L 9 AS 1200/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 3254/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 1200/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten sind die rückwirkende teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für Mai 2020 sowie eine Erstattungsforderung in Höhe von 295,04 € streitig.

Der 1963 geborene Kläger lebt in einer 55 qm großen Zweizimmerwohnung (Grundmiete im streitgegenständlichen Zeitraum 340,00 €, Heizkosten 70,00 €, Nebenkosten 51,00 €). Er beantragte am 22.04.2020 beim Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). In den vorangegangenen Jahren hatte er nach eigenen Angaben von seinem Vermögen gelebt und keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezogen.

Mit Bescheid vom 28.04.2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Bewilligungszeitraum 01.04. bis 30.09.2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 893,00 € (Regelbedarf 432,00 €, Kosten der Unterkunft und Heizung 340,00 € + 70,00 € Heizkosten + 51,00 € Nebenkosten).

Im Mai 2020 legte der Kläger auf Anforderung durch den Beklagten die Betriebs- und Heizkostenabrechnung seines Vermieters vom 27.03.2020 für das Jahr 2019 vor. Nach dieser Abrechnung stand dem Kläger ein Guthaben in Höhe von 295,04 € zu. Auf Nachfrage durch den Beklagten teilte der Kläger unter Vorlage des entsprechenden Kontoauszugs mit, dass dieses Guthaben seinem Girokonto am 22.04.2020 gutgeschrieben worden sei. Ergänzend wies er darauf hin, dass sich die betreffende Betriebs- und Heizkostenabrechnung auf den Zeitraum 01.01.2019 bis 31.12.2019 beziehe, in welchem von seinem Konto in Summe 295,04 € über zwölf Monate per Lastschrift zu viel abgebucht worden seien. Der für die Ausgleichszahlung relevante Zeitraum 01.01.2019 bis 31.12.2019 liege vor dem vom Jobcenter bewilligten Zeitraum 04/20 bis 09/20. Die monatliche Miete belaufe sich ungeachtet dieser Ausgleichszahlung nach wie vor auf 461,00 €.

Mit Schreiben vom 02.06.2020 hörte der Beklagte den Kläger hinsichtlich einer beabsichtigten Entscheidung über die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 28.04.2020 für den Monat Mai 2020 auf der Grundlage des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und eine hieraus resultierende Erstattung in Höhe von 295,04 € an. Hierzu teilte der Kläger schriftlich mit, dass er im Jahr 2019 weder arbeitslos gemeldet noch im Leistungsbezug des Jobcenters gewesen sei; er habe auch keine sonstige staatliche Unterstützung erhalten. Die monatliche Miete im Jahr 2019 habe er von seinem Privatvermögen bestritten. Der nun für die Ausgleichszahlung relevante Zeitraum 01.01.2019 bis 31.12.2019 liege vor dem vom Jobcenter bewilligten Zeitraum 04/20 bis 09/20.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22.06.2020 hob der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 01.05.2020 bis 31.05.2020 in Höhe von 295,04 € auf. Die am 22.04.2020 erhaltene Rückzahlung in Höhe von 295,04 € mindere die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung ab dem 01.05.2020. Die Abrechnung sei am 18.05.2020 eingereicht worden. Die Leistungen seien jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits angewiesen gewesen. Die Entscheidung sei gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben. Die überzahlten Leistungen habe der Kläger gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Hiergegen erhob der Kläger am 20.07.2020 Widerspruch und verwies nochmals darauf, dass er in dem für die Ausgleichszahlung relevanten Zeitraum 01.01.2019 bis 31.12.2019 keinerlei staatliche Unterstützung bekommen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II minderten Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen seien, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen. Der Vortrag, das Guthaben sei in einem Zeitraum entstanden, in dem der Widerspruchsführer nicht im Leistungsbezug gewesen sei, sei nicht relevant. Ausschlaggebend sei der Zufluss der Geldeinnahme, unabhängig davon, aus welchem Grunde diese entstanden sei.

