S 15 AL 144/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 144/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 39/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zur Konstellation, dass ein Empfänger von Arbeitslosengeld nach Erlass des Bewilligungsbescheids die Verschiebung des Beginns der Leistungsgewährung nach § 137 Abs. 2 SGB III beantragt, um durch den späteren Anspruchsbeginn eine längere Gesamtanspruchsdauer nach § 147 Abs. 2 SGB III wegen Erreichens einer höheren Altersstufe zu erreichen, die Agentur für Arbeit die ursprüngliche Bewilligung aufhebt, Arbeitslosengeld ab einem späteren Zeitpunkt mit längerer Gesamtanspruchsdauer bewilligt und sodann Erstattung des Arbeitslosengeldes und der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vor Neubeginn fordert.

2. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung richtet sich nach § 48 Abs. 1 SGB X, nicht nach §§ 44, 45 SGB X. Ein sich aus den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergebender Anspruch auf Verschiebung des Beginns nach § 137 Abs. 2 SGB III begründet keine anfängliche Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung.

3. Maßgebliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nach Erlass des Bewilligungsbescheids ist vielmehr die erstmalige Geltendmachung eines späteren Beginns des Anspruchs auf Arbeitslosengeld durch den Leistungsempfänger.

4. Übersteigt die mit der Neubewilligung erreichte zusätzliche Anspruchsdauer den Zeitraum, für den die ursprüngliche Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgehoben und bezüglich dessen Erstattung überzahlten Arbeitslosengeldes gefordert wurde, handelt es sich um eine Änderung zugunsten des Leistungsempfängers nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X. Die Beurteilung, ob eine Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, ist unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls "per saldo" vorzunehmen (vgl. BSG v. 9.6.1988 - 4/1 RA 57/87).

5. Anschluss an BSG v. 5.9.2006 - B 7a AL 70/05 R.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu
erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Erstattung überzahlten Arbeitslosengeldes.

Die 1961 geborene Klägerin war bis zum 29. Februar 2016 Angestellte in Vollzeit an der D. Kassel. Sie erhielt eine Abfindung i.H.v. 10.000,- € sowie eine Urlaubsabgeltung.

Die Klägerin meldete sich am 2. Februar zum 1. März 2016 persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Arbeitslosengeld ab 1. März 2016 für eine Anspruchsdauer von 450 Kalendertagen mit einem täglichen Leistungsentgelt i.H.v. 0,- € bis einschließlich 7. März, sodann i.H.v. 56,20 €. Zugleich übernahm die Beklagte die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin i.H.v. 314,43 € bis 31. März, 393,04 € bis 30. April und 439,72 € ab 1. Mai 2016 (Bescheid vom 16. März 2016; Bl. 23 der Verwaltungsakte; Änderungsbescheid vom 10. Mai 2016, Bl. 63 der Verwaltungsakte). 

Nach Mitteilung der Hochschulbezügestelle, dass der abgegoltene Urlaub bis einschließlich 20. April 2016 angedauert hätte, wenn er im Anschluss an das Arbeitsverhältnis genommen worden wäre, hob die Beklagte die Bewilligung bis einschließlich 20. April 2016 auf und forderte von der Klägerin die Erstattung des Arbeitslosengeldes i.H.v. 2.787,23 €, sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 314,43 € (Änderungsbescheid vom 23. Mai 2016; Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 1. August 2016, Bl. 99 der Verwaltungsakte; Änderungsbescheid vom 1. August 2016; Widerspruchsbescheid vom 8. September 2016, Bl. 123 der Verwaltungsakte).

Der Beitrag zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin stieg ab 1. Januar 2017 auf insgesamt 444,44 € (Bl. 144 der Verwaltungsakte). Mit Erstattungsbescheid vom 8. März 2017 forderte die Beklagte die Klägerin zur Erstattung von 4,78 € für den Zeitraum Januar bis Februar 2017 wegen der Änderung des Beitragssatzes auf und ordnete die Aufrechnung an (Bl. 145 der Verwaltungsakte).

Aufgrund der Mitteilung einer befristeten Selbstständigkeit vom 26. Juni bis 6. Juli 2017 hob die Beklagte die Bewilligung für diesen Zeitraum auf und bewilligte Arbeitslosengeld vom 7. bis 31. Juli 2017 (Bescheid vom 14. Juni 2017, Bl. 160 Verwaltungsakte). Die Klägerin erhielt Arbeitslosengeld bis 31. Juli 2017. Sie teilte sodann mit, dass sie vom 24. Juli bis 17. August 2017 erneut befristet selbstständig tätig sei.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 beantragte die Klägerin sodann die Überprüfung der ursprünglichen Bewilligung im Hinblick darauf, dass sie am 5. Mai 2016 ihren 55. Geburtstag gefeiert habe. Sie begehre die Gewährung von Arbeitslosengeld erst ab 5. Mai 2016 und sei bereit, dass Arbeitslosengeld für den Zeitraum davor zurückzuzahlen. Die Beklagte lehnte die Überprüfung ab (Bescheid vom 27. Dezember 2016; Widerspruchsbescheid vom 16. März 2017). Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Az. S 15 AL 103/17) erkannte die Beklagte das klägerische Begehren an.

