L 11 KR 3087/21 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 1596/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3087/21 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 23.08.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erstattung von bereits angefallenen (6.589,62 €) sowie die Übernahme von zukünftigen Kosten für eine lokoregionale Radiofrequenz-Elektrohyperthermie (im Folgenden Hyperthermie).

Bei der 1951 geborenen Antragstellerin, die bei der Antragsgegnerin krankenversichert ist, wurde im Juni 2013 ein Uvea-Melanom am linken Auge (Stadium IV M1c) diagnostiziert. Sie wurde fortan im Uklinikum E behandelt. Im Juni 2013 erfolgte eine Endoresektion sowie Ruthenium-Plague-Radiatio. Nachdem sich erstmals im März 2019 Lebermetastasen in beiden Leberlappen zeigten, erfolgte eine Selektive Interne Radio-Therapie (SIRT) der linken Leberseite (Mai 2019) und der rechten Leberseite (Juli 2019). Von Mai 2019 bis Januar 2020 durchlief die Antragstellerin vier Zyklen einer kombinierten Immuntherapie mit Ipilimumab und Pembrolizumab, gefolgt von einer Monotherapie mit Pemprolizumab (sieben Zyklen). Im Juni 2019 wurden erstmals bipumonale Metastasen festgestellt. Im August 2019 erfolgte die Radiochirurgie einer singulären Metastase links temporal. Weiter erfolgten im September 2019 eine fraktioniert stereotaktische Bestrahlung der Lymphknotenmetastase sowie im Oktober 2019 eine Radiatio nodale der Metatastasen am Leberhilus. Von Februar 2020 bis April 2020 erfolgte eine Umstellung bei pulmonalem Progress auf eine kombinierte Chemotherapie mit Treosulfan und Gemcitabin (drei Zyklen). In der Folge wurde bei pulmonalem Progress erneut umgestellt auf eine Chemotherapie mit Fotemustine (vier Zyklen). Seit Juni 2020 zeigte sich eine protrahierte Leukopenie ohne klinische Auffälligkeiten. Im November 2020 konnte ein erneuter Progress der pulmonalen Metastasierung sowie eine neu aufgetretene Lymphknotenmetastase präkardial festgestellt werden. Schließlich erfolgte von November 2020 bis Februar 2021 eine Chemotherapie mit Dacarbazin (DTIC) mit drei Gaben. Nachdem sich dennoch ein progredientes Krankheitsbild zeigte, wurde seitens des interdisziplinären Tumorbords des Uklinikums E eine palliativmedizinische Behandlung empfohlen (Bericht E1 vom 09.03.2021).

Die Antragstellerin suchte erstmals am 08.03.2021 den H auf. Dieser empfahl mit Schreiben am 08.03.2021 „zur Verbesserung der Lebensqualität, zur Schmerzreduktion und zur besseren Tumorkontrolle“ 2- bis 3-mal in der Woche die kapazitive, lokoregionale Radiofrequenz-Elektrohyperthermie „begleitend zur Chemotherapie“ und bezifferte die Behandlungskosten auf ca 190,00 € pro Sitzung. H und die Antragstellerin unterzeichneten am 08.03.2021 einen „Abrechnungsbogen“ mit folgendem Inhalt:

„Da es sich bei der lokoregionalen Elektro-Tiefenhyperthermie um eine innovative und neue Therapieform handelt, besteht gemäß § 12 des Deutschen SGB V noch keine Leistungspflicht der Krankenkassen. Ich erkläre mich hiermit einverstanden, die Kosten dieser Behandlungsmethode selbst zu tragen, wenn mir von der Krankenkasse keine Kostenzusage erteilt wird. Die Abrechnung erfolgt auf Basis der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Ich hatte Gelegenheit diese einzusehen.