Mit der hiergegen am 03.11.2020 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat nochmals darauf verwiesen, dass ihm seiner Auffassung nach die bewilligten Leistungen zugestanden hätten. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Unumstritten stelle das Guthaben aus Nebenkostenabrechnung eine Art Einkommen dar. Ob diese Gutschrift aufgrund sparsamen Verhaltens vor der Zeit des Leistungsbezugs stamme oder erst danach erzielt worden sei, sei unerheblich. Für diesen Fall habe der Gesetzgeber eine besondere Norm vorgesehen - § 22 Abs. 3 SGB II. Demnach solle dieses Einkommen die Leistungen für Unterkunft und Heizung mindern und nicht wie die übrige Einkommensanrechnung zunächst die Regelleistung.

Mit Urteil vom 12.03.2021 hat das SG den Bescheid vom 22.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2020 aufgehoben und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die am 22.04.2020 erhaltene Rückzahlung aus der Betriebskostenabrechnung 2019 in Höhe von 295,04 € bei der Bestimmung des Bedarfs an Unterkunft und Heizung außer Betracht zu bleiben habe. Denn nach § 22 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB II minderten Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen seien, zwar die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift. Jedoch blieben laut § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB II Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bezögen, außer Betracht. § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 Alternative 2 SGB II stehe vorliegend einer Anrechnung der Gutschrift entgegen. Der Kläger habe sich unbestritten im Jahre 2019 nicht im Leistungsbezug des Beklagten befunden und habe damit die Kosten der Unterkunft und (zu hohen) Kosten der Heizung aus eigenen Mitteln erbracht. Eine nunmehrige Bedarfsminderung in Fällen wie den vorliegenden sei jedoch unbillig, soweit der zurückgezahlte Betrag der Höhe nach zuvor erbrachten Eigenmitteln entspreche. Damit solle auch sparsames Verbrauchsverhalten belohnt und rückgezahlte Beträge, die aus Eigenmitteln aufgebracht worden seien, anrechnungsfrei gestellt werden (mit Verweis auf die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 18/8041, 40). Entgegen der Ansicht des Beklagten lege die erkennende Kammer basierend auf Wortlaut, Zweck und Gesetzesbegründung des § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB II den Passus „nicht anerkannt“ dergestalt aus, dass ein konkreter Bedarf nicht durch einen Bewilligungsbescheid abgedeckt sei. Sofern der Beklagte ein Antragserfordernis und damit eine Beschränkung der Anwendung des § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB II auf Bewilligungszeiträume erblicken wolle, folge dem das Gericht nicht. Es entspreche zum einen einer reinen Förmelei, den Kläger darauf zu verweisen, einen Antrag trotz fehlender Hilfebedürftigkeit zu stellen, nur damit eine Betriebskostenerstattung anrechnungsfrei bleiben könne. Zum anderen habe der Kläger 2019 noch nicht wissen können, dass es eine Erstattung im April 2020 geben würde. Der konkret streitige Betrag der Rückzahlung sei demnach anrechnungsfrei, da er sich auf Kosten für nicht anerkannte Bedarfe für Unterkunft und Heizung bezogen habe. Die Sichtweise des BSG (vgl. Urteil vom 22.03.2012 - B 2 AS 139/11 R -), nach der bei Betriebskostengutschriften nicht danach zu differenzieren sei, welchen Ursprung sie hätten oder ob sie allein aus Zahlungen des Hilfebedürftigen resultierten, vermöge dagegen nicht zu überzeugen. Zum einen sollten nach dem Regelungszweck den kommunalen Trägern nur Guthaben zugutekommen, die wesentlich mit ihren Beiträgen aufgebaut worden seien (mit Hinweis auf Piepenstock in Schlegel/Voeltzke, Juris PK-SGB II, 5. Aufl., § 22, Rn. 193). Zum anderen sei erst durch das Neunte Gesetz zur Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachungsgesetz - vom 26.07.2016, welches am 01.08.2016 in Kraft getreten sei, § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 Alternative 2 SGB II hinzugefügt worden, so dass sich die Rechtsprechung des BSG nicht hierauf beziehen könne. Die Argumentation des Beklagten gehe damit ins Leere.

Gegen das ihm am 17.03.2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 31.03.2021 Berufung eingelegt.

