Der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2016 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Kläger bei der Beigeladenen zu 1. ab 27. Juli 2015 nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Sozialversicherungspflichtigkeit der Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen zu 1.
Der 1979 geborene Kläger ist Krankenpfleger. Er ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Ein-Personen-GmbH „D. GmbH“. Mit der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1., der St. Rochus Krankenhaus gGmbH, Dieburg schloss die „D. GmbH“ vertreten durch den Kläger als Geschäftsführer für tageweise bestimmte „Einsatzzeiträume“ sog. Dienstleistungsvereinbarungen. Die Dienstleistung sollte danach die „eigenständige und eigenverantwortliche Durchführung, Dokumentation und Überprüfung der stationären Krankenpflege der zu pflegenden Patienten ggf. in Kooperation mit den angestellten Pflegedienstmitarbeiterinnen und –mitarbeitern sowie der behandelnden Ärzte der Patienten / der Patientinnen“ umfassen. Vereinbart war darin ferner, der Kläger nicht verpflichtet war, „seine Dienste in Person zu leisten“. Ihm war vielmehr erlaubt, Hilfspersonen heranzuziehen oder Vertreter einzusetzen, sofern diese die gleiche oder zumindest eine vergleichbare Qualifikation aufwiesen. In § 3 der Vereinbarungen war der Hinweis aufgenommen, dass die Parteien sich darüber einig seien, dass durch diese Vereinbarung zwischen ihnen kein Arbeitsverhältnis begründet werden solle. Der Kläger unterliege insbesondere bei der Durchführung der übertragenen Tätigkeiten oder den Arbeitszeiten keinen Weisungen. Er habe ferner das Recht einzelne Aufträge ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Hilfsmittel, Werkzeuge, Materialien und Dienstkleidung hatte gemäß § 6 der Vereinbarungen der Kläger zu stellen. Urlaubsansprüche oder eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall war nicht vereinbart. Zum Zwecke der Abrechnung erstellte der Kläger sog. „Dienstleistungsnachweise“.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2015 beantragte die Beigeladene zu 1. Bei der Beklagten Statusfeststellung nach § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). In den von der Beklagten angeforderten Fragebogen gab die Beigeladene zu 1. an, der Kläger erbringen Leistungen der Intensivpflege seit dem 27. Juli 2015. Die Arbeiten üblicherweise in einem Drei-Schicht-System. Die Einsatzzeiten des Klägers entsprächen diesem Modell nicht zwingend. Er decke nur die Zeiten ab, für die eigenes Personal des Krankenhauses nicht verfügbar sei. Die Tätigkeit finde in den Räumen der Beigeladenen zu 1. statt. Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation finde nicht statt. An Dienstplan Besprechung, der Urlaubsplanung, Betriebsausflügen etc. nehme der Kläger nicht teil. Er unterliege ferner auch nicht der Arbeitszeiterfassung.
Nach Anhörung am 16. April 2016 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Mai 2016 fest, dass die Tätigkeit des Klägers als Krankenpfleger bei der Beigeladenen zu 1. seit 27. Juli 2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei. Nach Gesamtabwägung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen hätten die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwogen. Zwar sei ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu einem Auftraggeber grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Auftragnehmer eine rechtsfähige Personengesellschaft sei. Dies gelte jedoch nicht, wenn im Einzelfall die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung mit entsprechender Weisungsgebundenheit gegenüber den Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit überwiegen würden. Es könne keinen Unterschied machen wenn es sich bei dem Auftragnehmer nicht um eine Personengesellschaft, sondern um eine Ein Personen Kapitalgesellschaft handeln würde.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 12. Juni 2016 Widerspruch ein. Zur Begründung bestritt er bereits, dass die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit im vorliegenden Fall überwiegen würden. Insbesondere verwies er aber darauf, dass zwischen der Beigeladenen zu 1. und dem Kläger gar kein Vertragsverhältnis gäbe, sondern ein Vertragsverhältnis nur zwischen der Beigeladenen zu 1. und der D. GmbH bestünde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses sei nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger gleichzeitig als Gesellschafter an einer GmbH beteiligt sei, die als Arbeitgeber auftrete. Der Kläger trete als persönlich unbeschränkt haftender Gesellschafter und Mitunternehmer für Dritte nicht erkennbar in Erscheinung. Die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen bestünden daher nur im Innenverhältnis. Die Gründung unter „Zwischenschaltung“ einer GmbH sei deshalb rechtsmissbräuchlich und geschehe ausschließlich zur Umgehung von abhängiger Beschäftigung, also der allgemeinen Versicherungspflichtregelungen.
