S 11 KA 151/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 151/20
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 35/20 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist unzulässig.

Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen.

Gründe

Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, Abs. 4 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nach Anhörung der Parteien von Amts wegen vorab durch begründeten Beschluss aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs.

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Kläger hat – entsprechend der Rechtsmittelbelehrung in dem streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid – das Sozialgericht Marburg angerufen. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist jedoch nicht eröffnet. Für den vorliegenden Streitgegenstand ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Denn es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, die nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist.

Zwischen den Beteiligten ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit anhängig. Davon ist auszugehen, wenn sie aus Rechtsbeziehungen erwachsen ist, die öffentliche Aufgaben regeln oder wenn ein Hoheitsträger auf Grund besonderer, speziell ihn berechtigender oder verpflichtender Rechtsvorschriften beteiligt ist (so Herold-Tews/Merkel, Der Sozialgerichtsprozess, 7. Auflage 2017, Rn. 2). Die Beteiligten streiten um den Umfang der Verpflichtung des Klägers, zur (zumindest finanziellen) Unterstützung des von der Beklagten organisierten Ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD). Die Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die im vorliegenden Fall hoheitlich gehandelt hat, indem sie dem Kläger einseitig ein zukünftiges Verhalten abverlangt (oder dies zumindest in Aussicht gestellt) hat. Eine solche Vorgehensweise ist nur im öffentlich-rechtlichen Über-/Unterordnungsverhältnis denkbar. Dabei stützt sich die Beklagte auf (für das Klageverfahren folglich streitentscheidende) Rechtsvorschriften, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind (Hessisches Heilberufsgesetz, Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen, Bereitschaftsdienstordnung der Beklagten). 

Die zwischen den Beteiligten anhängige Streitigkeit ist offensichtlich nichtverfassungsrechtlicher Art. Weder handelt es sich um ein Rechtsverhältnis, das maßgeblich durch Verfassungsrecht geprägt ist, noch geht es um Rechte und Pflichten, die unmittelbar und ausschließlich in der Verfassung geregelt sind (vgl. zu diesen Anforderungen nur BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2016 – 9 A 16/15, NVwZ 2017, 56 ff.). Bei den o.g. streitentscheidenden Normen handelt es sich um einfaches, z.T. sogar untergesetzliches Recht. Dass sich ein Bürger gegen eine vermeintliche Grundrechtsverletzung durch einen Verwaltungsträger wendet, genügt dagegen nicht, um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO anzunehmen.

Eine – bezogen auf den somit grundsätzlich eröffneten Verwaltungsrechtsweg – abdrängende Sonderzuweisung liegt nicht vor. Es fehlt insbesondere an der Zulässigkeit des Sozialrechtswegs gemäß § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Die zwischen den Beteiligten anhängige Streitigkeit stellt indes keine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung dar (ebenso im Ergebnis wohl Rademacker in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 107. EL Dezember 2019, § 75 SGB V Rn. 39; Sproll in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Werkstand: 105. EL Januar 2020, § 75 SGB V Rn. 13c; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1982 - 3 C 21/81, BVerwGE 65, 362 ff. = NJW 1983, 1387 f. zu einer gemeinsamen Notfalldienstordnung der Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung).

Wie sich aus den zahlreichen auf das Vertragsarztrecht bezogenen Sonderregeln des SGG ergibt, die im Katalog des § 51 SGG keine ausdrückliche Entsprechung finden, zählt dieses Rechtsgebiet zu den Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung (allgemeine Meinung; statt aller Flint in: jurisPK-SGG, § 51 Rn. 96, Stand: 4. Mai 2020). Besonders deutlich wird diese gesetzgeberische Zuordnung in der Vorschrift des § 57a SGG, wo von „Vertragsarztangelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung“ die Rede ist. Der vorliegende Rechtsstreit ist indes nicht dem Vertragsarztrecht zuzuordnen, weil es sich bei dem Kläger nicht um einen Vertragsarzt, sondern um einen sog. Privatarzt handelt. Er verfügt weder über eine Zulassung noch über eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Kläger nimmt auch nicht nach Maßgabe von § 75 Abs. 1b Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zum Zweck der Leistungserbringung im Rahmen des Notdienstes beschränkt an der vertragsärztlichen Versorgung teil, da er – anders als von dieser Norm vorausgesetzt – keine diesbezügliche Kooperationsvereinbarung mit der Beklagten geschlossen hat. Bei seinen im Klageverfahren klärungsbedürftigen Rechten und Pflichten kann es sich folglich nicht um solche aus einem Vertragsarztverhältnis handeln.