Das SG habe die Norm des § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB II fehlerhaft interpretiert und dem Begriff „nicht anerkannte Aufwendungen“ eine weitgehende Bedeutung zugeschrieben, nach welcher die nicht bewilligten Zeiträume Zeiten mit nicht anerkannten Ansprüchen gleichgestellt würden. Es habe jedoch übersehen, dass bereits aktuelle BSG-Rechtsprechung hierzu vorliege. Mit Urteil vom 24.06.2020 (B 4 AS 7/20) habe das BSG die bereits in der Praxis breit vertretene Auslegung der Norm des § 22 Abs. 3 SGB II gefestigt und die Nebenkostengutschriften aus Zeiträumen ohne Leistungsbezug als Einnahmen in Geld oder Geldeswert bzw. anrechenbares Einkommen behandelt. Nach der genannten BSG-Rechtsprechung stehe der Umstand, dass die Erstattung teilweise aus einer Zeit erfolge, in der der Kläger gar keine Leistungen nach dem SGB II bezogen habe, der bedarfsmindernden Berücksichtigung von Guthaben aus Nebenkostenabrechnung nicht entgegen. Es sei nicht entscheidend, wie das Einkommen erwirtschaftet worden sei und für welche Zeit die Kosten angefallen seien, sondern allein die Verhältnisse im Zeitpunkt der Berücksichtigung. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II differenzierten nicht nach dem Ursprung der Rückzahlungen. Eine Beschränkung der Abrechnungen, die allein aus Zahlungen des Leistungsberechtigten resultierten, sei den Normen nicht zu entnehmen. Ferner lege das BSG in dem genannten Urteil vom 24.06.2020 seine Auslegung des Begriffs „nicht anerkannte Aufwendung“ fest: Mit der Wendung „nicht anerkannte Aufwendungen“ knüpfe die Norm ersichtlich an die Formulierungen „in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt“ in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, den Begriff „anerkannt“ in § 22 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGBII und an „anzuerkennen“ in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGBII an. § 22 Abs. 3 SGB II sei damit auf Konstellationen ausgerichtet, in denen Leistungen nach dem SGB II erbracht worden seien, Bedarfe für Unterkunft und Heizung aber wegen Unangemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen nicht oder nur teilweise anerkannt worden seien.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er schließe sich der Auffassung des SG an. Dessen Auslegung sei mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 3 2. Halbsatz SGB II durchaus vereinbar. Hintergrund hierfür sei, dass der Kläger im Jahr 2019 unstreitig nicht im Leistungsbezug gestanden sei und damit entsprechend ein Bedarf seitens des Beklagten nicht anerkannt worden sei. Das SG habe auch zutreffend die Gesetzesbegründung und den Zweck der Vorschrift als Argument für seine Auslegung herangezogen. Zwar sei dem Beklagten zuzugestehen, dass die angesprochene Entscheidung des BSG vom 24.06.2020 (B 4 AS 7/20) der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts entgegenstehe. Diese Entscheidung sei gleichwohl nur wenig überzeugend, da die seitens des BSG in Bezug genommene Auslegung der „nicht anerkannten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung“ sich aus dem Wortlaut des Gesetzes so nicht ergebe. Das SG sei der Ansicht, das in § 22 Abs. 3 2. Halbsatz SGB II normierte Tatbestandsmerkmal der nicht anerkannten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung würde nur solche Aufwendungen erfassen, die mangels Angemessenheit nicht anerkannt seien. Diese einschränkende Gesetzesauslegung ergebe sich jedoch weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus der Intention des Gesetzgebers. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb derjenige Leistungsbezieher, der unangemessen wohne, also mutmaßlichen Kostensenkungsaufforderungen nicht nachkomme und einen Teil der Kosten für Unterkunft und Heizung selbst trage, in den Genuss der Anrechnungsfreiheit eines Guthabens aus einer Nebenkostenabrechnung gelangen solle, einem Leistungsbezieher, der jedoch angemessen wohne, dies verwehrt werde. Nach der Auslegung des BSG wäre auch ein Nebenkostenguthaben aus Zeiträumen ohne Leistungsbezug bei späteren Leistungsbeziehern, die unangemessen wohnten, ebenfalls zumindest teilweise anrechnungsfrei, was jedoch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen sei. Im Übrigen gehe das BSG in seiner Entscheidung an mehreren Stellen von einer Berücksichtigung eines Nebenkostenguthabens als Einkommen aus, was bei stringenter Anwendung auch zur Berücksichtigung entsprechender Einkommensfreibeträge, zumindest der Versicherungspauschale führen müsste, einem Umstand, dem vorliegend ebenfalls nicht Rechnung getragen worden sei. Gehe man allerdings entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II von einer Minderung des Bedarfs aus, stelle sich überhaupt die Frage der Änderung der Verhältnisse, zumal der Kläger von Anfang an auf die Nebenkostenerstattung hingewiesen habe.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 04.08.2021 und 18.08.2021 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist kraft Zulassung durch das SG im angefochtenen Urteil statthaft (§ 144 Abs. 3 SGG). An die Zulassung ist das LSG gebunden.

