S 23 U 13/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 13/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

1.    Zu den Voraussetzungen der Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises, der im Gerichtsbescheid nicht zum Tragen kommt.
2.    Zur personellen Bestimmtheit 33 Abs. 1 SGB X) und Aufhebbarkeit eines Verwaltungsakts.
3.    Zur Begründetheit einer mit der Anfechtungsklage kombinierten Feststellungsklage bei Verstoß der Behördenentscheidung gegen § 33 Abs. 1 SGB X.
 

Der Bescheid vom 15.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2020 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 


Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine sog. Statusfeststellung durch die Beklagte.

Der Kläger ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Beigeladenen, die als Malerbetrieb Mitglied der Beklagten ist. Der Anteil des Klägers am Stammkapital beträgt 25 %.

Nach Durchführung von Sachverhaltsermittlungen bei der Beigeladenen adressierte die Beklagte unter dem 15.07.2020 an die Privatanschrift des Klägers und mit an diesen gerichteter Anrede einen Bescheid, in dem sie verfügte, dass der Kläger bei der Beigeladenen als Arbeitnehmer tätig sei und damit ab 02.02.2015 nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zum Kreis der kraft Gesetzes versicherten Personen gehöre. Gleichzeitig wurde dem Kläger im Bescheid aufgegeben, die ihm gezahlten Entgelte im Lohnnachweis mit anzugeben.
Der Bescheid enthält folgende Betreffzeilen, die Zeilenumbrüche werden nachfolgend originalgetreu wiedergegeben:
„Versicherungsrechtliche Stellung im Unternehmen
C. GmbH, C-Straße, C-Stadt 
als Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens“

Diesen Bescheid gab die Beklagte der Beigeladenen unter demselben Datum schlicht zur Kenntnis.

Die Beigeladene legte gegen den Bescheid vom 15.07.2020 unter dem 20.07.2020 (unterzeichnet durch die Personalverwalterin) Widerspruch ein, der Kläger selbst (dieser unter Verwendung des Briefkopfes und der maschinellen Unterschrift der C. GmbH, der er seinen Namen und seine Unterschrift hinzufügte) unter dem 28.07.2020.

Nicht der Kläger, aber die Beigeladene erhielt von der Beklagten eine Eingangsbestätigung betreffend den von ihr eingelegten Widerspruch; außerdem wurde sie um Einreichung der Widerspruchsbegründung gebeten und die Sachbearbeiterin der Beklagten rief zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts auch bei der Beigeladenen an. Nachdem die Beklagte von der Beigeladenen eine Widerspruchsbegründung und, wie im Telefonat vom 18.09.2020 vereinbart, weitere Unterlagen erhalten hatte, gab sie dieser (unter dem 30.09.2020) einen rechtlichen Hinweis zur Sach- und Rechtslage; falls die Beigeladene ihren Widerspruch aufrechterhalte und eine Entscheidung der Widerspruchsstelle wünsche, werde sie „um Nachreichung der Unterschrift von Herrn A. selbst auf dem entsprechenden Widerspruchsschreiben [gebeten], damit dieser formgerecht ist.“

Der Kläger selbst legte keine Widerspruchsbegründung vor. Ihm teilte die Beklagte, wieder unter seiner Privatanschrift, am 10.12.2020 mit, dass seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.07.2020 von der dafür verantwortlichen Stelle nicht abgeholfen worden sei und kündigte die baldige Erteilung des Widerspruchsbescheids an.

Diese erfolgte unter dem 17.12.2020, wiederum an die Privatanschrift des Klägers gerichtet. Im Verfügungssatz des Widerspruchsbescheids wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 28.07.2020 gegen den Bescheid vom 15.07.2020 als unbegründet zurück. In den Entscheidungsgründen bestätigte die Beklagten ihren Ausgangsbescheid vom 15.07.2020, hierbei nahm sie auf die Widerspruchsbegründung der Beigeladenen vom 24.09.2020 und ihren, der Beigeladenen erteilten, rechtlichen Hinweis Bezug. 
Dass der Widerspruchsbescheid vom 17.12.2020 der Beigeladenen zur Kenntnis gegeben wurde, ist nicht aktenkundig; dass der Beigeladenen gegenüber ein Widerspruchsbescheid erteilt wurde, ebensowenig. 

Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten am 15.01.2021 Klage zum Sozialgericht Frankfurt erhoben.

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Versicherungsplicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII durch die Beklagte, da er bei der Beigeladenen nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe. 

