L 9 U 2371/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2396/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2371/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten sind die Anerkennung von Unfallfolgen und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Ereignisses vom 17.04.2008 streitig.

Die 1965 in K geborene Klägerin ist seit 2004 geschieden und Mutter einer 2000 geborenen Tochter. Sie studierte in K Medizin, schloss in R mit dem Doktor der Medizin am 12.01.1990 ab und absolvierte, nachdem sie 1989 in die Bundesrepublik Deutschland zu ihrem Ehemann umgezogen war und ihre Approbation 1993 anerkannt wurde, verschiedene ärztliche Weiter- und Fortbildungen auf psychosomatischem und internistischem/kardiologischem Fachgebiet. Am 12.06.2007 erwarb sie die Erlaubnis, die Heilkunde unter der Bezeichnung Heilpraktikerin berufsmäßig auszuüben und eröffnete am 12.06.2007 eine Privatpraxis, die sie bis Mai 2008 betrieb. Zuvor arbeitete sie von 1990 und bis 2003 bei ihrem damaligen Ehemann in dessen Firma, die unter anderem medizinische Geräte herstellte. Im Rahmen einer Halbtagstätigkeit war sie zur Zeit des hier streitigen Ereignisses vom 01.04.2005 bis 30.09.2008 als Coach der Geschäftsleitung bei B (H. B.), der ein Patent- und Zeichenbüro betrieb, beschäftigt.

Mit Schreiben vom 25.08.2014 beantragte sie die Gewährung einer Unfallrente und machte multiple Prellungen und Schürfwunden im Bereich des linken Oberschenkels und Kniegelenkes, eine Nierenprellung links sowie eine psychische Traumatisierung (mit Panikattacken, Angststörung, posttraumatischer Belastungsstörung und chronischer Depression) als Folge eines während einer Dienstreise am 17.04.2008 in A erlittenen Raubüberfalles mit Mordversuch geltend.

In der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 15.10.20214 führte H. B. Folgendes aus:

„Anlässlich einer Geschäftsreise begleitete mich meine Mitarbeiterin. Frau F am 16.04.2008 nach NL – A. Frau F übernachtete im IHotel, A. Am 17.04.2008, 10.00 h war ich mit meinem Geschäftspartner, Herrn B1 sowie einem mir unbekannten Notar zum Abschluss eines Kaufvertrages in der Zentralbank (DNB) A verabredet. Meine Mitarbeiterin, Frau F, begleitete mich zu diesem Termin. Einige Minuten nach 10.00 h rief Herr B1 bei mir an, dass er sich etwas verspäten werde. Ich und meine Mitarbeiterin sollten in einem Cafe in unmittelbarer Nähe der Bank auf ihn warten. Gegen 10.15 traf Herr B1 ein. Nun könnten wir die erforderlichen Formalitäten in der Zentralbank erledigen, allerdings habe er seinen Aktenkoffer vergessen. Sein Fahrer wäre bereits benachrichtigt und träfe gleich ein, um den Aktenkoffer zu überreichen. Wir gingen zur Straße vor. Der Fahrer hielt bei laufendem Motor an und öffnete die Beifahrertüre, Herr B1 die hintere Fahrzeugtüre und stieß mich ins Fahrzeuginnere, schlug die Fahrzeugtüre zu und setzte sich schnell auf den Beifahrersitz. Ich schrie und wollte den Wagen verlassen. Der Fahrer hielt mich allerdings mit einer Hand zurück. Frau F stand am Straßenrand mit ihrem Aktenkoffer. Herr B1 versuchte ihr diesen Aktenkoffer zu entreißen, Frau F wehrte sich, der Fahrer beschleunigte den Pkw und schleppten/zogen meine Mitarbeiterin ca. 25 m über die Hauptverkehrsstraße. Herr B1 schlug immer wieder auf Frau F ein und stieß sie mit einem heftigen Schlag auf die Straße. Dies geschah alles sehr schnell. Danach bedrohte mich Herr B1 bei weiterfahrendem Pkw und forderte die Herausgabe der Aktentasche. Danach wurde ich brutal aus dem Wagen gestoßen. Ich hatte zum Glück keine nennenswerten Verletzungen. Als ich zum Tatort zurückkam, war bereits die Polizei eingetroffen, eine Großfahndung war angelaufen. Viele Passanten wurden als Zeugen befragt. Die Täter wurden allerdings nicht gefasst. Mein Verhandlungspartner war offensichtlich ein international agierender Betrüger. Meine Mitarbeiterin erlitt ein schweres Trauma, eine schwere Nierenprellung, viele Prellungen und Hautabschürfungen im Bereich des Oberschenkels und des Kniegelenkes.“

Die Klägerin machte unter dem 13.10.2014 Angaben zu den äußeren Umständen und legte die gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund abgegebene Beschreibung des Tatherganges (ohne Datum) vor, die sich im Wesentlichen mit den Angaben des Arbeitgebers decken. Ferner teilte sie mit (Schreiben vom 22.10.2014), dass ihre Anfrage bei der niederländischen Polizei ergeben habe, dass die Täter nicht gefasst werden konnten und die Ermittlungen eingestellt worden seien. Hierzu legte sie Ausdrucke über die per E-Mail geführte Korrespondenz mit der niederländischen Polizei vor (vgl. Bl. 97 der Akten).

Am 06.05.2008 stellte sie sich auf Überweisung des L beim P vor („Anamnestisch wird über Kopfwehen mit Schwindelgefühl, wie auch zugenommene Nervosität und Ein- mit Durchschlafstörung, geklagt. Eine Eigenbeobachtung konnte gemacht werden: die Beschwerden nehmen beim Stresserleben rapide, mit Kopfwehen und Schwindelepisode, zu“; Diagnosen: Dysthymia [F34.1G] bei neurasthenischem Erschöpfungssyndrom [F48.0G]).

