L 8 SB 1245/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 612/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1245/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 01.04.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die höhere Neufeststellung des Grades der bei der Klägerin vorliegenden Behinderung (GdB).

Bei der 1975 geborenen Klägerin war zuletzt mit Bescheid des Beklagten vom 05.11.2013 ein GdB von 30 festgestellt worden. Dies beruhte auf einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des P vom 05.11.2013, in der die Funktionsbeeinträchtigungen wie folgt bewertet wurden: Seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom, funktionelle Organbeschwerden, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule – Einzel-GdB 30.

Ein Neufeststellungsantrag vom 26.11.2014 blieb erfolglos, da der GdB nach versorgungsärztlicher Stellungnahme weiterhin mit 30 ausreichend bewertet war (Bescheid vom 15.01.2015, Widerspruchsbescheid vom 04.09.2015).

Die Klägerin beantragte am 26.07.2017 die hier streitige höhere Neufeststellung des GdB. Sie verwies hierfür u.a. auf eine Anpassungsstörung mit vorwiegend depressiver Symptomatik und Angst- bzw. Panikstörung, eine rezidivierende mittelschwere depressive Episode, eine somatoforme Schmerzstörung und Fibromyalgie, eine chronisch entzündliche Gelenkserkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis, Einschränkungen im Bereich der HWS und LWS, Arthrose in den Schultergelenken, Polyarthrose der Hände beidseits, Senk-Spreizfuß-Deformität beidseits, Gonarthrose links, Arthrose im Ellenbogengelenk links, Polyarthrose der Füße beidseits, Arthrose im oberen Sprunggelenk sowie eine Hypothyreose.

Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme von Z vom 15.09.2017 waren die Funktionsbeeinträchtigungen unverändert zu bewerten. Das Wirbelsäulenleiden mit dem Fibromyalgiesyndrom sei ohne sensomotorische Defizite. Die Depression sei ausreichend gewürdigt. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen Schilddrüsenunterfunktion, Senk-Spreizfuß beidseitig, Herpes Zoster, Funktionsbehinderung beider oberer Sprunggelenke und Funktionsbehinderung des linken Ellenbogengelenks (bei jeweils guter Beweglichkeit) bedingten jeweils keine Funktionsbeeinträchtigung mit einem Einzel-GdB von wenigstens 10.

Mit Bescheid vom 21.09.2017 lehnte der Beklagte den Antrag hierauf gestützt ab, da die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung des GdB nicht vorlägen.

Die Klägerin legte hiergegen am 05.10.2017 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie sodann aus, dass die Schwere der Behinderung nicht ausreichend gewürdigt worden sei. Für die Fibromyalgie und auch für ihre Migräne müsse jeweils ein gesonderter Einzel-GdB vergeben werden. Sie stellte hierzu die Auswirkungen der Fibromyalgie auf ihren Lebensalltag und ihre Berufstätigkeit als Lehrerin näher dar. Es bestehe keine Aussicht auf Besserung der Fibromyalgie. Es seien auch sensomotorische Defizite vorhanden. Sie leide zudem an Reizmagen und Reizdarm, trockenen Schleimhäuten, Ekzemen, Herzbeschwerden, Urogenital-Syndrom und Gleichgewichtsstörungen, wobei es sich laut Auskunft der behandelnden Ärzte um funktionelle Störungen handele und eine konkrete organische Erkrankung nicht diagnostiziert worden sei. Die Migräne, unter der sie seit 1,5 Jahren leide, gehöre nicht zu der Fibromyalgie. Sie leide unter kristallartigem Flimmern im Gesichtsfeld sowie Taubheitsgefühlen und Kribbeln in der rechten Gesichtshälfte. Hinzu kämen starke Kopfschmerzen. Die Anfälle hätten sich von einmal wöchentlich auf zweimal wöchentlich gesteigert. Sie legte hierzu einen Befundbericht des K vom 30.11.2017 über eine Migräne mit Aura sowie einen Befundbericht des W vom 04.09.2017 über ein Fibromyalgiesyndrom, Erschöpfungssyndrom und eine Panikstörung vor.

Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme von S vom 16.01.2018 ergab sich hieraus keine wesentliche anhaltende Änderung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2018 wies der Beklagte daher den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass sich eine Verschlimmerung, die eine Erhöhung des GdB rechtfertigen könne, nicht feststellen lasse. Der Gesamtleidenszustand sei mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet.

Die Klägerin hat am 15.03.2018 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, da ein GdB von mindestens 60 festzustellen sei. Ihr Bevollmächtigter hat zur Begründung im Wesentlichen die Begründung des Widerspruches wiederholt und vertieft. Die Klägerin leide seit 2 Jahren an einem wiederkehrenden und zweimal wöchentlich auftretenden kristallartigen Flimmern vor den Augen. Die rechte Gesichtshälfte sei taub und würde kribbeln. Zeitgleich träten im rechten Schläfenbereich Kopfschmerzen auf mit genereller Licht- und Lärmempfindlichkeit. Aufgrund der Fibromyalgie sei der Klägerin längeres Stehen, Sitzen und Liegen nicht möglich und sie müsse den frühen Morgenstunden wegen starken Rückenschmerzen aufstehen. Sie leide wegen Verspannung der Nacken-und Kiefergelenksmuskulatur ständig unter Spannungskopfschmerzen. Längere Autofahrten seien nicht möglich. Ihre Lehrtätigkeit sei infolge der Schmerzen bei längerem Stehen und Sitzen anstrengend für sie. Deshalb seien diverse Arbeitspausen notwendig. Durch Schmerzen bzw. Einnahme von Schmerzmitteln habe sie Konzentration-und Gedächtnisproblemen und leide im Laufe des Tages unter Müdigkeit und Erschöpfung. Freizeitaktivitäten seien daher nach der Arbeit nicht möglich. Das Tragen von schweren Gegenständen, körperliche Tätigkeiten mit einer statischen Haltung oder sportliche Aktivitäten seien nicht möglich. Längere Spaziergänge verstärkten die Schmerzsymptomatik. Handwerkliche Arbeiten seien nur unter Einnahme von starken Schmerzmittel eingeschränkt möglich. Sie habe wechselnde Schmerzen in sämtlichen Gelenken. Diese führten zeitweise dazu, dass die Klägerin nicht richtig gehen bzw. tagelang einen Arm beziehungsweise eine Hand nicht richtig bewegen könne. Sie habe Taubheitsgefühle in Armen, Händen und Beinen. Sie leide unter Polyarthrose, Erschöpfungssyndrom und einer Panikstörung. Die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen wirkten sich aufeinander nachteilig aus und würden aufgrund der hinzukommenden Gesundheitsstörung verstärkt. Daher sei ein GdB von wenigstens 60 gerechtfertigt.

Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch Vernehmung der behandelnden Ärzte und Therapeuten der Klägerin als sachverständiger Zeugen.

Die L hat in ihrer Aussage vom 20.07.2018 auf zwei Untersuchungen der Schilddrüse verwiesen. Weitere Auskünfte seien nicht möglich.

Der K hat in seiner Aussage vom 20.07.2018 von einer Migräne mit einem GdB von 30-40% und einem deutlich erschwerend hinzukommenden, im Verlauf progredienten psychovegetativen Erschöpfungssyndrom mit einer somatoformen Schmerzstörung berichtet.

Der W hat mitgeteilt, dass Vorstellungen 2012, 2013 und sodann am 01.09.2017 zur Diagnostik erfolgt seien. Zum GdB könne er nicht kompetente Auskunft geben.

