L 1 SV 3171/21 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SV 907/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 SV 3171/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Rechtswegbeschwerde des Beschwerdeführers gegen den Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 6. September 2021 wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens.

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen die Verweisung seines Rechtsstreits gegen den beklagten Landkreis K durch das Sozialgericht Konstanz (SG) an das Verwaltungsgericht Freiburg (VG).

In der Hauptsache wendet er sich gegen die Untätigkeit des Beklagten auf seinen Widerspruch vom 28. November 2020 gegen den Bescheid vom 28. Oktober 2020, mit dem der Beklagte den Erlass oder die Stundung einer Forderung gegen den Bf. über 18.585,00 € abgelehnt hat.

Mit dem Bescheid vom 28. Oktober 2020 lehnte der Beklagte als „Kämmereiamt/Kreiskasse/Vollstreckungsbehörde“ den Erlass und die Stundung einer Forderung von 18.585,00 € ab. Hinsichtlich der Rechtsgrundlage verwies er für den Erlass der Forderung auf § 227 der Abgabenordnung (AO) bzw. auf § 22 Abs. 2 des Landesgebührengesetzes (LGebG), hinsichtlich der Stundung auf § 222 AO und § 21 LGebG. Eine Niederschlagung könne nach § 261 AO bzw. § 22 LGebG als verwaltungsinterne Maßnahme nicht beantragt werden. Die Forderung des Beklagten ergebe sich aus der Aufhebung mehrerer Bescheide über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII mit Bescheid vom 7. Oktober 2019.

Nach Aufforderung zur Bescheidung des Widerspruchs hat der Bf. Untätigkeitsklage beim SG erhoben. Das SG hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Verweisung an das VG in Betracht komme und hat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Der Beklagte geht davon aus, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht eröffnet sei, da keines der in § 51 SGG genannten Rechtsgebiete betroffen sei. Die Sozialgesetzbücher enthielten keine einschlägigen Vorschriften über den Erlass oder die Stundung der hier betroffenen Forderung. Die Regelungen des § 76 SGB IV seien für den Beklagten als Träger der Sozialhilfe nicht anwendbar. Da keine überzahlten Vorschüsse vorlägen, sei auch § 42 SGB I nicht als Rechtsgrundlage heranzuziehen. § 66 SGB X sei ebenfalls nicht einschlägig. Vielmehr sei über § 48 der Landkreisordnung (LKrO) und § 144 Nr. 22 der Gemeindeordnung (GemO) § 32 der Verordnung des Innenministeriums über die Haushaltswirtschaft der Gemeinden (GemHVO) für die Stundung, die Niederschlagung und den Erlass anwendbar, da sonst keine besonderen gesetzlichen Regelungen bestünden. Der Klägerbevollmächtigte geht davon aus, dass sich der Erlass der Forderung entweder nach § 44 SGB II analog, § 37 Abs. 2 SGB XII analog oder nach § 76 SGB IV analog richte und daher das SG zuständig sei.

Das SG hat den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit mit Beschluss vom 6. September 2021 als unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das VG verwiesen. Bei der vorliegenden öffentlich-rechtlichen Streitigkeit handele es sich nicht um einen nach § 51 SGG oder anderen gesetzlichen Regelungen den Sozialgerichten zugewiesenen Streitgegenstand. Vielmehr sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eröffnet.

Der Bf. hat gegen die Verweisung Beschwerde eingelegt. Gegenstand des dargelegten Widerspruchsverfahrens seien Stundung, Niederschlagung und Erlass mit Blick auf die Rücknahme und Erstattung von überzahlten Leistungen nach dem SGB XII. Deswegen beurteile sich die Stundung, die Niederschlagung und der Erlass nach § 37 Abs. 4 SGB XII analog (vgl. LPK-SGB XII, Anhang zu § 28 Rn. 9) oder nach § 76 SGB IV analog. Entgegen der Auffassung des SG stünden Stundung, Niederschlagung und Erlass im engen sachlichen Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit nach dem SGB X und wegen der angewandten §§ 41 ff SGB XII im engen sachlichen Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit nach dem SGB XII.

Der Beklagte hält die Verweisung weiter für geboten.