Die Kosten für die lokoregionale Tiefenhyperthermie werden nach dem einfachen Satz berechnet und belaufen sich pro Behandlungssitzung nach der GOA-Ziffer 5854 (145,14 €), einschließlich begleitender Zusatzmaßnahmen (z.B. Vitamin-Infusionen) auf ca. 160,- bis 190.€. Die ärztlichen Leistungen werden von Herrn H erbracht. Ich habe den Aufklärungsbogen gelesen, wurde zusätzlich mündlich aufgeklärt und habe keine weiteren Fragen. Ich erkläre mich mit der vorgeschlagenen Therapieform einverstanden und wünsche eine konsiliarische Beratung und eine Privatbehandlung. Ich bin mit den genannten Abrechnungsmodalitäten einverstanden.“

Am 09.03.2021 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin telefonisch die Kostenübernahme für die Hyperthermiebehandlung. Dabei teilte ihr die Antragsgegnerin mit, dass der Antrag dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vorgelegt werde und nach Erhalt des Ergebnisses eine Entscheidung über den Antrag getroffen werden könne. Am 09.03.2021 reichte H bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Kostenübernahme im Einzelfall ein.

Die Antragsgegnerin forderte mit Schreiben vom 09.03.2021 eine medizinische Stellungnahme des MDK an. Am 11.03.2021 fand die erste Hyperthermiebehandlung bei H statt. Bis einschließlich 03.05.2021 erfolgten 25 Sitzungen. Dafür berechnete H der Antragstellerin insgesamt 6.589,62 € (Rechnungen vom 16.03.2021, 02.04.2021, 15.04.2021, 01.05.2021, 15.05.2021).

B vom MDK führte in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 01.04.2021 aus, dass eine Kostenerstattung nur dann in Betracht käme, wenn die Voraussetzungen von § 2 Abs 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erfüllt seien, da die Hyperthermie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen worden sei. Es liege zweifelsfrei eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Weiter seien sämtliche leitliniengerechten Therapien erfolgt, sodass die Antragstellerin nicht auf weitere allgemein anerkannte Therapieansätze verwiesen werden könne. Nachdem die Datenlage mangels durchgeführter randomisierter kontrollierter Studien zur lokalregionalen Hyperthermie beim Uvea-Melanom unverändert sei, bestünden keinerlei Erkenntnisse für Wirksamkeit und Nutzen der beantragten Behandlung.

Die Antragsgegnerin übermittelte der Antragstellerin das Gutachten des MDK am 01.04.2021. Mit Bescheid vom 09.04.2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag - gestützt auf das Gutachten von B - ab. Am 27.04.2021 legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Aufgrund ihrer speziellen Situation sie die Schwere der lebensgefährlichen Erkrankung nicht ausreichend gewürdigt worden. Hyperthermiebehandlungen würden an verschiedenen Universitäten mit Erfolg angewandt, sodass es sich seit langem nicht mehr um eine neue Behandlungsmethode handele. Weiter berief sie sich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005. Die Antragsgegnerin schaltete den MDK mit Schreiben vom 04.05.2021 erneut ein. In dem sozialmedizinischen Gutachten vom 07.05.2021, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 12.05.2021, führte B1 ua aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass die Qualitätsrichtlinien der European Society for Clinical Onkology (ESHO) für den Einsatz der regionalen Hyperthermie eingehalten würden.

Am 12.07.2021 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Ulm (SG) um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie wolle die Behandlung fortsetzen, da es ihre letzte Chance sei. Finanziell sei sie nicht in der Lage, die Kosten zu tragen. Es gehe ihr darum, ihre Lebenszeit zu verlängern. Sie habe kein Schreiben der Antragsgegnerin vom 09.03.2021 über die Beauftragung des MDK erhalten.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie habe die Antragstellerin noch am 09.03.2021 schriftlich über die Beauftragung des MDK informiert. Das Schreiben sei leider nicht archiviert worden.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Antragstellerin schriftlich befragt. E1 hat unter dem 23.07.2021 mitgeteilt, dass für die Behandlung des metastasierenden Uvea-Melanoms keine Leitlinie vorliege. Die Therapie orientiere sich daher an der S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Dermatologischer Onkologie. Er besitze keine Erfahrung hinsichtlich der begehrten Hyperthermiebehandlung. H hat ausgeführt, dass er die Antragstellerin vom 11.03.2021 bis zum 03.05.2021 behandelt habe.

