1. Die Bescheide vom 03.05.2016 und vom 21.06.2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017, werden aufgehoben, und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für die selbstbeschaffte adipositaschirurgische Operation in Höhe von 7.514,75 Euro zu erstatten.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für eine bariatrische Operation.
Bei der 1985 geborenen Klägerin war im Mai 2010 bei einer Größe von 1,59 m und 104 kg auf eigene Kosten ein Magenband implantiert worden. Nach einer ersten Gewichtsabnahme nahm die Klägerin trotz gesunder und Magenbandgerechter Ernährung wieder zu. Wegen Komplikationen musste das Magenband am 17.03.2016 entblockt werden.
Am 21.04.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine erneute Magenband-Operation bei einem Gewicht von 107 kg. Am 26.04.2016 bat die Beklagte die Klägerin telefonisch um Vorlage weiterer Unterlagen (selbst verfasste Beschreibung der Beschwerden, Ernährungstagebuch). Mit Bescheid vom 03.05.2016 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass die am 26.04.20216 angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt worden seien und ohne die Mitwirkung der Klägerin eine Kostenübernahme nicht möglich sei.
Die Klägerin legte bei der Beklagten am 20.05.2016 einen ärztlichen Bericht von Herrn Dr. med. C., Chefarzt der Chirurgie im Krankenhaus Sachsenhausen, vom 04.05.2016 vor: Bei der Magenband-Operation im Jahr 2015 sei ein ungenügendes Ergebnis erzielt worden. Es liege weiterhin eine drittgradige Adipositas vor (BMI 41,92 kg/qm). Das derzeitige Magenband müsse entfernt werden und eine neue Magen-Bypass-Operation zur Behandlung der krankhaften Adipositas durchgeführt werden. Daraufhin stieg die Beklagte wieder in die Antragsprüfung ein, holte eine Stellungnahme beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein und informierte die Klägerin hierüber mit Schreiben vom 23.05.2016. In dem sozialmedizinischen Gutachten vom 17.6.2016 kam Frau Dr. D. zu dem Schluss, dass die zahlreichen konservativen Maßnahmen der Klägerin zur Gewichtsreduktion nicht den Qualitätskriterien der Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas entsprächen. Eine chirurgische Therapie solle nur erfolgen, wenn zuvor eine wenigstens sechs- bis zwölfmonatige konservative Behandlung stattgefunden habe, die die Beteiligung eines Arztes mit ernährungsmedizinischer Qualifikation und einer Ernährungsfachkraft, eine medizinische Eingangsuntersuchung und Betreuung, eine strukturierte Schulung in Gruppen, ein integriertes Therapiekonzept aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie und eine systematische Datendokumentation erfordere. Dementsprechend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 21.06.2016 ab.
Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch einen Bevollmächtigten, am 20.07.2016 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass sie an einer drittgradigen adipositas per magna mit einem BMI von 41 Punkten leide und diverse adipositasassoziierte Folge- und Begleiterkrankungen drohten. Die nichtchirurgischen konservativen Therapien seien erschöpft, sie könne auf herkömmlichem Weg keine nachhaltige signifikante Gewichtsreduktion erzielen. Der langfristige Misserfolg herkömmlicher Therapien bei adipösen Patienten ab einem BMI von 40 sei nachgewiesen. Ebenso sei der Erfolg der Adipositaschirurgie nachgewiesen. In dem hierzu beim MDK eingeholten sozialmedizinisches Gutachten vom 20.10.2016 schrieb Frau Dr. med. E., dass neue medizinische Informationen nicht vorgelegt worden seien. Es liege bei der psychiatrisch diagnostizierten Persönlichkeitsstörung ggf. sogar eine Kontraindikation vor. Weiterhin sei keine multimodale Therapie aus den Bausteinen Bewegungstherapie, Ernährungstherapie und Verhaltenstherapie unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt worden.