Die am ZfP S1 tätige W1 hat am 24.07.2018 von einer durchgängigen in Behandlung seit November 2011 in der psychiatrischen Institutsambulanz berichtet. Dort seien die Diagnosen einer mittelschweren depressiven Störung, einer Anpassungsstörung mit vorwiegend depressiver Symptomatik und Angst-Panikstörung, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie eines Erschöpfungssyndroms gestellt worden. Es bestehe eine Komorbidität mit somatischen Diagnosen, hier einer chronischen entzündlichen Gelenkserkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis vorwiegend der Hand- und Fingergelenke (Polyarthrose), Fibromyalgie, Migräne mit Aura sowie Hypothyreose bei Thyreoiditis Hashimoto. Die psychischen und somatischen Erkrankungen bedingten und verstärkten sich gegenseitig. Die Beschwerden hätten im Verlauf des letzten Jahres erheblich zugenommen. Der GdB betrage auf psychiatrischem Fachgebiet 80 bis 100.

Die S2 hat in ihrer Aussage vom 29.07.2018 von Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Finger und einer allgemein verminderten Leistungsfähigkeit bei nie völliger Schmerzfreiheit und gastrointestinaler Resorptionsstörung berichtet. Den GdB schätze sie auf 50.

Der Orthopäde B hat in seiner Aussage vom 13.07.2017 von einer regelmäßigen orthopädischen Behandlung berichtet. Es bestehe ein rezidivierendes HWS-Syndrom bei Osteochondrosen und Myogelosen im HWS-Bereich und jetzt ständigen Hals-Nacken-Beschwerden mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung. Daneben bestehe ein rezidivierendes LWS-Syndrom mit schmerzhaftem Ileosakralgelenk bei Diskopathie L5/S1 mit ständigen Beschwerden. Hinzugekommen seien schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Finger und der Handgelenke und Kniebeschwerden mit Belastungsschmerzen. Außerdem bestünden nach dem Befundbericht von W vom 04.09.2017 erhebliche psychische Belastungen. Den GdB auf orthopädischem Fachgebiet schätze er auf 50.

Das SG hat auf Anregung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten noch die Verlaufsberichte der psychiatrischen Institutsambulanz des ZfP S1 vom 16.01.2018 bis zum 25.02.2019 und den Entlassbericht der Klinik H B1 vom 01.02.2019 über den Aufenthalt vom 09.01.2019 bis zum 01.02.2019 beigezogen. Die Klägerin hat noch ihr Migränetagebuch vom 01.03.2017 bis zum 31.03.2019 vorgelegt.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 07.05.2019 einen Vergleich vorgeschlagen, wonach ab dem 26.07.2017 ein GdB von 40 zuzuerkennen sei. Der Beklagte hat sich dabei auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von G vom 24.04.2019 gestützt. Für die durch den Kopfschmerzkalender bestätigten Migräneattacken mit medikamentösen Behandlungsoptionen werde ein GdB von 20 bis 30 vorgeschlagen. Im Funktionssystem Gehirn bzw. Psyche seien als Behinderung eine seelische Störung, ein chronisches Schmerzsyndrom, funktionelle Organbeschwerden und die Migräne mit einem Einzel-GdB von 40 anzuerkennen. Mit der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40 seit der Antragstellung.

