L 7 BK 4174/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 BK 2832/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 BK 4174/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. September 2017 abgeändert.

Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 19. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2012 verurteilt, dem Kläger für den Monat Juni 2013 Kinderzuschlag in Höhe von 360,00 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für die Monate Dezember 2011 und Juni 2013 für die Kinder des Klägers N. (geboren in 1989), Y. H. (geboren in 1991), F. (geboren in 1992), M. (geboren in 1995), E. (geboren in 1998) und S. (geboren in 2007) streitig.

Der Kläger und seine Ehefrau gehören zur Volksgruppe der M., welche in den kurdischen Gebieten in der T., in S. und im L. gesiedelt haben, wegen Verfolgung und Bürgerkrieg jedoch immer wieder ihre Siedlungsgebiete wechselten. Sie kamen - damals als l. Staatsangehörige bzw. Staatenlose (Bescheinigung der Republik des L. vom 4. Dezember 1998 <Bd. II Bl. 139 der beim Ausländeramt des Landratsamts R. geführten Ausländerakte des Klägers>) - aus dem L. im August 1989 in die Bundesrepublik Deutschland. Ihnen wurde nach erfolglosem Asylantrag am 2. Mai 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (Bd. II Bl. 119 Ausländerakte) bzw. am 23. März 2006 (Bd. II Bl. 86 Ausländerakte) eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt; die zum damaligen Zeitpunkt bereits geborenen Kinder waren im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen.

Im Jahr 2006 gelangten t. Geburtsregisterurkunden zur Kenntnis der Beklagten, wonach der Kläger und seine Ehefrau in der T. geboren sind und die t. Staatsangehörigkeit besitzen. Auf der Grundlage eines zuvor geschlossenen Vergleichs (vgl. Bd. V Bl. 206 Ausländerakte) verfügte das Landratsamt R. mit Beschluss vom 31. Mai 2011, dass bei allen Familienangehörigen des Klägers die erteilten Aufenthaltstitel auf den Tag ihrer Erteilung zurückgenommen, der Kläger und seine Ehefrau aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden und die Abschiebung für die Dauer von 18 Monaten ausgesetzt wird. Den Kindern des Klägers wurde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zugesichert für den Fall der Vorlage t.r Reisepässe. Dem Kläger und seiner Ehefrau wurde die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG nach Ablauf von 18 Monaten in Aussicht gestellt. Am 16. September 2011 wurde dem Kläger eine Duldung bis zum 15. Dezember 2011 ausgestellt (Bd. V Bl. 170 Ausländerakte) und sodann mehrmals bis zum 10. März 2013 verlängert, zuletzt mit Verfügung vom 6. Dezember 2012 (Bd. V Bl. 86 Ausländerakte). Die Duldungen enthielten jeweils folgende Nebenbestimmungen: „Selbständige Erwerbstätigkeit nicht gestattet. Unselbständige Beschäftigung uneingeschränkt erlaubt“. Nachdem der Kläger am 6. September 2012 einen t.n Pass vorgelegt hatte, wurde ihm am 31. Januar 2013 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ausgestellt (Bd. V Bl. 74 Ausländerakte). Am 1. März 2018 wurde dem Kläger eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG erteilt (Bd. VI Bl. 13 Ausländerakte).

Mit Bescheid vom 27. Juli 2011 lehnte das Jobcenter R. den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab Juli 2011 ab mit der Begründung, die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor, weil der Kläger Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) habe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Jobcenter Rems-Murr mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 12. August 2011 zurück.

Am 15. November 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Kinderzuschlag nach dem BKKG für seine sechs Kinder. Mit Bescheid vom 19. Januar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Ein Anspruch auf Kinderzuschlag bestehe nur, wenn damit Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden werde. Dies setze voraus, dass dem Kläger ohne den Kinderzuschlag Leistungen nach dem SGB II gezahlt werden könnten. Der Kläger und seine Ehefrau verfügten nur über eine Duldung, gehörten zum Personenkreis des § 1 AsylbLG und könnten daher keine Leistungen nach dem SGB II erhalten. Den hiergegen am 16. Februar 2012 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2012 zurück. Ein Anspruch auf Kinderzuschlag hänge u.a. davon ab, dass Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II durch die Gewährung des Kinderzuschlags vermieden werde. Dies bedeute, dass der Kläger zunächst zu dem Kreis der Berechtigten nach § 7 SGB II gehören müsse. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II erhielten jedoch nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigte Personen keine Leistungen nach dem SGB II. Dies sei vorliegend der Fall. Der Kläger habe einen grundsätzlichen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG. Von einem weiteren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder Kinderzuschlag nach dem BKGG sei er dadurch ausgeschlossen.