Hiergegen richtet sich die am 20. Dezember 2016 vor dem Sozialgericht Darmstadt erhobene Klage. Der Kläger führt zur Klagebegründung den Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren näher aus. Er meint, das Sozialrecht könne sich nicht über das Gesellschaftsrecht schlicht hinwegsetzen. Die GmbH sei nicht lediglich eine rechtsmissbräuchliche Konstruktion, sondern habe eine eigene Geschäftstätigkeit für mehrere Auftraggeber entfaltet. Der Gesellschaftszweck gehe über das Vermeiden des Eintritts der Versicherungspflicht deutlich hinaus. Die Geschäftstätigkeit an sich nicht nur auf die reine Pflege in einer Klinik bezogen, sondern auch beispielsweise auf Beratungs-und Organisationsleistungen. Zum Nachweis verweist er auf den Internetauftritt der GmbH und liegt die notarielle Urkunde über die Gründung der GmbH aus dem Jahr 2009 vor. Er meint ferner, es sei zivil- und arbeitsrechtlich kaum vorstellbar, die Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. rückabzuwickeln; dies insbesondere, weil mit dem Kläger gar keine vertragliche Beziehung gegeben sei. Ferner sei zu beachten, dass die Feststellung der Versicherungspflicht des Klägers eigene Grundrechte der Gesellschaft Verletzung. Die GmbH sei selbst Grundrechtsträgerin aus Art. 12, 14 Grundgesetz (GG). Werde ihre Teilnahme am Rechtsverkehr als rechtsmissbräuchlich betrachtet, sei sie unmittelbar insolvent. Es fehle ferner an einer gesetzlichen Regelung für die Behandlung rechtsmissbräuchlicher Konstruktionen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2016 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger nicht der streitgegenständlichen Tätigkeit als Krankenpfleger für das Marienhospital Darmstadt gGmbH seit 27. Juli 2015 als abhängig Beschäftigter versicherungspflichtig zur gesetzlichen Rentenversicherung, zur gesetzlichen Krankenversicherung, zur sozialen Pflegeversicherung und zur Arbeitslosenversicherung ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, ein Obsiegen im Klageverfahren bereits nicht im wohlverstandenen Interesse des Klägers. Dieser habe durch den Eintritt der Versicherungspflicht ausschließlich rechtliche Vorteile. Sie hält ferner an der Einschätzung fest, dass die Zwischenschaltung der GmbH rechtsmissbräuchlich sei, weil sie ausschließlich dazu diene, sozialrechtliche Regelungen zu umgehen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war daher aufzuheben. Der Kläger war bei der Beigeladenen zu 1. ab 27. Juli 2015 nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Sie ist abzugrenzen von einer selbständigen Tätigkeit.
Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Eingliederung in den Betrieb wird deutlich an der Unterordnung unter ein vor allem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers, das dieser auch an andere Personen weitergeben kann. Es muss eine fremdbestimmte Leistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung eines Betriebes aufgehen. Besteht eine vertragliche Verpflichtung zur Erbringung einer Mindestleistung, erfolgt die Vergütung nach einem vereinbarten Honorar je Einzelleistung und besteht Anspruch auf Urlaubsgeld, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. März 2018 – L 9 KR 133/15)
Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende seine Tätigkeit also im Wesentlichen frei gestalten, insbesondere über die Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen, oder fügt er sich nur in die von ihm selbst vorgegebene Ordnung des Betriebes ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbstständige Tätigkeit vor. Eine selbständige Tätigkeit ist zudem regelmäßig durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet. Ein Unternehmerrisiko, das abzugrenzen ist von einem bloßen Einkommensrisiko, kennzeichnet sich durch weitere Aufwendungen, die der Gefahr unterliegen, frustrierte Investitionen zu werden, sofern sich eine unternehmerische Hoffnung nicht realisiert. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eigene Betriebsmittel beschafft oder eigene Angestellte fest eingestellt werden (LSG Bayern, Urteil vom 18. Mai 2004 - L 5 KR 167/01 Rn. 19, 22). Einem Unternehmerrisiko steht stets eine Unternehmerchance gegenüber. Unter einer Unternehmerchance ist die unmittelbare Teilhabe am Unternehmenserfolg vor allem durch Beteiligung am Gewinn zu verstehen. Indizien für eine weisungsfreie und deshalb unternehmerische Tätigkeit sind ferner das Fehlen eines schriftlichen Anstellungsvertrages sowie abweichende Tätigkeitsregelungen im Vergleich zu den übrigen Arbeitnehmern. Die Kriterien für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sind gegeneinander abzuwägen. Jedes Kriterium hat indizielle Wirkung. Entscheidend ist, welche Merkmale überwiegen (Reiserer, in: BB 1999, 2026, 2028). Maßgeblich ist das Gesamtbild der Tätigkeit. Dabei kommt es für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, vorrangig auf die tatsächliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses an, die vertraglich vereinbarte Rechtslage ist demgegenüber nachrangig, wenn auch Ausgangspunkt der Beurteilung und unter dem Aspekt der Privatautonomie zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 28. November 1990 - 5 RJ 87/89; Urteil vom 8. August 1990 - 11 Rar 77/89 und Urteil vom 30. Januar 1990 - 11 Rar 47/88; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. Oktober 2005 - L 5 KR 86/04; SG Speyer, Urteil vom 13. Dezember 2006 - S 7 RI 462/06, vgl. Kasseler Kommentar/Seewald, § 7 SGB IV Rn. 9 und Rn. 126 ff.).
