S 6 R 408/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 408/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Das Sozialgericht Frankfurt am Main erklärt sich für örtlich unzuständig.

Der Rechtsstreit wird zur Bestimmung des örtlich zuständigen Sozialgerichts dem Bundessozialgericht als nächsthöherem gemeinsamen Gericht vorgelegt.

Gründe

I.
Die Klägerin zu 2. (im Folgenden: Klägerin) ist ausweislich ihres Briefkopfes Rentenberaterin und unterhält eine Kanzlei für Rentenberatung und Sozialrecht. Als Adresse weist der Briefkopf B-Straße in B-Stadt aus, mit „Zweigstelle“ C-Straße in C-Stadt. Die Klägerin erhob unter dem Datum 8. September 2020 Klage vor dem Sozialgericht Würzburg und nannte in der Klageschrift zunächst den Kläger zu 1. (im Folgenden: Kläger) mit dessen Anschrift A-Straße, A-Stadt, und fügte „vertreten durch die Kanzlei für Rentenberatung und Sozialrecht“ hinzu. Des Weiteren führte sie sich selbst auf mit Ihrer Adresse in B-Stadt und fügte in Klammern „Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs“ hinzu. Unter der Nennung des Klägers und der Klägerin fand sich die Bezeichnung „Kläger“. In der Klagebegründung ist ausdrücklich formuliert das „die Kläger“ in ihren Rechten verletzt würden.

Streitgegenständlich war der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2020 i.V.m. in Form des Bescheids vom 7. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. August 2020 wonach die Beklagte die Erstattung der Kosten im Widerspruchsverfahren ablehnte. Der Kläger hatte zunächst selbst im Oktober 2019 bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gestellt. Mit Schreiben vom 7. November 2019 teilte die Klägerin gegenüber der Beklagten mit, dass sie mit der Vertretung des Klägers im Verwaltungsverfahren beauftragt sei und beantragte Akteneinsichtnahme in die vollständigen Versicherten- und Reha-Akten. Die Klägerin beriet den Kläger als Rentenberaterin im weiteren Verwaltungsverfahren. Trotz dieser Vertretung erfolgte eine Kommunikation im Verwaltungsverfahren auch zwischen dem Kläger und der Beklagten, so beispielsweise über die Verlegung der Abschlussprüfung der Tochter des Klägers von April 2020 auf Juni 2020 oder hinsichtlich der Bitte des Klägers, eine Bescheinigung über das Übergangsgeld auszustellen. Streitgegenständlich war zuletzt die Zahlung von Übergangsgeld in Bezug auf die Höhe. Dabei war streitig, inwieweit der Kläger hätte nachweisen müssen, dass das Ende der Ausbildung seiner Tochter tatsächlich nach Juni 2020 lag. Den Widerspruch legte die Klägerin ein und begründete diesen auch. Der Widerspruchsbescheid vom 27. August 2020 erging ebenfalls an die Klägerin. 

Das Sozialgericht Würzburg führte die Klage unter dem Aktenzeichen S 15 R 576/20 KO zunächst mit dem Kläger als alleinigem Kläger und der Klägerin als dessen Prozessbevollmächtigte. Mit Datum 21. September 2020 (Bl. 16 der Gerichtsakte (GA)) bat das Gericht die Klägerin um Klarstellung, wer in dem Rechtsstreit Kläger sein solle, d.h. ob der Kläger (vertreten durch die Klägerin als Prozessbevollmächtigte) den Rechtsstreit führe oder die Klägerin selbst.

Mit Schriftsatz vom 19. August 2020 teilte die Klägerin mit, dass Kläger der Versicherte und die Bevollmächtigte (Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs) seien.

Das Sozialgericht Würzburg wies unter dem Datum 28. Oktober 2020 darauf hin, dass Streitgegenstand des Rechtsstreits ausweislich der Klageschrift sowie der streitgegenständlichen Bescheide ausschließlich die Kostenentscheidung nach § 63 SGB X des Bescheides vom 27. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. August 2020 sei. Kläger könne nur der Inhaber dieses Kostenerstattungsanspruchs sein. Dies sei ausweislich der Klageschrift sowie des Schriftsatzes vom 19. August 2020 infolge einer Abtretung die Prozessbevollmächtigte des Klägers. Diese habe weder Wohnsitz noch Aufenthaltsort noch Beschäftigungsort im Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Würzburg. Das Sozialgericht Würzburg hörte daraufhin die Beteiligten dazu an, dass es beabsichtige den Rechtsstreit an das aus seiner Sicht örtlich zuständige Sozialgericht Frankfurt am Main verweisen. Eine Stellungnahme von Seiten der Beteiligten erfolgte nicht. 