Die Berufung hat auch Erfolg. Das SG hat den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.010.2020 zu Unrecht aufgehoben.

Streitgegenstand ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2020, mit dem der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Bescheid vom 28.04.2020) für den Zeitraum 01.05.2020 bis 31.05.2020 teilweise in Höhe von 295,04 € aufgehoben und die Erstattung des entsprechenden Betrages verlangt hat. Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 bis 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Der Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Aufhebungsentscheidungen am Maßstab des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu überprüfen sind. Vielmehr kommt wegen der Aufhebung von zuvor bewilligten Leistungen hier nur die Regelung des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 bis 4 SGB X als Ermächtigungsgrundlage in Betracht.

Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt demgegenüber, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. Die Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsakts voneinander ab (vgl. BSG, Urteile vom 01.06.2006 - B 7a AL 76/05 R -, vom 27.07.1989 - 11/7 RAr 115/87 -, vom 24.02.2011 - B 14 AS 45/09 R -, juris). Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären, um die objektiven Verhältnisse festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 02.06.2004 - B 7 AL 58/03 R -, juris).

Bei der Bewilligung der Leistungen mit dem Bewilligungsbescheid vom 28.04.2020 ist der Beklagte von vornherein von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen, da die zu berücksichtigende Betriebskostenerstattung für 2019 dem Konto des Klägers bereits am 22.04.2020 gutgeschrieben worden war. Die Höhe der Bewilligung für den Monat Mai 2020 war von Anfang an rechtswidrig. Damit hat der Beklagte insoweit eine Entscheidung getroffen, die nur noch unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB X korrigiert werden kann, wobei unerheblich ist, ob die Tatsache der erfolgten Gutschrift dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt bekannt war (BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R -, juris). Anders als wohl der Beklagte meint, kommt es nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Kläger ihm mitgeteilt hat, dass eine Betriebskostenerstattung erfolgt ist.

Wenn sich danach § 45 SGB X als einschlägige Rechtsgrundlage für die Aufhebung darstellt, erweisen sich die angegriffenen Verfügungen des Beklagten nicht etwa deshalb als formell rechtswidrig, weil der Kläger zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht gemäß § 24 Abs. 1 SGB X ordnungsgemäß angehört worden ist. Denn bezüglich der Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Verwaltungsbehörde auszugehen, mag sie auch falsch sein (BSG, Urteile vom 26.09.1991 - 4 RK 4/91 -, vom 13.03.1990 - 11 Rar 125/89 -, und vom 09.11.2010 - B 4 AS 37/09 R -, juris). Zwar hat der Beklagte den Kläger vor Erlass des in seine Rechtsposition eingreifenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 22.06.2020 mit Schreiben vom 02.06.2020 lediglich hinsichtlich der seiner Ansicht nach einschlägigen Voraussetzungen des § 48 SGB X angehört. Ausgehend von seiner materiell-rechtlichen Rechtsansicht, wonach § 48 SGB X taugliche Ermächtigungsgrundlage war, konnte sich der Kläger zu den aus Sicht des Beklagten entscheidungserheblichen Tatsachen äußern und hat dies auch getan; die erforderliche Anhörung ist damit erfolgt.