Der Bevollmächtigte hat diesen Vergleichsvorschlag nicht angenommen, da insbesondere aufgrund der Fibromyalgie und einer posttraumatischen Belastungsstörung ein GdB von 50 begehrt werde. Er hat ferner einen Kurz-Entlassbericht der Akutklinik B2 vom 15.05.2019 über eine stationäre Behandlung vom 22.04.2019 bis zum 15.05.2019 wegen chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und mittelgradiger depressiver Episode vorgelegt. Eine ambulante Psychotherapie werde dringend empfohlen.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.04.2020 hat das Sozialgericht Konstanz – nach Anhörung der Beteiligten – den Beklagten in Abänderung des Bescheides vom 21.09.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2018 verurteilt, der Klägerin ab dem 26.07.2017 einen Grad der Behinderung von 40 zuzuerkennen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Klägerin für die Zeit ab dem 26.07.2017 einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 40 anstatt 30 habe. Für den Teilbereich der seelischen Störung betrage der Einzel-GdB 30. Bei der Klägerin liege eine mittelschwere depressive Störung, eine Anpassungsstörung mit vorwiegend depressiver Symptomatik und Angst- bzw. Panikstörung, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie ein Erschöpfungssyndrom vor. Die zuletzt geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung ergebe sich weder aus den Verlaufsberichten der psychiatrischen Institutsambulanz noch aus dem Entlassungsbericht der Klinik H oder dem Entlassungsbericht der Akutklinik B2. Die depressive Problematik bestehe bei der Klägerin seit dem Tod ihres Ehemannes im Jahr 2011. Eine dauerhafte Dienstunfähigkeit sei bereits 2013 gutachtlich nicht festgestellt worden. Die Klägerin sei im weiteren Verlauf ihrer beruflichen Tätigkeit auch überwiegend in Teilzeit nachgegangen und habe zuletzt auch eine als sehr schwierig geltende Integrationsklasse unterrichtet. Die Klägerin sei nach dem Bericht von W1 vom 24.07.2018 bei den bestehenden Dauerdiagnosen der Lage, ihren Tagesablauf zu strukturieren und weiterhin selbständig zu leben. Eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischen Fachgebiet sei nicht befundet worden. Aus den Verlaufsberichten der psychiatrischen Institutsambulanz ergebe sich, dass die Klägerin psychisch in erster Linie durch die Schmerzen belastet sei. Eine dauerhafte Einschränkung der Erlebnis-und Gestaltungsfähigkeit in allen Lebensbereichen ergebe sich hieraus nicht. Eine engmaschige psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung habe nicht stattgefunden. Die Termine der Institutsambulanz seien in der Zeit von Januar 2018 bis Februar 2019 in Abständen von 1 bis 2 ½ Monaten erfolgt. Eine Psychotherapie habe die Klägerin auch nach dem Aufenthalt in der Akutklinik B2, wo dringend zur Aufnahme einer solchen Therapie geraten worden sei, nicht begonnen. Neben der depressiven Problematik sei eine chronische Schmerzstörung in Gestalt eines Fibromyalgiesyndroms zu berücksichtigen. Aus den Berichten von W1 wie auch aus dem Entlassungsbericht der Klinik H ergebe sich, dass bei der Klägerin eine psychisch modulierte Schmerzsymptomatik neben der depressiven Symptomatik im Vordergrund bestehe. Beide Leiden zusammen erfüllten das Vollbild einer stärker behindernden seelischen Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten sei.