Hiergegen hat der Kläger am 16. Mai 2012 Klage zum Sozialgericht S. (SG) erhoben. Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II für Personen, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, betreffe nach dem Willen des Gesetzgebers einen Personenkreis, dessen Aufenthalt in Deutschland nicht auf Dauer angelegt, sondern von vornherein befristet sei. Dieser Personenkreis solle nur sehr eingeschränkt soziale Leistungen in Anspruch nehmen können und sei aus diesem Grund auch vom Bezug von Leistungen nach § 6a BKGG ausgeschlossen. Beim Kläger und seiner Familie verhalte es sich jedoch völlig anders. Die gesamte Familie werde unter allen denkbaren Umständen in Deutschland verbleiben und habe deshalb einen auf Dauer ausgerichteten Aufenthalt, der sich bei den Kindern bereits durch die Erteilung der beantragten Aufenthaltstitel manifestiert habe. Beim Kläger und seiner Ehefrau stehe die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG bevor. Auf den Kläger sei zudem Art. 3 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die t.n Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (ABl. EG 1983, C 110, S. 60) (ARB Nr. 3/80) anzuwenden.

Im Klageverfahren haben die Beteiligten durch Prozessvergleich den streitgegenständlichen Zeitraum auf die Monate Dezember 2011 und Juni 2013 beschränkt. Weiter hat sich die Beklagte verpflichtet, nach rechtskräftiger Entscheidung über den Anspruch des Klägers für diese Monate den weiteren Anspruch des Klägers auf Kinderzuschlag von Juni 2011 bis Februar 2015 unter Zugrundelegung der rechtskräftigen Gerichtsentscheidung für die Monate Dezember 2011 und Juni 2013 zu prüfen und hierüber rechtsmittelfähige Bescheide zu erteilen. Die Beklagte hat eine Berechnung vorgelegt, wonach - eine grundsätzliche Anspruchsberechtigung des Klägers unterstellt - für den Monat Dezember 2011 ein Anspruch auf Kinderzuschlag in Höhe von 840,00 € und für den Monat Juni 2013 in Höhe von 360,00 € besteht.

Mit Urteil vom 21. September 2017 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 19. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2012 Kinderzuschlag für den Monat Dezember 2011 in Höhe von 840,00 € und für den Monat Juni 2013 in Höhe von 360,00 € zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II bestimme, dass Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten. Daraus, dass nach § 6a Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 BKGG durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden werden müsse, folge weiter, dass Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG grundsätzlich keinen Anspruch auf Kinderzuschlag hätten. Dieser Leistungsausschluss greife jedoch nicht zu Lasten des Klägers. Seine Anspruchsberechtigung nach § 6a Abs. 1 BKGG folge vielmehr bereits aus der unmittelbaren Anwendung von Art. 3 Abs. 1 ARB Nr. 3/80. Danach hätten Personen, die im Geltungsbereich eines Mitgliedsstaates wohnen und für die dieser Beschluss gelte, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimme. Der Anwendungsbereich von Art. 3 ARB Nr. 3/80 sei nicht an einen aufenthaltsrechtlichen Status gekoppelt, er gelte vielmehr für Arbeitnehmer t.r Staatsangehörigkeit und deren Familienangehörige. Der Kläger sei t.r Staatsangehöriger und in den streitgegenständlichen Zeiten Arbeitnehmer in Deutschland gewesen. Der Kinderzuschlag stelle auch eine Familienleistung dar und falle deshalb nach Art. 4 Abs. 1 Ziff. viii ARB Nr. 3/80 in den Anwendungsbereich des Beschlusses. Der Kinderzuschlag sei nicht unter den Begriff der Sozialhilfe nach Art. 4 Abs. 4 ARB Nr. 3/80 zu fassen, für die der Beschluss ausdrücklich nicht gelte. ARB Nr. Nr. 3/80 gebe zwar selbst keinen sicheren Aufschluss darüber, welche Leistungen als „Familienleistungen“ anzusehen seien. Unergiebig sei auch der Verweis in Art. 1a ARB Nr. 3/80 hinsichtlich der Definition von Familienleistungen auf Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO (EWG) Nr. 1408/71). Insoweit sei zudem zu beachten, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der VO (EWG) Nr. 1408/71 und auch des ARB Nr. 3/80 weder die Leistungen nach dem SGB II noch das Institut des Kinderzuschlags eingeführt gewesen seien.