Vom 10.07.2008 bis 29.07.2008 befand sich die Klägerin im Rahmen eines klinisch-stationären Heilverfahrens in Behandlung der K1-Klinik Ü am B2 (Diagnosen: Depression mit chronisch rezidivierenden Panikattacken und psychovegetativer Erschöpfungszustand, posttraumatische Belastungsstörung, Z. n. Nierenkontusion links bei Traumatisierung links 04/2008). Im abschließenden Bericht vom 13.08.2008 werden die Diagnosen Depression mit chronisch rezidivierenden Panikattacken und psychovegetativem Erschöpfungszustand, posttraumatische Belastungsstörung und Z. n. Nierenkontusion links bei Traumatisierung li 04/2008 (Bl. 252 der Akten). In einem ebenfalls zu den Akten gelangten und von H und K2 am 13.08.2008 unterzeichneten, im Übrigen gleichlautenden abschließenden Bericht werden lediglich die Diagnosen psychovegetative Erschöpfung (F480) und Z. n. Nierenkontusion links bei Traumatisierung links 04/2008 angegeben (vgl. Bl. 442 f. der Akten).

Seit 01.01.2009 wird ihr vom zuständigen Rentenversicherungsträger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, seit 01.05.2014 auf unbestimmte Zeit (Bescheid vom 11.03.2014), gewährt.

In von der Beklagten beigezogenen Berichten des P vom 01.08.2008, 12.11.2010 und 08.10.2014 wird eine Behandlung der Klägerin ab 06.05.2008 angegeben (Praxisaufgabe am 31.03.2013) und über eine rezidivierende Depression, aktuell psychotisch (F33.3G) nach protrahierter posttraumatischer Belastungsstörung berichtet (F41.1G – Bericht vom 12.11.2010) und die Nebendiagnosen Dysthymia (F34.1G), Einbrüche gehäufter depressiver Episoden (F33.2G) und Gonalgie links (M25.56LG) genannt. Zuletzt beschrieb er zudem einen hirnorganischen Abbauprozess (F07.9G) und ein depressives Erschöpfungssyndrom (F48.0G). Im Bericht des K3, NeuroMVZ S vom 24.09.2013, der die psychiatrische Behandlung der Klägerin übernommen hatte, werden die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischem Syndrom (F33.3), Angst und depressive Störung gemischt (F41.2), Panikstörung (F41.0) und Verdacht auf Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Benzodiazepinen (F13.2) aufgeführt und eine ambulante Psychotherapie empfohlen. Unter dem 16.12.2013 führte K3 in einem ärztlichen Attest zur Vorlage bei der Deutschen Rentenversicherung aus, die Klägerin leide weiterhin unter massiven Konzentrationsstörungen, ziehe sich vollkommen sozial zurück und leide unter noch quälenden nächtlichen Alpträumen mit Flashbacks.

Die Beklagte zog die Gutachten aus dem Erwerbsminderungsrentenverfahren bei.

Die O untersuchte die Klägerin am 02.04.2009 und stellte in ihrem Gutachten vom 06.04.2009 eine ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung fest, die die Klägerin an der Ausübung einer jedweden Tätigkeit derzeit hindere.

Der N führte in seinem Gutachten vom 19.01.2011 nach einer Untersuchung der Klägerin aus, die Klägerin leide an einem mittelgradigen depressiven Syndrom. Es bestehe der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung bei akzentuierter Persönlichkeit mit histrionischen und dysthymen Anteilen.

Der H1 stellte nach einer Untersuchung der Klägerin am 25.02.2014 in seinem Gutachten vom 27.02.2014 einen Zustand nach posttraumatischer Belastungsstörung (F43.1) mit mittelgradig depressiver Symptomatik mit dysthymen Anteilen (F34.1) fest und führte aus, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für körperlich leichte Tätigkeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen noch eine Belastbarkeit von drei bis unter sechs Stunden bestehe.

Der Versuch der Beklagten, über ihre niederländische Verbindungsstelle polizeiliche Unterlagen aus den Niederlanden beizuziehen, blieb erfolglos.

In seinem von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten vom 06.07.2015 stellte der C, M, die Diagnosen posttraumatische Belastungsstörung mit Ängsten und Alpträumen, anhaltende depressive Störung mittelgradiger Ausprägung (Dysthymie), akzentuierte Persönlichkeit mit histrionischen und dysthymen Anteilen. Die Klägerin schildere Ängste, depressive Symptome, Konzentrationsstörungen, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen und sozialen Rückzug in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar im Zusammenhang mit dem Überfallereignis 2008. Darüber hinaus müsse aber als weiteres lebensgeschichtlich bedeutsames Ereignis der Tod des Vaters 2004 genannt werden. Danach habe eine protrahierte Trauerreaktion bestanden. Die Klägerin habe über Jahre hinweg nur schwarze Kleidung getragen. Der gescheiterten Ehe sei anamnestisch geringere Bedeutung zuzumessen. Die geschilderten Ängste, Panikattacken und Alpträume stünden offensichtlich in direktem Zusammenhang mit den geschilderten Ereignissen im Zusammenhang mit dem Überfall 2008. Der Zusammenhang der depressiven Symptomatik, der Erschöpfbarkeit, von Konzentrationsstörungen und sozialem Rückzug mit dem beschriebenen Unfallereignis sei sehr wahrscheinlich. Möglicherweise habe aber der ebenfalls traumatisch erlebte Tod des Vaters 2004 bereits zu einer Bahnung depressiver Symptome geführt, sodass das Überfallereignis als verschlimmernde Ursache angesehen werden könnte. Die biografische Anamnese lasse außerdem den dringenden Verdacht auf eine Persönlichkeitsakzentuierung mit histrionischen Zügen zu.

