S 12 KA 137/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 137/20
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 22/20 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit ist eröffnet.

Gründe:

I. 

Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit eines Widerspruchs im Rahmen der Frage, ob die Klägerin als Privatärztin zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Beklagten herangezogen werden kann.

Die Kläger ist Ärztin für Urologie und mit Praxissitz in A-Stadt niedergelassen. Sie ist ausschließlich privatärztlich tätig. 

Die Beklagte informierte mit Schreiben vom 15.05.2019 die ausschließlich privatärztlich tätigen Ärzte, darunter auch die Klägerin, über die Einbeziehung der Privatärzte in ihren Ärztlichen Bereitschaftsdienst unter den Überschriften „Teilnahme am ÄBD entfällt bei Beendigung der Praxis“, „Procedere“, „Teilnahmevoraussetzungen/Nachweise“, „Befreiungsgründe, Altersgrenze“ und „Finanzielle Rahmenbedingungen“. 

Die Klägerin widersprach mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 16.07.2019 der Heranziehung zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Beklagten grundsätzlich. Es gebe zwar noch keinen förmlichen Bescheid bzw. individualisierten Heranziehungsbescheids in Form eines Verwaltungsaktes, Es gebe aber Maßnahmen, welche die Heranziehung zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst vorbereiten sollten. Von der Beklagten werde unterstellt, dass es gewissermaßen eine gesetzliche Teilnahmeverpflichtung gebe, die nur noch zu personalisieren sei. Privatärzte seien keine Mitglieder der Beklagten und profitierten nicht von den Vorteilen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Heilberufsgesetz sei nur geregelt, dass für alle Ärzte in eigener Praxis die Verpflichtung bestehe, am Notfalldienst teilzunehmen. Das Heilberufsgesetz verweise auf die Berufsordnung, enthalte aber keine Bezugnahme auf den Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Beklagten. Die Berufsordnung unterwerfe die Privatärzte der Satzungsgewalt der Beklagten und verweise auf deren Bereitschaftsdienstordnung. Dies sei unzulässig. Der Widerspruch solle bereits im jetzigen Verfahrensstadium für einen Suspensiveffekt sorgen. 

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2020 den Widerspruch als unzulässig zurück. In den Bescheidgründen führte sie aus, bei dem Schreiben vom 15.05.2019 handle es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern lediglich um ein Informationsschreiben. Es fehle an dem für einen Verwaltungsakt erforderlichen Regelungsgehalt. Es sei weder die Höhe der Kostenbeteiligung am ÄBD festgelegt noch eine konkrete Diensteinteilung vorgenommen worden. 

Hiergegen hat die Klägerin am 05.03.3020 die Klage erhoben. 