Für die Einordnung als Familienleistung spreche die systematische Stellung des § 6a im BKGG und nicht im SGB II. Für die Leistung des Kindergeldes habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits entschieden, dass der ARB Nr. 3/80 Anwendung finde (EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96 - Slg. 1999 I, 2685 - juris). Kinderzuschlag erhielten nur Personen für in ihrem Haushalt lebende unverheiratete oder nicht verpartnerte Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hätten. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drs. 15/1516, S. 1 f.) handle es sich bei dem Kinderzuschlag um eine speziell auf Familien zugeschnittene finanzielle Unterstützung, die verhindern solle, dass Familien allein wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder auf Arbeitslosengeld II angewiesen seien. Ergänzend hierzu sei ein Arbeitsanreiz durch eine gezielte Förderung einkommensschwacher Familien erforderlich. Es handle sich also bei dem Kinderzuschlag um eine gerade speziell auf Familien zugeschnittene finanzielle Unterstützung, möge diese auch daneben dazu dienen, den Bezug von Leistungen nach dem SGB II zu verhindern. Darüber hinaus unterscheide sich der Bezug von Kinderzuschlag vom Leistungsbezug nach dem SGB II in vielfacher Hinsicht. So werde das Kindergeld nicht angerechnet und es bestünden keine Obliegenheiten, deren Verletzung eine Sanktionierung nach sich ziehen könne. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe die systematischen Unterschiede zwischen dem Kinderzuschlag und den Leistungen nach dem SGB II betont (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/11b AS 11/07 R - juris).

Maßgeblich für die Einordnung als „Familienleistung“ sei darüber hinaus, dass es sich bei dem Kinderzuschlag um eine „Familienleistung“ im Sinne von Art. 1 Buchst. z der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (VO (EG) Nr. 883/2004) handle, die auch Grenzgängern zustehe, obwohl diese nicht im Inland wohnten und deshalb keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten. Hinzuweisen sei ferner darauf, dass z.B. aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 2 Abs. 1 des Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommens (DÖFA), wonach Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt wird, folge, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf österreichische Staatsangehörige nicht anwendbar sei.

Gegen die Einordnung als Familienleistung spreche auch nicht, dass der Kinderzuschlag gerade dazu diene, Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II zu vermeiden. Die Leistungsberechtigung nach dem SGB II sei zwar grundsätzlich unerlässliche Voraussetzung für die Bewilligung von Kinderzuschlag. Dieser Grundsatz beziehe sich aber lediglich auf die Fallgestaltung mit ausschließlich solchen Antragstellern deutscher Staatsangehörigkeit und könne sich denklogisch auch nur auf diese Fallkonstellation beziehen. Wenn der ARB Nr. 3/80 gerade dazu diene, eine Vereinheitlichung der sozialen Sicherungssysteme herzustellen und eine Diskriminierung abzuschaffen, dann müsse die jeweilige Person, die in den persönlichen Anwendungsbereich der Regelung falle, wie eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit behandelt werden. Für einen deutschen Staatsangehörigen stelle sich naturgemäß nicht die Frage nach einem Anspruch nach dem AsylbLG, sondern lediglich die weiteren Fragen der Erfüllung der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des SGB II. Der Anspruch sei schließlich auch der Höhe nach begründet.

Gegen das ihr am 17. Oktober 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3. November 2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, zum Zeitpunkt der Antragstellung sei der Berufungsbeklagte nur im Besitz einer Duldung gewesen. Der aufenthaltsrechtliche Status sei zum 16. März 2013 dahingehend seitens der zuständigen Ausländerbehörde festgelegt worden, dass der Kläger und seine Ehefrau über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG verfügten. Als Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitze, habe er nach § 1 Abs. 1 AsylbLG Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz und sei deshalb gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II vom Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen.

Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil stelle der Kinderzuschlag ein die SGB II-Leistungen ergänzendes Instrument dar, das daher nicht als Familienleistung im originären Sinne einzuordnen sei. Die Bundestags-Drucksache vom 5. September 2003 (Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - BT-Drs. 15/1516, S. 1 f.) sei dahingehend zu werten, dass der Kinderzuschlag neben dem Alg II, dem Sozialgeld sowie dem Wohngeld in erster Linie als (eines) der Instrumente für die Reformierung des Arbeitsmarktes anzusehen sei, nachdem die bisherigen Instrumente Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengeführt worden seien. Als eines der Ziele dieses Gesetzes stelle die Einführung des Kinderzuschlages ein Instrument dar, mit dem verhindert werden solle, dass Familien allein wegen ihrer Kinder auf Alg II oder Sozialgeld angewiesen seien. Durch den Kinderzuschlag solle die Bereitschaft weiter gestärkt werden, durch Arbeitsaufnahme den Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften (BT-Drs. 15/1516, S. 45). Weiter stelle der Kinderzuschlag eine dem Alg II und dem Sozialgeld vorgelagerte einkommensabhängige Leistung dar (BT-Drs. 15/1516, S. 48). Mit dem Kinderzuschlag sei regelmäßig der Bedarf im Sinne des Alg II und des Sozialgeldes der Familie gedeckt. Damit werde im Übrigen zugleich erreicht, dass die Familien regelmäßig nur ein Verwaltungsverfahren zu durchlaufen hätten, entweder im Jobcenter oder bei der Familienkasse (BT-Drs. 15/1516, S. 83). In der Summe stelle der Kinderzuschlag deshalb ein die SGB II-Leistungen ergänzendes Instrument dar, das nicht als Familienleistung im originären Sinne einzuordnen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. September 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Ausländeramts des Landratsamts R. und des Jobcenter R. sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ein Anspruch auf Kinderzuschlag für Dezember 2011 in Höhe von 840,00 Euro und für Juni 2013 in Höhe von 360,00 Euro, sodass der Beschwerdewert von 750,00 Euro (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) überschritten ist.

2. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 19. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2012, mit dem die Beklagte die Gewährung von Kinderzuschlag nach dem BKGG abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, 56 SGG). Im Klageverfahren haben die Beteiligten den streitgegenständlichen Zeitraum zulässig auf die Monate Dezember 2011 und Juni 2013 begrenzt.

3. Die Berufung der Beklagten ist nur insoweit begründet, als das SG die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger Kinderzuschlag für den Monat Dezember 2011 zu gewähren. Insoweit war die Klage abzuweisen. Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten nicht begründet.

§ 6a Abs. 1 BKGG in der vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2013 geltenden Fassung des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2592) hatte folgenden Wortlaut:

„(1) Personen erhalten nach diesem Gesetz für in ihrem Haushalt lebende unverheiratete Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, einen Kinderzuschlag, wenn

1. sie für diese Kinder nach diesem Gesetz oder nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes Anspruch auf Kindergeld oder Anspruch auf andere Leistungen im Sinne von § 4 haben,

2. sie mit Ausnahme des Wohngeldes und des Kindergeldes über Einkommen im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in Höhe von 900 Euro oder, wenn sie alleinerziehend sind, in Höhe von 600 Euro verfügen, wobei Beträge nach § 11b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht abzusetzen sind,

3. sie mit Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§ 11 bis 12 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch verfügen, das höchstens dem nach Absatz 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrag zuzüglich dem Gesamtkinderzuschlag nach Absatz 2 entspricht, und

4. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vermieden wird. Bei der Prüfung, ob Hilfebedürftigkeit vermieden wird, bleiben die Bedarfe nach § 28 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch außer Betracht. Das Gleiche gilt für Mehrbedarfe nach den §§ 21 und 23 Nummer 2 bis 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, wenn kein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch beantragt hat oder erhält oder alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum, für den Kinderzuschlag beantragt wird, auf die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch verzichten. In diesem Fall ist § 46 Absatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch nicht anzuwenden. Der Verzicht kann auch gegenüber der Familienkasse erklärt werden; diese unterrichtet den für den Wohnort des Berechtigten zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende über den Verzicht.“

4. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen der § 6a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 BKGG a.F. Er hat für die in seinem Haushalt lebenden, unverheirateten und nicht verpartnerten Kinder Yusuf, F., M., E. und S. in beiden streitigen Zeiträumen und für das am 12. Dezember 1989 geborene Kind N. im Dezember 2011 Kindergeld bezogen. Er hat weiter mit Ausnahme des Wohngeldes und des Kindergeldes über Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe von 900 Euro (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG) verfügt, und zwar im Dezember 2011 über ein Erwerbseinkommen in Höhe von 1.385,83 Euro und im Juni 2013 von 1.378,01 Euro. Seine Ehefrau hat im Juni 2013 Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 825,00 Euro erzielt. Auch waren die Einkommensgrenzen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKGG nicht überschritten. Hierzu wird auf die Berechnungen der Beklagten (Bl. 104 ff. der SG-Akten) Bezug genommen.

5. Der Anspruch auf den Kinderzuschlag setzt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKGG jedoch weiter voraus, dass durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger hat zwar die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Er war jedoch gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Danach sind ausgenommen Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG. Der Kläger war im Dezember 2011 lediglich im Besitz einer Duldung, im Juni 2013 verfügte er über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Er gehörte deshalb in beiden Zeiträumen gem. § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG zum Personenkreis des  § 1 AsylbLG in der bis zum 28. Februar 2015 geltenden Fassung und war nach diesem Gesetz dem Grunde nach leistungsberechtigt. Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II ist auch verfassungsgemäß (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1010 - B 14 KG 1/09 R - juris Rdnr.14; BSG, Urteil vom 14. Juni 2018 - B 14 AS 28/17 R - juris Rdnr. 31 ff.; Kühl in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 6a BKGG Rdnr. 56). Der Leistungsausschluss steht auch grundsätzlich einem Anspruch auf den Kinderzuschlag entgegen, weil durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II nicht vermieden wird. Ein Anspruch nach § 6a BKGG scheidet grundsätzlich aus, wenn wegen der Ausschlussregelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II keines der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II erhalten kann (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2010 - B 14 KG 1/09 R- juris Rdnr. 13).