Das SG hat mit Beschluss vom 23.08.2021 den Antrag abgelehnt. Die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Soweit sie die Erstattung von Kosten anlässlich der vom 11.03.2021 bis zum 03.05.2021 erfolgten Behandlungen begehre, fehle es weiter an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Denn ein solcher bestehe regelmäßig nur dann, soweit Leistungen für die Gegenwart oder die nahe Zukunft begehrt würden, da durch eine einstweilige Anordnung gerade diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen, die zur Behebung einer aktuellen Notlage erforderlich seien. Etwas Anderes gelte nur dann, wenn die fehlende Leistung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirke und gerade dadurch eine gegenwärtige Notlage verursacht werde. Ein solcher Fall sei ersichtlich nicht gegeben, da eine besondere Eilbedürftigkeit lediglich im Hinblick auf zukünftige Behandlungen vorhanden sei. Die Annahme von Eilbedürftigkeit gerade auch für die Erstattung von bereits vergangenen Behandlungen wäre denkbar, wenn die zukünftige Behandlung gerade von der Begleichung etwaiger Verbindlichkeiten aufgrund vergangener Behandlungen abhängig wäre, was vorliegend jedoch nicht der Fall sei. Am Vorliegen eines Anordnungsgrundes für zukünftige Behandlungen bestünden hingegen keine Zweifel. Die Antragstellerin habe bereits deshalb weder einen Kostenerstattungsanspruch für die bereits erfolgten noch für die zukünftig noch geplanten Behandlungen glaubhaft gemacht, da sie von vorneherein auf die Durchführung der regionalen Tiefenhyperthermiebehandlung bereits am 08.03.2021 festgelegt gewesen sei und damit den Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Dies habe die Antragstellerin ausdrücklich bestätigt und sei angesichts der noch am 08.03.2021 unterschriebenen Honorarvereinbarung auch unzweifelhaft, weshalb eine etwaige ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin ebenso wie eine etwaig eintretende Notsituation, welche nicht vorliege, da der Allgemeinzustand im gesamten gegenständlichen Zeitraum stabil gewesen sei, von vorneherein nicht habe kausal werden können für die eingegangenen und etwaig noch einzugehenden Verbindlichkeiten. Es sei nicht ersichtlich, dass sich der Antrag vom 09.03.2021 lediglich auf einzelne Behandlungen oder Abschnitte bezogen habe, sodass nunmehr auch die zwischenzeitliche Behandlungspause keine etwaige Zäsur herbeiführe. Aus diesem Grund scheide auch von vorneherein ein Erstattungsanspruch infolge des Eintritts einer etwaigen Genehmigung nach § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V aus, da auch in diesem Fall erforderlich sei, dass sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Entscheidungsfristen eine erforderliche Leistung selbst beschafften.  Einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V habe die Antragstellerin ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Aufgrund des stabilen Allgemeinzustandes sei nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen von § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 vorgelegen hätten. Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V seien nicht erfüllt, weil die strenge Kausalität zwischen rechtswidriger Ablehnung durch die Krankenkasse und selbstbeschaffter Leistung durch den Versicherten im Hinblick auf die Vorfestlegung nicht vorliege. Darüber hinaus fehle es hinsichtlich der regionalen Tiefenhyperthermie an der für beide Alternativen des § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V erforderlichen Voraussetzung, dass diese Behandlung zu den durch die Antragsgegnerin allgemein als Sach- oder Dienstleistung zu gewährenden Leistungen gehöre. Denn bei dem Behandlungskomplex der Hyperthermie handele es sich um eine sogenannte neue Behandlungsmethode, die nach § 135 Abs 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der ambulanten ärztlichen Versorgung nur erbracht werden dürfe, wenn der GBA hierfür eine positive Empfehlung in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V abgegeben habe. In der „Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung“ habe der GBA die Methoden aufgelistet, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zulasten der Krankenkassen erbracht werden dürften (Anlage II). Darunter fällt in Nr 42 der Anlage II die Hyperthermie in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen, ua auch die hier gegenständliche regionale Tiefenhyperthermie, welche durch Beschluss vom 18.01.2005 des GBA aufgenommen worden sei. Der Kostenerstattungsanspruch bzw der Anspruch auf Kostenübernahme für die Behandlung mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode sei ferner auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des „Systemversagens“ begründet. Dies wäre dann möglich, wenn die fehlende Anerkennung auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruhe. Ein solcher Mangel liege nicht vor. Das Vorliegen eines Seltenheitsfalles sei ebenfalls nicht ersichtlich. Schließlich könne die Antragstellerin ihren Anspruch auch nicht auf verfassungsrechtliche Erwägungen stützen. Nach dem auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98) zurückzuführenden § 2 Abs 1a SGB V könnten Versicherte, die - wie die Antragstellerin - an einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlichen Erkrankung litten und für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe, Leistungen beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe (BVerfG 26.02.2013, 1 BvR 2045/12, juris, Rn 15 mwN). Soweit die Schulmedizin - wie hier - nur palliative Behandlungsmöglichkeiten anbiete, weil sie jede Möglichkeit einer kurativen Behandlung als aussichtslos betrachte, komme ein Anspruch auf eine alternative Behandlungsmethode allerdings nur dann in Betracht, wenn eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg bestehe. Versicherte dürften nicht auf eine nur die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie verwiesen werden, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung bestehe. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt werden könnten, reichten allerdings nicht aus (Hinweis auf Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg 24.06.2014, L 11 KR3597/13, juris, Rn 32). Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 26.02.2013, 1 BvR 2045/12, juris, Rn 15) sei in diesem Zusammenhang darauf abzustellen, ob bei prognostischer Betrachtung der Einsatz der begehrten Behandlungsverfahren eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über palliative Standardtherapien hinausreichenden kurativen Erfolg biete. Dies sei jedoch nicht der Fall. Denn für die Behandlung mittels regionaler Tiefenhyperthermie fehle es an einer solchen auf Indizien gestützten, nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Erzielung eines kurativen Erfolges.