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, es sei ein Musterverfahren (S 12 KA 305/19) mit der Beklagten verabredet worden, woran sich die Beklagte aber nicht halte. Sie verweise auf die Klagebegründung zum dortigen Verfahren, die sie in Kopie zur Gerichtsakte einreiche. Im dortigen Verfahren wird vorgetragen, die Klage richte sich nicht gegen die gesetzliche Regelung im Heilberufsgesetz, sondern gegen die Umsetzung durch das Satzungsrecht. Berufsrechtlich seien im Grundsatz alle niedergelassenen Ärzte zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst verpflichtet. Bei den Rechtsgrundlagen sei strikt zwischen Berufs- und Vertragsarztrecht zu unterscheiden. Der Status von Privatärzten und Vertragsärzten unterscheide sich fundamental und diametral. Für Privatärzte gelte ausschließlich Berufsrecht, während Vertragsärzte vollständig dem Regime der Kassenärztlichen Vereinigung unterständen. Privatärzte seien keine Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung und damit keine Teilnehmer an der vertragsärztlichen Versorgung. Der Privatarzt profitiere in keinster Weise von den Vorteilen des Systems der Gesetzlichen Krankenversicherung. Privatärzte seien in niedergelassener Praxis tätig. Der Privatarzt müsse sich um jeden Patienten individuell kümmern. Privatärzte könnten ihren Patientenstamm nur halten, wenn sie durchgängig zur Verfügung stünden, d.h. auch während der sprechstundenfreien Zeiten. Hierfür würden sie organisatorische Vorkehrungen treffen. Alle niedergelassenen Ärzte seien grundsätzlich zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst verpflichtet. Für Privatärzte bestehe die Verpflichtung nur berufsrechtlich. Eine Verpflichtung des Privatarztes zur Teilnahme am allgemeinen Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Beklagten begegne bereits verfassungsmäßigen Bedenken. Bei der Regelung im Heilberufsgesetz handle es sich um ein formell wirksames Gesetz. Eine Vorlage sei allerdings nicht erforderlich, da das Satzungsrecht unwirksam sei. Die im Heilberufsgesetz geregelte Teilnahme könne nur berufsrechtlich begründet werden. Die Regelung des Heilberufsgesetzes sei verfassungskonform so auszulegen, dass die Teilnahmeverpflichtung nur über das Berufsrecht umgesetzt und organisiert werden könne. Es wäre die Aufgabe der Berufsordnung, die nur die gesetzliche Regelung wiederhole gewesen, die Teilnahme und auch die Beteiligung an der Finanzierung aus berufsrechtlicher Sicht zu regeln. Wegen der Überschneidung zwischen dem Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung und der berufsrechtlichen Verpflichtung von niedergelassenen Ärzten sei die Errichtung eines gemeinsamen Bereitschaftsdienstes grundsätzlich zulässig. Eine Verpflichtung der Privatärzte könne aber nur durch eine gemeinsame Bereitschaftsdienstordnung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Ärztekammer zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst erfolgen. An einer solchen berufsrechtlichen Umsetzung der Teilnahmeverpflichtung fehle es jedoch. Das Nähere zu der Verpflichtung aus § 23 Heilberufsgesetz müsse durch die Berufsordnung geregelt werden und nicht dadurch, dass einfach verwiesen auf die Kassenärztliche Vereinigung verwiesen werde. Die Kassenärztliche Vereinigung habe hier keine Regelungsbefugnis. Es fehle von daher für die Satzung an einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage. Die Unwirksamkeit gelte auch für die Satzungsregelungen zur Beteiligung an der Finanzierung. Kassenärzte behandelten nicht nur Kassenpatienten, sondern auch privat versicherte Patienten. Für die Berechnung der Beiträge zur Finanzierung des ÄBD müssten auf jeden Fall außer den Einkünften aus dem EBM die Einnahmen aus der GOÄ zugrunde gelegt werden, da die Kassenärzte unstreitig auch Privatpatienten versorgten. 

Ergänzend trägt die Klägerin vor, selbstverständlich erfülle die auf den einzelnen Arzt bezogene Heranziehung den Tatbestand des Verwaltungsaktes. Darin erfolge eine Heranziehung dem Grunde nach. Auf jeden Fall sei ein Rechtsschutzinteresse für den Feststellungsantrag gegeben. Eine Anfrage ihres Prozessbevollmächtigten vom 07.02.2020 sei unbeantwortet geblieben. Wegen der ausschließlichen Geltung des Berufsrechts seien die Sozialgerichte nicht zuständig. Die Beklagte sei für Privatärzte nicht zuständig. Wenn eine Behörde nicht zuständig sei, könne sie den Rechtsweg nicht bestimmen. Der Rechtsstreit sei an das Verwaltungsgericht zu verweisen. 

Die Klägerin beantragt, 

den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zu verweisen, 

im Übrigen

den Bescheid der Beklagten vom 15.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, vor einer Einbeziehung in den Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) der Beklagten abzusehen,

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,

höchst hilfsweise festzustellen, dass die Einbeziehung der Privatärzte in den Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) der Beklagten rechtswidrig ist. 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, der Widerspruch sei unzulässig, da dieser keine verbindliche Regelung enthalte. Die Klage sei jedenfalls ohne Erfolg. Ihre Bereitschaftsdienstordnung sehe in § 8 Abs. 3 explizit eine Kostenbeteiligung aller Privatärzte vor. Die Möglichkeit einer Befreiung von der Kostenbeteiligung bestehe nach Vorgaben der genannten Rechtsgrundlagen nicht. Die Privatärzte würden nicht ihrer Regelungsgewalt „ausgesetzt“ werden. Sie habe zunächst zwei Mal ihre Bereitschaftsdienstordnung geändert, um überhaupt eine Einbeziehung der Privatärzte in die bereits seit 2013 aufgebauten und etablierten Strukturen zu ermöglichen. Zuvor hätte der Hessische Landesgesetzgeber mit dem zehnten Gesetz zur Änderung des Hellberufsgesetzes am 19.12.2016 beschlossen, dass sich die Privatärzte künftig am Bereitschaftsdienst der Beklagten finanziell und personell beteiligen sollten. Erst als ihre BDO der Beklagten den Vorstellungen der Landesärztekammer Hessen entsprochen habe, habe diese die Berufsordnung durch einen Beschluss ihrer Delegiertenversammlung vom 24.11.2018 geändert. Die Landesärztekammer habe ihre Souveränität nicht aufgeben, sondern sich diese gerade mit einem starren Verweis auf die BDO bewahrt. Die Geltung von Änderungen der BDO für die Privatärzte sei daher stets von einer Änderung der Berufsordnung abhängig. Aufgrund der bei ihr bereits bestehenden Strukturen erfolge die Umsetzung der berufsrechtlichen Verpflichtung nach dem Willen der Landesärztekammer Hessen durch sie. Angesichts dessen, dass der Landesgesetzgeber eine Eingliederung in ihre Strukturen im Heilberufsgesetz ausdrücklich geregelt habe, sei diese Vorgehensweise allen Beteiligten als sinnvoll erschienen. Eine Verständigung auf ein Musterverfahren sei bislang nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt (§ 202 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i. V. m. § 17a Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz).

Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit ist eröffnet.

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden u. a. über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). 

Eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung liegt vor, wenn die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge in den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung hat. Es genügt aber auch ein enger sachlicher Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit des betreffenden Trägers (vgl. BSG, Beschl. v. 29.07.2014 - B 3 SF 1/14 R - SozR 4-1500 § 51 Nr. 13, juris Rdnr. 16; BSG, Beschl. v. 01.04.2009 - B 14 SF 1/08 R - SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, juris Rdnr. 15; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, Komm., 12. Aufl. 2017, § 51 Rn. 14a). 

Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit eines Widerspruchs im Rahmen der Frage, ob die Klägerin als Privatärztin zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Beklagten herangezogen werden kann. Die Frage des Rechtswegs kann daher nur im Hinblick auf die Frage, ob die Klägerin als Privatärztin zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Beklagten herangezogen werden kann, entschieden werden. 

Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung der Klägerin zur Heranziehung am Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Beklagten ist § 23 Nr. 2 des hessischen Gesetzes über die Berufsvertretungen, die Berufsausübung, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Februar 2003, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 3. Mai 2018 (GVBl. S. 82) (im Folgenden HessHeilberG) i. V. m. § 8 Abs. 3 Bereitschaftsdienstordnung der KV Hessen (BDO). 

§ 23 Nr. 2 HessHeilberG verpflichtet die Ärzte in eigener Praxis, was bei der Klägerin der Fall ist, am Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen teilzunehmen und sich an den Kosten des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zu beteiligen. Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 15 Zehntes Gesetz zur Änderung des Heilberufsgesetzes vom 19.12.2016 (GVBl. Nr. 23 vom 27.12.2016 S. 329) neu eingefügt und trat zum 28.12.2016 in Kraft (Art. 2 Zehntes Gesetz zur Änderung des Heilberufsgesetzes). Nach der Entwurfsbegründung soll mit der Änderung die Möglichkeit eröffnet werden, dass auch ausschließlich privatärztlich niedergelassene Ärzte verpflichtend am Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen teilnehmen und sich auch an den dabei entstehenden Kosten zu beteiligen haben (vgl. LTag-Drs. 19/3742, S. 5). Mit § 23 Nr. 2 HessHeilberG hat der hessische Landesgesetzgeber eine ausdrückliche Verpflichtung aller niedergelassenen Ärzte, auch soweit sie ausschließlich privatärztlich tätig sind, zur Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und zur Kostenbeteiligung geschaffen. Er hat damit alle Ärzte gleichermaßen, was für die vertragsärztliche Tätigkeit bereits aus dem Status als Vertragsarzt folgt (vgl. BSG v. 12.12.2018 - B 6 KA 50/17 R - juris Rn. - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-2500 § 95 Nr. 35, juris Rdnr. 39), für den Bereich des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes dem Regime der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen unterstellt und insoweit die Satzungsbefugnis der Landesärztekammer eingeschränkt. 

Der ärztliche Bereitschaftsdienst beruht auf dem Sicherstellungsauftrag der Beklagten für die gesetzliche Krankenversicherung (§ 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V), der auch die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst) umfasst (§ 75 Abs. 1b Satz 1 SGB V). Die Verpflichtung des Klägers zur Kostenbeteiligung am Ärztlichen Bereitschaftsdienst steht in engem Zusammenhang mit der sozialrechtlichen Organisationsbefugnis der Beklagten für den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Der Landesgesetzgeber hat insoweit den Kläger als Privatarzt trotz fehlender Mitgliedschaft bei der Beklagten der Organisationsbefugnis der Beklagten unterworfen. Damit besteht ein enger Zusammenhang mit der sozialrechtlichen Organisationsbefugnis der Beklagten. 

Von daher ist der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. 

Rechtskraft
Aus
Saved