In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.08.15 kritisierte M1 das Gutachten bezogen auf die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung. Das Gutachten entspreche nicht den in den Leitlinien geforderten Gütekriterien und der Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung, und auch die anhaltende depressive Störung mittelgradiger Ausprägung sei nicht rechtlich wesentlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Er vertrat die Auffassung, dass das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nach keinem der vorliegenden Berichte unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Kriterien erfüllt sei. Es überwögen depressive Symptome. Unfallbedingt bestünden nur Rest- bzw. Teilsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Ängsten und Alpträumen, unfallunabhängig eine rezidivierende Depression mit psychotischen Zügen. Für die Unfallfolgen sei eine MdE um 20 v.H. vom 01.10.2008 bis 01.04.2009, und dann um 10 v.H. anzunehmen.

Mit Bescheid vom 02.09.2015 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen des Versicherungsfalles vom 17.04.2008 ab. Für Rentenansprüche aus dem Jahr 2008 und 2009 werde die Einrede der Verjährung erhoben. Als Folge des Versicherungsfalles vom 17.04.2008 anerkannte sie Restsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Ängsten und Alpträumen. Weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung bestehe eine wiederkehrende Depression mit psychotischen Zügen. Die Klägerin habe erstmals mit Schreiben vom 25.08.2014 einen Antrag auf Unfallrente gestellt. Vor Eingang des Schreibens am 02.09.2014 habe die Beklagte keine Kenntnis über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles gehabt. Für Rentenansprüche für die Jahre 2008 und 2009 werde die Einrede der Verjährung geltend gemacht. Die Klägerin habe selbst angegeben, gegenüber der Krankenkasse und der Rentenversicherung auf einen Arbeitsunfall hingewiesen zu haben. Damit sei ihr eine Meldung bei der Beklagten möglich gewesen. Eine besondere Härte liege zudem nicht vor, da nicht ersichtlich sei, dass die Klägerin durch die entgangene Unfallrente sozialhilfebedürftig geworden sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 30.09.2015 Widerspruch ein und legte ärztliche Bescheinigungen ihres behandelnden Arztes L vom 24.04.2008 und 31.03.2009 vor. Dieser könne zu den Vorerkrankungen vor dem Unfallereignis gehört werden. Die AOK könne bestätigen, nie vor dem Unfallereignis wegen rezidivierenden Depressionen mit psychotischen Zügen in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein. Ferner nahm sie ausführlich zum Gutachten des C Stellung und legte Bescheinigungen über von ihr besuchte Fortbildungsveranstaltungen aus den Jahren 2002 bis 2006 vor. Sie verwies zudem auf anhaltende Kniebeschwerden links, eine reduzierte Nierenfunktion und Ödeme, die sie ebenfalls als Folge des Unfalles geltend mache.

Die Beklagte zog einen Bericht des L vom 01.12.2015 und 28.01.2016 bei und holte Gutachten beim K4 sowie beim H2 ein.

K4 stellte in seinem Gutachten vom 17.02.2016 eine Insertionstendinose beider Kniegelenke, links stärker als rechts, ein retropatellares Reiben, links stärker rechts, eine posttraumatische Verarbeitungsstörung und eine abgeheilte Nierenprellung links fest. Die Klägerin habe sich bei dem Unfall eine Prellung des linken Kniegelenkes zugezogen, die komplikationslos ausgeheilt sei. Aktuell bestünden Beschwerden an beiden Kniegelenken im Sinne einer Insertionstendinose links stärker als rechts. Die Beschwerden stünden nicht in einem Zusammenhang mit der Prellung des linken Kniegelenkes, sondern seien im Rahmen einer übermäßigen Schonhaltung auf beiden Seiten, mit Überlastung der Sehnenansätze zu sehen.

H2 und A1 stellten in ihrem Gutachten vom 23.05.2016 fest, dass es im Rahmen des Unfallereignisses zu einer folgenlos ausgeheilten Kontusion der linken Niere gekommen sei. Auf nephrologischem Gebiet lägen keine Folgeschäden an den Nieren vor, insbesondere finde sich keine Sequelae an der damals geprellten Niere.

In ihrer ergänzenden Stellungnahme hielt die Klägerin daran fest, dass es sich keinesfalls um Restsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung handele und auch die anhaltende depressive Störung mittelgradiger Ausprägung eindeutig auf das Unfallgeschehen zurückzuführen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 22.09.2016 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und geltend gemacht, als weitere Folge des Arbeitsunfalles sei eine wiederkehrende Depression mit psychotischen Zügen anzuerkennen und ihr sei Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Sie befinde sich seit dem Unfallereignis am 17.08.2008 bis heute in laufender Behandlung beim Neuro-MVZ S. Die Behandlungsfrequenz betrage mindestens alle drei Monate. Seit dem Unfall habe sie sich stark zurückgezogen, meide Menschenansammlungen, Theaterbesuche, Kirchenbesuche, Weiterbildungskongresse im Bereich Medizin. Ihr Freundeskreis sei sehr reduziert, einkaufen gehe sie nur in Begleitung und könne nur noch kurze Strecken unter Meidung von Schnellstraßen und Autobahnen mit dem Auto zurücklegen. Bei Menschenansammlungen träten sofort Panikattacken auf, wenn sie an den Unfall denke oder jemand direkt hinter ihr stehe. Der Unfallverursacher habe sich nachher bei ihr gemeldet und sie bedroht. Sie habe daraufhin sämtliche Nummern abändern müssen, auch die Nummer ihrer Mutter in K. Sie lebe unter der ständigen Angst, dass der Unfallverursacher seine Drohung wahrmachen könnte. Nachts träten ab und zu Flashbacks auf, regelmäßig leide sie unter Durchschlafstörungen, starken Schweißausbrüchen nachts, so dass sie an permanenter Tagesmüdigkeit leide. Aufgrund der regelmäßigen Einnahme von Antidepressiva habe sie sehr viel zugenommen.

Das SG hat K3, NeuroMVZ S, und L als sachverständigen Zeugen gehört und W mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

K3 hat unter dem 09.02.2017 angegeben, die Klägerin seit 20.08.2013 ambulant zu behandeln. Er habe am 15.11.2016 die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, ohne psychotische Syndrome (F33.2), posttraumatische Belastungsstörung (F41.1), Panikstörung (F41.0), Angst und depressive Störung gemischt (F41.2) und Verdacht auf Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Sedativa (F13.2) gestellt. Er habe im Verlauf der Behandlung keine wesentliche Änderung festgestellt.

