S 15 AL 50/21 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 50/21 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 42/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu
erstatten.


Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von drei weiteren Monaten Arbeitslosengeld.

Der 1972 geborene Antragsteller ist verheiratet und hat einen sechzehnjährigen Sohn. Er hat einen Grad der Behinderung von 50 (Bescheid v. 16.4.2019). Er bezog vom 1. Mai 2018 bis 29. Januar 2020 (mit Unterbrechungen) Krankengeld anspruchserschöpfend von der Barmer GEK.

Er meldete sich am 28. Januar 2020 zum 30. Januar 2020 persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Hierbei gab er an, weiterhin arbeitsunfähig erkrankt zu sein. Der sozialmedizinische Dienst der Antragsgegnerin stellte ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von sechs Stunden täglich und mehr fest. Einen im Juni 2018 gestellte Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegenüber der Antragsgegnerin wurde an die Deutsche Rentenversicherung Hessen weitergeleitet. Diese bewilligte dem Antragsteller Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach und bewilligte einen Eingliederungszuschuss zur Erlangung eines Arbeitsplatzes, befristet bis 30. April 2021.

Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 25. Februar 2020 Arbeitslosengeld ab 30. Januar 2020 für eine Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen mit einem täglichen Leistungsbetrag i.H.v. 52,25 € bis einschließlich 28. Januar 2021.

Mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wurde dem Kläger vom 28. Oktober bis 7. Dezember 2020, sodann vom 16. bis 21. Dezember 2020 Arbeitsunfähigkeit (u.a. wegen Erkrankung an SARS-CoV-19) bescheinigt. Mit Aufhebungsbescheid vom 9. Dezember 2020 hob die Beklagte die Bewilligung wegen Endes der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall ab 9. Dezember 2020 auf. Dem diesbezüglichen Widerspruch des Antragstellers half die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13. Januar 2021 ab und hob den Bescheid vom 9. Dezember 2020 wieder auf. Mit Änderungsbescheid vom 13. Januar 2021 wurde dem Antragsteller sodann Arbeitslosengeld für eine Restdauer von 50 Tagen vom 9. Dezember 2020 bis 28. Januar 2021 bewilligt.

Das Jobcenter Frankfurt am Main teilte der Antragsgegnerin unter anderem mit, dass sie für die Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers, vertreten durch seine Ehefrau, seit 1. Dezember 2020 Leistungen erbringe.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2020 beantragte der Antragsteller wörtlich „Verlängerung von Arbeitslosengeld I wegen Epidemiologische Situation von COVID-19 und SARS-CoV-2“. Er bitte um Mitteilung, ob es eine allgemeine Entscheidung der Antragsgegnerin gebe, die Zeit des ALG 1 Bezuges aufgrund der Situation zu verlängern. Es sei auch zu berücksichtigen, dass er eine schwerbehinderte Person sei. Mit neuem Schreiben vom 8. Januar 2021 beantragte der Antragsteller erneut „Verlängerung von Arbeitslosengeld I“ um drei Monate nach § 421d SGB III.

Mit Bescheid vom 13. Januar 2021 lehnte die Antragsgegnerin dies ab. Der Anspruch des Antragstellers mindere sich erst am 27. Januar 2021 auf einen Tag.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2021, Überschrift „Widerspruch gegen Aufhebungsbescheid“ führte der Antragsteller aus, dass die Antragsgegnerin am 9. Dezember 2020 ungerechtfertigt einen Aufhebungsbescheid getroffen habe. Offene Rechnungen könne er wegen des Versagens der Antragsgegnerin bzw. falschen Entscheidung vom 9. Dezember 2020 nicht mehr ausgleichen. 

Der Antragsteller hat am 20. Januar 2021 ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz am Sozialgericht Frankfurt am Main gestellt.

Der Antragsteller trägt vor, dass er lange krank gewesen sei und deswegen keine neue Beschäftigung habe suchen können. Seine Ehefrau befinde sich derzeit als Kosmetikerin auf Kurzarbeit mit einem monatlichen Verdienst i.H.v. 530,- €. Er sei hoch verschuldet mit ca. 10.000,- €. Er leide bis heute an den Folgen seiner COVID-19-Virus-Erkrankung. Es sei bekannt, dass durch die Pandemie sowie seine Behinderung die Wiedereingliederungschancen schlechter seien. Ein Antrag auf „ALG II“ sei für ihn unzumutbar. Es liege eine Ungleichbehandlung vor. Der Zugang zu Grundsicherungsleistungen sei durch den Bundestag vereinfacht worden. Die Antragsgegnerin habe keine Qualifizierungsmaßnahmen ihm bezüglich aufgenommen. Seine Ehefrau begehre Arbeitslosengeld ab November 2020.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Arbeitslosengeld I mindestens in Höhe der Regelleistung i.H.v. 52,25 EUR pro Tag für die nächsten drei Monate bzw. vom 28.1.2021 bis 1.5.2021 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verweist darauf, dass der Antragsteller gegen den Bescheid vom 13. Januar 2021 bislang kein Widerspruch erhoben habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.


II.

Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.

