L 7 R 859/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 327/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 859/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation streitig.

Der am 1973 geborene Kläger hat zuletzt den Beruf eines Werkzeugmachers ausgeübt.

Am 24. August 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von stationären medizinischen Leistungen zur Rehabilitation. Als gesundheitliche Probleme gab er einen Leistenbruch, Bandscheibenvorfall, Durchfall, Schlafstörungen, allgemeine Schwäche und eine depressive Verstimmung an. Für die Antragstellung maßgeblich seien Schmerzzustände nach fünfmaliger OP. Er legte einen Arztbrief von Dr. M. der Chirurgischen Privatklinik vom 19. August 2016 vor, wonach er nach einer Laparaskopie und Hernioplastik am Nabel mit Nahtverschluss am 4. März 2016 sowie einer triple neurectomy am 21. April 2016 mit dem Ergebnis zufrieden sei und kein Dauerschmerz mehr bestehe sowie aus chirurgischer Sicht ein stationäres Heilverfahren mit dem Ziel, seine Arbeitsfähigkeit in dem Beruf als Werkzeugmacher wiederherzustellen und dauerhaft zu erhalten, anzustreben sei.

Die Beklagte zog des Weiteren einen ärztlichen Bericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. W. vom 16. August 2016 bei.

Mit Bescheid vom 30 . August 2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ab.

Den dagegen vom Kläger eingelegten Widerspruch vom 25. September 2016 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2017 zurück. Aus den vorliegenden entscheidungserheblichen Unterlagen ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit. Im Übrigen seien die Behandlungsmöglichkeiten, die im Rahmen der Krankenbehandlung über die Krankenversicherung zur Verfügung ständen, derzeit ausreichend.

Am 2. Februar 2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Bei ihm liege eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit vor. Diese sei zudem auch bereits gemindert. Er sei seit gut zwei Jahren arbeitsunfähig krank. Seit Juli 2016 sei er arbeitslos. Eine Rehamaßnahme würde gerade für die Beschwerden auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet eine wesentliche Verbesserung bedeuten und als Folge auch eine Fortsetzung bzw. eine Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit nach sich ziehen. Die Krankenbehandlung sei zwar in Bezug auf den Leistenbruch ausreichend. Hinsichtlich des Bandscheibenvorfalls könne eine medizinische Rehamaßnahme aber sehr wohl eine Linderung der Beschwerden bewirken. Ebenso im Hinblick auf die allgemeine Erschöpfung und Schwäche sowie für die depressive Verstimmung.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachständige Zeugen befragt. Auf die Angaben des Facharztes für Innere Medizin Dr. P. im Schreiben vom 22. April 2017 (Bl. 21/26 SG-Akte), des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. W. im Schreiben vom 10. Mai 2017 (Bl. 30/37 SG-Akte) sowie des Facharztes für Orthopädie B. im Schreiben vom 23. Mai 2017 (Bl. 38 SG‑Akte) wird Bezug genommen.

Ferner hat das SG bei dem Internisten und Betriebsmediziner Dr. S. ein internistisch-arbeitsmedizinisches Gutachten eingeholt. Im Gutachten vom 4. August 2017 (Bl. 46/62 SG-Akte) hat der Gutachter folgende Diagnosen gestellt:

  1. Leberschädigung, nutritiv toxisch bedingt, bei Hämochromatose ohne Hinweis auf Leberzirrhose,
  2. Durchfallerkrankung, kein Hinweis auf eine entzündliche Darmerkrankung (z.B. Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa),
  3. leichte Erhöhungen für Harnsäure und Cholesterin, bekannte Fruktoseintoleranz.

Im Rahmen der durchgeführten blutserologischen Untersuchungen fielen deutlich überhöhte Leberwerte auf mit Betonung der Gamma-GT. Aufgrund des deutlich überhöhten Alkoholmarker CDT sei von einer überwiegend nutritiv-toxischen Ursache der Leberschädigung auszugehen, wobei allerdings auch erhöhte Eiseneinlagerungen bei bekannter Hämochromatose zu diskutieren seien. Bezüglich einer Leistungseinschränkung im Bereich leichter körperlicher Arbeiten habe die Lebererkrankung keine Bedeutung, da eine beginnende oder gar manifeste Leberzirrhose sicher ausgeschlossen werden könne. Bei der diagnostizierten Hämochromatose bestehe die Möglichkeit einer Reduzierung des Eisenspeichers durch regelmäßige Aderlassbehandlungen. Zu derartigen regelmäßigen Maßnahmen sei es jedoch offensichtlich aufgrund von Compliance-Problemen bisher nicht gekommen. Aufgrund der festgestellten Leiden bestehe keine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit. Eine stationäre Heilmaßnahme sei nicht erforderlich, die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten seien ausreichend. Der überhöhte Alkoholgenuss könne problemlos zurückgefahren werden und bedürfen keiner stationären Heilmaßnahme. Die Eisenspeicherkrankheit könne durch ambulante regelmäßige Aderlassbehandlungen wirksam behandelt werden. Auch dafür sei eine stationäre Heilmaßnahme nicht erforderlich. Zusätzlich beklagte Leistenbeschwerden links seien bereits chirurgisch angegangen.