L hat eine Behandlung der Klägerin seit 1995 angegeben, seit dem Überfall ein bis zweimal monatlich. Es lägen keine unfallfremden oder persönlichkeitsbedingten Faktoren bei der Erkrankung vor. Die MdE betrage 100 % (Stellungnahme ohne Datum und Unterschrift, Blatt 33 der SG-Akten).

In seinem nervenärztlichen Gutachten vom 20.06.2017 hat W nach einer persönlichen Untersuchung der Klägerin am 14.06.2017 ausgeführt, dass sich bei der Klägerin aktuell eine ausgeprägte Regression auf dem Boden generalisierter Ängste bei histrionischer Primärpersönlichkeit gezeigt habe. Anamnestisch seien rezidivierende, zum Teil schwere depressive Episoden zu eruieren gewesen, möglicherweise mit psychotischen Symptomen. Eine schwere depressive Symptomatik sei aktuell nicht erkennbar. Aufgrund der vorliegenden Befundlage habe er wenig Zweifel daran, dass die Klägerin nach dem Ereignis vom 17.04.2008 eine ängstliche Anpassungsstörung entwickelt habe, möglicherweise einhergehend mit konkreten Ängsten im Rahmen einer Bedrohungslage, die allerdings auch psychotischen Ursprungs sein könnte, was sich im Nachhinein aber nicht mehr sichern lasse. Eine posttraumatische Belastungsstörung habe er anhand der wenig klaren Schilderung zur Bedrohungslage und zum Verlauf danach nicht hinreichend sichern können. Nicht zu erkennen sei auch ein Zusammenhang zwischen den mehrfach dokumentierten depressiven Episoden und dem Ereignis des Jahres 2008. Nachdem die depressiven Episoden rezidivierenden Charakter aufwiesen, lasse sich ein Zusammenhang kaum begründen, da eine rezidivierende Symptomatik nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand viel mehr für ein endogenes Geschehen spreche. Darüber hinaus habe er keinen Zweifel daran, dass zum Zeitpunkt des Ereignisses und auch unmittelbar danach eine ausgeprägte vulnerable Lebenssituation vorgelegen habe, die von der Klägerin durch eine regressive Symptomatik „beantwortet“ worden sei. Als Unfallfolge sei eine ängstliche Anpassungsstörung anzuerkennen. Die bis zum 01.04.2009 angenommene MdE von 20 v.H. sei durchaus plausibel angesichts der spezifischen Vulnerabilität aufgrund der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin. Danach falle es schwer, eine weiterbestehende messbare MdE zu begründen, nachdem zu diesem Zeitpunkt gemäß den vorliegenden Unterlagen unfallunabhängige depressive Symptome ganz wesentlich im Vordergrund gestanden hätten.

Zu dem Gutachten hat die Klägerin unter Vorlage von ärztlichen Attesten D (dem Praxisnachfolger von L vom 10.10.2017) und von L (vom 24.04.2008, 31.03.2009) Stellung genommen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 05.03.2018 hierauf erwidert.

Mit Urteil vom 17.05.2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, W habe überzeugend herausgearbeitet, dass ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen den dokumentierten depressiven Episoden und dem Überfall unwahrscheinlich sei. Die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung habe sich nicht im Vollbild nachweisen lassen. Der Beweis einer unmittelbaren psychischen Schädigung durch das Ereignis werde dadurch erschwert, dass die Klägerin in Holland nicht ärztlich behandelt worden sei, bzw. dass kein ärztlicher Befund unmittelbar nach dem Überfall vorliege. Die von ihr erlittenen körperlichen und seelischen Verletzungen seien auch nicht durch die in Deutschland behandelnden Ärzte dokumentiert. Vielmehr enthalte der erste nervenärztliche Befund von P drei Wochen nach dem Ereignis nicht die typischen Symptome einer akuten Belastungsstörung, sondern beschreibe eine Dysthymie und ein Erschöpfungssyndrom. Soweit diese Diagnose von O gestellt worden sei, sei darauf hinzuweisen, dass diese beauftragt gewesen sei, die Erwerbsminderung der Klägerin unabhängig von ihren Ursachen festzustellen. Das gelte auch für die Gutachten von N und H1, wobei diese Gutachter bereits lediglich einen Verdacht auf bzw. einen Zustand nach posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert hätten. Es erscheine daher eher wohlwollend, wenn die Beklagte Restsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung als Unfallfolge anerkannt habe. Das Gutachten von C stehe dem nicht entgegen, da dessen Befunde das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zu begründen vermochten. Der zeitliche Zusammenhang des Beginns der psychischen Erkrankung mit dem Überfall genüge unter den vorliegenden Umständen nicht, den rechtlich wesentlichen Zusammenhang nachzuweisen. Soweit M1 davon ausgehe, dass bis 01.04.2009 eine MdE von 20 v.H. vorliege, so sei ein hieraus resultierender Rentenanspruch verjährt (wird ausgeführt).

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 11.06.2018 zugestellte Urteil haben diese am 05.07.2018 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.

Sie hält unter Verweis auf den bisherigen Vortrag daran fest, dass eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege und diese rechtlich wesentlich auf das Unfallgeschehen zurückzuführen sei. Ferner bestünden Depressionen, die von W nicht nach dem ICD-10 verschlüsselt worden seien. Die Behauptung, die Depressionen besäßen offensichtlich rezidivierenden Charakter, sei im Gutachten nicht näher begründet worden. Die Einschätzung des W, die Depressionen seien endogenen Ursprungs, überzeuge insoweit nicht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Mai 2018 aufzuheben sowie den Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, eine fortbestehende posttraumatische Belastungsstörung sowie eine wiederkehrende Depression mit psychotischen Zügen als Folge des Versicherungsfalles vom 17. April 2008 anzuerkennen und ab 1. Oktober 2008 Rente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf ihre Bescheide und auf die Ausführungen im Urteil des SG.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Beklagten vom 08.09.2021 und Schriftsatz der Bevollmächtigten der Klägerin vom 20.09.2021).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. In der Sache bleibt die Berufung jedoch ohne Erfolg.