Im vorliegenden Fall kam es auf eine Gesamtabwägung der vorgenannten Indizien bereits nicht an.
Es fehlte bereits an einer rechtlichen Beziehung zwischen dem Kläger persönlich und der Beigeladenen zu 1., die als abhängiges Beschäftigungsverhältnis gewertet werden könnte. Eine solche Rechtsbeziehung war nur zwischen der D. GmbH und der Beigeladenen zu 1. gegeben. Für eine abhängige Beschäftigung als Arbeitnehmer kommen aber nur natürlich, nicht juristische Personen in Betracht.
Eine Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger selbst und der Beigeladenen zu 1. könnte nur dann angenommen werden, wenn die „Zwischenschaltung“ der GmbH im Sinne der Ansicht der Beklagten insofern rechtsmissbräuchlich sei, dass sie als bloßes Scheingeschäft betrachtet werden könnte, um eine tatsächliche Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. zu verschleiern. Die insofern zu fordernde Rechtsmissbräuchlichkeit stellt im Interesse des Vertrauensschutzes und der Verlässlichkeit des Rechtsverkehrs jedoch eine hohe Hürde dar.
Aufgrund der Verwandtschaft zur gesellschaftsrechtlichen Rechtsfigur der sog. Durchgriffshaftung greift die Kammer zur Ausfüllung der Anforderungen an den Rechtsmissbrauch auf die diesbezüglich entwickelten Grundsätze zurück. Rechtsmissbrauch kommt hiernach nur dann in Betracht, wenn mit der Gesellschaft Zwecke verfolgt werden, für die sie von ihrer Rechtsform her nicht bestimmt ist, oder wenn durch die Verwendung dieser Rechtsform die Gesellschaftsgläubiger - hier die Sozialversicherung - getäuscht bzw. hintergangen werden, sog. Rechtsformmissbrauch (Ebenroth/Boujong/Joost /Strohn, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 2020, HGB § 171 Rn. 29; vgl. auch BGH v. 8. Juli 1970 – VIII ZR 28/69). Erforderlich ist also ein absichtliches und finales Vorgehen mit dem Ziel durch die Wahl einer bestimmten Rechtsform eine rechtliche Situation zu schaffen, die ohne diese Rechtsform undenkbar gewesen wäre.
Ein solches zielgerichtetes Vorgehen vermag die Kammer im vorliegenden Fall nicht zu entdecken. Hierbei ist nicht nur mit dem Vortrag des Klägervertreters zu beachten, dass die Gesellschaftsgründung durchaus einen gewissen Aufwand nach sich zieht, der eine rein missbräuchliche Absicht unwahrscheinlich erscheinen lässt. Vor allem hält die Kammer für beachtlich, dass der Gesellschaftszweck komplexer war, als dass er nur auf eine rein künstliche Schaffung einer rechtlichen Sphärentrennung zwischen Kläger und GmbH reduziert werden könnte. Insofern hält es die Kammer für maßgeblich, dass die GmbH nicht nur für die Beigeladene zu 1. tätig wurde. Schließlich spricht auch gegen ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen im Sinne einer verschleiernden Umgehung der tatsächlichen Verhältnisses, dass die Feststellungen der Beklagten nicht zufällig im Rahmen einer Betriebsprüfung getroffen worden sind, sondern auf eigenen Statusfeststellungsantrag der Beigeladenen zu 1.
Ist aber eine Rechtsmissbräuchlichkeit nicht anzunehmen, muss das Sozialrecht die gesellschaftsrechtlichen gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten hinnehmen. Eine abhängige Beschäftigung des Klägers scheidet deshalb aus gesellschaftsrechtlich Gründen aus. Hierbei ist auch zu beachten, dass die Folgen des Trennungsprinzips im Kapitalgesellschaftsrecht formalistischer zu beachten sind, als dies bei Personengesellschaften der Fall wäre. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Ein-Mann- oder aber um eine mehrgliedrige Gesellschaft handelt (Baumbach/Hueck/Haas, 22. Aufl. 2019 Rn. 54, GmbHG § 60 Rn. 54).
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.