Allerdings wird in anderem Zusammenhang ein Anspruch auf den Kindergeldzuschlag auch bejaht, obwohl Leistungen nach dem SGB II nicht bezogen werden können. Nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit ergibt sich aus dem Umstand, dass der Kinderzuschlag als Familienleistung i.S.v. Art. 1 Buchst. z der VO (EG) Nr. 883/2004 anzusehen ist, die Verpflichtung, den Kinderzuschlag auch an Personen auszuzahlen, die mit ihren Familien in anderen EU-Mitgliedstaaten leben, aber (als in Deutschland beschäftigte Grenzgänger) deutschen Rechtsvorschriften unterliegen, wenn sie die Voraussetzungen zur Gewährung des Kinderzuschlags erfüllen (Durchführungsanordnung der Bundesagentur für Arbeit - DA-KiZ - vom 1. Januar 2020 - H.2.; zustimmend Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand 05/20, § 6a BKGG Rdnr. 59; Schnell in Estelmann, SGB II, Stand Mai 2019, § 6a Rdnr. 31; a. A. SG Osnabrück, Urteil vom 23. November 2016 - S 27 BK 15/16 - und Kühl in jurisPK-SGB II, Stand Juni 2019, § 6a BKGG Rdnr. 97). Nach dieser DA ist es unzulässig, die Zahlung eines Kinderzuschlags vom Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland abhängig zu machen. Unerheblich ist danach, dass der Grenzgänger nicht im Inland wohnt und deshalb kein Arbeitslosengeld II beanspruchen könnte. Denn der Anspruch auf die Familienleistung Kinderzuschlag könne gemäß Art. 67 VO (EG) 883/2004 nicht vom Wohnsitzerfordernis abhängig gemacht werden. Auch in dieser Fallkonstellation besteht zwar kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, sondern allein auf den Kinderzuschlag. Denn ein Grenzgänger mit Wohnsitz im Ausland, der im Inland bessere Vermittlungsaussichten auf dem Arbeitsmarkt hat, erhält kein Alg II, da gem. Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, zu denen das Alg II zählt, ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffende Person wohnen, gewährt werden. Der vorliegende Sachverhalt ist jedoch anders gelagert (vgl. nachfolgend unter 6.e)).

6.  Aus dem ARB Nr. 3/80 folgt gleichwohl ein Leistungsanspruch des Klägers für den Monat Juni 2013, nicht jedoch für den Monat Dezember 2011.

a) Nach Art. 3 Abs. 1 ARB Nr. 3/80 haben die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nicht anderes bestimmt. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 konkretisiert das in Art. 9 Assoziierungsabkommen EWG/T. verankerte allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit für den besonderen Bereich der sozialen Sicherheit (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96 - Slg. 1999, I-2685 - juris Rdnrn. 62 ff.; Urteil vom 14. März 2000 - C-102/98 und C-211/98 - Slg. 2000, I-1287 - juris Rdnr. 36; Urteil vom 28. April 2004 - C-373/02 - Slg. 2004, I-3605 - juris Rdnr. 49). Diese Norm gilt nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbar in den Mitgliedstaaten; der Einzelne kann sich unmittelbar darauf berufen, die Vorschrift ist von den nationalen Gerichten als unmittelbar geltendes Recht anzuwenden (EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96Slg. 1999, I-2685 - juris Rdnr. 74; Urteil vom 14. März 2000 - C-102/98 und C-211/98 - Slg. 2000, I-1287 - juris Rdnr. 35). In ihrem Anwendungsbereich gewährt sie den in einem Mitgliedstaat wohnenden t.n Staatsangehörigen einen individuellen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen dieses Staates. Verboten sind nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung, die bei Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu demselben Ergebnis führen (z.B. EuGH, Urteil vom 28. April 2004 - C-373/02 - Slg. 2004, I-3605 - juris Rdnr. 54; Bundesfinanzhof <BFH>, Urteil vom 15. Juli 2010 - III R 6/08 - juris Rdnrn. 18 f.).

b) Der Kläger fällt auch unter den in Art. 2 ARB Nr. 3/80 festgelegten persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses. Danach gilt der Beschluss für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die t. Staatsangehörige sind, für die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für Hinterbliebene dieser Arbeitnehmer.