Unter dem 21. Oktober 2017 (Bl. 70/74 SG-Akte) hat der Gutachter ergänzend zu den von dem Kläger gegen sein Gutachten erhobenen Einwendungen Stellung genommen. Erhöhte CDT-Werte im Serum träten erst nach mindestens einwöchiger Aufnahme von täglich mehr als 60 Gramm reinem Ethanol auf. Die Gamma-GT könnten zwar durch die nachgewiesene Hämochromatose beeinflusst werden, andererseits sei die Erhöhung des MCV ein weiteres Indiz für überhöhten Alkoholkonsum. Der MCV-Wert gelte als weiterer zuverlässiger Alkoholmarker. Bezüglich der Leberschädigung bestünde jederzeit durch Vorstellung in einer gastroenterologischen Ambulanz die Möglichkeit zur Klärung der Frage, welche der diskutierten Ursachen (nutritiv-toxisch oder Hämochromatose) federführend sei.

Der Kläger hat einen Laborbefund vom 14. Dezember 2017 (Bl. 84 SG-Akte) über den CDT-Wert (Ergebnis: 1,30%) vorgelegt.

Mit Gerichtsbescheid vom 30. Januar 2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Bezüglich des Berufs des Werkzeugmachers liege keine Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vor, was sich aus dem schlüssigen, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Gutachten von Prof. Dr. S., dessen ergänzender Stellungnahme und den sachverständigen Zeugenaussagen sowie den Befundberichten ergebe. Ambulante Therapiemöglichkeiten seien gegenwärtig noch nicht voll ausgeschöpft.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 6. Februar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 5. März 2018 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Es stelle sich bereits die Frage, warum ein überhöhter Alkoholkonsum, soweit dieser unterstellt werde, gegen die Gefährdung bzw. Minderung der Erwerbsfähigkeit sprechen sollte. Das Gesetz unterscheide bei dem Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht nach den Ursachen der Erkrankung oder einer etwaigen (Eigen-)Verursachung. Der im Normbereich liegende CDT-Wert sei nicht aussagekräftig, da er durch zwei bis vierwöchige Alkoholabstinenz in den Normbereich fallen würde. Wenn beim Kläger eine Alkoholerkrankung vorläge, dann wäre eine Abstinenzzeit auch nur von zwei bis vier Wochen nicht ohne weiteres zu bewerkstelligen. Die Aderlässe würden seit Januar 2017 regelmäßig durchgeführt, hätten jedoch keine signifikante Besserung gebracht. Die Leistenprobleme seien trotz durchgeführter Operationen vorhanden. Ob es sich bei der Durchfallerkrankung um eine entzündliche Darmerkrankung handele oder möglicherweise nur um ein Reizdarmsyndrom spiele für die Frage der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben keine Rolle. Fraglich sei lediglich, wie sich diese Erkrankung auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers auswirke. Neben den orthopädischen Beschwerden führe vor allem die Durchfallerkrankung zu der lang andauernden und noch immer anhaltenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Januar 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2017 zu verurteilen, ihm eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Kläger hat eine Bescheinigung von Dr. P. vom 22. November 2018 (Bl. 35 Senatsakte) über die im Jahr 2017 stattgefundenen Aderlasstermine vorgelegt.