Bezüglich des Begehrens längerer Gewährung von Arbeitslosengeld ist er zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerseite vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Vorausgesetzt wird, dass der Antragstellerin durch das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, weil in der Zwischenzeit irreparable Rechtsnachteile eintreten können.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in: Meyer-Ladewig et al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 27; 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange der Antragssteller umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG Beschl. v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG Beschl. v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig et al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 16b; 41).

Nach diesen Grundsätzen fehlt es an einem glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch. Denn der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld über den 28. Januar 2021 hinaus. Der ihm aufgrund der Arbeitslosmeldung zum 30. Januar 2020 zustehende und bewilligte Anspruch ist in vollem Umfang von 360 Kalendertagen bereits aufgebraucht. Der Antragsteller hat seit 30. Januar 2020 durchgehend Arbeitslosengeld bezogen. Insbesondere hat die Antragsgegnerin die zwischenzeitliche Aufhebung wegen länger als sechs Wochen andauernder Erkrankung ab 9. Dezember 2020 im Widerspruchsverfahren wiederum aufgehoben und dem Antragsteller Arbeitslosengeld weiter gewährt. Der am 30. Januar 2020 entstandene Anspruch ist nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) durch Verbrauch vollständig gemindert worden. Ein neuer Anspruch ist mangels erneuter Erfüllung der Anwartschaftszeit nach §§ 142, 143 SGB III nicht entstanden, da der Antragsteller seit 29. Januar 2020 nicht mehr der Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung nach §§ 24 ff. SGB III unterlag.

Die Anspruchsdauer war auch nicht um drei Monate zu verlängern. § 421d Abs. 1 SGB III normiert diese Ausnahmeregelung lediglich für solche Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis zum 31. Dezember 2020 auf einen Tag gemindert hat. Der Antragsteller unterfällt nicht diesem Personenkreis, da sein Anspruch sich erstmals am 27. Januar 2021 auf einen Tag minderte. Eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG, die dem Antragsteller einen glaubhaft gemachten Anspruch vermitteln würde, ist nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat mit seiner Sonderregelung des § 421d Abs. 1 SGB III, die jede Anspruchsdauer nach § 147 Abs. 2 SGB III um drei Monate pauschal verlängert, die Grenzen des ihm zustehenden gesetzgeberischen Spielraums nicht überschritten. Verfassungsrechtlich ist der Gesetzgeber zudem nicht verpflichtet, eine temporär gültige Privilegierung über den festgesetzten Endzeitpunkt hinaus zu verlängern.

Im Hinblick auf den nicht glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch sind höchste Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu stellen, die vorliegend nicht erfüllt werden. Grundsätzlich können Personen, denen ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zusteht, nicht auf Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch verwiesen werden, wenn das Arbeitslosengeld die Grundsicherungsleistungen erheblich übersteigt. Vorliegend fehlt es jedoch an einem Anordnungsanspruch, ein Anspruch auf weiteres Arbeitslosengeld ist nicht glaubhaft gemacht und erscheint vielmehr ausgeschlossen. In dieser Konstellation ist eine Verweisung auf den Erhalt von Grundsicherungsleistungen, die der Antragsteller als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, die gegenüber dem Jobcenter durch seine Ehefrau vertreten wird, zumutbar. Etwas anderes ergibt sich zudem nicht aus dem Vortrag des Antragstellers, er habe Schulden. Arbeitslosengeld ist, wie bereits ausgeführt, eine Versicherungsleistung, die Entgeltersatzfunktion hat. Der Anspruch besteht nicht allein aufgrund einer besonderen Bedürftigkeitslage.

Soweit der Antragsteller Ansprüche auf Rehabilitation aufgrund seiner Schwerbehinderung geltend gemacht, so fehlt hierbei ein Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld. Denn dieses ist eine Versicherungsleistung, die einer Lohnersatzfunktion ausübt. Das Arbeitslosengeld verfolgt nicht den Sinn und Zweck, Vermittlungschancen in den Arbeitsmarkt zu verbessern bzw. Personen in den Arbeitsmarkt wieder einzugliedern. Hierfür sind im Recht der Arbeitsförderung gesonderte Instrumente (beispielsweise §§ 44, 45, 81 SGB III) vorgesehen. Streng von diesen Instrumenten zu trennen sind die der Antragsgegnerin als Träger von Rehabilitationsleistungen möglichen Instrumente nach §§ 112 ff. SGB III i.V.m. §§ 49 ff. SGB IX. Der Antragsteller vermischt hierbei verschiedene Rechtsbereiche, die grundsätzlich in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Insbesondere ergibt sich aus den §§ 112 ff. SGB III i.V.m. §§ 49 ff. SGB IX kein Anspruch auf Verlängerung des Arbeitslosengeldes. Der diesbezügliche Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zudem mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da dem Antragsteller bereits durch die (zuständige) Deutsche Rentenversicherung Hessen Teilhabeleistungen dem Grunde nach bewilligt worden sind.

Die Kostenentscheidung folgt einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Das statthafte Rechtsmittel der Beschwerde ergibt sich aus § 172 Abs.1 SGG.

Rechtskraft
Aus
Saved