L 7 SO 866/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 1700/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 866/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Februar 2021 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren im Rahmen der Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Gewährung weiterer Heizkosten in Höhe von 382,58 EUR.

Die Klägerin Ziff. 1 stand im Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII beim Beklagten, die mit Bescheid vom 11. März 2019 ab dem 1. April 2019 wegen Wegfalls der Hilfebedürftigkeit aufgrund des Einkommens des Klägers Ziff. 2 aufgehoben worden sind. Sie bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Oldenburg-Bremen eine Altersrente mit einem monatlichen Zahlbetrag von 301,34 EUR ab 1. Juli 2019 bzw. 311,73 EUR ab 1. Juli 2020 sowie eine australische Altersrente in Höhe von etwa 240,00 EUR monatlich. Der Kläger Ziff. 2 bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente mit einem monatlichen Zahlbetrag von 865,71 EUR ab 1. Juli 2019 bzw. 895,57 EUR ab 1. Juli 2020 und erzielt Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit. Die Kläger bewohnen ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 118 m² zur Miete, das vom Kläger Ziff. 2 zum Teil gewerblich genutzt wird.

Mit Bescheid vom 8. August 2019 bewilligte die Beklagte den Klägern Heizkosten in Höhe von 1.389,80 EUR für eine Heizperiode vom 1. August 2019 bis 31. Juli 2020. In der mündlichen Verhandlung am 19. Februar 2020 des von den Klägern wegen der Höhe der gewährten Heizkostenbeihilfe vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) geführten Klageverfahrens S 5 SO 2703/19 wies das Gericht darauf hin, dass nach dem bundesweiten Heizspiegel für 2019 unter Berücksichtigung von 90 m² Wohnfläche insgesamt 1.638,90 EUR Berücksichtigung finden könnten. Die Kläger beantragten die Übernahme der Kosten für die Anschaffung von Heizöl und erklärten den Rechtsstreit für erledigt.

Zusätzlich beantragten die Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2020 eine weitere Brennstoffbeihilfe, da der Brennstoffvorrat zur Neige gehe.

Mit Bescheid vom 11. März 2020 bewilligte der Beklagte eine einmalige Beihilfe als Leistung der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Beschaffung von Heizöl für den Zeitraum vom 1. August 2019 bis 31. Juli 2020 in Höhe von insgesamt 249,10 EUR (jetzt insgesamt 1.638,90 EUR).

Gegen den Bescheid vom 11. März 2020 legten die Kläger Widerspruch ein. Mit 249,10 EUR könne man keinen Heizöl-Lieferanten dazu bewegen, Heizöl anzuliefern. Mit dem Bescheid vom 8. August 2019 sei eine zu geringe Summe ausgezahlt worden, welche wiederum dazu geführt habe, dass man nicht habe die erforderliche Heizölmenge bestellen können und darüber hinaus Preisnachteile habe in Kauf nehmen müssen. Die Rücknahme der Klage am 19. Februar 2020 (S 5 SO 2703/19) sei aufgrund der gerichtlichen Feststellung, dass ein angemessener Betrag in Höhe von 1.638,90 EUR für eine zugestandene Wohnfläche von 90 m² anzusetzen sei, erfolgt. Es werde eine Auszahlung in Höhe der Differenz in Höhe von 1.389,80 EUR gewünscht.

Die Kläger legten eine Rechnung über den Kauf von Heizöl über 1.646,13 EUR vom 25. März 2020 vor.

Mit als „Abhilfebescheid“ bezeichnetem Bescheid vom 23. April 2020 erklärte der Beklagte, zu den schon gewährten Heizkosten in Höhe von 1.638,90 EUR würden nun abschließend für den Zeitraum vom 1. Mai 2020 bis 30. April 2021 weitere Heizkosten in Höhe von 1.078,00 EUR gewährt. Aufgrund der Besonderheit des Einzelfalls der momentanen Lage seien die Einkünfte des Klägers Ziff. 2 aus selbständiger Tätigkeit nicht berücksichtigt worden.

Gegen den Bescheid legten die Kläger Widerspruch ein. Der Beklagte werde aufgefordert, an die Kläger (als „Bedarfsgemeinschaft“) den Differenzbetrag aus den nach den Bescheiden vom 8. August 2019, 11. März 2020 und 23. April 2020 für 2019 und 2020 insgesamt bewilligten 2.716,90 EUR und den tatsächlichen Ausgaben in Höhe von 3.099,48 EUR (Rechnung vom 16. September 2019 über 1.453,35 EUR und Rechnung vom 25. März 2020 über 1.646,13 EUR), also 382,58 EUR zu zahlen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die tatsächlich gewährte Beihilfe in Höhe von 1078,00 EUR, die als Vorausberechnung angestellt worden sei, sei zum aktuellen Zeitpunkt und auch zum Bewilligungszeitpunkt als angemessen anzusehen. Nachdem der Zwölfmonatszeitraum für die bewilligte Beihilfe mit dem Monat Mai 2020 erst begonnen habe und aktuell in den Sommermonaten nahezu kein Heizbedarf anfalle, könne keine weitere Heizbeihilfe gewährt werden. Sofern zum Ende des Bewilligungszeitraumes ein erneuter Bedarf bestehen sollte, könne hier eventuell eine weitere Beihilfe nachbewilligt werden.