Gegen den ihr am 25.08.2021 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 27.09.2021 (Montag) beim SG erhobenen Beschwerde. Es handele sich bei der Hyperthermiebehandlung um eine Methode, die an einigen der namhaftesten Kliniken der Republik angewandt werde. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn sich solche Kliniken seit Jahren mit einer derartigen Methode befassen würden, wenn diese nicht einmal nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder jedenfalls Linderung böte. Darüber hinaus verfüge der behandelnde Facharzt H in seiner Praxis in Filderstadt über mindestens 15 Jahre Erfahrung mit dieser Behandlungsmethode und habe dabei beträchtliche Behandlungserfolge erzielt. Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 21.10.2021 hat die Antragstellerin ua vorgetragen, dass sie im Februar 2021 auf die Inanspruchnahme palliativmedizinischer Hilfe verwiesen worden sei. Sie habe am 08.03.2021 einen ersten Termin bei H wahrgenommen, um sich über die Methodik und eine mögliche Behandlung zu informieren. Dabei habe die Frage der Kostenübernahme durch die Krankenkasse durchaus im Raum gestanden, weshalb sie bereits am 09.03.2021 telefonischen Kontakt mit der Antragsgegnerin aufgenommen habe. Dabei sei ihr lediglich mitgeteilt worden, sie müsse auf jeden Fall vor Aufnahme der Behandlung einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Dieser Antrag sei dann auch im gleichen Telefonat fernmündlich entgegengenommen worden. Allerdings sei ihr weder mitgeteilt worden, dass sie mit der Aufnahme der Behandlung warten müsse, noch, dass eine Prüfung durch den MDK stattzufinden habe. Sie habe sich erst nach der Antragstellung bei der Antragsgegnerin für die Therapie entschieden und die Behandlung am 11.03.2021 aufgenommen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 23.08.2021 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die ihr bereits entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 6.589,62 € zu erstatten sowie die künftig anfallenden Behandlungskosten durch die Hyperthermiebehandlung bei H zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin verweist zur Begründung auf den angefochtenen Beschluss des SG.

Auf Aufforderung des Berichterstatters vom 25.10.2021, zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes, insbesondere warum der Antragstellerin eine Vorfinanzierung nicht möglich sein soll, Stellung zu nehmen und ggf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelnen darzulegen und zu belegen (Hinweis auf LSG Baden-Württemberg 23.10.2017, L 11 R 3184/17 ER-B), hat die Antragstellerin am 27.10.2021 eine Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nebst Anlagen vorgelegt, wonach die Antragstellerin und ihr Ehemann jeweils eine Rente beziehen (2020 zusammen 45.824,00 €), ihnen keine Wohnkosten entstehen und sie über ein Sparbuch mit einem Guthaben von 18.000,00 € verfügen.