In Ausführung des Anerkenntnisses ergingen drei Bescheide am 19. September 2018. Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 19. September 2018 wurde die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. April bis 4. Mai 2016 zurückgenommen. Für diesen Zeitraum sowie für den Zeitraum 24. bis 31. Juli 2017 sei das Arbeitslosengeld i.H.v. 1.236,40 €, sowie die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 570,19 € zu erstatten. Von der Gesamtforderung i.H.v. 1.806,59 € würden 1.256,40 € mit den Ansprüchen auf Nachzahlungen aufgerechnet. Eine Verrechnung mit den Beiträgen sei technisch nicht möglich (Bl. 175 der Verwaltungsakte). Mit weiterem Bescheid vom 19. September 2018 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 1. April bis 4. Mai 2016 und vom 24. bis 31. Juli 2017 auf und forderte die Klägerin zur Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum i.H.v. 570,19 € auf (Bl. 173 der Verwaltungsakte). Mit Änderungsbescheid vom 19. September 2018 wurde der Klägerin Arbeitslosengeld ab 5. Mai 2016 für eine Anspruchsdauer von 540 Kalendertagen mit einem täglichen Leistungsbetrag i.H.v. 56,20 € mit Ausnahme des Zeitraums 26. Juni bis 6. Juli 2017 und 24. Juli bis 17. August 2017 (eigene Abmeldung aus dem Leistungsbezug) für eine Gesamtanspruchsdauer von 540 Kalendertagen bewilligt. Übernommen wurden zudem die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung für den Bewilligungszeitraum. Für den Zeitraum 5. Mai bis 28. Februar 2017 wurde kein Abzug vom täglichen Leistungsbetrag vorgenommen, für den 1. März 2017 i.H.v. 4,78 €, sowie vom 18. August bis 8. September 2017 in Höhe des vollen täglichen Leistungsbetrags i.H.v. 56,20 € (Bl. 181 der Verwaltungsakte).

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheids ab 16. März 2016 sei mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht möglich. Zudem sei die Jahresfrist für die rückwirkende Aufhebung aufgrund des bereits im Dezember 2016 gestellten Überprüfungsantrags abgelaufen.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2019 hörte die Beklagte die Klägerin sodann dazu an, dass ihr vom 1. April bis 4. Mai 2016 und vom 24. Juli bis 31. Juli 2017 Arbeitslosengeld i.H.v. 1.236,40 € zu Unrecht gezahlt worden sei. Daraus ergebe sich ebenso eine zu Unrecht erfolgte Zahlung der Beiträge.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2019 wurde der Widerspruch gegen die Bescheide vom 19. September 2018 sodann als unbegründet zurückgewiesen, wobei die Beklagte nunmehr die Aufhebung auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X stützte.

Hiergegen hat die Klägerin am 8. Mai 2019 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Die Klägerin verweist darauf, dass sie das Arbeitslosengeld bis 11. April 2016 bereits zurückgezahlt habe. Darüber hinaus sei eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld nicht mehr möglich. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ergänzend ausgeführt, dass über § 50 Abs. 2 SGB X die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X zu beachten sei, die vorliegend im Hinblick auf den Überprüfungsantrag nicht eingehalten worden sei.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 19. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. April 2019 im Hinblick auf die Aufhebung der Bewilligung vom 21. April bis 4. Mai 2016 sowie die diesbezüglichen Erstattungsforderungen aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid. Die Berufung der Klägerin darauf, dass die Entscheidung nicht mehr aufgehoben werden können, widerspreche Treu und Glauben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Streitgegenständlich sind die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 19. September 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. April 2019 hinsichtlich der Aufhebung des Arbeitslosengeldes und der Erstattungsforderung bezüglich des Zeitraums 21. April bis 4. Mai 2016, den die Klägerin mit einer isolierten Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG angreift.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 19. September 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. April 2019 sind bezüglich des streitgegenständlichen Zeitraums rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Bewilligungsentscheidung war vorliegend aufgrund einer Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X für den Zeitraum 21. April bis 4. Mai 2016 aufzuheben. §§ 44, 45 Abs. 1 SGB X sind nicht einschlägig, da die Bewilligung ab 21. April 2016 durch Bescheid vom 16. März 2016, Änderungsbescheid vom 10. Mai 2016, Änderungsbescheid vom 23. Mai 2016 und Änderungsbescheid vom 1. August 2016 rechtmäßig war.

Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Nach § 45 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Nach § 48 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, und soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Nach § 330 Abs. 2 und 3 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) sind Verwaltungsakte bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen aufzuheben.

Ob eine Aufhebung den Voraussetzungen der §§ 44 oder 45 SGB X oder § 48 SGB X unterliegt, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, sowie zwischen § 44 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 SGB X, ob der Ausgangsverwaltungsakt begünstigend oder nicht war. Lag die Rechtswidrigkeit bereits bei Erlass des Bewilligungsbescheids vor, sind § 44, 45 SGB X aufgrund anfänglicher Rechtswidrigkeit anzuwenden. Tritt die Rechtswidrigkeit aufgrund Veränderung der Verhältnisse erst nach Erlass des Bescheides ein, ist § 48 SGB X anzuwenden. Unerheblich ist, auf welche Voraussetzungen die Behörde einen Bescheid gestützt hat. Das Gericht prüft lediglich den Verfügungssatz, die Aufhebung der Entscheidung, ohne hierbei an die genannte Rechtsgrundlage gebunden zu sein.

Zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, dem 1. August 2016, war die Entscheidung der Beklagten rechtmäßig, da die Klägerin noch nicht von ihrem Recht auf Verschiebung des Beginns des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 137 Abs. 2 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) Gebrauch gemacht hatte. Mangels vorheriger anderslautender Erklärung der Klägerin galt daher ihre persönliche Arbeitslosmeldung nach § 323 Abs. 1 S. 2 SGB III vom 2. Februar 2016 zum 1. März 2016 zugleich als Antrag auf Arbeitslosengeld, zum 1. März 2016 waren die weiteren Voraussetzungen des §§ 137 bis 143 SGB III erfüllt. Die Klägerin war arbeitslos, hatte sich persönlich arbeitslos gemeldet und erfüllte die Anwartschaftszeit. Der Anspruch ruhte sodann nach § 157 Abs. 2 SGB III wegen erhaltener Urlaubsabgeltung bis einschließlich 20. April 2016. Erst mit dem Schreiben vom 12. Dezember 2016 machte die Klägerin dieses Recht geltend, dass ihr grundsätzlich nur bis zur ersten Entscheidung der Beklagten mit Bewilligungsbescheid vom 16. März 2016 zustand. Die Nichtaufklärung über dieses Recht durch die Beklagte entgegen § 14 S. 2 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Beklagten, sondern im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs lediglich zu einem Anspruch der betroffenen Person auf Anwendung des § 137 Abs. 2 SGB III auch nach Entscheidung über den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Ebenso scheidet § 47 Abs. 1 SGB X als maßgebliche Grundlage aus, da eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Eine Änderung der Verhältnisse in tatsächlicher Hinsicht nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist durch die Erklärung der Klägerin, dass sie den Anspruchsbeginn auf ihren 55. Geburtstag (5. Mai 2016) verschieben wolle und den sich daraus ergebenden späteren Beginn des Arbeitslosengeldes, eingetreten. Die daraus folgende Abänderung der Bewilligung durch die Bescheide vom 19. September 2018, insbesondere die Aufhebung der Entscheidung bis 4. Mai 2016, erfolgte zugunsten der Klägerin i.S.d. § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X.

Zugunsten des Betroffenen erfolgt jede Änderung, durch die dieser eine rechtliche Besserstellung erfährt. Sind sowohl begünstigende als auch belastende Elemente vorhanden, erfolgt eine Änderung nur dann zugunsten der betroffenen Person, wenn sie der infolge der Änderung zu erlassende Verwaltungsakt im Vergleich zu dem aufzuhebenden Verfügungssatz iSv. § 45 Abs. 1 SGB X "per saldo" begünstigt (BSG Urt. v. 9.6.1988 – 4/1 RA 57/87). In diese Beurteilung sind alle Umstände des Einzelfalles einzubeziehen. 

