S 15 AL 78/21 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 78/21 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 58/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu
erstatten.


Gründe

Der wörtlich gestellte Antrag

die angehängten Bescheide der Beklagten zu 1) vom 26. u 29.01.2021 mit Poststempel, von gestern heute zugegangen werden auf den WIDERSPRUCH des Klägers aufgehoben; das Verhalten aller Beklagten wird für rechtswidrig erklärt, die gesamtschuldnerische Leistungsgewährung durch alle Beklagte wird angeordnet, sowie die Auskunftserteilung durch die Beklagte zu 1).

Die Beklagten werden verurteilt eine vollständige und qualifizierte Potentialanalyse vorzulegen, sowie konkrete Hilfspläne.

Die Beklagten werden verurteilt eine vollständige und qualifizierte Eingliederungsvereinbarung vorzulegen.

Die Beklagten werden verurteilt die aus dem Anhang ersichtlichen Fahrtkosten und für die Dauer des Arbeitsverhältnisses jegliche anfallenden Fahrtkosten zu erstatten.

Die Beklagten werden verurteilt umfassenden sozialtherapeutische und psychologische Maßnahmen zur Aufnahme und zum Erhalt des Arbeitsverhältnisses anzubieten und zu finanzieren.

Die Beklagten werden verurteilt dem Kläger eine konkrete Unterbringung anzubieten und zu finanzieren.

Die Beklagten werden verurteilt dem Kläger ein konkretes qualifiziertes berufsbegleitendes Weiterqualifizierungsangebot zu unterbreiten und zu finanzieren.

sowie nach Antragserweiterung mit Schriftsatz vom 22. März 2021

die Beklagte wird verurteilt dem Kläger aus ihrem freien Budget eine Wohnung nebst Kaution zu finanzieren

der Einstellungsbescheid der Beklagten vom 19.02.2021 wird aufgehoben.

hat vollumfänglich keine Aussicht auf Erfolg. Hierbei hat das Gericht neben den wörtlich gestellten Anträgen ebenso durch Auslegung nach § 123 SGG die damit verbundenen Begehren des Antragstellers zugrunde gelegt. Streitgegenständlich sind allein die Begehren gegenüber der im Rubrum benannten Antragsgegnerin. Die Verfahren bzgl. des Jobcenters Frankfurt a.M. und das Sozialamt der Stadt Frankfurt werden unter eigenständigen Aktenzeichen gesondert geführt.

Der Entscheidung der Kammer steht nicht das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende entgegen. Denn das Ablehnungsgesuch ist unzulässig, da offensichtlich rechtsmissbräuchlich. 

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 42 Abs. 1 Alt. 2 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Sie findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist; maßgeblich ist vielmehr allein, ob ein Beteiligter, von einem vernünftigen Standpunkt aus betrachtet, berechtigten Anlass hat, an der Unparteilichkeit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Subjektive, unvernünftige Erwägungen scheiden als Ablehnungsgrund aus. Zweifel an der Unparteilichkeit müssen ihren Grund in einem Verhalten des Richters haben.

Ausweislich der Vielzahl der Verfahren ist der Antrag rechtsmissbräuchlich. Dem Antragsteller geht es nicht um die Verhinderung der Befassung der Vorsitzenden mit dem vorliegenden Verfahren (und dem materiellen Recht), sondern lediglich um die Beschäftigung der Vorsitzenden mit einem weiteren Antrag. Dies reiht sich ein in die übliche Praxis des Antragstellers, in den ersten Schriftsätzen eines Verfahrens im Abstand von wenigen Verfahren neben dem Befangenheitsantrag Verzögerungsrüge zu erheben, Prozesskostenhilfe ohne Einreichung der erforderlichen Unterlagen zu beantragen sowie die Beiordnung nach § 72 SGG zu beantragen und die Vorsitzende sodann wegen Rechtsbeugung abzulehnen (vgl. hierzu auch S 2 SF 79/20).

