S 4 R 372/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 372/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 149/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1962 geborene Kläger war zuletzt bis 2013 als Straßenbauarbeiter beschäftigt. Seither ist er keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen.

Im Jahr 2014 erlitt der Kläger eine Subarachnoidalblutung. Aufgrund der hieraus folgenden Einschränkungen wurde ihm mit Bescheid der Beklagten vom 25.10.2016 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.08.2014 - 31.07.2017 gewährt.

Am 26.05.2017 beantragte der Kläger die Gewährung seiner Rentenleistungen über den 31.07.2017 hinaus. Nach Auswertung der von dem Kläger vorgelegten medizinischen Unterlagen und Einholung einer prüfärztlichen Stellungnahme vom 09.06.2017 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.06.2017 den Rentenantrag ab.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2017 zurück. Eine teilweise oder volle Erwerbsminderung liege ab dem 01.08.2017 nicht mehr vor.

Hiergegen richtet sich die am 25.10.2017 zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage. 

Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage mit Beschluss vom 16.11.2017 unter Berufung auf die örtliche Zuständigkeit an das Sozialgericht Wiesbaden verwiesen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass er über den 31.07.2017 hinaus voll erwerbsgemindert ist. Es bestünden immer noch Folgen der Hemiparese links. Hinzu komme die schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der linken Schulter. 

Der Kläger beantragt im Schriftsatz vom 16.01.2018

1.    Der Bescheid der Beklagten vom 23.06.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2017 wird aufgehoben.

2.    Die Beklagte wird verurteilt, Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.07.2017 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Die Kammer hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte eingeholt bei dem Hausarzt des Klägers Herrn Dr. E. vom 19.02.2018, dem Neurochirurgen Herrn Dr. F. vom 26.11.2018 und dem Neurologen Herrn Dr. H. vom 04.02.2019.  

Es wurde weiter von Amts wegen ein neurologisches Fachgutachten bei dem Herrn Dr. G. vom 20.10.2019 eingeholt. Dieser diagnostiziert bei dem Kläger nach ambulanter Untersuchung am 29.08.2019 auf seinem Fachgebiet einen Zustand nach Subarachnoidalblutung. In der klinisch-neurologischen Untersuchung hätten sich zum aktuellen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für eine relevante Behinderung ergeben. Bei krankheitsbedingten Einschränkungen im Hinblick auf die geistig-psychische Belastbarkeit und im Hinblick auf den Bewegungs- und Haltungsapparat seien noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden täglich möglich. Zur Klärung der Frage, ob hinter den von dem Kläger geltend gemachten Beschwerden eine depressive Symptomatik steckt, empfiehlt der Sachverständige ein psychiatrisches Gutachten.

Mit Schreiben vom 11.03.2020 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass eine psychiatrische Begutachtung nach Aktenlage nicht beabsichtigt sei, da keine hinreichenden Hinweise für eine psychiatrische Erkrankung bestünden.

Mit Schreiben vom 13.03.2020 hat der Kläger um eine zügige Entscheidung gebeten und einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Mit Schreiben vom 16.04.2020 hat die Beklagte einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ebenfalls zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und die Verwaltungsakte des Klägers bei der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. 

Der angefochtene Bescheid vom 23.06.2017 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 19.10.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. 

Der Kläger ist weder teilweise noch voll erwerbsgemindert, weil die Voraussetzungen der § 43 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) nicht erfüllt sind. Seine Leistungsfähigkeit ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.    teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2.    in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.    vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch

1.    Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.    Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weil er weder teilweise erwerbsgemindert noch voll erwerbsgemindert im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmungen ist. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist zwar durch seine Gesundheitseinschränkungen beeinträchtigt. Trotz dieser Beeinträchtigungen ist er jedoch zur Überzeugung der Kammer noch in der Lage, unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Befundberichte, Gutachten und Arztbriefe, sowohl aus dem Verwaltungsverfahren als auch dem gerichtlichen Verfahren. Zur Überzeugung der Kammer ist der Kläger weder wegen der Folgen der stattgehabten Gehirnblutung noch wegen orthopädischer oder psychischer Erkrankungen so stark in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, dass er außerstande wäre mindestens 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein.

Hinsichtlich der Folgen der Subarachnoidalblutung sieht es die Kammer aufgrund des Sachverständigengutachtens des Herrn Dr. G., das den positiven Untersuchungsbefund des Herrn Dr. N. (HSK) vom 28.04.2017 bestätigt, als erwiesen an, dass diese den Kläger nicht so stark in seiner Leistungsfähigkeit einschränken, dass seine quantitative Erwerbsfähigkeit relevant herabsetzt ist. Herr Dr. N. hat am 28.04.2018 kein sensomotorisches Defizit und ein sicheres Gangbild festgestellt. Bei der Untersuchung durch Herrn Dr. G. am 29.08.2019 hat der Kläger zwar einen deutlich eingeschränkten Seiltänzergang sowie Zehen- und Hackenstand präsentiert. Bei der neurologischen Untersuchung hat der Sachverständige aber z.B. seitengleich mittellebhaft auslösbare Muskelreflexe und keine Anhaltspunkte einer posturalen Instabilität oder einer Oberflächen- oder Tiefensensibilitätsstörung feststellen können. Die von dem Kläger präsentierten körperlichen Funktionsausfälle ließen sich in der wiederholten Prüfung nicht in konstanter Ausprägung nachvollziehen. Daher hält die Kammer die Einschätzung des Sachverständigen, dass sich aus neurologischer Sicht keine relevanten quantitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ergeben, für plausibel.

Unter Berücksichtigung der gesamten Aktenlage ist die Kammer auch ohne Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger auch nicht aufgrund einer psychischen Erkrankung maßgeblich in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Da sich für die bei der Begutachtung präsentierten linksseitigen Funktionsausfälle keine neurologische Erklärung gefunden hat, legt der Sachverständige Herr Dr. G. zwar dar, dass die Beschwerden des Klägers möglicherweise durch eine reaktive depressive Symptomatik ausgelöst sind und er regt eine psychiatrische Begutachtung an. Allerdings schildert Herr Dr. G. in seinem Gutachten keine weiteren konkreten Hinweise auf eine depressive Symptomatik. Auch aus den übrigen Befunden, insbesondere dem des langjährigen Hausarztes Herrn Dr. E. ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Klägers. Der Kläger selbst hat an keinem Punkt des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens eine psychische Erkrankung geltend gemacht. Auch auf den ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis vom 11.03.2020 ist kein weiterer Sachvortrag in diese Richtung erfolgt. Daher ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass keine maßgebliche psychische Erkrankung des Klägers vorliegt.

Weitere Krankheiten und Beschwerden des Klägers wirken sich nicht maßgeblich auf seine Leistungsfähigkeit aus.

Auch ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt offenkundig nicht in Betracht. Einen solchen Anspruch haben gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen nämlich nur Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind. Der am 22.08.1962 geborenen Kläger gehört damit offenkundig nicht zu dem Personenkreis, welcher aus dieser Vorschrift einen Rentenanspruch herleiten kann.

Nach alledem war der Klage der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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