Der Senat hat Prof. Dr. Z. mit der Erstattung eines internistischen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 29. März 2019 (Bl. 63/87 Senatsakte) hat der Gutachter folgende Diagnosen gestellt:

  1. Chronischer Leistenschmerz links mehr als rechts bei bekanntem Inguinalnervensyndrom links,
  2. Hämochromatose ED 2017,
  3. Z.n. Fruktoseintoleranz, aktuell kein Nachweis einer Fruktoseintoleranz März 2019,
  4. Z.n. anamnestisch Bandscheibenvorfall,
  5. Schlafstörungen,
  6. depressive Verstimmung,
  7. Nikotinabusus,
  8. chronische Diarrhoe unklarer Genese, a.e. Reizdarmsyndrom,
  9. Refluxösophagitis I. Grades, bekannt seit 2013,
  10. Steatosis hepatis II. Grades,
  11. Reizdarmsyndrom,
  12. geringgradige Splenomegalie,
  13. Leberzyste,
  14. kein Hinweis auf Sprue,
  15. Hypercholesterinämie.

Der Kläger habe aufgrund der Leistenschmerzen Schwierigkeiten beim Sitzen und Brücken, könne keine schweren Gegenstände heben. Häufiges Bücken wäre nicht sinnvoll, Überkopfarbeiten ebenso. Eine Arbeit von täglich mindestens 6 Stunden wäre möglich, wenn der Kläger eine Toilette in der Nähe habe. Dieser Gesundheitszustand bestehe eher seit mehreren Jahren. Die erhobenen Befunde und daraus folgenden Einschränkungen seien am ehesten von Dauercharakter. Eine Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit oder Behebung der Einschränkungen sei eher unwahrscheinlich. Auch eine Rehabilitationsmaßnahme könne den Zustand des Klägers nicht verbessern. Die Hämochromatose sei nach dem Laborbefund aktuell absolut nicht im Vordergrund. Mit einem normwertigen Ferritin- und Hämoglobinwert seien weitere Aderlässe nicht mehr indiziert, somit auch keine weitere Behandlung bezüglich der Hämochromatose notwendig.

Der Kläger hat ein Schreiben von Dipl.-Psych. Z. vom 13. Juni 2019 (Bl. 97 Senatsakte) vorgelegt. Diesen hat der Senat sodann als sachverständigen Zeugen befragt. Wegen seiner Angaben wird auf das Schreiben vom 2. September 2019 (Bl. 142 Senatsakte) Bezug genommen.

Ferner hat der Senat den Facharzt für Orthopädie B. erneut als sachverständigen Zeugen befragt. Wegen dessen Ausführungen wird auf sein Schreiben vom 12. November 2019 (Bl. 153v Senatsakte) Bezug genommen.

Schließlich hat der Senat bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H. ein Gutachten eingeholt. In dem orthopädisch-traumatologischen Gutachten vom 22. April 2020 (Bl. 168/190 Senatsakte) hat der Gutachter folgende Diagnosen gestellt:

  1. Zustand nach 4-maliger Operation einer Leistenhernie links,
  2. Zustand nach Neurektomie der Leistennerven,
  3. erhebliche Verwachsungen im Operationsgebiet,
  4. neuropathische Schmerzen im Bereich der linken Leiste,
  5. Schmerzchronifizierung,
  6. ehemalige und erfolgreiche Operation einer Leistenhernie rechts.

Derzeit sollten in jedem Fall Tätigkeiten vermieden werden, die mit ständigem Sitzen, ständigem Stehen, ständiger vornübergeneigter, gebückter oder sonstiger ungünstiger Körperhaltung einhergingen. Heben oder Tragen von Lasten von mehr als 10 kg seien ebenfalls zu vermeiden. Der von chirurgisch-orthopädischer Seite festgestellte Gesundheitszustand bestehe wohl seit der letzten Leistenoperation im Jahr 2016. Es handele sich um einen durch eine interdisziplinäre schmerzorientierte Rehabehandlung mit damit verbundener Belastungserprobung besserungsfähigen Zustand.

Die Beklagte hat daraufhin in der sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. B. vom 3. Juni 2020 (Bl. 192 Senatsakte) darauf hingewiesen, dass für die von Dr. H. für erforderlich gehaltene interdisziplinäre und multimodale Schmerzbehandlungen entsprechende Schmerzkliniken zur Verfügung stünden, die im Rahmen der medizinischen Regelversorgung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) belegt werden könnten. Medizinische Reha-Maßnahmen der Deutschen Rentenversicherung hätten nicht die Aufgabe, akut medizinische Behandlungsmaßnahmen, die im Rahmen der medizinischen Regelversorgung nach dem SGB V möglich seien, aber nicht wahrgenommen würden, zu ersetzen. Medizinische Reha-Maßnahmen kämen dann zum Tragen, wenn die Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien, und die Versicherten im Anschluss daran rehabilitiert werden sollten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung u.a. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, um (1.) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (2.) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Die Leistungen können erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VI). Nachdem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 11 Abs. 2 SGB VI) unstreitig erfüllt sind, streiten die Beteiligten allein darüber, ob bei der Klägerin die persönlichen Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 SGB VI gegeben sind. Nach § 10 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe erfüllt, (1.) deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und (2.) bei denen voraussichtlich (a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, (b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, (c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.