Gegenstand des Rechtsstreits ist im Rahmen der zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen der Folgen des anerkannten Arbeitsunfalles vom 17.04.2008. Zulässig ist auch die Klage, mit der die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten begehrt, die im angefochtenen Bescheid bereits festgestellte Unfallfolge „Restsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Ängsten und Alpträumen“ in „fortbestehende posttraumatische Belastungsstörung“ abzuändern und die in dem Bescheid als Unfallfolge abgelehnten Depressionen mit psychotischen Zügen als solche anzuerkennen. Das SG hat sowohl die Anfechtungs- und Leistungsklage, als auch die insoweit zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, § 56 SGG; zum Wahlrecht der Versicherten zwischen Feststellungs- und Verpflichtungsklage bezogen auf die Feststellung von Unfallfolgen: Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R -, juris Rn. 15 ff., vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R -, juris Rn. 12 und vom 05.07. 2016 - B 2 U 5/15 R -, juris, m. w. N.,) zu Recht abgewiesen.

Ausgehend davon, dass § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die Möglichkeit eröffnet, eine Feststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung zu erheben, „ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit (...) ist“, ergibt sich nach der Rechtsprechung des BSG aus § 102 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) ein Rechtsanspruch des Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger auf Feststellung einer Unfallfolge (oder eines Versicherungsfalls), wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge der Erfüllung eines Tatbestandes des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wird (BSG, Urteile vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R - und vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R -, beide juris). Streitgegenstand ist daher die kausale Verknüpfung der geltend gemachten Gesundheitsstörung bzw. des in § 8 Abs. 1 SGB VII bezeichneten Gesundheitsschadens (zur übereinstimmenden Auslegung der Begriffe vgl. Šušnjar/Spellbrink, SGb 2021, 129-134). Sinn und Zweck der Feststellungsklage ist es, zu gewährleisten, dass die Behandlung oder die Versorgung mit Körperersatzstücken durch die gesetzliche Unfallversicherung erfolgen oder die Gesundheitsstörung in die MdE-Bewertung einbezogen werden kann (vgl. Šušnjar/Spellbrink, a. a. O. unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien). Gesundheitsstörung i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG ist danach jeder regelwidrige – auch geringfügige – körperliche, geistige oder seelische Zustand. Durch ein Feststellungsurteil sichert sich der Verletzte über eine Gesundheitsstörung nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG eine schützenswerte Rechtsposition für ggf. in Zukunft erforderlich werdende Heilbehandlungen, die Versorgung mit Prothesen etc. sowie eine Berücksichtigung im Rahmen einer MdE-Bewertung. Für die hier erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ergibt sich insoweit nichts anderes.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist für einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R -, juris m. w. N.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit", „Verrichtung", „Unfallereignis" sowie „Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst recht nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R -, juris). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann anzunehmen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen ist oder nur möglich ist (BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R -, juris).

Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne voraus. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen, die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R -, juris).

Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-)verursacht hat. Wesentlich ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris). Bei mehreren Ursachen ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 a. a. O., m. w. N.).

Gesundheitserstschaden im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist grundsätzlich jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand, der unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht wurde, die selbst rechtlich wesentlich durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit verursacht wurde. Von diesem zum Tatbestand des Versicherungsfalls gehörenden Primärschaden sind diejenigen Gesundheitsschäden zu unterscheiden, die rechtlich wesentlich erst durch den Erstschaden verursacht (unmittelbare Unfallfolge) oder der versicherten Tätigkeit aufgrund der Spezialvorschrift des § 11 SGB VII als Versicherungsfall (mittelbare Unfallfolge) zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 16/11 R -, juris).

Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls sind bei dem Ereignis vom 22.07.2015 dem Grunde nach erfüllt, wie von der Beklagten im angefochtenen Bescheid insoweit bestandskräftig anerkannt. Dabei geht auch der Senat in Übereinstimmung mit der Beklagten davon aus, dass die Klägerin in Ausübung ihrer Tätigkeit als Coach des H. B. auf der gemeinsamen Dienstreise Opfer einer Gewalttat geworden ist. Auch wenn die Beklagte den Arbeitsunfall in den angefochtenen Bescheiden nicht ausdrücklich durch eigenständigen Verfügungssatz anerkannt hat, ist dies durch die Ablehnung einer Rente unter ausdrücklicher Anerkennung von „Restsymptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Ängsten und Alpträumen“ als Folgen des Versicherungsfalles zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Der Senat vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 02.09.2015 noch eine „fortbestehende posttraumatische Belastungsstörung, wie von der Klägerin beantragt, vorgelegen hat.

Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf das Gutachten von W vom 20.06.2017. Unter sorgfältiger Auswertung der von der Beklagten und dem SG beigezogenen Gutachten, ärztlichen Bescheinigungen und Zeugenaussagen hat W nach einer eigenen ausführlichen Untersuchung der Klägerin für den Senat schlüssig und überzeugend dargelegt, dass das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nachgewiesen ist, deren Bestehen jedoch – wie bereits dargelegt – im Vollbeweis festzustellen wäre. Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung von entsprechenden Leistungen aufgrund von ihnen ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und die aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen soll (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris). Dies sind namentlich die Diagnosesysteme ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, Version 2019) sowie DSM V (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Stand Mai 2013).

Der Sachverständige W hat sich in seinem Gutachten vom 20.06.2017 an den Diagnosekriterien des ICD-10 und der DSM-5-Klassifikation orientiert. Laut ICD-10 F 43.1 entsteht die posttraumatische Belastungsstörung als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (A). Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten (B). Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten (C). Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf (D). Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann (E). Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.