Die Migräne sei bei einer Anfallshäufigkeit von 1- bis 2 Mal pro Woche und Anfallsdauer von 1 bis 3 Tagen mit anfallsfreien Zeiten von über 2 Wochen gemäß dem vorgelegten Kopfschmerzkalender mit einem nicht ganz ausgefüllten Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen. Der GdB „auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet“ sei durch die Migräne von 30 auf 40 zu erhöhen. Eine Erhöhung auf 50 verbiete sich jedoch bereits deswegen, weil zwischen der Migräne und der Fibromyalgie erhebliche Überschneidungen bestünden. Die Klägerin sei selbst davon ausgegangen, dass es sich um dasselbe Leiden handele, welches nur einmal zu berücksichtigen sei. Für das Wirbelsäulenleiden sei ein Einzel-GdB von 10 zuzuerkennen. Nach dem Entlassungsbericht der Klinik H und den dort mitgeteilten Bewegungsausmaßen bestünden sowohl im Bereich der HWS als auch im Bereich der LWS Einschränkungen mit geringen funktionellen Auswirkungen. Die Rotation der HWS sei uneingeschränkt und die Seitneigung mit 40 Grad beidseits nur marginal eingeschränkt. Im Bereich der LWS sei die Seitneigung des Rumpfes zuletzt uneingeschränkt möglich gewesen. Das Schober´sche Maß sei mit 10/15 cm als normal befundet worden. Die Inklination sei nach Angaben von B deutlich eingeschränkt bei einem Fingerbodenabstand von über 40 cm. Ein höherer Einzel-GdB als 10 für das Wirbelsäulenleiden lasse sich aber insgesamt nicht begründen. Für eine Einschränkung der oberen Extremitäten sei kein GdB zu vergeben. Der von B vorgeschlagene Teil-GdB von 30 lasse sich nicht begründen. Die Gelenke der oberen Extremitäten seien bei der Untersuchung durch den Orthopäden unauffällig gewesen. Auch für Einschränkungen der unteren Extremitäten ergebe sich kein Teil-GdB von wenigstens 10. Einschränkungen im Bereich der Gelenke der unteren Extremitäten lägen nicht vor. Die Senk-Spreizfuß-Deformität bedinge nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen bei fehlenden statischen Auswirkungen keinen GdB. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen Herpes Zoster und Schilddrüsenunterfunktion bedingten keinen weiteren Teil-GdB. Der Gesamt-GdB betrage 40 seit dem 26.07.2017. Der Gerichtsbescheid ist dem Bevollmächtigten am 07.04.2020 zugestellt worden.

Die Klägerin hat, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, am 17.04.2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Der Bevollmächtigte hat zunächst eine Begründung angekündigt.

Der Senat hat den Bevollmächtigten mit Verfügung vom 29.04.2020 zur Begründung der Berufung aufgefordert und hat mit Verfügung vom 15.03.2021 hieran erinnert. Mit einer an den Bevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis gerichteten Verfügung des Berichterstatters vom 07.05.2021 hat der Senat der Klägerin gemäß §§ 153 Abs. 1, 106a Abs. 1 SGG eine Frist bis zum 10.06.2021 zur Angabe der Tatsachen gesetzt, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren sie sich beschwert fühle. Innerhalb dieser Frist seien auch die Beweismittel zu bezeichnen, die den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB stützen sollten (§§ 153 Abs. 1, 106a Abs. 2 SGG). Da das Empfangsbekenntnis nicht wieder bei dem Gericht eingegangen war, ist die Verfügung mit Datum vom 16.06.2021 am 18.06.2021 unter neuer Fristsetzung bis 19.07.2021 mit Postzustellungsurkunde an den Bevollmächtigten zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 29.06.2021 hat der Bevollmächtigte sodann Berufungsanträge gestellt und hat zur Begründung der Berufung die Klagebegründung wiederholt.

Der Senat hat den Bevollmächtigten mit Verfügung des Berichterstatters vom 30.06.2021 auf die Aufforderungen nach § 106a Abs. 1 und 2 SGG und die hierfür noch bis 19.07.2021 laufende Frist hingewiesen. Hier seien insbesondere die Ärzte zu bezeichnen, die die Klägerin seit 2018 wegen der geltend gemachten migräneartigen Beschwerden und der als Fibromyalgie beschriebenen Beschwerden sowie wegen des Erschöpfungssyndroms und der Panikstörung behandelten.

Der Bevollmächtigte hat hierauf noch mitgeteilt, dass das Empfangsbekenntnis zu der Verfügung vom 07.05.2021 in seiner Akte mit Datum vom 12.05.2021 vermerkt sei und er davon ausgehe, dass es zurückgesandt worden sei. Wegen der behandelnden Ärzte habe er bei der Klägerin Nachfrage gehalten.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

den Beklagten unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Konstanz vom 01.04.2020 und Aufhebung des Bescheides vom 21.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2018 zu verurteilen, bei der Klägerin einen Grad der Behinderung von mindestens 60 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des erstinstanzlichen Verfahrens und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe                                                            