Der Begriff des Arbeitnehmers ist in Art. 1 Buchst. b) ARB Nr. 3/80 näher definiert. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96 - Slg. 1999, I-2685 - juris Rdnr. 82) stimmt diese Definition des Arbeitnehmerbegriffs weitgehend mit der in Art. 1 Buchst. a VO (EWG) Nr. 1408/71 überein und orientiert sich an letzterer. Zur Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft reicht es danach aus, wenn eine Person nur gegen ein einziges Risiko in einem allgemeinen oder besonderen System der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist. Unbeachtlich ist, dass die VO (EWG) Nr. 1408/71 durch die VO (EG) Nr. 883/2004 aufgehoben worden ist, da letztere keine Definition des Arbeitnehmerbegriffs enthält (vgl. Terhardt, Diskriminierungsverbote aus dem Assoziationsrecht EU/T., Diss. 2014, S. 151 f.). Der Kläger war im Juni 2013 - wie auch in den Vormonaten -  als Küchenhilfe in Vollzeit versicherungspflichtig beschäftigt und daher Arbeitnehmer im Sinne des Art. 2 ARB Nr. 3/80.

c) Der Kläger ist auch vom persönlichen Geltungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 ARB Nr. 3/80 umfasst. Danach haben die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt. Der Begriff des Wohnortes in diesem Sinne richtet sich gem. Art. 1 ARB Nr. 3/80 nach der Definition in Art. 1 Buchst. h) VO (EWG) Nr. 1408/71. Danach ist der Wohnort der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Maßgeblich ist der Begriff des Wohnorts, wie er im Gemeinschaftsrecht interpretiert wird (BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - B 10 EG 6/04 - juris Rdnr. 36). Nicht erforderlich ist das Vorliegen eines bestimmten Aufenthaltstitels (EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96 - Slg. 1999 I- 2685 - juris Rdnr. 103 ff.). Deshalb können sich auch Personen wie der Kläger, die lediglich über eine Duldung oder eine Aufenthaltserlaubnis und damit nicht über einen Aufenthaltstitel verfügen, auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 ARB Nr. 3/80 berufen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. November 2004 - L 11 EG 948/02 - juris Rdnr. 21 ff.; Terhardt, a.a.O., 175 m.w.N.).

d) Der Kinderzuschlag ist auch vom sachlichen Geltungsbereich des ARB Nr. 3/80 umfasst. Nach Art. 4 Abs. 1 Ziff. viii ARB Nr. 3/80 gilt der Beschluss u.a. für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, welche die Leistungsart Familienleistungen betreffen. Demgegenüber ist der Beschluss gem. Art. 4 Abs. 4 ARB Nr. 3/80 weder auf die Sozialhilfe noch auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anzuwenden.

Art. 1 Buchst. a) ARB Nr. 3/80 verweist zur Bestimmung des Begriffs der Familienleistungen auf die Definition in Artikel 1 VO (EWG) Nr. 1408/71. Nach Art. 1 Buchstabe u) Ziffer i) VO (EWG) Nr. 1408/71 sind Familienleistungen alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt sind. Um als Familienleistung angesehen zu werden, muss eine Leistung demnach den Zweck verfolgen, Familienlasten auszugleichen. Der EuGH hat dies bisher bejaht für das Kindergeld (EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96 - Slg. 1999 I-2685 - juris Rdnr 75), den Unterhaltsvorschuss (EuGH, Urteil vom 15. März 2001 - C-85/99 - Slg. 2001 I-2261 - juris Rdnr. 26 ff.) und das frühere Erziehungsgeld (EuGH, Urteil vom 12. Mai 1998 - C-85/96 - Slg. 1998 I-2691 - juris Rdnr. 28; EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 -  C 245/94 und 312/94 - Slg. 1996 I-4895 - juris Rdnr. 27).

Die Beklagte hat zwar zutreffend angeführt, dass nach der Gesetzesbegründung (Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – BT-Drs. 15/1516, S. 1 f. vom 5. September 2003) der Kinderzuschlag neben dem Alg II, dem Sozialgeld sowie dem Wohngeld in erster Linie als (eines) der Instrumente für die Reformierung des Arbeitsmarktes anzusehen sei, nachdem die bisherigen Instrumente Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengeführt worden seien. Zutreffend ist auch, dass als eines der Ziele dieses Gesetzes die Einführung des Kinderzuschlages ein Instrument darstellt, mit dem verhindert werden solle, dass Familien allein wegen ihrer Kinder auf Alg II oder Sozialgeld angewiesen seien. Durch den Kinderzuschlag solle die Bereitschaft weiter gestärkt werden, durch Arbeitsaufnahme den Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften (BT-Drs. 15/1516, S. 45). Der Kinderzuschlag stelle eine dem Alg II und dem Sozialgeld vorgelagerte einkommensabhängige Leistung dar (BT-Drs. 15/1516, S. 48). Damit werde im Übrigen zugleich erreicht, dass die Familien regelmäßig nur ein Verwaltungsverfahren zu durchlaufen hätten, entweder im Jobcenter oder bei der Familienkasse (BT-Drs. 15/1516, S. 83).