Am 12.09.2016 wurde die streitgegenständliche Operation bei einem Gewicht der Klägerin von 117 kg durchgeführt. Die Kosten für die stationär durchgeführte Maßnahme (stationärer Aufenthalt vom 12.09.2016 bis 17.09.2016) betrugen 7.514,75 Euro.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2017 mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Kosten für chirurgische Magenverkleinerungen nur zu übernehmen seien, wenn die nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu fordernden Voraussetzen vorlägen. Dabei würden die Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität Köln zugrunde gelegt. Eine chirurgische Intervention komme nur als ulitma ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen erfüllten, u.a. wenn der BMI über 40 kg/qm bzw. über 35 kg/qm liege, erhebliche Begleiterkrankungen vorlägen, die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft seien, ein tolerables Operationsrisiko und eine ausreichende Motivation vorlägen, keine manifeste psychische Erkrankung bestehe und eine lebenslange medizinische Nachbetreuung möglich sei. Der MDK sei mit der Beurteilung der beschriebenen Kriterien beauftragt worden und habe festgestellt, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die bisher durchgeführten Maßnahmen entsprächen nicht den Anforderungen an ein qualifiziertes Therapieprogramm.
Die Klägerin hat, vertreten durch einen Prozessbevollmächtigten, am 25.04.2017 Klage erhoben. Sie verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend schildert sie ihren gesundheitlichen Werdegang. Sie habe seit ihrem 10. Lebensjahr unter hohem Leidensdruck viele Diäten gemacht, habe Sport getrieben und sich gesund und kontrolliert ernährt, alles sei erfolglos geblieben. Sie habe im Jahr 2000 auch eine Body Cell Mass-Diät über 15 Monate durchgeführt, die ärztlich begleitet worden sei, und habe dabei nicht einmal 14 kg abgenommen. 2010 habe sie sich bei 104,4 kg dann für eine bariatrische Operation entschieden, die leider auch weitgehend erfolglos geblieben sei; schließlich habe das Magenband wegen auftretender Schmerzen deaktiviert werden müssen. Erst die streitgegenständliche Magenbypass-Operation habe Erfolg gebracht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Bescheide vom 03.05.2016 und vom 21.06.2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die selbstbeschaffte adipositaschirurgische Operation in Höhe von 7.514,75 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die von ihr getroffene Entscheidung mit der weiteren Begründung, dass laut AWMF-Leitlinie Nr. 088/001 Chirurgie der Adipositas bei Patienten mit einem BMI von 40 kg/qm und mehr ohne Kontraindikationen bei Erschöpfung der konservativen Therapie eine bariatrische Operation indiziert sei. Die konservativen Therapien seien erschöpft, wenn durch eine multimodale konservative Therapie innerhalb von sechs bis zwölf Monaten das Therapieziel nicht erreicht und gehalten werde; bei Patienten mit einem BMI über 40 kg/qm würden zehn bis 30 Prozent Verlust des Ausgangsgewichts gefordert. Dementsprechend sei der ernsthaft, aber erfolglos ausprobierte konservative Therapieansatz eine absolute Voraussetzung. Außerdem habe aufgrund der psychiatrisch diagnostizierten Persönlichkeitsstörung unter Umstände eine Kontraindikation vorgelegen.
Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen von Amtswegen einen Befundbericht bei der Hausärztin der Klägerin, Frau Dr. med. F., eingeholt (Blatt 26-59 der Gerichtsakte).
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes und der Ergebnisse der medizinischen Sachverhaltsermittlungen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, den das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt hat.
Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten sind vorher hierzu angehört worden.
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die Bescheide vom 03.05.2016 und vom 21.06.2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die im September 2016 durchgeführte bariatrische Operation in Höhe von 7.514,75 Euro.
Der Kostenerstattungsanspruch beruht auf § 13 Abs. 3 S. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch des Versicherten auf Erstattung der Kosten für eine selbst beschaffte notwendige Leistung in der entstandenen Höhe, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alternative) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und die Kosten dadurch entstanden sind (2. Alternative). Ein Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen haben (vgl. z.B. Urteil des BSG vom 24.09.1996, 1 RK 33/95).
Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung der streitgegenständlichen bariatrischen Operation nach § 27 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V lagen zum Zeitpunkt der Durchführung der Operation vor.