Die nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG auch im Übrigen zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 21.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2018 ist nur insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als dort ab der Antragstellung am 26.07.2017 ein GdB von weniger als 40 festgestellt wurde. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 01.04.2020 ist daher nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für die begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, zugrunde gelegten GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 ff.). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Einzel- oder Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss damit durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Rechtsgrundlage für die GdB-Feststellung ist § 2 Abs. 1 SGB IX in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R; BSG, Urteil vom 04.09.2013 – B 10 EG 6/12 R –beide in juris; hingegen auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellend: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.03.2021 – L 6 SB 3843/19 –, in juris Rn. 53).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. 

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen stellen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie das Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R –, in juris). Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – a.a.O.). Ein von dem Gericht zu beachtender Ermessensspielraum ist dem versorgungsärztlichen Dienst bzw. dem Beklagten dabei nicht eingeräumt.

Ausgehend hiervon gibt die von dem SG festgestellte Erhöhung des GdB von 30 auf 40 ab dem Eingang des Neufeststellungsantrages die gegenüber der letzten Feststellung des GdB im Bescheid vom 05.11.2013 eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin zur Überzeugung des Senats ausreichend wieder.

Für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ist danach kein höherer Einzel-GdB als 40 festzustellen.

Die Klägerin leidet insoweit unter einer depressiven Störung mit mittelgradigen depressiven Episoden und einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bzw. vom Fibromyalgie-Typ sowie einer Anpassungsstörung und einem Erschöpfungssyndrom. Dies ergibt sich aus dem Bericht der Akutklinik B2 vom 15.05.2019 und dem Bericht der W2-Kliniken vom 01.02.2019. Entsprechende Diagnosen sind auch von der sachverständigen Zeugin W1 vom ZfP S1 in ihrer Aussage vom 24.07.2018 genannt worden. Aus der Aussage der W1 ergibt sich, dass nach Beginn der Behandlung in der Institutsambulanz zunächst eine schwere Angst-und Panikstörung im Vordergrund standen, aber im Verlauf eine Teilremission erreicht werden konnte. Allerdings war die Klägerin in Bezug auf die psychische Erkrankung nie symptomfrei. Die Zunahme der depressiven Störung wurde von der Zeugin im Verlauf des Jahres 2017 sekundär auf dauerhafte Schmerzen und dadurch bedingte erhebliche Einschränkungen im Alltag zurückgeführt. Die Auswirkungen der psychischen Erkrankung sind entsprechend den VG Teil B Nr. 3.7 (einschließlich der analogen Bewertung der Fibromyalgie nach den VG Teil B Nr. 18.4) als stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und hier den beispielhaft genannten ausgeprägteren depressiven und somatoformen Störungen mit einem Einzel-GdB von 30 angemessen bewertet. Der Senat schließt sich insoweit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides an und sieht daher von einer eigenen Darstellung ab (§ 153 Abs. 2 SGG), zumal die rechtskundig vertretene Klägerin sich mit der ausführlichen Begründung des SG auch nicht mehr auseinandergesetzt hat.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass der SG-Akte nicht entnommen werden kann, dass sich die Klägerin nach der Empfehlung in dem Entlassungsbericht der Akutklinik B2 vom 15.05.2019 tatsächlich nicht in psychotherapeutische Behandlung begeben hätte. Den entsprechenden Ausführungen in dem Gerichtsbescheid kann daher nicht gefolgt werden. Ferner ist die berufliche Tätigkeit der Klägerin und hier die anspruchsvolle Betreuung einer schwierigen Grundschul-Integrationsklasse nach den Verlaufsberichten des ZfP vom 16.01.2018 bis 25.02.2019 und auch nach dem Kopfschmerzkalender gerade als ein nachvollziehbar erheblicher weiterer Belastungsfaktor für die Klägerin zu sehen. Die entsprechende Erschöpfung der Klägerin führt aber für sich genommen nicht zu einer Erhöhung des GdB. Soweit die Klägerin zuletzt eine posttraumatische Belastungsstörung geltend gemacht hat, ergibt sich diese Diagnose im Übrigen auch schon nicht aus dem ersten aktenkundigen Bericht des ZfP S1 vom 30.07.2013. Denn auch dort ist insoweit lediglich eine Anpassungsstörung in schwerer Belastungssituation (nach dem Suizid des Ehemannes 2011) festgestellt worden (Bl. 20 der Verwaltungsakte). Der von der W1 geschätzte GdB von 80 bis 100 alleine wegen der psychischen Erkrankung orientiert sich offensichtlich nicht an den VG und ist damit nicht nachzuvollziehen. Denn nach den VG Teil B Nr. 3.7 würde dies schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten voraussetzen. Nach der Rechtsprechung des Senats spricht im Übrigen bei einer depressiven Erkrankung die Tatsache, dass bei schwankendem Verlauf weiterhin eine niedrigfrequente Therapie mit supportiven Gesprächen maximal einmal im Monat durchgeführt wird und die antidepressive Medikation unverändert bleibt, außerdem durchgehend eine Nebentätigkeit ausgeübt wird und konkrete Urlaubsplanungen bestehen, gegen schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Ein GdB von 30 ist insoweit angemessen und sachgerecht (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.11.2020 – L 8 SB 2/19 –, in juris).