Gleichwohl stellt der Kinderzuschlag nicht ein die SGB II-Leistungen ergänzendes Instrument dar mit der Folge, dass es deshalb nicht als Familienleistung im originären Sinne einzuordnen wäre. Hierfür spricht zunächst die systematische Stellung des § 6a im BKGG und nicht im SGB II und einer damit gegebenen Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse - und nicht der Jobcenter. Auch nach der Rechtsprechung des BSG stellt der Kinderzuschlag nach § 6a BKGG eine familienpolitische Leistung dar, die der Armutsbekämpfung von Familien mit Kindern dienen soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 43) und ist deshalb gerade keine Leistung nach dem SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/11b AS 11/07 R - SozR 4-5870 § 6a Nr. 1; BSG, Urteil vom 14. März 2012 - B 14 KG 1/11 R - SozR 4-5870 § 6a Nr. 3, Rdnr. 23). Er hat zwar existenzsichernde Wirkung und gegenüber dem SGB II sogar eine vorrangige Alternativität; gleichwohl ist § 6a BKGG nicht ein mit dem SGB II, SGB XII oder AsylbLG vergleichbares, umfassend konzipiertes Existenzsicherungssystem (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017 - B 14 AS 35/16 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 82, Rdnr. 25; ebenso Valgolio in Hauck/Noftz, SGB, Stand 05/20, SGB II K Anhang 6a BKGG Rdnr. 55). Der Kinderzuschlag stellt zudem eine Familienleistung nach Art. 1 Buchst. z VO (EG) 883/2004 dar (BSG 14. März 2012 - B 14 KG 1/11 R - SozR 4-5870 § 6a Nr. 3, Rdnr. 23; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB, Stand 05/20, SGB II K Anhang § 6a BKGG Rdnr. 86; Kühl in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 6a BKGG Rdnr. 97; Schwitzky, Kinderzuschlag oder Arbeitslosengeld II? 2. Aufl., S. 23.).

e) Allerdings verstößt vorliegend der Ausschluss von Leistungen nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKGG für Personen, die wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG sind, gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit, soweit der Monat Juni 2013 betroffen ist.

Art. 3 Abs. 1 ARB Nr. 3/80 ist - wie der EuGH entschieden hat (Urteil vom 14. März 2000 - C-102/98 und C-211/98 - Slg. 2000, I-1287 - juris Rdnr. 36) - für den Bereich der sozialen Sicherheit die Durchführungs- und Konkretisierungsvorschrift zu Art. 9 Abkommen EWG-T., wonach - dem in Art. 7 des Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft verankerten Grundsatz "entsprechend" - jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist. Im vorliegenden Zusammenhang kann es sich dabei nur um die Gleichbehandlung t.r Staatsangehöriger mit Staatsangehörigen der Gemeinschaft handeln, denn Art. 9 Abkommen EWG-T. verlangt eine "entsprechende" Anwendung des originären gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots (vgl. Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 6. Dezember 2001 - 3 C 25/01 - juris Rdnr. 17).

Nach der Rechtsprechung des EuGH verbietet der in Art. 4 VO (EG) 883/2004 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz, dessen Maßstäbe auch für die Auslegung von Art. 3 ARB Nr. 3/80 gelten, nicht nur offenkundige Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen (EuGH, Urteil vom 25. Juni 1997 - C-131/96 - juris Rdnr. 32; Urteil vom 21. September 2000 - C-124/99 - juris Rdnr. 25; beide Entscheidungen noch zu der Vorgängervorschrift Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71). Dabei bedeutet direkte Diskriminierung, dass eine Rechtsfolge von einem Element abhängig gemacht wird, das auf die Staatsangehörigkeit des Betroffenen abstellt. Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn an andere Merkmale wie z.B. Wohnsitz oder Vorversicherungszeit angeknüpft wird. Tatbestandlich ist eine mittelbare Diskriminierung dort gegeben, wo dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen ihrer Staatsangehörigkeit benachteiligen können (Fuchs/Kahil-Wolff in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl. 2018, S. 173).