Die grundsätzlich als Sach- oder Dienstleistung zu erbringende Krankenbehandlung, zu der auch die stationäre Behandlung in einem Krankenhaus zählt, setzt das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Krankheit voraus. § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V sieht ferner vor, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Darüber hinaus stehen die Leistungen unter dem Vorbehalt des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB V). Daraus folgt, dass Versicherte nur die notwendigen bzw. ausreichenden Leistungen beanspruchen können. Diese müssen zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen bzw. Ausreichenden nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1 SGB V). Daher geht die Rechtsprechung allgemein davon aus, dass Eingriffe in ein an sich gesundes Organ regelmäßig ausgeschlossen sind. Chirurgische Maßnahmen im Bereich des gesunden Magens, die mittelbar auf eine Reduzierung der Adipositas zielen (Verfahren der bariatrischen Chirurgie) kommen daher nur als ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die weitere Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen. Die Rechtsprechung hat hierzu folgende Grundsätze entwickelt: Die Adipositas muss so gravierend sein, dass ihr Krankheitswert zukommt. Hiervon ist bei einem BMI von mindestens 40 kg/qm stets auszugehen. Beträgt der BMI "lediglich" 35 kg/qm bis unter 40 kg/qm, kann dies nur bei erheblichen Begleiterkrankungen angenommen werden. Darüber hinaus wird regelmäßig verlangt, dass die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind. Hiervon ist auszugehen, wenn der Versicherte über einen längeren Zeitraum (sechs bis zwölf Monate) an einem ärztlich überwachten bzw. koordinierten multimodalen Therapiekonzept, welches unter anderem Diätmaßnahmen, Schulungen, Bewegungs- und Psychotherapie umfasst, erfolglos teilgenommen hat. Darüber hinaus dürfen keine wesentlichen medizinischen Kontraindikationen gegen die Durchführung dieser Operation bestehen. So dürfen keine manifesten psychiatrischen Erkrankungen vorliegen und eine lebenslange medizinische Nachbetreuung des Versicherten muss gewährleistet sein. Schließlich dürfen an der Motivation des Versicherten zur Einhaltung der ärztlichen Vorgaben für das Ernährungsverhalten nach Magenverkleinerung keine ernsthaften Zweifel bestehen. Wegen der medizinischen Grundlagen der chirurgischen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion wird hierbei regelmäßig auf die entsprechende interdisziplinäre Leitlinie Bezug genommen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R und Beschluss vom 17. Oktober 2006, B 1 KR 104/06 B; Hessisches LSG, Urteile vom 5. Juli 2016, L 1 KR 116/15, 24. Mai 2012, L 8 KR 290/10, 20. Juni 2013, L 8 KR 91/10 und 22. Mai 2014, L 8 KR 7/11, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2011, L 11 KR 3560/09).
Die aufgezählten Voraussetzungen haben nach Ansicht des Gerichts zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen bariatrischen Operation vorgelegen. Die Klägerin hat seit frühester Kindheit an einer hochgradigen Adipositas und auch zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen bariatrischen Operation an einer drittgradigen Adipositas, die nicht einmal durch eine Magenband-Operation im Mai 2010 in den Griff zu bekommen war, gelitten. Der BMI lag zum Zeitpunkt der Durchführung der streitgegenständlichen Operation bei 46,3 kg/qm (117 kg bei einer Körpergröße von 1,59 m) und damit sehr deutlich über 40 kg/qm.
Dass die Klägerin in den letzten sechs bis zwölf Monaten vor der Magenbypass-Operation nicht die klassischen konservativen Behandlungsmöglichkeiten in Form von ärztlich angeleiteter und begleiteter Ernährungs-, Bewegungstherapie und Psychotherapie durchgeführt hat, steht einem Anspruch auf Gewährung einer bariatrischen Operation nach Ansicht des Gerichts nicht entgegen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits seit ihrer Kindheit eine erhebliche Adipositas aufwies und in Eigeninitiative vielfältige Bemühungen unternommen hat, ihr Körpergewicht zu reduzieren, die jedoch stets erfolglos blieben. Dass solche Konstellationen auftreten und die Art und Ausprägung einer Adipositas per magna in Einzelfällen dazu führen kann, dass eine konservative Therapie von vornherein als ohne Aussicht auf Erfolg angesehen werden muss, wird auch in der zum Zeitpunkt der Operation geltenden S3 Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" vom Juni 2010 unter Abschnitt 3.2 Unterpunkt 4 'Primäre Indikation' hervorgehoben. Darin heißt es: "Lassen Art und/oder Schwere der Krankheit bzw. psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist, kann in Ausnahmefällen auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden; die Indikation hierzu ist durch einen in der Adiposiatstherapie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen. Damit hat die