Am 31. Juli 2020 haben die Kläger Klage zum SG erhoben und weiterhin einen Betrag in Höhe von 382,58 EUR für Heizkosten geltend gemacht.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Februar 2021 hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen den ihnen am 25. Februar 2021 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 3. März 2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, mit der sie ihr Begehren einer Nachzahlung der Differenz aus den tatsächlich bewilligten Heizkosten und den bewilligten Leistungen weiter verfolgen.

Die Kläger beantragen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Februar 2021 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 11. März 2020 und 23. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2020 zu verurteilen, ihnen einen weiteren Betrag für Heizkosten in Höhe von 382,58 EUR zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Kläger ist mangels Zulassung unzulässig und daher gemäß § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Für die Frage, ob die Berufung der Zulassung bedarf, ist der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels entscheidend (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 8. Oktober 1981 – 7 RAr 72/80 – juris Rdnr. 16 m.w.N.; BSG, Urteil vom 23. Februar 2011 – B 11 AL 15/10 R – juris Rdnr. 13; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2015 – L 4 R 3257/13 – juris Rdnr. 41; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rdnr. 19; Sommer in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 2. Auflage 2021, § 144 Rdnr. 28). Der Beschwerdewert bemisst sich ausschließlich nach der Höhe des Geldbetrages, um den unmittelbar gestritten wird (BSG, Beschluss vom 22. Juli 2010 – B 4 AS 77/10 B – juris Rdnr. 6). Fallen mehrere Streitgegenstände in den Anwendungsbereich des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, sind die Beschwerdewerte zu addieren (BSG, Urteil vom 5. Februar 1998 – B 11 AL 19/97 – juris Rdnr. 15; BSG, Beschluss vom 18. April 2016 – B 14 AS 150/15 – juris Rdnr. 6).

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Berufung nicht vor.

Ein Beschwerdewert von mehr als 750,00 Euro wird nicht erreicht.

Der Beschwerdegegenstand richtet sich danach, was durch das angefochtene Urteil des Sozialgerichts versagt, also abgelehnt worden ist, und mit der Berufung weiterverfolgt wird (BSG, Beschluss vom 5. August 2015 – B 4 AS 17/15 B – juris Rdnr. 6 m.w.N.). Dies ist durch Vergleich des vor dem Sozialgericht beantragten Gegenstandes mit dem ausgeurteilten Gegenstand und dem in der Berufung weiterverfolgten Begehren zu bestimmen (Keller in Meyer‑Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rdnr. 14 m.w.N.; Wehrhahn in jurisPK-SGG, 2017, § 144 Rdnr. 19). Maßgeblich ist insoweit, was der Berufungskläger in Wirklichkeit als sachlich verfolgtes Prozessziel anstrebt, was er unter den gegebenen Umständen allenfalls wollen kann (BSG, Urteil vom 5. März 1980 – 9 RV 44/78 – juris Rdnr. 14). Maßgebend ist der materielle „Kern“ des gerichtlichen Verfahrens (BSG, Urteil vom 5. März 1980 – 9 RV 44/78 – juris Rdnr. 14). Bei einer Trennung von Verfahren richtet sich der Beschwerdewert nach dem verselbständigten Prozessteil (Keller in Meyer‑Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rdnr. 18a).

Das Begehren der Kläger zielt auf die Abänderung der Bescheide vom 11. März 2020 und vom 23. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2020 und die Gewährung eines (weiteren) Betrages in Höhe von 382,58 EUR. Ein Beschwerdewert von mehr als 750,00 Euro wird damit nicht erreicht.

Die Berufung betrifft auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, sondern lediglich einmalige Leistungen in Form von Heizkostenbehilfen (im August 2019, März 2020 und April 2020). Allenfalls kann angenommen werden, dass die jeweils einmalig (den Rechnungen vom 16. September 2019 und 25. März 2020 zugrundeliegenden) angefallenen Heizkostenbedarfe zu einem Anspruch auf (grundsätzlich wiederkehrende) Sozialhilfeleistungen führen, jedoch nur im jeweiligen Monat des Anfalls des Bedarfs. Dass die betroffenen Heizkostenbedarfe mehrere Heizperioden betreffen, kann schon deshalb nicht zur Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG führen, weil es sich jedenfalls um verschiedene prozessuale Ansprüche handelt, die jeweils verschiedene Bezugszeiträume betreffen, die wiederum im Rahmen von § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht zusammengerechnet werden dürfen (BSG, Urteil vom 30. Juni 2021 – B 4 AS 70/20 R – juris Rdnr. 26).

Somit ist die Berufung der Kläger unter keinen Umständen zulassungsfrei.

Die Berufung ist auch nicht durch das SG zugelassen worden. Zwar hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid über das Rechtsmittel der Berufung belehrt. Das SG hat die Berufung aber weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen zugelassen. Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung allein ersetzt nicht die Berufungszulassung (z. B. BSG, Beschluss vom 22. Juli 2010 – B 4 AS 77/10 B – juris Rdnr. 8). Die Verwendung der für eine zulassungsfreie Berufung üblichen Rechtsmittelbelehrung ist keine Entscheidung über die Zulassung, sondern eine falsche Rechtsmittelbelehrung, die das Berufungsgericht nicht bindet und lediglich dazu führt, dass das statthafte Rechtsmittel – vorliegend Antrag auf mündliche Verhandlung (§ 105 Abs. 2 Satz 2 SGG) – innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Gerichtsbescheides zulässig ist (§ 66 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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