Der Klägervertreter beantragt, 

den Bescheid der Beklagten vom 15.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2020 aufzuheben und festzustellen, dass eine Versicherungspflicht des Klägers bei der Beklagten nicht besteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält ihre Rechtsauffassung für zutreffend und sich zur Statusfeststellung gegenüber dem Kläger ermächtigt.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten zu dem Rechtsstreit beigezogen und mit Beschluss vom Entscheidungstag die Beiladung der C. GmbH nachgeholt.

Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Beteiligten wurden vorher gehört (§ 105 Abs. 1 Satz 2 SGG). Hierbei ist nicht erforderlich, dass das Gericht einen Hinweis auf seine Rechtsauffassung gibt, auch wenn diese bislang nicht in den Prozess eingeführt worden ist; vielmehr muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag hierauf einstellen (objektiver Maßstab; vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 105 SGG, Stand: 01.09.2021, Rn. 44 mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz). Soweit die Kammervorsitzende im Anhörungsschreiben, wie bereits zuvor, auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.05.2019, L 15 U 715/16; juris) hingewiesen hat, das die Existenz einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für Unfallversicherungsträger, gegenüber Unternehmen abstrakt über die Versicherungspflicht bestimmter Personen zu entscheiden, verneint hat, ist durch den nachfolgenden Schriftsatz der Beklagten vom 03.02.2020 (Seite 1 erster Absatz) bereits die Differenzierung zwischen Statusentscheidungen gegenüber dem Unternehmen einerseits und gegenüber dem Versicherten andererseits in das Verfahren eingeführt worden, an der sich die hier getroffene Entscheidung des erkennenden Gerichts ausrichtet.
Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil (§ 105 Abs. 3 erster Halbsatz SGG).

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft und insgesamt zulässig. 

Die Anfechtungsklage führt in der Sache auch zum Erfolg, wohingegen die Feststellungsklage abzuweisen war.

Der Kläger hat Anspruch auf Aufhebung der ihm gegenüber erlassenen Verwaltungsentscheidung, weil diese rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt; der angefochtene Bescheid vom 15.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2020 verstößt gegen § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X. 
Nach dieser Vorschrift muss der Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Aus dem Verfügungssatz muss für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will (vgl. BSG v. 29. 11. 2012 - B 14 AS 6/12 R, SozR 4-1300 § 45 Nr. 12; zitiert nach Littmann in: Hauck/Noftz, SGB, 12/16, § 33 SGB X, Rn. 3). Das Bestimmtheitsgebot bedeutet nicht, dass der Verfügungssatz des Verwaltungsakts auch ohne Auslegung verständlich sein muss. Es müssen aber bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers alle wesentlichen Merkmale eines Verwaltungsakts eindeutig und widerspruchsfrei zu erkennen sein. Insbesondere muss klar sein, dass es sich um eine einseitige, hoheitliche Regelung handelt, welcher Sachverhalt in welchem Sinne geregelt wird und schließlich bzw. zuallererst, wer Adressat der Regelung ist. Hiermit ist derjenige gemeint, der durch den Verwaltungsakt materiell berechtigt oder verpflichtet sein soll oder dem gegenüber ein Rechtsverhältnis festgestellt werden soll (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 33 SGB X, Stand: 01.12.2017, Rn. 12 mwN).
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung, ob ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt ist, ist seine Bekanntgabe. Später (z. B. im Klageverfahren) hinzutretende Umstände können nicht zur Auslegung herangezogen werden (vgl. Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 33 SGB X, Rn. 25).

Der mit der Klage angefochtene Bescheid vom 15.07.2020 ist an den Kläger unter seiner Privatanschrift adressiert worden und scheint sich, auch wegen seiner persönlichen Anrede, an ihn als „Versicherten“ zu richten. Da Ausgangspunkt des Bescheids kein Unfall des Klägers ist, bleibt die Feststellung, dass er als Arbeitnehmer der Beigeladenen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes bei der Beklagten versichert ist, für ihn hier ohne Konsequenz (das Bestehen einer solchen Versicherung ist ein „Element“ bzw. eine Tatbestandsvoraussetzung des Arbeitsunfalls nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Eine Konsequenz wird von der Beklagten im Bescheid insoweit gezogen, als sie den Kläger verpflichtet, die an ihn gezahlten Entgelte im Lohnnachweis „mit anzugeben“.
Der Verpflichtung zur Meldung von Lohnnachweisen an die Beklagte unterliegt indes nicht der Versicherte, sondern der Unternehmer als Arbeitgeber (§ 165 Abs. 1 Satz 1 SGB VII iVm § 99 SGB IV); hier wäre das die Beigeladene. Die Lohnnachweise sind zur Berechnung der von den Unternehmen an die Berufsgenossenschaft zu entrichtenden Beiträge erforderlich (§§ 150 Abs. 1 Satz 1, 152 Abs. 1 Satz 1, 153 Abs. 1 SGB VII); gegenüber den Versicherten werden in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Beiträge erhoben. Da der Kläger im Betreff des Bescheids als Gesellschafter und Geschäftsführer der Beigeladenen angesprochen ist (s. Tatbestand), könnte sich der Bescheid vom 15.07.2020 auch an den Kläger in seiner Eigenschaft als Vertreter der Beigeladenen (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG) oder aber in seiner Eigenschaft als Teil, d. h. Gesellschafter der GmbH richten, auf den sich die Feststellung ebenfalls (im Hinblick auf die Beitragslast) auswirken würde.

