A1 auf einen geklagten Schwankschwindel verweist, konnte ein solcher in der fachärztlichen Untersuchung nicht bestätigt werden, wie der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft des S1 entnimmt. Ebenso hat sich in der MRT kein pathologischer Befund gezeigt, sodass es an einer Objektivierung der Gesundheitsstörung fehlt. Es kann deshalb dahinstehen, ob diese im Funktionssystem „Ohren“ (vgl. insbesondere VG, Teil B, Nr. 5.3) zu bewerten wäre, da eine GdB-Relevanz nicht besteht (vgl. die versorgungsärztliche Stellungnahme des W1).

Im Funktionssystem „Beine“ ist kein höherer Teil-GdB als 10 gerechtfertigt. Zwar haben die radiologischen Untersuchungen des P1 Chondropathien der Kniegelenke gezeigt, indessen hat S2 überzeugend dargelegt, dass sich keine Reizzustände haben tasten lassen, sodass anhaltende Reizzustände nicht objektiviert sind (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.14). Eine relevante Bewegungseinschränkung der Kniegelenke besteht ebenfalls nicht, nachdem S2 diese beidseits mit 0-0-120° erhoben hat, was deutlich von einer wenigstens geringgradigen Einschränkung entfernt ist (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.14 [0-0-90°]). Hinsichtlich der von K beschriebenen Entzündung der Achillessehne fehlt es an Funktionseinschränkungen, sodass sich diese ebenfalls nicht auf die Höhe des GdB auswirkt (vgl. die versorgungsärztliche Stellungnahme des W1).

Aus den Teil-GdB von maximal 30 im Funktionssystem „Rumpf“ und von 20 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ kommt die Bildung eines höheren Gesamt-GdB als 40, wie ihn das SG bereits festgestellt hat, nicht in Betracht. Der Teil-GdB von maximal 10 im Funktionssystem „Beine“ wirkt sich hierauf nicht erhöhend aus. Selbst wenn das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ mit einem Teil-GdB von 30 bewertet wird, ergäbe sich nichts anderes, da die Funktionseinschränkungen in beiden Funktionssystemen nicht so stark ausgeprägt sind, dass sich bei der Bildung des Gesamt-GdB eine Erhöhung um mehr als 10 rechtfertigt.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen des Klägers im Berufungsverfahren.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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