Soweit der Antragsteller Förderungsmaßnahmen, seit es nach §§ 45 oder 81 SGB III, oder nach §§ 112 ff. SGB III oder §§ 9 ff. SGB VI im Rahmen der Zuständigkeit der Antragsgegnerin als Rehabilitationsträger begehrt, oder auch sonstige Arbeitsvermittlungsbemühungen der Antragsgegnerin ist ein Rechtschutzbedürfnis des Antragstellers nicht ersichtlich. Die nunmehr seit November 2018 vorliegende Historie des Antragstellers sowohl in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin als auch im Gerichtsverzeichnis zeigt überdeutlich, dass die Antragsgegnerin zu jeder Zeit, in der sich der Antragsteller wegen Arbeitslosigkeit an sie gewandt hat, stets ihrer gesetzlich obliegenden Verpflichtung zur Vermittlung in Arbeit sowie zur Verminderung und Aufhebung von Vermittlungshemmnissen versucht hat nachzukommen. Die Antragsgegnerin versucht insbesondere seit November 2020 den Antragsteller regelmäßig zu Vermittlungsgesprächen einzuladen, ihn telefonisch zu erreichen, schickt ihm Stellenangebote und hat ihm zudem bereits Leistungen zur Aufnahme einer neuen Beschäftigung bewilligt. Die Antragsgegnerin kommt ihren gesetzlichen Verpflichtungen, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs des Antragstellers nachgewiesen sind, nach. Der Antragsgegnerin ist es ohne zumindest ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller, sei es telefonisch oder persönlich vor Ort, gar nicht möglich, über die Berufsausbildung und die bisherigen Tätigkeiten hinaus ein Profil des Antragstellers zu erstellen oder auch Vermittlungsbedarfe zu erkennen. Demgegenüber steht das Verhalten des Antragstellers in enormen Widerspruch zu dem nun geltend gemachten Begehren. Der Antragsteller hat sich bisher nicht nur geweigert, zu Vermittlungsgesprächen zu erscheinen, sondern ist ausweislich der aktenkundigen Emails bereits nicht bereit, eine Telefonnummer für eine telefonische Kontaktaufnahme mitzuteilen. Das gesamte Verhalten des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin, auch in der Vielzahl an anhängigen Gerichtsverfahren, ist darauf ausgerichtet, jegliche Vermittlungsbemühungen der Antragsgegnerin zu vermeiden. Stellenangebote lehnt er vollumfänglich ab. Allein aufgrund des Antragstellers ist es der Antragsgegnerin nicht möglich, vertieft zu prüfen, welche Fördermaßnahmen für den Antragsteller in Betracht kommen. Dem Antragsteller wäre es zudem ein leichtes, sein Begehren gegenüber der Antragsgegnerin zu erreichen, indem er sich konstruktiven Gesprächen mit den Arbeitsvermittlern zur Verfügung stellen würde und sodann an den Vermittlungshemmnissen, ggf. mit Unterstützung der Antragsgegnerin, arbeiten würde. Es ist zu vermuten, dass bei dem Antragsteller erhebliche Hemmnisse vorliegen, die es ihm zwar ermöglichen, eine Arbeit zu finden und aufzunehmen, sodann jedoch bedingen, dass er diese relativ schnell wieder verliert. Welche Fördermaßnahmen diesbezüglich in Betracht kommen, bedarf jedoch tiefgreifender Ermittlungen, die ohne Zusammenarbeit mit dem Antragsteller nicht möglich sind. Gerichtlichen Eilrechtsschutzes bedarf es zum Erreichen des wörtlich beantragten Begehrens des Antragstellers nicht.

Der auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz verstandene Antrag ist wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig (§ 202 S. 1 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG; u.a. S 15 AL 105/21 ER). Aufgrund dessen hat das Gericht von einer Verweisung an das hierfür grundsätzlich zuständige Verwaltungsgericht abgesehen.

Ebenso liegt doppelter Rechtshängigkeit bezüglich der Weitergewährung des Arbeitslosengeldes über den 19. Februar 2021 hinaus vor (§ 202 S. 1 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG; u.a. S 15 AL 105/21 ER).

Soweit der Antragsteller die Erstattung der Fahrkosten für die Tageskarten vom 21. Januar und vom 29. Januar 2021, sowie für die während des Arbeitsverhältnisses ab 1. Februar 2021 begehrt, ist der Antrag wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig (§ 202 S. 1 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG; u.a. S 15 AL 18/21 ER; S 15 AL 72/21 ER). 

Im Übrigen ist der Antrag auf Erstattung der Fahrkosten als Antrag nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG statthaft und zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerseite vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Vorausgesetzt wird, dass der Antragstellerin durch das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, weil in der Zwischenzeit irreparable Rechtsnachteile eintreten können.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in: Meyer-Ladewig et al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 27; 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange der Antragssteller umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG Beschl. v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG Beschl. v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig et al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 16b; 41).

Das Gericht kann diesbezüglich keine Eilbedürftigkeit, insbesondere keine Gefahr eines wesentlichen Nachteils, mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit erkennen. Denn der Antragsteller begehrt Leistungen für die Vergangenheit vor Antragstellung. In diesem Fall ist eine einstweilige Anordnung regelmäßig ausgeschlossen, da solche grundsätzlich ab Eingang des Eilantrags bei Gericht zuzusprechen sind (vgl. Hess. LSG Beschl. v. 22.06.2011 – L 7 AS 700/10 B ER, juris, Rn. 27; Keller in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 35a m.w.N.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen. Diese Ausnahmemöglichkeit gilt aber nicht, wenn Leistungen für die Vergangenheit begehrt werden, weil eine Gefährdung der Existenz rückwirkend nicht möglich ist. Vergangene Zeiträume sind vorbei und nicht mehr einstweilen regelungsfähig. Eine Regelung im Wege des Eilverfahrens kann an Situationen in der Vergangenheit nichts mehr verändern. Eine Entscheidung über Leistungen für die Vergangenheit würde den eigentlichen Anspruch im Wege des Eilverfahrens regeln, was aber grundsätzlich unzulässig ist. Der Antragsteller muss für die rückwirkend begehrten Leistungen das gesetzlich vorgesehene Verfahren einhalten. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist vorliegend, insbesondere im Hinblick auf den bereits bezahlten Betrag, nicht erkennbar.

Ebenso ist der Antrag auf Stellung einer Unterkunft bzw. Übernahme der Kosten für diese unbegründet. Es fehlt bereits ein Anordnungsanspruch. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage, nach der die Antragsgegnerin für die Stellung einer Unterkunft bzw. für die Übernahme der Kosten der Unterkunft grundsätzlich zuständig wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 ABs. 1 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Das statthafte Rechtsmittel der Beschwerde ergibt sich aus § 172 Abs. 1 SGG.

Rechtskraft
Aus
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