W hat bereits zum A-Kriterium unter Darlegung der unterschiedlichen Hergangsschilderungen der Klägerin gegenüber der Beklagten und in den vorliegenden Gutachten (vgl. Bl. 20 f. der SG-Akte) und ihrer Angabe, es habe sich um einen Mordversuch gehandelt, eine nach objektiven Kriterien bestehende Todesgefahr als nicht hinreichend zuverlässig feststellbar beschrieben. Zu Recht weist er darauf hin, dass hierzu auch nicht passt, dass die Klägerin u.a. angegeben hatte, sie gehe davon aus, der Angreifer habe ihr nicht schaden wollen, denn ansonsten hätte er ihr wohl nicht erklärt, sie solle im Café warten, bis das Ganze erledigt sei. Warum er sie habe umbringen wollen, bleibt daher, worauf W zu Recht hinweist, im Dunkeln. Im Gegensatz zu früheren Schilderung erwähnte die Klägerin gegenüber W erstmals eine zerrissene Kleidung und äußere Verletzungen („sie habe geblutet“). Eine Behandlung im Krankenhaus hat sie eigenen Angaben zufolge abgelehnt, obwohl ihr hierzu von Seiten der niederländischen Polizei bzw. von der nach Angaben der Klägerin hinzugezogenen Therapeutin geraten worden sei. Über Inhalt und Dauer eines Kontaktes zu einer Psychotherapeutin auf der Polizeiwache ist zudem nichts bekannt. Noch am selben Tag ist die Klägerin zusammen mit H. B. dann nach Hause gefahren. Damit ist nicht nur das A-Kriterium, sondern auch Art und Umfang der Einwirkung und der sich hieraus abzuleitende Gesundheitserstschaden auf psychiatrischem Fachgebiet nicht nachgewiesen. Nach den Angaben der Klägerin ist sie am Tag nach dem Unfall bereits vom L im Rahmen eines Hausbesuches behandelt worden, der sie zudem engmaschig behandelt haben soll. Aus dessen Angaben ergeben sich für die Folgetage aber lediglich Behandlungen am 21. und 28.04.2008. So wird von L auf Anfrage der Beklagten der Befund nach erstmaliger Untersuchung am 21.04.2008 wie folgt beschrieben (vgl. Bl. 415 der Akten): „Am 17.04.2008 räuberischer Überfall in A, hierbei anamnestisch Prellung linke Flanke und linkes Knie, passager Hämaturie. Untersuchung am 21.04.2008 mit Sonographie: V.a. Kontusion linke Niere, kein Hämatom, kein Nierenbeckenaufstau, keine Parenchymuntersuchung. Keine freie Flüssigkeit im Bauchraum, Milz unauffällig. Kontrolle am 28.05.2008 und 09.06.2008 mit demselben Ergebnis. Kniebeschwerden links im Sinne einer Prellung/Distorsion. Erhebliche psychische Traumatisierung, deswegen ÜW zur Psychotherapie.“ Aus dessen Bericht vier Tage nach dem Unfall lassen sich objektiv nachweisbare Gesundheitsstörungen nicht entnehmen. In diesem Bericht werden auch äußerlich sichtbare Verletzungen wie Schürfwunden etc. nicht erwähnt und lassen sich erhebliche körperliche Gesundheitsstörungen nicht ableiten. Im Erstbefund des von der Klägerin dann konsultierten P vom 06.05.2008 (Bl. 44 der SG-Akte) wird ein traumatisches Ereignis nicht wiedergegeben und die Diagnose einer Dysthymia (F34.1G) bei neurasthenischem Erschöpfungssyndrom (F48.0G) gestellt. Gleiches gilt für dessen Bericht vom 01.08.2008 (Bl. 37 der Akten), in dem ein „angstdepressives Erschöpfungssyndrom (F48.0G)“ und ein „massiver Einbruch depressiver Episode (F33.2G)“ diagnostiziert wurde, ohne Wiedergabe eines entsprechend auslösenden Ereignisses und ohne Hinweis auf eine Traumatisierung durch ein äußeres Ereignis. Auch im Rahmen der sich anschließenden stationären Behandlung wird ein Überfall im April 2008 nur festgehalten, allerdings ohne dass sich Details eines Unfallherganges entnehmen lassen. Die Behandlung erfolgte vom 10.07.2008 bis 29.07.2008 auch nicht in einer für Trauma-Patienten spezialisierten Klinik, sondern in der K1-Klinik Ü, einer Klinik für Ernährungsbedingte Krankheiten, Innere Medizin, Diabetologie und Naturheilverfahren. Im Abschlussbericht ist insoweit lediglich ein einzelnes „tiefenpsychologisch fundiertes Einzelgespräch mit unserer Klinikpsychologin“ erwähnt und sind die Diagnosen Depression mit chronisch rezidivierenden Panikattacken und psychovegetativem Erschöpfungszustand, posttraumatische Belastungsstörung und Z. n. Nierenkontusion links bei Traumatisierung links 04/2008 gestellt worden. Eine zeitnahe detaillierte Beschreibung des Unfallherganges findet sich damit weder in den Berichten des L noch in denen des P oder der K1-Klinik Ü. Eine fachärztliche Behandlung ist nach der von K3, dem Praxisnachfolger von P, vorgelegten Aufstellung lediglich an drei Tagen in 2008 (06.05.,01.07. und 01.08.) vermerkt und dann erst wieder in 2010 (drei Termine am 24.06., 17.09. und 21.10.) sowie am 21.06.2013. Damit fehlen objektiv nachvollziehbare Befunde bezogen auf eine durch das Unfallereignis eingetretene tatsächliche Einwirkung, die ohne Kenntnis des damalig zugrunde gelegten Ereignisses mit der von L beschriebenen „erheblichen Traumatisierung“ nicht nachvollzogen werden kann. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob mit den Ausführungen von W als nachgewiesen angesehen werden kann, dass aufgrund der Betreuung durch eine Psychotherapeutin in der Polizeistation von einem gewissen Ausnahmezustand auszugehen ist. Denn andererseits bestand wohl ein geordneter und transportfähiger Zustand, der die Klägerin jedenfalls nicht daran gehindert hat, am selben Tag noch zurückzufahren, worauf W ebenfalls zu Recht hinweist. Unter Berücksichtigung dessen und aufgrund fehlender objektiver Angaben lässt sich nicht nur ein dem A-Kriterium entsprechendes katastrophales Ereignis nicht sicher feststellen, sondern auch nicht Art und Ausmaß eines eingetretenen Gesundheitserstschadens.