Der Umstand, dass der Beklagte seine Aufhebungsverfügungen fehlerhaft auf § 48 SGB X gestützt hat, ist allein nicht klagebegründend. Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (BSG, Urteile vom 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R -, und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R -, juris). Vorliegend kann dies bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung aber nur dann gelten, wenn Vertrauensschutzgesichtspunkte auf Seiten des Klägers einer Befugnis zur Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht entgegenstehen; ansonsten wäre eine Ermessensentscheidung zu treffen gewesen. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II verweist ergänzend auf § 330 Abs. 2 SGB III, der wiederum anordnet, dass bei Vorliegen der in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes diese - im Wege einer gebundenen Entscheidung, also ohne Ermessen - auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist.

Die Rücknahmevoraussetzungen nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1 SGB X lagen vor. Der Bescheid vom 28.04.2020 war von Anfang an teilweise rechtswidrig, da der Kläger für den Monat Mai 2020 einen geringeren Anspruch auf Leistungen hatte.

Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Arbeitslosengeld II an den Kläger ist § 19 i.V.m. §§ 7, 9, 11, 20 ff SGB II. Maßgebend für die Hilfebedürftigkeit des Klägers, der im hier streitgegenständlichen Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hatte und erwerbsfähig war, war § 9 Abs. 1 SGB II, wonach hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Diese Voraussetzungen erfüllte der im streitigen Zeitraum erwerbsfähige, alleinstehende Kläger.

Die Leistungen umfassen gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Sie werden nach § 19 Abs. 3 SGB II in Höhe der Bedarfe erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht (§ 22 Abs. 3 SGB II).

Der Gesamtbedarf des Klägers betrug – noch ohne Berücksichtigung der streitigen Betriebskostenerstattung im Mai 2020 - im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum April 2020 bis September 2020 monatlich 893,00 € (Regelbedarf 432,00 €, Grundmiete 340,00 €, Heiz- und Nebenkosten 70,00 bzw. 51,00 €).

Aufgrund des vom Kläger vorgelegten und bei den Verwaltungsakten befindlichen Kontoauszugs steht fest, dass dem Girokonto des Klägers am 22.04.2020 ein Betrag von 295,04 € gutgeschrieben wurde, resultierend aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung des Vermieters vom 27.03.2020, die der Kläger ausweislich der Verwaltungsakten dem Beklagten mit Schreiben vom 10.05.2020 vorgelegt hat. Diese Betriebskostenerstattung war entgegen der Entscheidung des SG gemäß § 22 Abs. 3 SGB II mindernd auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung anzurechnen, auch wenn der vom Vermieter abgerechnete Zeitraum vor dem Beginn des Leistungsbezuges lag.

Das BSG hat hierzu wie folgt entschieden (Urteil vom 24.06.2020 - B 4 AS 7/20 R -, juris Rn. 36 ff.):

„Das BSG hat zu § 22 Abs.1 Satz 4 SGB II a.F. und zu § 22 Abs.3 SGB II a.F. wiederholt entschieden, dass nicht entscheidend ist, wie das Einkommen erwirtschaftet wurde und für welche Zeit die Kosten angefallen sind, sondern allein die Verhältnisse im Zeitpunkt der Berücksichtigung (BSG, Urteile vom 22.03.2012 - B 4 AS 139/11 R -, juris Rn. 19 und vom 14.06.2018 - B 14 AS 22/17 R -, juris Rn. 21). § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. und § 22 Abs. 3 SGB II a.F. differenzierten nicht nach dem Ursprung der Rückzahlungen oder Guthaben. Nach dessen Wortlaut minderten Rückzahlungen und Guthaben, die den KdU zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen. Eine Beschränkung auf Abrechnungen, die allein aus Zahlungen des Leistungsberechtigten resultieren, war den Normen nicht zu entnehmen. Genauso wie Guthaben, die aus Zeiten stammten, in denen keine Hilfebedürftigkeit bestanden hatte, zu berücksichtigen waren, war es auch unerheblich, wer die Zahlungen getätigt hatte (m.w.N. aus der Rechtsprechung). ….