Leistungen zur Teilhabe setzen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI voraus, dass die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist. Erwerbsfähigkeit im Sinne dieser Regelung ist die Fähigkeit des Versicherten, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können (ausführlich hierzu BSG, Urteil vom 12. März 2019 – B 13 R 27/17 R – juris Rdnr. 17 ff. m. w. N.). Dagegen sind nicht die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – B 5 RJ 15/05 R – juris Rdnr. 17 m. w. N.; BSG, Urteil vom 11. Mai 2011 – B 5 R 54/10 R – juris Rdnr. 46 m. w. N.). Entscheidend ist vielmehr, ob der Versicherte unabhängig von den Besonderheiten des gerade innegehabten Arbeitsplatzes den typischen Anforderungen des ausgeübten Berufs noch nachkommen kann (BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 – B 5 R 44/08 R – juris Rdnr. 29). Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ist zu bejahen, wenn die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben nicht unwesentlich eingeschränkt ist und der Versicherte daher nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf „normal“ auszuüben (Kater in Kassler Kommentar, SGB VI, 110. EL Juli 2020, § 10 Rdnr. 23). Der rentenrechtlich geforderte Grad der Erwerbsminderung braucht weder bereits vorzuliegen noch zu befürchten sein (Luthe in jurisPK-SGB VI, 2. Auflage 2013, Stand 4. Februar 2019, § 10 Rdnr. 42 m. w. N.).

Liegen die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor, so bestimmt der Träger der Rentenversicherung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei erstreckt sich das dem Rentenversicherungsträger eingeräumte Ermessen nicht auf das „Ob“ der Leistungsgewährung, sondern beschränkt sich auf das „Wie“ der Leistungserbringung. Nach § 13 Abs. 2 SGB VI erbringt der Träger der Rentenversicherung nicht (1.) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit, es sei denn, die Behandlungsbedürftigkeit tritt während der Ausführung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ein, (2.) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung, (3.) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse nicht entsprechen. Zu den medizinischen Leistungen, die grundsätzlich nicht in den Bereich der Rehabilitation fallen, gehört insbesondere die Krankenbehandlung der gesetzlichen Krankenversicherung. Ist Ziel der Behandlung die Heilung, Beseitigung oder Vermeidung einer Verschlimmerung einer Erkrankung, handelt es sich um Krankenbehandlung. Geht es dagegen um das Beseitigen, Vorbeugen, Verbessern oder Abwenden von wesentlichen Verschlechterungen von Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen als Folge von Krankheit, handelt es sich um medizinische Rehabilitation. Während bei der Krankenbehandlung der Schwerpunkt auf der ärztlichen Behandlung liegt, ist für die medizinische Rehabilitation ein Gesamtkomplex ineinandergreifender Leistungen charakteristisch (Nellissen in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 42 Rdnr. 24).

Die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen begründen keinen Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Soweit im Verlauf des Verfahrens internistische Erkrankungen, insbesondere eine Leberschädigung und Hämochromatose sowie eine Durchfallerkrankung zur Begründung eines Anspruchs auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme diskutiert wurden, stehen diese nicht mehr im Vordergrund der Beschwerden und gefährden nicht die Erwerbsfähigkeit des Klägers als Werkzeugmacher. Gegenüber der Begutachtung von Dr. S., der eine nutritiv toxisch bedingte Leberschädigung bei Hämochromatose diagnostiziert hat, stand nach dem Gutachten von Prof. Dr. Z. die Hämochromatose aktuell nicht im Vordergrund. Es zeigte sich zwar eine Fettleber Grad II und eine geringgradige Splenomegalie. Der Ferritinwert zeigte sich laborchemisch normwertig, der Cholesterinwert war minimal leicht erhöht. Mit einem normwertigen Ferritin- und Hämoglobinwert sind weitere Aderlässe nach den Ausführungen von Prof. Dr. Z. nicht mehr indiziert. Eine weitere Behandlung bezüglich der Hämochromatose ist damit nicht notwendig. Danach kann schon eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht auf die Hämochromatose gestützt werden und erst recht nicht die Erforderlichkeit einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Dass sich die Fettleber und die geringgradige Splenomegalie auf die Erwerbsfähigkeit auswirken könnten, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen wäre insofern zunächst eine Krankenbehandlung durchzuführen.