Als mittelbar diskriminierend sind Voraussetzungen des nationalen Rechts anzusehen, die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, aber im Wesentlichen oder ganz überwiegend Wanderarbeitnehmer betreffen, sowie unterschiedslos geltende Voraussetzungen, die von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von Wanderarbeitnehmern. Eine mittelbare Diskriminierung ist auch in Voraussetzungen zu sehen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich besonders zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern auswirken (EuGH, Urteil vom 23. Mai 1996 -  C-237/94 - juris Rdnr. 18). Anders verhält es sich nur dann, wenn diese Vorschrift durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird. (EuGH, a.a.O, juris Rdnr. 19).

aa) Aus Art. 3 Abs. 1 ARB Nr. 3/80 folgt, dass ein t.r Staatsangehöriger, für den dieser Beschluss gilt, ebenso behandelt werden muss wie ein Staatsangehöriger des Aufnahmemitgliedstaats, so dass die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die Gewährung eines Anspruchs an einen solchen t.n Staatsangehörigen nicht von zusätzlichen oder strengeren Voraussetzungen abhängig machen dürfen, als sie für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats gelten (EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96, juris Rdnr. 97). Der Kläger, der im März 2013 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG war, hat deshalb für diesen Monat grundsätzlich auch einen Anspruch auf Kinderzuschlag. Denn § 6a Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 BKGG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II knüpft unmittelbar an die Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG (im Aufnahmemitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland) an, die wiederum an den Status Ausländer anknüpft. Damit werden von diesen Regelungen von vornherein nur ausländische Staatsangehörige erfasst und vom Bezug des Kinderzuschlags - anders als deutsche Staatsangehörige - ausgeschlossen.

bb) Für den Monat Dezember 2011 kann sich der Kläger nicht auf das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 1 ARB Nr. 3/80 berufen, so dass für diesen Monat kein Anspruch auf Kinderzuschlag besteht.

Der EuGH hat nämlich in der genannten Entscheidung weiter ausgeführt, Art. 3 Abs. 1 ARB Nr. 3/80 verbiete es einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines t.n Staatsangehörigen, für den dieser Beschluss gelte und dem er den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet gestatte, der jedoch dort nur eine zu einem bestimmten Zweck erteilte, befristete Aufenthaltsbewilligung besitze, den Anspruch auf die Leistung vom Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen (EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96, Rdnr. 105 und Leitsatz 1). Vorliegend war der Kläger erst ab dem 31. Januar 2013 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. In der Zeit davor verfügte er nur über eine Duldung (Aussetzung der Abschiebung) und war damit nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis, sondern zur Ausreise verpflichtet.

Zwar enthielten die dem Kläger erteilten Duldungen jeweils den Vermerk, dem Kläger sei eine unselbständige Beschäftigung uneingeschränkt erlaubt. Hieraus kann jedoch kein Aufenthaltsrecht abgeleitet werden. Der EuGH hat zwar ausgeführt, dass sich aus dem Diskriminierungsverbot in Art. 10 ARB Nr. 1/80 (Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft räumen den t.n Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt) ein Aufenthaltsrecht ableiten lasse, wenn der Aufnahmestaat in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf den Aufenthalt verliehen habe (EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 - C-4/05 - juris Rdnr. 52; Terhardt, a.a.O., S. 189 ff.). Hierbei ist jedoch weiter zu berücksichtigen, dass das Diskriminierungsverbot nur dann einer Aufenthaltsbeendigung und damit einer Aufenthaltsberechtigung entgegensteht, wenn keine Gründe für den Schutz eines berechtigten Interesses der Öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit vorliegen (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - C-97/05 - juris Rdnr. 40). Dies entspricht dem ordre public-Vorbehalt des Art. 14 ARB Nr. 1/80, wonach Art. 6 bis 16 ARB Nr. 1/80 nur vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, gelten (vgl. Terhardt, a.a.O., S. 214).

Ein solcher der Aufenthaltsberechtigung des Klägers entgegenstehender Grund hat hier vorgelegen. Der Kläger hatte sich zwar vor Dezember 2011 langjährig mit einem Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Allerdings waren mit Bescheid des Landratsamts R. vom 31. Mai 2011 die Aufenthaltstitel des Klägers auf den Tag ihrer Erteilung zurückgenommen und der Kläger und seine Ehefrau aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und lediglich die Abschiebung für die Dauer von 18 Monaten ausgesetzt worden. Ein Aufenthaltsrecht des Klägers bestand deshalb bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch unter Berücksichtigung der in den Duldungen jeweils erlaubten unselbständigen Beschäftigung nicht. Die Klage war deshalb insoweit abzuweisen.

7. Die Beklagte hat die Höhe des Anspruchs auf Kinderzuschlag für den Monat Juni 2013 auch zutreffend ermittelt. Hierzu wird auf deren Berechnung (Bl. 104 bis 107 der SG-Akten) Bezug genommen.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

9. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 1 und Abs.   2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

Rechtskraft
Aus
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