Soweit demgegenüber im Gutachten von O vom 06.04.2009 für die Deutsche Rentenversicherung Bund tatsächlich auf eine posttraumatische Belastungsstörung zur Begründung einer bestehenden Leistungsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abgestellt wird, vermag dies in diesem Zusammenhang keine andere Würdigung zu rechtfertigen, nachdem sich diesem Gutachten eine kritische und leitliniengerechte Beurteilung der oben genannten Kriterien für die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht entnehmen lässt (vgl. hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme von M1 vom 13.03.2015 zur Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen AWMF-Registernummer 051/029, die der Senat als qualifizierten Beteiligtenvortrag wertet).

Als wesentliches Argument gegen die begehrte Feststellung einer (noch) fortbestehenden posttraumatischen Belastungsstörung sieht der Senat zudem, dass nach den Schilderungen von W auf der Befundebene die Angstsymptomatik in der Exploration ausgesprochen diffus geblieben ist und in der umfangreichen Befragung des Ereignisses mit Anfertigen von Skizzen durch die Klägerin keine körperliche und/oder psychische Begleitsymptomatik erkennbar war, die an ein noch bestehendes Vermeidungsverhalten (sogenanntes C-Kriterium) denken lassen könnte. Mit den Ausführungen von W ist daher jedenfalls nicht von einer fortbestehenden posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen, sondern allenfalls von einer ängstlichen Anpassungsstörung, wobei der Sachverständige auch eine ausgeprägte Regression, also eine Rückbildung der Symptomatik auf dem Boden generalisierter Ängste bei histrionischer Primärpersönlichkeit, festgestellt hat. Soweit C eine posttraumatische Belastungsstörung mit Ängsten und Alpträumen als Unfallfolge sieht, vermochte sich der Senat dem ebenfalls nicht anzuschließen. Der Senat teilt die Auffassung von W, dass der Kausalitätsbeurteilung des C nicht gefolgt werden kann. Die allein auf Aktenreferat und psychischem Befund beruhende Wertung lässt eine kritische Auseinandersetzung mit den zu klärenden Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-10 bzw. DSM-5 vermissen, worauf schon M1 in dessen beratungsärztlicher Stellungnahme hingewiesen hatte.

Mit W ist der Senat auch der Überzeugung, dass die von der Klägerin geltend gemachte wiederkehrende Depression mit psychotischen Zügen nicht als Folge des anerkannten Arbeitsunfalles anzuerkennen ist. Insoweit gelten die zur posttraumatische Belastungsstörung gemachten Ausführungen entsprechend. Denn auch insoweit gilt, dass aufgrund der fehlenden Dokumentation der unmittelbar nach dem Unfall bestehenden Einschränkungen im Zusammenhang mit dem Unfallereignis eine rechtlich wesentliche Verursachung nicht nachvollzogen werden kann. W vermochte rezidivierende, zum Teil auch schwere depressive Episoden nur noch anamnestisch festzustellen, wobei er für die Vergangenheit psychotische Symptome jedenfalls nicht ausschließen konnte. Hierzu stellt der Senat fest, dass sich die Angabe, es handele sich um rezidivierende, also wiederkehrende Depressionen, unschwer aus den vorliegenden Befundberichten ableiten lässt. So stellten sowohl P als auch K3 in ihren Befundberichten regelmäßig und ausschließlich entsprechende Diagnosen, die insoweit auch nach dem ICD-10 verschlüsselt waren. Nachdem W eine solche Diagnose selbst nicht gestellt hat, war diese von ihm auch nicht nach ICD-10 zu verschlüsseln. Das Gutachten leidet daher auch an keinem Mangel, wie die Klägerin geltend macht. Die von C in dessen Gutachten beschriebene anhaltende depressive Störung im Ausmaß einer Dysthymie stützt den gestellten Antrag auf Anerkennung einer wiederkehrenden Depression mit psychotischen Zügen ebenfalls nicht. Psychotische Syndrome sind von ihm nicht festgestellt worden und eine Depression bestand lediglich noch in der Ausprägung einer Dysthymie. Nach ICD-10 F34.1 handelt es sich bei einer Dysthymia um eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder hinreichend schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung nach ICD-10 F33 zu erfüllen (vgl. Dilling/Freyberger, Taschenführer ICD-Klassifikation psychischer Störungen, 7. Auflage, S. 147). Damit scheidet die Anerkennung der geltend gemachten Gesundheitsstörung auch nach diesem Gutachten aus.

Auf die Einwendungen der Klägerin und deren Vortrag, unter keinen Vorerkrankungen gelitten zu haben, weist der Senat ergänzend darauf hin, dass es für die Begründung eines ursächlichen Zusammenhangs nach der dargelegten Theorie der wesentlichen Bedingung nicht ausreicht, dass die angeschuldigten Beschwerden erst zeitlich nach dem Unfall auftraten. Denn der ursächliche Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn kann nicht rein zeitlich begründet werden, sondern muss sachlich-inhaltlich nachvollziehbar sein. Dementsprechend kann im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung auch nicht im Sinne eines Anscheinsbeweises aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung auf die berufliche Verursachung der Erkrankung geschlossen werden (BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 34/03 R -, juris). Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Unfallfolgen positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris). Insbesondere gibt es noch nicht einmal die Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache und einem rein zeitlichen Zusammenhang die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG, a. a. O.).