Eine chronische Diarrhoe hat der Sachverständige Prof. Dr. Z. am ehesten einem Reizdarmsyndrom zugeschrieben. Eine organische Ursache hat er hierfür nicht gefunden. Eine Stuhlprobe auf Wurmeier, generell Parasiten oder pathogene Keime war unauffällig. Eine Magenspiegelung im Rahmen des Gutachtens hat eine Refluxösophagitis Grad I ergeben. Die tiefe Duodenum-Biopsie hat keinen Hinweis auf Sprue gezeigt. In der Stufenbiopsie in der Coloskopie fand sich kein Hinweis auf Colitis oder mikroskopische Colitis. Auch eine Fruktoseintoleranz konnte Prof. Dr. Z. im Zeitpunkt der Begutachtung nicht nachweisen. Nach den Ausführungen im Gutachten von Dr. H. hat der Kläger nach eigenen Angaben den Stuhlgang nach der Normalisierung der Hämochromatose und einer psychologischen Behandlung gut im Griff. Auch insofern ist danach nicht ersichtlich, dass aufgrund von Durchfallproblemen die Erwerbsfähigkeit des Klägers gefährdet und gar eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme erforderlich sein könnte.

Aufgrund von Gesundheitsstörungen der Wirbelsäule besteht ebenfalls keine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit und Erforderlichkeit einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Bereich der Wirbelsäule zeigte eine Kernspintomographie vom 9. Juli 2015 einen flachen dorsomedianen rechtslateralen Bandscheibenvorfall L5/S1. Gegenüber dem Gutachter Dr. H. hat der Kläger allerdings keine Beschwerden oder Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule angegeben. Ein relevantes und therapiebedürftiges Lumbalsyndromen hat der Gutachter nicht festgestellt. Die Beschwerden im Bereich der linken Leiste sind nicht auf die bildtechnischen Veränderungen der Etage L5/S1 zurückzuführen. Schon aus physiologisch/anatomischen Gründen ist eine Schmerzverursachung der linken Leiste nach den Ausführungen von Dr. H. durch einen rechtsseitig gelegenen Bandscheibenvorfall nicht nachvollziehbar. Im Übrigen ergeben sich aus den von Dr. H. hinsichtlich der Wirbelsäule erhobenen Befunde keine diesbezüglichen Funktionsbeeinträchtigungen. Hinsichtlich der Funktion der Lendenwirbelsäule betrug der Finger-Boden-Abstand 5 cm, das Zeichen nach Schober 10/15 cm, die Seitneigefähigkeit war unauffällig, die Rückneigefähigkeit des Oberkörpers gelang bis 30 Grad. Über den Dornfortsätzen und den Facettengelenken der Lendenwirbelsäule erfolgte bei der betastenden Untersuchung keine Schmerzangabe. Der Muskeltonus war regelrecht, Ausstrahlungen in die Beine bestanden nicht und waren nicht provozierbar. Die Funktionsprüfung der Brustwirbelsäule ergab eine freie Entfaltbarkeit bei einem Zeichen nach Ott von 30/33 cm. Die Rotations- und Reklinationsbeweglichkeit war unauffällig. Der Muskeltonus war ebenfalls unauffällig. Bestehende oder provozierbare Schmerzen über den Wirbelverbindungs- oder Rippenwirbelgelenken der Brustwirbelsäule hat Dr. H. nicht festgestellt, ebenso keinen Thoraxkompressionsschmerz. Auch für den Bereich der Halswirbelsäule ergeben sich aus den von Dr. H. erhobenen Befunden keine Beeinträchtigungen. Der Muskeltonus war auch insofern unauffällig. Druck- oder Dehnungsschmerzen bestanden ebenso wenig wie isolierte Schmerzen über den Wirbelverbindungsgelenken oder eine radikuläre Ausstrahlung in die Arme. Die Beweglichkeit war ebenfalls frei.