Hinsicht der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

 

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

Der Senat entscheidet durch Beschluss (§ 176 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 3 SGG). Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag zu Recht abgelehnt. Unabhängig davon, ob die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund.

Gemäß § 86b Abs 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sind (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm §§ 290 Abs 2, 294 Abs 1 Zivilprozessordnung <ZPO>). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung.

Die Anordnungsvoraussetzungen für das einstweilige Rechtsschutzgesuch sind auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben. Die Antragstellerin hat jedenfalls keinen Anordnungsgrund, nämlich die besondere Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens, glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können, oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Danach besteht ein Anordnungsgrund zB dann nicht, wenn der Antragsteller jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann (vgl Senatsbeschlüsse vom 23.10.2017, L 11 R 3184/17 ER-B, Rn 19, juris und vom 29.03.2010, L 11 KR 1448/10 ER-B, Rn 1, juris; ferner LSG Baden-Württemberg 11.12.2019, L 7 SO 3980/19 ER-B, Rn 5, juris; LSG Baden-Württemberg 06.03.2017, L 7 SO 420/17 ER-B, Rn 8, juris mwN; Bundesverfassungsgericht <BVerfG> 21.09.2016, 1 BvR 1825/16, Rn 4, juris) und sich den Ausführungen des Antragstellers keine gewichtigen Anhaltspunkte entnehmen lassen, dass die finanziellen Kapazitäten vollständig ausgeschöpft sind (BVerfG 12.09.2016, 1 BvR 1630/16, ZFSH/SGB 2016, 668).

Das SG hat zutreffend hinsichtlich des Erstattungsbegehrens iHv 6.589,62 €, die aus den Hyperthermiebehandlungen bei H in der Zeit vom 11.03.2021 bis zum 03.05.2021 resultieren und der Antragstellerin weit vor Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzgesuchs am 12.07.2021 in Rechnung gestellt worden sind, den erforderlichen Anordnungsgrund verneint. Der Senat weist die Beschwerde insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG). Aber auch hinsichtlich der künftig anfallenden Behandlungskosten durch die Hyperthermiebehandlung bei H hat sie keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Vielmehr ist es der Antragstellerin nach den von ihr dargelegten wirtschaftlichen Verhältnissen möglich und zumutbar, die Kosten der Hyperthermiebehandlung bei H, die dieser mit 190,00 € je Sitzung beziffert hat (bei 3 Sitzungen je Woche 570,00 €), aus eigenen finanziellen Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, zu finanzieren. Dabei ist der Senat davon überzeugt, dass die Antragstellerin und ihr Ehemann zunächst ihren Lebensunterhalt durch ihr laufendes Einkommen decken können und dafür nicht auf ihre Vermögenswerte zurückgreifen müssen. Nach ihren Angaben steht der Antragstellerin neben ihrem laufenden Einkommen insbesondere ein Barvermögen in Gestalt eines Sparbuchs mit einem Guthaben iHv 18.000,00 € zur Verfügung. Es sind für den Senat keine Gründe ersichtlich, warum die Antragstellerin diese Mittel nicht zur Finanzierung der gewünschten Behandlung einsetzten kann. Solche Gründe hat sie auch nicht vorgetragen. Dabei ist auch zu beachten, dass die Antragstellerin selbst dann das Risiko tragen würde, die Kosten der Hyperthermie letztendlich zu tragen, wenn zu ihren Gunsten eine einstweilige Anordnung ergehen würde. Denn würde sich die einstweilige Anordnung im Hauptsacheverfahren nicht bestätigen, stünde der Antragsgegnerin ein Rückerstattungsanspruch gegen die Antragstellerin zu (vgl zB BSG 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R, BSGE 122, 170). Die Antragstellerin könnte daher auch mit Blick auf Art 19 Abs 4 Satz 1 Grundgesetz nicht argumentieren, Rechtssicherheit hinsichtlich des Kostenrisikos erlangen zu wollen. Denn dieses Kostenrisiko würde ihr durch eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gerade nicht abgenommen (LSG Baden-Württemberg 06.03.2017, L 7 SO 420/17 ER-B, Rn 15, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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