Ob sich die im Bescheid vom 15.07.2020 getroffene Regelung inhaltlich also an den Kläger als „Versicherten“ oder an den Kläger als „Vertreter der Arbeitgeberin“ oder an den Kläger als „Gesellschafter der Arbeitgeberin“ richtet, ist anhand des Bescheids nicht feststellbar.

Dies ändert sich auch nicht im Widerspruchsverfahren bzw. durch den Widerspruchsbescheid vom 17.12.2020. Im Gegenteil: Die Beklagten hat den Widerspruchsbescheid, nach Ankündigung der Bescheidung gegenüber dem Kläger persönlich durch Mitteilung vom 10.12.2020 (s. Tatbestand), wiederum an diesen unter seiner Privatanschrift gerichtet und im Verfügungssatz auf den Widerspruch des Klägers vom 28.07.2020 Bezug genommen (die Beigeladene hatte am 20.07.2020 Widerspruch erhoben, s. Tatbestand). In den Entscheidungsbegründung aber bezieht sich die Beklagte auf die Widerspruchsbegründung der Beigeladenen vom 24.09.2020, die sie so zitiert, als hätte der Kläger diese (als Vertreter der Beigeladenen) abgegeben. Auch gibt die Beklagte in den Entscheidungsgründen an, sie habe dem Kläger mit Schreiben vom 30.09.2020 die Sach- und Rechtslage erläutert, obwohl ihr Hinweisschreiben nur an die Beigeladene gerichtet war (s. Tatbestand). Der Widerspruchsbescheid setzt also die Unklarheit, an wen sich die getroffene Feststellung inhaltlich richtet (s. o.), fort.

Damit ist die mit der Klage angefochtene Behördenentscheidung mangels hinreichender Bestimmtheit rechtswidrig.

Da es sich bei dem Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach § 33 Abs. 1 SGB X nicht um eine formelle, sondern um eine materielle Rechtsmäßigkeitsvoraussetzung des Verwaltungsakts handelt, ist bei einem Verstoß hiergegen die Vorschrift des § 42 SGB X, der Einschränkungen für die Aufhebbarkeit von Verwaltungsakten bei Verfahrens- und Formfehlern enthält, nicht anwendbar (vgl. Littmann in: Hauck/Noftz, SGB, 12/08, § 42 SGB X, Rn. 12 mwN). Ebensowenig kann der Mangel der personellen Bestimmtheit durch eine Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG behoben werden (vgl. BSG, Urteil vom 01. Dezember 1977 – 12 RK 13/77 –, BSGE 45, 206-208, SozR 2200 § 1227 Nr 10, Rn. 16, zitiert nach juris).

Der festgestellte Mangel ist vielmehr unbehebbar und die angefochtene Entscheidung der Beklagten war daher antragsgemäß aufzuheben, ohne dass darüber entschieden werden musste bzw. konnte, ob die Beklagte ohne entsprechende Antragstellung dazu ermächtigt war, eine „Statusentscheidung“ zu treffen, da es zur Beantwortung dieser Rechtsfrage auf den Adressaten im o. g. Sinne ankommen dürfte.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nichtbestehens von Versicherungspflicht als Arbeitnehmer der Beigeladenen, weil die Beklagte, mangels personeller Bestimmtheit des angefochtenen Bescheids, ihm gegenüber die gegenteilige Regelung, das Bestehen dieser Versicherungspflicht, nicht getroffen hat; vielmehr hat der Bescheid durch die postalische Adressierung und Anrede lediglich diesen „Rechtsschein“ erzeugt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in entsprechender Anwendung und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Anfechtungsklage erfolgreich war. Dass die Feststellungsklage abgewiesen werden musste, hat das erkennende Gericht nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt, da diese Klageabweisung Konsequenz aus dem Verstoß der Beklagten gegen § 33 Abs. 1 SGG war.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 105 Abs. 2, 143, 144 SGG.

Rechtskraft
Aus
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