Der Schwerpunkt der Beschwerden des Klägers liegt – wie auch schon bei der Antragstellung von ihm angegeben – in Schmerzen im Bereich der Leiste links. Allerdings kann auch darauf die Erforderlichkeit einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme nicht gestützt werden. Vielmehr ist die Inanspruchnahme von Krankenbehandlung vorrangig. Der Gutachter Dr. H. hat einen Zustand nach viermaliger Operation einer Leistenhernie links und nach einer Neurektomie der Leistennerven, erhebliche Verwachsungen im Operationsgebiet, neuropathische Schmerzen im Bereich der linken Leiste sowie eine Schmerzchronifizierung diagnostiziert. Zwar konnte der Gutachter, soweit bei der manuellen Untersuchung möglich, keine offene Bruchpforte feststellen. Jedoch bestehen nach seinen Feststellungen sowohl von intraabdominell wie auch von extern bei der letzten Revision erkennbare Narbenbildungen und auch unter Betrachtung der Schmerzschilderung und des Vorgehens an den Nerven eine neuropathische Schmerzkomponente, die die Chronifizierung des Schmerzes, von der der Gutachter ausgeht, begünstigen. Darauf ist nach dem Gutachten eine eingeschränkte Belastbarkeit des Klägers zurückzuführen. Tätigkeiten, die mit ständigem Sitzen, ständigem Stehen, ständiger vornüber geneigter, gebückter oder sonstiger ungünstiger Körperhaltung einhergehen, sind zu vermeiden. Weiterhin sind dem Kläger Heben oder Tragen von Lasten von mehr als 10 kg nicht zumutbar. Mit diesen Einschränkungen ist der Beruf des Werkzeugmachers, entsprechend dem vom SG dargestellten Berufsbild derzeit nicht ausführbar, da die Arbeit hauptsächlich im Stehen, teilweise auch in gebückter Haltung wie z.B. an der Werkbank ausgeführt wird (vgl. https://berufenet.arbeitsagentur.de/berufenet/archiv/13841.pdf zu „Arbeitsbedingungen“).

Soweit Dr. H. aufgrund einer bisher nicht erfolgten Schmerzbehandlung bzw. –therapie die Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme befürwortet hat, hat Dr. B. in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 3. Juni 2020 überzeugend dargelegt, dass für die nach dem Gutachten von Dr. H. (zunächst) erforderliche interdisziplinäre und multimodale Schmerzbehandlung Schmerzkliniken zur Verfügung stehen, die im Rahmen der medizinischen Regelversorgung nach dem SGB V belegt werden können. Dr. H. hat zudem darauf hingewiesen, dass bei einem chronischen Schmerzsyndrom auch die medikamentöse Schmerzbehandlung mit zu beachten ist. Eine regelmäßige medikamentöse Schmerzbehandlung wurde beim Kläger bislang allerdings noch nicht durchgeführt. Auch eine ambulante Schmerztherapie hat der Kläger bislang nicht durchlaufen. Damit besteht zunächst eine akute Behandlungsbedürftigkeit der Schmerzerkrankung bzw. die Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung. Da gemäß § 13 Abs. 2 SGB VI Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit bzw. anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung vom Rentenversicherungsträger nicht zu erbringen sind, ist vorliegend eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation derzeit jedenfalls ausgeschlossen. Erst wenn die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten der Schmerzbehandlung ausgeschöpft sind, kommt die Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme durch die Beklagte im Betracht.

Im Übrigen kann auch erst nach Abschluss der Krankenbehandlung beurteilt werden, ob Leistungen zur medizinischen Rehabilitation überhaupt geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit des Klägers in Bezug auf den Beruf als Werkzeugmacher wiederherzustellen.

Auch ein Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 40 SGB V, über die die Beklagte aufgrund § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) als erstangegangener Leistungsträger ebenfalls zu entscheiden hätte, kommt nicht in Betracht. Nach § 40 Abs. 1 SGB V erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen, wenn eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreichend ist, um die in § 11 Abs. 2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen. Nach § 40 Abs. 2 SGB V erbringt die Krankenkasse eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, wenn eine ambulante Maßnahme nach Abs. 1 nicht ausreicht. Rehabilitationsmaßnahmen durch die Krankenkasse sind gemäß § 40 Abs. 4 SGB V allerdings nachrangig. Da vorliegend grundsätzlich eine Rehabilitationsmaßnahme durch den Rentenversicherungsträger im Betracht kommt – aber eben erst nach Abschluss der Krankenbehandlung bzw. Durchführung einer Krankenhausbehandlung – scheidet ein Anspruch nach § 40 Abs. 1 oder 2 SGB V aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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