Die von dem sachverständigen Zeugen und K berichtete Migräne ist für sich genommen mit einem Einzel-GdB von 20 bis 30 zu bewerten. Nach den VG Teil B Nr. 2.3 ist eine echte Migräne je nach Häufigkeit und Dauer der Anfälle und Ausprägung der Begleiterscheinungen zu bewerten. Bei einer leichten Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich) ist ein GdB von 0 bis 10 vorgesehen.  Bei einer mittelgradigen Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) sehen die VG hingegen einen GdB-Rahmen von 20 bis 40 vor. Die von dem versorgungsärztlichen Dienst vorgeschlagene Bewertung der Migräne mit einem Einzel-GdB von 20 bis 30 bzw. die von dem SG entsprechend vorgenommene Bewertung mit einem nicht ganz ausgefüllten GdB von 30 ist gut nachvollziehbar, da sich aus dem sorgfältig geführten Kopfschmerzkalender monatlich mehrere Migräneattacken mit einer Häufigkeit von ein- bis zweimal pro Woche und ganz überwiegend mit der Dauer von ein bis zwei Tagen ergeben.

Die Migräne kann dabei im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ (VG Teil A Nr. 2 Buchst. e) mit bewertet werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.09.2016 – L 6 SB 5073/15 –, in juris Rn. 59, juris). Denn die unter den VG Teil B Nr. 2 erfassten Funktionsbeeinträchtigungen an Kopf und Gesicht sind in den VG Teil A Nr. 2 Buchst. e) keinem entsprechenden eigenständigen Funktionssystem zugeordnet (für die Migräne hingegen ein solches Funktionssystem „Kopf und Gesicht“ annehmend: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.02.2014 – L 7 SB 31/10 –, in juris Rn. 86). Ausgehend hiervon erhöht sich der GdB für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ von 30 auf nicht mehr als 40.

Die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule (WS) sind im Hinblick auf die weitgehende Überschneidung durch das bereits bewertete Fibromyalgie-Syndrom nach den VG Teil B Nr. 18.9 mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Für den GdB nach den VG Teil B Nr. 18.13 bzw. 18.14 bzw. nach den VG Teil B Nr. 18.2.1 bei entzündlich-rheumatischen Krankheiten der Gelenke – im Falle der Klägerin der Polyarthrose – relevante erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten bestehen im Hinblick auf den Entlassungsbericht der W2-Kliniken vom 01.02.2019 und die dort genannte freie Beweglichkeit aller Extremitätengelenke und hier insbesondere der Hand- und Fingergelenke ohne akut-entzündliche Veränderung nicht. Der Senat schließt sich auch insoweit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides an (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist nur auszuführen, dass die Wirbelsäulenbeschwerden in dem genannten Bericht auch in Verbindung mit den rezidivierenden Kopfschmerz- bzw. Migräneattacken gebracht werden, die hier ebenfalls bereits berücksichtigt wurden.

Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die mit einem Einzel-GdB von zumindest 10 zu bewerten wären, sind hier nicht ersichtlich.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R –, in juris). Nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.

Ausgehend hiervon erhöht sich der GdB von 40 für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ durch das Hinzutreten der mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule nicht weiter. Der Gesamt-GdB von 40 bewegt sich dabei im Vergleich an der Obergrenze des nach den VG Teil B Nr. 3.7 vorgegebenen Rahmens bei stärker behindernden Störungen mit einer bereits wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und bildet daher die von der Klägerin und ihrem Bevollmächtigten dargestellten behinderungsbedingten Einschränkungen der Teilhabe an der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 SGB IX) zur Überzeugung des Senats angemessen ab.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben dem Senat zusammen mit den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der festgestellte medizinische Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Das Gericht muss sich das dafür notwendige ärztliche Fachwissen nicht nur (ausschließlich) in Form von Sachverständigengutachten verschaffen. Vielmehr kann hierfür auch etwa die Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte oder die Beiziehung von ärztlichen Entlassungsberichten aus Krankenhäusern oder medizinischen Rehabilitationseinrichtungen ausreichend sein (BSG, Beschluss vom 24.02.2021 – B 9 SB 39/20 B –, juris). Dies ist hier zur Überzeugung des Senats der Fall.

Der Senat sah sich hier auch nicht gedrängt, über die bereits von dem SG durchgeführten umfangreichen schriftlichen Vernehmungen behandelnder Ärzte hinaus weitere medizinische Ermittlungen anzustellen. Denn die rechtskundig vertretene Klägerin hat auch auf ausdrücklichen und im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 08.09.2015 – B 1 KR 16/15 R –, in juris) elektronisch qualifiziert signierten und damit formgerechten Hinweis des Berichterstatters (§§ 155 Abs. 4, 106a SGG) keine Tatsachen dargelegt, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren sie sich beschwert fühlt. Sie hat auch keine Beweismittel bezeichnet, die den Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB stützen sollten. § 106a SGG ist über § 153 Abs. 1 SGG auch im Berufungsverfahren anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015 – a.a.O.). Die bloße Wiederholung der Klagebegründung genügt hier im Hinblick auf die ausführliche und gegenüber der Begründung des Bescheides und des Widerspruchsbescheides eigenständige Begründung des Gerichtsbescheides nicht. Zugleich ergibt sich hieraus auch keine Behauptung einer relevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin, der der Senat hätte nachgehen müssen. Über eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens nach § 106a Abs. 2 und 3 SGG hat der Senat hier jedoch nicht zu entscheiden, da die Klägerin auch auf den weiteren Hinweis des Berichterstatters auch innerhalb der zweiten gesetzten Frist keine weiteren Angaben zu den seit 2018 behandelnden Ärzten gemacht hat. Unabhängig von der Regelung des § 106a SGG verringern sich nach der Rechtsprechung des BSG die Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht, wenn ein Beteiligter seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist (BSG, Urteil vom 20.11.2008 – B 3 KN 4/08 KR R –, in juris). Die rechtskundig vertretene Klägerin hat hier auch keine weitere Beweiserhebung angeregt bzw. beantragt geschweige denn einen Beweisantrag aufrechterhalten (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 28.09.2015 – B 9 SB 21/15 B –, in juris Rn. 6). Im Übrigen ist hier auch die richterliche Grundpflicht zur stringenten und beschleunigten Verfahrensgestaltung (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, in juris) zu beachten.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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