Das vorliegende Verfahren betrifft auch nicht etwa deshalb eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung, weil der Kläger eine gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns einer Kassenärztlichen Vereinigung begehrt. Allerdings ist in der Rechtsprechung des BSG mitunter ein enger sachlicher Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit des betroffenen Trägers als ausreichend angesehen worden (BSG, Beschluss vom 1. April 2009 - B 14 SF 1/08 R m. krit. Anm. Münker, jurisPR-SozR 11/2010 Anm. 5; BSG, Beschluss vom 29. Juli 2014 - B 3 SF 1/14 R, SGb 2015, 464 m. krit. Anm. Groß). Die auf der Grundlage des § 77 SGB V gebildeten Kassenärztlichen Vereinigungen erfüllen unzweifelhaft Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Dazu zählt insbesondere auch die Versorgung von Patienten, die außerhalb der regulären Sprechzeiten einer ambulanten vertragsärztlichen Behandlung bedürfen. § 75 Abs. 1b SGB V ordnet ausdrücklich an, dass die Organisation eines solchen Notdienstes vom Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen umfasst ist. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung erlassen die Kassenärztlichen Vereinigungen Notfalldienstordnungen, die u.a. den Umfang und die Teilnahmepflicht am Notdienst ausgestalten (dazu jüngst Pitz/Hartweg, SGb 2019, 395, 398). Allerdings hat das BSG erst kürzlich seine ständige Rechtsprechung bestätigt, wonach die Verpflichtung eines jeden Vertragsarztes zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst nicht aus der Satzungsgewalt der Kassenärztlichen Vereinigung, sondern aus dem Zulassungsstatus des Arztes folgt (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 6 KA 50/17 R, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2500 § 95 Nr. 35 = NZS 2019, 661 ff. m. Anm. Kluckert = SGb 2019, 634 ff. m. Anm. Denzer/Beden). Dieser habe sich mit der Zulassung als Vertragsarzt freiwillig einer Reihe von Einschränkungen seiner ärztlichen Berufsausübung – wie der Pflicht zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst – unterworfen. Vor diesem Hintergrund stelle § 75 Abs. 1b SGB V eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung dar. Diesen Rechtsausführungen schließt sich die erkennende Kammer an. Sie lassen ohne weiteres erkennen, dass die Bereitschaftsdienstordnung der Beklagten allein auch keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Einbeziehung des Klägers in den ÄBD sein könnte. Hierzu bedarf es – wie das BSG (a.a.O. Rn. 28) bereits angedeutet hat – vielmehr einer „Beteiligung“ der Ärztekammer. Daraus lässt sich ableiten, dass die maßgebenden streitentscheidenden Normen im vorliegenden Fall nicht dem (in engem Zusammenhang mit der auf den Vorschriften des SGB V beruhenden Verwaltungstätigkeit der Beklagten stehenden) Satzungsrecht angehören, sondern dem landesrechtlichen Berufsrecht der Ärzte (zum Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Regelung bereits BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1972 - I C 30/69, BVerwGE 41, 261 ff. = NJW 1973, 576 ff.; aus jüngerer Zeit OVG Magdeburg, Beschluss vom 6. September 2006 - 1 L 93/06; OVG Münster, Beschluss vom 22. Juni 2009 - 13 A 3775/06). Dass letzteres der Rechtswegzuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterfällt, steht außer Frage. Konkret bedeutet dies, dass die zwischen den Beteiligten streitige Reichweite der Beteiligung von Privatärzten an dem von der Beklagten organisierten ÄBD sich nicht aus der Bereitschaftsdienstordnung der Beklagten ergibt, die gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 SGB V nur die vertragsärztlichen Pflichten zur Ausfüllung des Sicherstellungsauftrags enthält. Denn die Regelungsgewalt der autonomen Rechtssetzung durch die Beklagte beschränkt sich auf deren Mitglieder. Einschlägig sind vielmehr die Regelungen in § 23 Nr. 2 Heilberufsgesetz und § 26 Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen, auf die sich die Beklagte im vorliegenden Fall auch stützt.

Diese Streitigkeit auf dem Gebiet des Landesrechts ist – anders als die Beklagte meint – auch nicht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO durch Landesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen worden. Insbesondere enthält § 23 Nr. 2 Heilberufsgesetz keine abdrängende Spezialzuweisung zugunsten der Sozialgerichtsbarkeit. Eine solche Regelung ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen. Diese verpflichtet zwar niedergelassene Ärzte, an dem von der Beklagten organisierten ÄBD teilzunehmen bzw. dessen Kosten mitzutragen. Mit dieser berufsrechtlichen Anordnung ist aber nichts über den Rechtsweg gesagt, in dem diesbezügliche Rechte und Pflichten zu klären sind. Auseinandersetzungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung ist es keineswegs immanent, dass sie vor den Sozialgerichten auszutragen sind. Sinn und Zweck des § 23 Nr. 2 Heilberufsgesetz beschränkt sich nach Ansicht der Kammer auf eine materiell-rechtliche Regelung.

Ohne Belang für den einschlägigen Rechtsweg ist schließlich die – zwischen den Beteiligten streitige – Frage, ob das informatorische Rundschreiben der Beklagten vom 15. Mai 2019 einen Verwaltungsakt enthält. Einerseits hat der Kläger hilfsweise eine Feststellungsklage erhoben, für die diese Einordnung irrelevant ist. Andererseits hat aber auch über die Zulässigkeit der mit dem Hauptantrag verfolgten Anfechtungsklage das Gericht des zulässigen Rechtswegs zu entscheiden. Dieser richtet sich nach dem oben Gesagten nach dem materiell-rechtlichen Begehren des Klägers.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten (vgl. § 17b Abs. 2 GVG).

Die Rechtsmittelbelehrung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. § 172 SGG. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Verweisungsbeschlusses wird der Rechtsstreit mit Eingang der Akten bei dem Verwaltungsgericht anhängig (§ 17b Abs. 1 Satz 1 GVG).

Rechtskraft
Aus
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