Mit Beschluss vom 25. November 2020 erklärte sich das Sozialgericht Würzburg für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das örtlich ständige Sozialgericht Frankfurt am Main. Es begründete diesen Beschluss damit, dass die Klägerin ihre Hauptwohnung unter der Adresse B-Straße in B-Stadt habe. Diese Adresse liege im Bezirk des Sozialgerichts Frankfurt am Main. Das Sozialgericht Würzburg ging davon aus, dass sich der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Klägerin in B-Stadt befinde. Für eine abhängige Beschäftigung der Klägerin im Bezirk des Sozialgerichts Würzburg zur Zeit der Klageerhebung sei nichts ersichtlich noch sei entsprechendes vorgetragen worden.

Die durch Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 25. November 2020 verwiesene Klage ging beim Sozialgericht Frankfurt am Main am 7. Dezember 2020 ein. Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat das Rubrum dergestalt berichtigen lassen, dass es sich um zwei Kläger handele, nämlich den Kläger, geführt unter Ziffer 1, und die Klägerin, geführt unter Ziffer 2. Außerdem teilte es unter dem Datum 21. Januar 2021 den Beteiligten mit, dass aufgrund der eindeutigen Klageschrift und des Schriftsatzes der Klägerin vom 19. August 2020 davon auszugehen sei, dass das vorliegende Verfahren von zwei Klägern geführt werde. Der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 25. November 2020 leide daher an einem schwerwiegenden Mangel. Das Gericht hörte die Beteiligten dazu an, dass es beabsichtige sich für örtlich unzuständig zu erklären und das Bundessozialgericht zur Klärung der Zuständigkeit anzurufen.


II.
Der Antrag ist gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG zu stellen. Danach bestimmt das gemeinsame nächsthöhere Gericht das zuständige Gericht, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Der Kläger hat seinen Wohnsitz im Bezirk des Sozialgerichts Würzburg, die Klägerin im Bezirk des Sozialgerichts Frankfurt am Main. Da der geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 63 SGB X nur einem der beiden Kläger zustehen kann, ist zumindest eines der beiden Gerichte für den Rechtsstreit zuständig. Da keine gemeinsame Zuständigkeit eines Landessozialgerichts besteht, ist das nächsthöhere Gericht das Bundessozialgericht. Das Sozialgericht Würzburg hat sich mit Beschluss vom 25. November 2020 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Frankfurt am Main verwiesen. Da der Beschluss nach § 98 S. 2 SGG unanfechtbar ist, hat sich das Sozialgericht Würzburg rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das erkennende Gericht hat sich für unzuständig erklärt, da der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 25. November 2020 als nicht bindend anzusehen ist. Eine (Rück-)Verweisung des Verfahrens ist für den Antrag nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG nicht notwendig (BSG, Beschluss vom 27.05.2004 – B 7 SF 6/04 S). 

Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 25. November 2020 ist für das erkennende Gericht ausnahmsweise deshalb nicht bindend nach § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 S. 3 GVG, da er auf einem willkürlichen Verhalten beruht und somit unter einem schweren Mangel leidet. 

Gemäß § 57 Abs.1 Satz 1 SGG ist örtlich zuständig das Gericht, in dessen Bezirk die Kläger zurzeit der Klageerhebung ihren Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort haben. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in A-Stadt und damit im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Würzburg. Die Klägerin hat ihren Hauptwohnsitz im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Frankfurt am Main, da sie – insoweit ist dem Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 25. November 2020 zu folgen – in B-Stadt, B-Straße hat. Das Sozialgericht Würzburg ist damit örtlich zuständig für das Klagebegehren des Klägers. Der Kläger ist auch ursprünglicher Inhaber des Kostenerstattungsanspruchs aus § 63 SGB X, da er der Widerspruchsführer ist. Die Annahme, der Rechtsstreit werde nunmehr aufgrund einer Abtretung nur noch von der Klägerin geführt, widerspricht klar dem Inhalt der Akte und dem geäußerten Parteiwillen und ist daher willkürlich. 

Liegt eine örtliche Unzuständigkeit vor, so ist der Rechtsstreit nach §§ 57 Abs. 1, 98 SGG von Amts wegen an das örtlich zuständige Sozialgericht zu verweisen. Gemäß § 98 S 1 SGG i. V. m. § 17a Abs. 2 GVG ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften (BSG, Beschluss vom 03.12.2010 – B 12 SF 7/10 S). 

Ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder einem willkürlichen Verhalten beruht (BSG aaO m.w.Nw; Schmidt, in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Auflage 2020, § 98, Rn. 9). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art. 3 Abs. 1 GG verletzt (BSG, Beschluss vom 10.03.2010 – B 12 SF 2/10 S) oder dann, wenn sich die Verweisung in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt (BSG, Beschluss vom 23.04.2018 - B 11 SF 4/18 S m.w.Nw. zur st. Rspr.). Letztlich muss sich dies aus einer wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls ergeben (Schmidt, in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Auflage 2020, § 98, Rn. 9). Die Fehlerhaftigkeit der Verweisung muss also eine besondere Schwere aufweisen, um die grundsätzlich gegebene Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses zu durchbrechen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Objektiv willkürlich ist eine Verweisung auch dann, wenn das verweisende Gericht deutlich zu Tage liegende Tatsachen, die einer Verweisung an das angegangene Gericht entgegenstehen, völlig außer Acht gelassen hat und keine plausiblen Gründe hierfür ersichtlich sind (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. 3. 2001 – 1 AR 7/01, OLG-NL 2001, 214 (215)). Das verweisende Sozialgericht Würzburg hat sich ohne nähere Begründung und ohne ersichtlichen Grund über den klar geäußerten Parteiwillen hinweggesetzt. Bereits aus der Klageschrift ergab sich deutlich, dass – zumindest auch – der Kläger, der seinen Wohnsitz im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Würzburg hat, Verfahrensbeteiligter sein sollte. Auch waren der hiesige Kläger und die Klägerin gemeinsam als „Kläger“ bezeichnet und nicht die Klägerin als Prozessbevollmächtigte. Auch die Klagebegründung enthielt den Hinweis auf die „Kläger“ und nicht lediglich auf die Klägerin als alleinige Rechteinhaberin. Auf Nachfrage des Sozialgerichts Würzburg teilte die Klägerin diesem mit Schriftsatz vom 19. August 2020 ausdrücklich und unmissverständlich mit, dass sowohl der Kläger als auch sie selbst die Klage führten und das Verfahren daher von zwei Klägern geführt werde. Trotz dieser klaren Aussage änderte das Sozialgericht Würzburg das Rubrum dahingehend, dass nunmehr die Klägerin als alleinige Klägerin aufgeführt wurde. Zwar ist der Hinweis zutreffend, dass der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X nicht beiden Klägern zustehen kann, sondern entscheidend ist, wem der Anspruch zusteht. Auch ist eine Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs nicht von vorneherein ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 20.02.2020 – B 14 AS 4/19 R). Allerdings ist dies eine Frage der Aktivlegitimation und damit der Begründetheit der Klage. Ob eine Abtretung vorlag oder ob der Kostenerstattungsanspruch beim Kläger verblieben war, wäre im weiteren Verfahren zu klären gewesen sein. Diese Frage der Begründetheit hat das Sozialgericht Würzburg sachfremd dazu herangezogen, die Klägerin nunmehr als alleinige Klägerin führen zu können und so eine örtliche Unzuständigkeit des Sozialgerichts Würzburg zu begründen, obwohl dessen örtliche Zuständigkeit zumindest aus dem Wohnsitz des Klägers folgte. Im Verweisungsbeschluss vom 25. November 2020 findet sich keine Begründung, weshalb über den klar geäußerten Willen der Beteiligten, das Verfahren mit zwei Klägern zu führen, hinweggegangen wird. Das Sozialgericht Würzburg setzt sich lediglich mit der Frage auseinander, wo der Wohnsitz bzw. der Lebensmittelpunkt der Klägerin liegen. Ferner spricht noch ein weiteres Argument dagegen, den klar geäußerten Parteiwillen zu übergehen: Durch die Bestimmung der Klägerin als alleinige Klägerin wird das Verfahren gerichtskostenpflichtig. Gemäß § 183 S. 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 SGB I kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. 

Darüber hinaus nach § 183 S. 2 SGG, wenn ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren aufnimmt für diesen Rechtszug. Die Klägerin ist keine Sonderrechtsnachfolgerin nach § 56 SGB I. Sie ist aber auch – selbst wenn man eine wirksame Abtretung unterstellt – keine sonstige Rechtsnachfolgerin i.S.d. § 183 S. 2 SGG. Der Zessionar, der die Forderung im Wege der Abtretung erlangt hat, profitiert nicht von der durch § 183 S. 2 SGG angeordneten Kostenfreiheit (BSG, Beschluss vom 04.06.2007 – B 11a AL 153/06 B; Krauß, in: BeckOGK, Stand: 1.1.2021, SGG § 183 Rn. 49). Die Verweisung erfolgte damit aus sachfremden Erwägungen unter Übergehung des Parteiwillens. 

Rechtskraft
Aus
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