Der Gesetzgeber hat § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 SGG mit Wirkung zum 01.08.2016 (lediglich) dahingehend geändert, dass auch Rückzahlungen, die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, außer Betracht bleiben. Er ließ sich hierbei von der Erkenntnis leiten, dass Leistungsberechtigte nach § 20 Abs.1 Satz 4 SGB II über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen eigenverantwortlich entscheiden, wodurch deutlich werde, dass Leistungsberechtigte ihren Lebensunterhalt in eigener Budgetverantwortung regeln sollen (Begründung des Entwurfs der Bundesregierung für ein Neuntes Gesetz zur Änderung des SGBII vom 06.04.2016, BT-Drucks. 18/8041, S. 40). Wenn die Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf die angemessenen Aufwendungen beschränkt würden, entschieden sich Leistungsberechtigte bislang häufig dafür, den nicht als Bedarf anerkannten Teil der Aufwendungen entweder eigenverantwortlich aus dem Regelbedarf oder aus vorhandenem Einkommen oder Vermögen zu erbringen. Dies sei teilweise verbunden mit einem möglichst sparsamen Verbrauchsverhalten, um beispielsweise bei der späteren Betriebskostenabrechnung die aus eigenen Mitteln verauslagten Beträge erstattet zu bekommen. Nach bisheriger Rechtslage mindere die Rückzahlung oder das Guthaben die (unangemessenen) Aufwendungen im Monat der Berücksichtigung, so dass ein Teil der Rückzahlung oder des Guthabens auch den anerkannten Teil der Bedarfe mindere. Das sei unbillig, soweit der zurückgezahlte Betrag der Höhe nach zuvor erbrachten Eigenmitteln entspreche.

Bereits der Wortlaut des § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 Variante 2 SGB II legt dessen Erstreckung auf Rückzahlungen aus Zeiten des Nichtleistungsbezuges nicht nahe. Mit der Wendung „nicht anerkannte Aufwendungen“ knüpft die Norm ersichtlich an die Formulierungen „in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt“ in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, den Begriff „anerkannt“ in § 22 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGB II und an „anzuerkennen“ in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II an. § 22 Abs. 3 SGB II ist damit auf Konstellationen ausgerichtet, in denen Leistungen nach dem SGB II erbracht wurden, Bedarfe für Unterkunft und Heizung aber wegen Unangemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen nicht oder nur teilweise anerkannt wurden. Dieser Befund deckt sich mit dem aus den Gesetzgebungsmaterialien ersichtlichen Regelungsmotiv und der Regelungsintention des Gesetzgebers, der gerade die Situation vor Augen hatte, dass ein Leistungsbezieher seinen Regelbedarf für den nicht anerkannten Teil der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung verwendet hat, und ihm durch den Zufluss einer hierauf bezogenen Erstattung nicht nachteilig im Ergebnis ein Teil des Regelbedarfs gekürzt werden soll. Entsprechend steht § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 Variante 2 SGB II auch der Berücksichtigung von Rückzahlungen nicht entgegen, die sich auf Zeiträume beziehen, in denen Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen vorhandenen Einkommens nicht oder nur teilweise erbracht worden sind.“

Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat in vollem Umfang an.

Entgegen der Auffassung des SG ist der Passus „nicht anerkannt“ in § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 Variante 2 SGB II nicht dahingehend auszulegen, dass ein konkreter Bedarf nicht durch einen Bewilligungsbescheid abgedeckt ist. Diese Auslegung wird weder durch die vom SG zitierte Kommentarstelle (Piepenstock in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 22 Rn. 190) gestützt noch ist sie - wie in der oben referierten Entscheidung des BSG ausführlich und überzeugend dargelegt wurde - mit dem Wortlaut bzw. mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung zu vereinbaren.

Eine entsprechende Auslegung ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Der insoweit einzig in Betracht kommende allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) gebietet dies nicht: Denn der die Differenzierung rechtfertigende Grund liegt darin, dass demjenigen, der nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung durch Mittel aus seinem Regelbedarf finanziert hat, nicht im weiteren Verlauf des Leistungsbezuges der Regelbedarf im Ergebnis „gekürzt“ werden soll. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, die von ihm vorgenommene Ausnahmeregelung auch auf Rückerstattungen aus Zeiten des Nichtleistungsbezuges zu erstrecken. Dass gegebenenfalls Personen schlechter behandelt werden, die von Geldzuflüssen profitieren, die aus Zeiten des Nichtleistungsbezuges resultieren (etwa auch Nachzahlungen aus einem früheren Arbeitsverhältnis oder Steuererstattungen), liegt im System der Grundsicherung für Arbeitsuchende begründet, das gerade bei fehlendem eigenem Einkommen aktiviert wird und in dem selbst erwirtschaftetes Einkommen grundsätzlich anspruchsschädlich ist (ebenso BSG a.a.O., juris Rdnr. 44 m.w.N.).