Leitlinienkommission ein weiteres Beurteilungskriterium nach eingehender Diskussion präzisierend in die neuen Leitlinien aufgenommen, nämlich den Begriff der geringen Erfolgsaussicht der konservativen Therapie". Auf diese Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften kann abgestellt werden, da diese eine systematisch entwickelte Hilfe für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen darstellt. Auch wenn diese rechtlich nicht bindend ist, gibt sie doch wichtige Entscheidungshilfen, zumal sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf in der Praxis bewährten Verfahren beruht. Darüber hinaus wird auch in der S3 Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ (Stand: 30. April 2014) empfohlen, dass bei extremer Adipositas ein chirurgischer Eingriff erwogen werden soll, wenn die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind (Nr. 5.42, 5.44). Ferner wird empfohlen, dass eine chirurgische Therapie auch primär ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden kann, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist und der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt. Dies sei unter folgenden Umständen gegeben: „Besondere Schwere von Begleit- und Folgekrankheiten der Adipositas, BMI > 50 kg/qm, persönliche psychosoziale Umstände, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellen“ (Nr. 5.45). Als Hintergrund ist aufgeführt, dass die chirurgische adipositasspezifische Therapie bei der Mehrheit der Patienten zu einer substanziellen Besserung und Normalisierung von Hyperglykämie, Dyslipidämie, Blutdruck, obstruktiver Schlafapnoe sowie der Lebensqualität führt. Bei Patienten mit gestörter Glukosetoleranz kann die Konversion zum manifesten Diabetes mellitus drastisch gesenkt werden (Seite 69 der Richtlinie). Zudem wird angegeben, dass unabhängig davon, ob Patienten mit Adipositas III (BMI > 40 kg/qm) an einem präoperativen multimodalen Programm zur Reduktion teilnähmen oder nicht, zwölf Monate nach Magenbypass keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des absoluten Gewichtsverlustes bestünden. Eine multimodale präoperative Therapie habe bei Patienten mit Adipositas III keinen positiven Effekt auf den postoperativen Gewichtsverlaust und die Reduktion der Komorbiditäten (Seite 71 der Richtlinie). Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Erfolgsaussichten einer rein konservativen Therapie mit dem Ausmaß der Adipositas in einer Wechselbeziehung stehen. Daher sind bei einer vergleichsweise geringen Adipositas an die Durchführung einer vorherigen konservativen Therapie strenge Anforderungen zu stellen. Je höher aber der BMI ist, desto schwieriger wird es erfahrungsgemäß, alleine durch eine Umstellung der Ernährung, Bewegungs- und Psychotherapie sowie sonstige konservative Maßnahmen eine ausreichende Gewichtsreduktion in angemessener Zeit zu bewerkstelligen. Daher ist es angemessen, wenigstens in den Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liegt und den Wert von 40 kg/qm deutlich überschreitet, eine Magenverkleinerungsoperation krankenversicherungsrechtlich auch dann zu bewilligen, wenn die hinreichend glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten bzw. überwachten Therapiekonzept entsprechen (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 5. Juli 2016, L 1 KR 116/15, vom 22. Mai 2014, L 8 KR 7/11, juris; Sozialgericht Mannheim, Urteil vom 17. Januar 2013 - S 9 KR 491/12, juris). An die in der Leitlinie aufgeführten Umstände sind außerdem keine übermäßig hohen Erfordernisse zu stellen, da sie nicht rechtlich bindend sind. Bei einem BMI von 46,3 kg/qm zum Zeitpunkt der Operation, der bei der Klägerin seit Kindheitstagen vorliegenden erheblichen Adipositas mit zahlreichen Versuchen zur Gewichtsreduktion - die von der sie seit dem 14. Lebensjahr behandelnden Hausärztin bestätigt werden - und einer bereits im Mai 2010 durchgeführten erfolglosen Magenband-Operation ist nach Ansicht des Gerichts von dem Vorliegen der in der Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ genannten Umstände auszugehen.
Auch das Argument der Beklagten, es habe aufgrund des psychischen Leidens der Klägerin möglicherweise eine Kontraindikation vorgelegen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die im Verwaltungsverfahren durchgeführte Anfrage bei dem die Klägerin behandelnden Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Herrn Dr. med. G., ergab, dass bei der Klägerin zwar eine Depression diagnostiziert wurde, diese aber nicht als Kontraindikation gegen eine adipositaschirurgische Maßnahme anzusehen sei wie dies bei anderen psychischen Erkrankungen (z.B. Psychosen oder Suchterkrankungen) der Fall sei.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Gemäß § 105 Abs. 2 S. 1 i.V.m. §§ 143, 144 SGG ist die Berufung zulässig, da der Wert eines etwaigen Beschwerdegegenstandes 750 Euro übersteigt.