Es besteht unter Berücksichtigung der gemachten Ausführungen auch kein Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 SGB VII setzt der Anspruch auf eine Verletztenrente eine MdE von wenigstens 20 v. H. voraus. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt damit zum einen von den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und zum anderen von dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten ab. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R -, juris, Rn. 14). Die Bemessung des Grades der MdE ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Tatsachengericht unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen richterlichen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R -, juris, Rn. 15). Die MdE-Tabellenwerte sind allgemeine (generelle) Tatsachen, die für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm – nämlich des in § 56 Abs. 2 SGB VII verwendeten Begriffs der MdE – und damit für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle relevant sind. Bei einer Vielzahl von Unfallfolgen haben sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der MdE Erfahrungswerte herausgebildet. Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und dienen als Hilfsmittel für die MdE-Einschätzung im Einzelfall. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber als in sich stimmiges Beurteilungsgefüge die Grundlage für eine gleichförmige Bewertung der MdE, ohne dass hier eine exakte rechtsdogmatische Einordnung der MdE-Tabellen erforderlich wäre (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R -, juris, Rn. 18). MdE-Tabellen bezeichnen typisierend das Ausmaß der durch eine körperliche, geistige oder seelische Funktionsbeeinträchtigung hervorgerufenen Leistungseinschränkungen in Bezug auf das gesamte Erwerbsleben und ordnen körperliche oder geistige Funktionseinschränkungen einem Tabellenwert zu. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte geben damit auch allgemeine Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperliche Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit aufgrund des Umfangs der den Verletzten versperrten Arbeitsmöglichkeiten wieder und gewährleisten, dass die Verletzten bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R -, juris, Rn. 19).

Unter Berücksichtigung dessen lassen sich keine Unfallfolgen (mehr) feststellen, die eine Rente rechtfertigen könnten.

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid auf die Verjährung von Ansprüchen auf Leistungen für die Zeit vor dem 01.01.2010 berufen durfte, soweit W in Übereinstimmung mit der beratungsärztlichen Stellungnahme von M1 eine MdE um 20 v.H. nach Ablauf unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit (die W hier bis zur Beendigung des Erholungsurlaubes in K im September 2008 angenommen hat) bis 01.04.2009 als plausibel angesehen hat. Insoweit wird, nachdem substantiierte Einwendung hiergegen im Berufungsverfahren nicht mehr vorgebracht wurden und um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil des SG und im Widerspruchsbescheid der Beklagten verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG bzw. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 136 Abs. 3 SGG).

Soweit damit noch Rentenansprüche der Klägerin ab 01.10.2010 zu prüfen waren, stellt der Senat fest, dass das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung auch für die Zeit ab 01.01.2010 nicht als nachgewiesen angesehen werden kann. So hat schon N in seinem Gutachten für die Deutsche Rentenversicherung Bund vom 19.01.2011 und in Kenntnis des Gutachtens von O nur noch lediglich den Verdacht auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung geäußert und die bestehende Leistungseinschränkung für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wesentlichen auf die von ihm diagnostizierte mittelgradige depressive Symptomatik bei akzentuierter Persönlichkeit mit dysthymen und histrionischen Anteilen gestützt. Es kann dahinstehen, ob H1 in seinem Gutachten im Erwerbsminderungsrentenverfahren und seiner Diagnose von einem „Zustand nach posttraumatischer Belastungsstörung“ abweicht, wenn er gleichzeitig von einem posttraumatischen, mittlerweile chronischen Syndrom, das seine Ursache in einem Überfall im April 2008 hatte, ausgeht. Denn auch er diagnostiziert eine mittelgradige depressive Symptomatik mit dysthymen Anteilen. Dabei führt er ohne Angabe entsprechend erhobener Befunde aus, dass sich die Klägerin bei der Untersuchung weiterhin als stark traumatisiert dargestellt habe und glaubhaft habe machen können, dass sie nicht mehr in der Lage sei, länger als zwei Stunden auch psychisch wenig belastende Aktivitäten durchzuführen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-10 F43.1 enthält aber auch dieses Gutachten (und auch die Befundberichte der behandelnden Ärzte) nicht, sodass es nicht als Vollbeweis eines zu diesem Zeitpunkt bestehenden Krankheitsbildes taugt. W hat zudem bezogen auf die rezidivierenden Depressionen überzeugend dargelegt, dass allein die Tatsache eines über Jahre hinweg bestehenden wiederkehrenden Krankheitsbildes gegen eine rechtlich wesentliche Verursachung durch das Unfallereignis spricht. Berücksichtigt man zudem, dass fachärztliche Behandlungen – wie oben bereits dargelegt – im Zeitraum nach dem stationären Aufenthalt in Ü bis Juni 2010 und in der Zeit von Oktober 2010 bis Juni 2013 überhaupt nicht in Anspruch genommen wurden, lässt sich eine traumatische (Mit-)Verursachung nicht hinreichend schlüssig begründen.

Bezogen auf die geltend gemachten Verletzungen im Bereich der linken unteren Extremität und der linken Niere konnten nach den Gutachten von K4 vom 17.02.2016 und H2 vom 23.05.2016, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, keine überdauernden Unfallfolgen festgestellt werden, sodass diese für die Zeit ab dem 01.01.2010 weder eigenständig noch in der Zusammenschau eine MdE in rentenberechtigendem Grad begründen können. Weitergehende Ausführungen hierzu sind nicht veranlasst, da die Klägerin insoweit weder im Klage- noch im Berufungsverfahren Unfallfolgen geltend gemacht hat oder Einwendungen erhoben hat.

Damit sind insgesamt keine Unfallfolgen nachgewiesen, die für die zu berücksichtigende Zeit ab 01.01.2010 die Gewährung einer Verletztenrente rechtfertigen könnten.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung, die dies berücksichtigt, beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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