Soweit der Kläger die Ansicht vertritt, es sei gleichheitswidrig, dass nach der Auslegung des BSG auch ein Nebenkostenguthaben aus Zeiträumen ohne Leistungsbezug bei späteren Leistungsbeziehern, die unangemessen wohnten, zu berücksichtigen sei, wohingegen einem Leistungsbezieher, der angemessen wohne, dies verwehrt sei, hält der Senat bereits diese Grundannahme nicht für zwingend aus dem Gesetzestext bzw. der zitierten Entscheidung des BSG abzuleiten.

Absetzbeträge nach § 11b SGB II sind entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu berücksichtigen (Piepenstock a.a.O., § 22 Rn. 187).

Da somit der Zufluss der Nebenkostenerstattung den Bedarf des Klägers im Mai 2020 minderte, betrug sein Bedarf in diesem Monat nicht wie bewilligt 893,00 €, sondern lediglich 597,96 €, so dass die ursprüngliche Bewilligung mit dem Bescheid vom 28.4.2020 insoweit rechtswidrig war.

Der Bewilligungsbescheid vom 28.04.2020 konnte für den Monat Mai 2020 auch teilweise zurückgenommen werden. Der Kläger kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, denn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X sind erfüllt. Die Bewilligung der zu hohen Leistungen beruhte auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hatte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistungen erheblich sind. Der Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ist auch dann erfüllt, wenn der Betroffene Umstände verschwiegen hat, so dass „Angaben“ auch dann „falsch gemacht“ i.S.d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X sind, wenn ohne weitere Überlegungen klar sein musste, dass er den betreffenden Umstand hätte mitteilen müssen. Es genügt dabei, dass zwischen Antragstellung und Erlass des Bescheids eine Änderung eintritt, der Leistungsempfänger diese Änderung nicht mitteilt und der Begünstige eine Pflicht zur Mitteilung der betreffenden Tatsache hatte (vgl. nur Padé in juris PK-SGB X, § 45 Rn. 84; BSG, Urteile vom 09.10.2012 – B 5 R 8/12 R -, juris Rn.  27 und vom 01.06.2006 – B 7a AL 76/05 R, juris Rn. 23; LSG für das Saarland, Urteil vom 26.04.2028 - L 11 SO 8/17 -, juris Rn. 29).

Eine solche Mitteilungspflicht bestand hier für den Kläger. Selbst wenn er am Tag der Antragstellung (22.04.2020) noch keine Kenntnis über die am gleichen Tag seinem Konto gut geschriebene Betriebskostenerstattung hatte, wurde er im Antragsformular doch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Änderungen in Bezug auf Einkommen und Vermögen, die sich auf die Leistungen auswirken können, dem zuständigen Jobcenter unverzüglich mitzuteilen sind.

Der Kläger hatte dem Beklagten die Tatsache der erfolgten Betriebskostenerstattung nicht mitgeteilt, obwohl die Auszahlung auf sein Konto am 22.04.2020 und damit vor Erlass des Bewilligungsbescheides vom 28.04.2020 erfolgt war. Erst auf Nachfrage des Beklagten hat er hierauf hingewiesen und die entsprechende Betriebskostenabrechnung seines Vermieters nebst Kontoauszug vorgelegt. Er hat damit eine Mitteilungspflicht verletzt.