 

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Nach § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17a Abs. 3 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) kann das Gericht, wenn der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt (vgl. § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG). Gegen den Beschluss ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben (vgl. § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG). Da das SGG keine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung eines SG vorsieht, ist vorliegend die Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 SGG das statthafte Rechtsmittel (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Mai 1998, B 11 SF 1/97 R, juris Rn. 10). Diese ist vom Bf. form- und fristgerecht eingelegt worden (vgl. § 173 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Beschwerde ist allerdings nicht begründet. Das SG hat den Rechtstreit zu Recht an das VG verwiesen, da der Rechtstreit nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG der Zuständigkeit der Sozialgerichte zugewiesen ist. Danach sind die Sozialgerichte berufen, unter anderem in Angelegenheiten der Sozialhilfe zu entscheiden. Das betrifft die Leistungsgewährung, aber auch Entscheidungen über Aufhebung und Erstattungen solcher Leistungen nach SGB XII, SGB IX oder AsylbLG.

Die Anwendung sozialrechtlicher Normen – ggf. auch im Rahmen einer Analogie – liegt der erstrebten Entscheidung nicht zu Grunde. Denn diese erfolgt nicht mehr im Rahmen der Prüfung, ob die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB XII unter Anwendung der Regelungen des SGB X aufzuheben und zurückzufordern waren. Diese Prüfung war vielmehr mit dem Bescheid vom 7. Oktober 2019 abgeschlossen. Nunmehr hat der Beklagte aufgrund allgemeiner haushaltsrechtlicher Regelungen für öffentliche Forderungen die Entscheidung zu treffen, ob ein Erlass oder eine Stundung zu erfolgen hat. Die Entscheidung über den Erlass bzw. die Stundung erfolgt nun im Rahmen der Beitreibung der Rückforderungssumme. Dies ist bereits daran ersichtlich, dass der Beklagte als Kämmereiamt/Kreiskasse/Vollstreckungsbehörde tätig geworden ist.

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Für die Entscheidung über Erlass oder Stundung von öffentlich-rechtlichen Forderungen durch eine für die Sozialhilfe zuständige Gebietskörperschaft besteht eine Zuweisung an die Sozialgerichtsbarkeit nicht. Die Entscheidung hierüber richtet sich nicht unmittelbar nach sozialrechtlichen Regelungen, denn § 76 SGB IV findet auf die Träger der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung schon keine Anwendung. § 37 Abs. 4 SGB XII trifft eine spezifische Regelung für die Rückerstattung ergänzender Darlehen und regelt nicht die Stundung oder den Erlass öffentlich-rechtlicher Forderungen im Allgemeinen. Da § 37 Abs. 4 SGB XII weder zu Stundung noch zu Erlass eine Regelung treffen, ist auch eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den vorliegenden Fall nicht möglich. Die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit beruht auch nicht auf einem rechtlichen Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit nach dem SGB XII (vgl. zu diesem Maßstab: BSG, Beschluss vom 25. September 2013, B 8 SF 1/13 R, juris Rn. 9; Beschluss vom 1. April 2009, B 14 SF 1/08 R, juris Rn. 15 ff.). Nachdem die Entscheidung über die Erstattungspflicht bestandskräftig geworden ist, richten sich Vollstreckung und andere Verfügungen über die Forderung des Beklagten gegen den Bf. nach allgemeinen Regeln der AO oder des Haushaltsrechts des Beklagten (vgl. auch § 66 SGB X).

Damit liegt ein öffentlich-rechtlicher Streit nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, über den die Gerichte der Verwaltungsgerichtbarkeit zu entscheiden haben. Die örtliche Zuständigkeit des VG folgt aus § 52 Nr. 3 VwGO.

Das Beschwerdegericht hat über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach im Falle der Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, findet unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens für dieses keine Anwendung (BSG, Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO, weil der Bf. mit seinem Rechtsmittel unterlegen ist.

Einer Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht, da die Gerichtsgebühr für das Verfahren nach Nr. 7504 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) als Pauschale anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 17a Abs. 4 Satz 4 SGG), denn die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen (§ 17a Abs. 4 Satz 5 GVG).

Rechtskraft
Aus
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