Nach diesen Grundsätzen begünstigt die Entscheidung der Beklagten, den Anspruchsbeginn auf den 5. Mai 2016 zu verschieben, die Klägerin gegenüber dem vorherigen Rechtszustand. Den belastenden Elementen, Aufhebung der Entscheidung vom 21. April bis 4. Mai 2016 sowie der sich daraus ergebenden Erstattungsforderungen hinsichtlich des überzahlten Arbeitslosengeldes nach § 50 Abs. 1 SGB III und der gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 335 Abs. 1 SGB III steht der erhebliche Vorteil gegenüber, dass sich der Gesamtanspruch der Klägerin um drei volle Monate, entspricht 90 Kalendertagen, aufgrund der neuen Altersstufe ab 5. Mai 2016 nach § 147 Abs. 2 SGB III und der Erfüllung der Anwartschaft von 36 Kalendermonaten, verlängerte (vgl. hierzu obiter dictum in BSG Urt. v. 5.9.2006 – B 7a AL 70/05 R, Rn. 21 – juris).

Etwas anderes ergibt sich zudem nicht aus dem Anerkenntnis der Beklagten im Ausgangsverfahren S 15 AL 103/17. Maßgeblich für den Inhalt eines Anerkenntnisses im gerichtlichen Verfahren ist der geltend gemachte Anspruch. Die Klägerin hat im Ausgangsverfahren einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erst ab 5. Mai 2016 entgegen der vorherigen Bewilligung ab 1. März 2016 (mit Zahlungsanspruch ab 21. April 2016) geltend gemacht und eine Abänderung der Bewilligungsentscheidung hinsichtlich des Beginns entsprechend begehrt. Dies hat die Beklagte anerkannt und auch ausgeführt. Unerheblich ist zudem, dass die Beklagte in Ausführung dieses Anerkenntnisses mehrere Bescheide erließ. Es handelt sich um eine einheitliche Entscheidung der Beklagten, Verschiebung des Anspruchsbeginns auf den 5. Mai 2016, die zwingend die Aufhebung der bestehenden vorherigen Bewilligungsentscheidung bedingt. Denn ohne die Aufhebung würde die vorherige Bewilligungsentscheidung, zuletzt mit Änderungsbescheid vom 1. August 2016, weiterhin Rechtsgeltung beanspruchen und der Erhöhung der Gesamtanspruchsdauer ab 5. Mai 2016 auf 540 Kalendertage aufgrund des früheren Anspruchsbeginns entgegenstehen, mithin das Begehren der Klägerin behindern.

Fristen hatte die Beklagte hierbei nicht zu berücksichtigen. Insbesondere die Verweisung des § 48 Abs. 4 S. 1 SGB X auf die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S: 2 SGB X ist nach § 48 Abs. 4 S. 2 SGB X bei Fällen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X nicht anzuwenden. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist zudem nicht über die Regelung des § 50 Abs. 2 SGB X zu berücksichtigen. Denn es liegt kein Sachverhalt des § 50 Abs. 2 SGB X vor. Diese Regelung betrifft den Fall, dass eine Behörde Leistungen ohne Bewilligungsbescheid erbringt und diese sodann zurückfordert. Dies ist vorliegend offensichtlich nicht gegeben. Eine entsprechende Anwendung aus teleologischen Gründen kommt ebenso nicht in Betracht. Denn es fehlt bereits an einer Regelungslücke, da eine gesetzgeberische Entscheidung zur Anwendbarkeit der Jahresfrist auf den vorliegenden Fall gegeben ist. Wie oben ausgeführt ist bei Vorliegend des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X die Einhaltung der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X nach § 48 Abs. 4 S. 2 SGB X unerheblich.

Die Beklagte hat einen Anspruch auf Erstattung überzahlten Arbeitslosengeldes vom 21. April bis 4. Mai 2016 i.H.v. 786,80 €. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Nach bereits bis zum 20. April 2016 erfolgter Erstattung verblieb für April eine überzahlte Leistung vom 21. April bis 4. Mai mit einem täglichen Leistungssatz i.H.v. 56,20 €. Gemeinsam mit der nicht streitgegenständlichen Forderung für den Zeitraum 24. bis 31. Juli 2017 (8 Tage) ergibt dies die im Bescheid vom 19. September 2018 geforderte Gesamtsumme i.H.v. 1.236,40 €.

Ob die Weigerung der Rückzahlung des überzahlten Arbeitslosengeldes zudem einen Verstoß gegen Treu und Glauben in Abwägung mit dem Fehlverhalten der Beklagten, Nichtaufklärung über die Verschiebung des Arbeitslosengeldes, darstellt, kann vorliegend aufgrund der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen dahinstehen.
Die Rückerstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 570,19 € ergibt sich aus § 335 Abs. 1 SGB III. Diesbezüglich wird auf die zutreffende Berechnung im Schriftsatz der Beklagten vom 18. Februar 2020 verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Das zulässige Rechtsmittel der Berufung folgt aus §§ 143 ff. SGG.

Rechtskraft
Aus
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