Der Kläger handelte hier zur Überzeugung des Senats auch zumindest grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend hierfür ist die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten (subjektiver Sorgfaltsmaßstab, vgl. BSG, Urteile vom 20.09.1977 - 8/12 RKg 8/76 -, vom 23.07.1996 - 7 RAr 14/96 -, juris; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Mai 2021, § 45 SGB X, Rdnr. 39 f.). Die erforderliche Sorgfalt verletzt, wer einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Werden gesetzliche Vorschriften, auf die der Leistungsträger gesondert den Leistungsempfänger hingewiesen hat, außer Acht gelassen, ist in der Regel von grober Fahrlässigkeit auszugehen, es sei denn, dass der Betroffene nach seiner Persönlichkeitsstruktur und nach seinem Bildungsstand die Vorschrift nicht verstanden hat (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.1977 - 8/12 RKg 8/76 -, juris). Insbesondere wenn die Behörde in Merkblättern oder im Antragsformular deutliche und verständlich auf die Pflicht zur Anzeige aller Veränderungen, die gegenüber dem in dem Antrag angegebenen Verhältnissen eingetreten sind, hingewiesen hat, kann dem Betroffenen – vorbehaltlich der Prüfung der Verhältnisse im Einzelfall – im Regelfall Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorgeworfen werden (BSG, Urteil vom 24.04.1997 - 11 Rar 89/96 -, juris Rn. 23; Padé in juris PK-SGB X, § 45 Rn. 93).

Vorliegend hat der Beklagte in seinen jeweiligen Antragsformularen eindeutig und unmissverständlich die besondere Bedeutung von Einkommen hervorgehoben und deutlich darauf hingewiesen, dass in Bezug auf Einkommen besondere Mitteilungspflichten bestehen. Im Merkblatt Arbeitslosengeld II/Sozialgeld, dessen Erhalt der Kläger mit seiner Unterschrift auf dem Leistungsantrag bestätigt hat, ist unter 9.1 der Hinweis zu finden, dass Einkommen grundsätzlich jede Einnahme in Geld oder Geldeswert ist, die ab der Antragstellung zufließt; es komme nicht darauf an, welcher Art und Herkunft die Einnahmen seien, ob sie zur Deckung des Lebensunterhalts bestimmt oder steuerpflichtig seien oder ob sie einmalig oder wiederholt anfielen. Als Beispiel für einmalige Einnahmen wird im Merkblatt zwar nicht ausdrücklich die Betriebskostenerstattung, jedoch beispielhaft Steuererstattungen, Abfindungen oder Erbschaften genannt. Dafür, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen wäre, die Hinweise des Beklagten zu verstehen und danach zu handeln, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Dem Kläger musste daher bewusst sein, dass Einkommenszuflüsse jeglicher Art – insoweit auch Betriebskostenerstattungen - seinen Leistungsanspruch mindern können und dass er dieses Einkommen angeben muss. Dies hat er nicht getan und es daher zumindest grob fahrlässig unterlassen, vollständige Angaben zu machen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Die vom Kläger bereits im Rahmen der Anhörung vorgebrachte Erklärung, dass Nebenkostenerstattungen aus Zeiten des Nichtleistungsbezuges seiner Auffassung nach nicht zu berücksichtigen sind, zeigt gerade, dass ihm die Tatsache eines Einkommenszuflusses durchaus bewusst war. Die von ihm sodann selbst vorgenommene Einordnung - „nicht zu berücksichtigen, da aus Zeitraum vor dem Leistungsbezug“ - stellt eine eigene rechtliche Wertung dar, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entfallen lässt. Denn insoweit wäre er gehalten und nicht gehindert gewesen, beim Beklagten zumindest entsprechend nachzufragen.

Die fehlende Angabe des Klägers über den Erhalt der Betriebskostenerstattung war für den Erlass des Bewilligungsbescheides vom 28.04.2020 auch ursächlich, denn dieser Bescheid wäre bei Berücksichtigung des dem Konto des Klägers am 22.04.2020 gutgeschriebenen Betrages in Höhe von 295,04 € nicht so erlassen worden. Dem Kläger wären dann von Anfang an für den Monat Mai 2020 geringere Leistungen bewilligt worden.

Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X für die Aufhebung des rechtswidrigen Leistungsbescheides hat der Beklagte eingehalten.

Rechtsgrundlage der mit Bescheid vom 22.06.2020 festgesetzten Erstattungsforderung für Mai 2020 ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt wirksam aufgehoben wurde. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Festsetzung der Erstattungsforderung auf 295,04 € ist nicht zu beanstanden.

Nach alledem war auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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