Zum Verhältnis von § 53 SGB XII zu § 10 SGB VII bei einer vollstationären Unterbringung im Diabeteszentrum im Rahmen einer Eingliederungshilfe bei seelischer Behinderung.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Januar 2019 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
Streitig ist die Übernahme von Kosten für eine ab 11.01.2019 bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019 durchgeführte vollstationäre Unterbringung des Klägers im CJD Diabeteszentrum B.
Der.2004 geborene Kläger leidet seit seinem ersten Lebensjahr an Diabetes Typ I. Daneben ist ein ADHS-Syndrom festgestellt worden. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 50 und das Merkzeichen H festgestellt. Zur Behandlung des Diabetes Typ I verfügt der Kläger über eine Insulinpumpe. Er besuchte zunächst die Gemeinschaftsschule Eschule in C.
Am 26.01.2017 wurde für den Kläger beim Beklagten die Gewährung von Eingliederungshilfe für die vollstationäre Unterbringung des Klägers im CJD B beantragt. Begründet wurde dieser Antrag damit, dass der Kläger nach wie vor große Probleme mit dem Umgang und der Akzeptanz seiner Erkrankung habe, obwohl er bereits über das Oklinikum A, wo die Behandlung des Klägers seit Anfang an erfolge, viele Schulungsmaßnahmen und sonstige stationäre Aufenthalte stattgefunden hätten. Die gut eingestellten Blutzuckerwerte nach den stationären Aufenthalten könne der Kläger im Alltag leider nie aufrechterhalten. Der Kläger sei nach wie vor nicht in der Lage, seinen Diabetes eigenverantwortlich, in einem Maße, wie man es in seinem Alter erwarten könne, zu managen. Sowohl in der Schule, wo er unter der Woche auch das Mittagessen einnehme, als auch zu Hause, sei er nicht in der Lage die Kohlenhydrateinheiten der Mahlzeiten selbständig zu ermitteln und dann die notwendige Insulinmenge über seine Insulinpumpe zu „bolen“. Er benötige hierfür die Unterstützung/ Kontrolle durch die Eltern/ Lehrer.
Der Beklagte zog daraufhin den Lernentwicklungsbericht der Eschule über das Schuljahr 2016/2017 bei. Hieraus ergibt sich, dass die Noten des Klägers in den Fächern Deutsch, Geschichte, Biologie, Bildende Kunst und Musik bei 2 sowie in den Fächern Mathematik, Englisch, Geographie und Sport bei 3 lagen. Der Klassenlehrer des Klägers teilte mit Schreiben vom 07.02.2017 mit, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung ein schüchterner, zurückhaltender Junge sei, der mit seiner Krankheit aus seiner Sicht gut umzugehen wisse. Der Kläger messe zu Beginn der großen Pause seine Werte eigenverantwortlich und es sei hierbei bisher auch noch zu keinen Zwischenfällen gekommen. Der Kläger könne nicht an allen Aktivitäten im gleichen Maße wie seine Mitschüler teilnehmen. Sein sportliches Leistungsvermögen sei stark eingeschränkt, aber nicht die Leistungsfähigkeit in anderen Fächern. Dass er nicht mit ins Schullandheim könne, nage sehr an ihm. Er fühle sich in einer Außenseiterrolle, was auch dadurch verstärkt werde, dass er nicht am Schulort wohne. Der Kontakt mit Kindern und Jugendlichen mit ähnlichen gesundheitlichen Einschränkungen würde ihm sicher gut tun.
Der Beklagt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.02.2017 ab. Der Kläger gehöre nicht zum Personenkreis des § 53 SGB XII, da zusätzlich zur wesentlichen bzw. drohenden Behinderung, die beim Kläger wohl vorliege, eine Teilhabeeinschränkung gegeben sein müsse. Dies sei hier nicht der Fall. Es bestehe kein Bedarf an Eingliederungshilfe im Rahmen der angemessenen Schulbildung, da der Kläger auch ohne Unterstützung das Bildungsziel erreichen könne. Er könne sich nach den Angaben der Schule in den Schulalltag integrieren. Soweit der Kläger an Aktivitäten wie z.B. dem Schullandheimaufenthalt bislang nicht teilnehmen könne, sei man bereit hierfür Unterstützungsmaßnahmen zu prüfen.
Hiergegen legten die Eltern des Klägers am 22.03.2017 Widerspruch ein und trugen vor, dass die notfallmäßigen Behandlungen des Klägers im Krankenhaus aufgrund überhöhter Zuckerwerte zugenommen hätten. Sie entwickelten sich in eine dramatische Richtung. Dies bekomme die Schule nicht mit. Man sei durch die ständige Sorge um den Kläger auch als Familie am Limit. Der Kläger halte sich zudem auch nicht immer an die Regeln, die seine Krankheit erfordere. Er messe nicht richtig, nasche und spiele die Eltern gegeneinander aus. Sie fügten dem Widerspruch verschiedene Atteste bei. Die Klinikschule am O-Klinikum A führte in ihrer Stellungnahme vom 16.03.2017 aus, dass es dem Kläger, insbesondere dann wenn seine Blutzuckerwerte sehr hoch seien, nicht gelinge zügig mit der erforderlichen Konzentration und Zielgerichtetheit zu arbeiten. Bei Fortdauer der Behandlung und Verbesserung der Blutzuckerwerten werde ein deutlich besseres Lernverhalten festgestellt. Es sei auch vorgekommen, dass der Kläger trotz Vereinbarung vergessen habe, den Blutzucker zu messen. Die behandelnde F, Oberärztin in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Oklinikum A, gab in ihrer Stellungnahme vom 14.03.2017 an, dass der Kläger von seiner Familie sehr unterstützt werde. Dennoch sei es bislang nicht gelungen, die Diabetestherapie in der Schule und der Freizeit trotz entsprechender Unterstützung zufriedenstellend zu sichern. Der Kläger vergesse sowohl in der Schule als auch in der Freizeit die Blutzuckermessungen und die richtige Insulinabgabe. Es sei immer wieder zu gefährlichen ketoazidodischen Entgleisungen mit stationärer Krisenintervention gekommen. Die Stoffwechsellage sei seit 2013 anhaltend nicht zufriedenstellend. Sie halte die vorhandenen ambulanten Maßnahmen für ausgeschöpft und eine stationäre Rehamaßnahme in einer auf Diabetes und ADHS spezialisierten Einrichtung für unbedingt erforderlich, um drohende Folgeerkrankungen und die drohende psychische und emotionale Behinderung zu vermeiden. Zudem wurde eine Stellungnahme der Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der AKlinik E R vom 27.03.2017 zu den Akten gereicht. Darin wurde u.a. angegeben, dass der Kläger eine enge Struktur und Kontrolle in einem „neutralen“ Rahmen benötige, d.h. ohne emotionale Bindung zu den Eltern, idealweise in einer Gruppe Gleichaltriger, um die Erkrankung zu akzeptieren und den richtigen Umgang damit zu erlernen. Die ambulanten Maßnahmen seien ausgeschöpft. Man befürworte aufgrund der drohenden Folgeschäden bei unzureichender Blutzuckereinstellung aufgrund mangelnder Krankheitsakzeptanz und mangelnder Eigenverantwortlichkeit (die komorbide ADHS verkompliziere die Krankheitssituation des Klägers) dringend die Unterbringung in der Einrichtung in B.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid 16.05.2017 als unbegründet zurück. Es liege beim Kläger keine Teilhabeeinschränkung vor, so dass er nicht zum Personenkreis des § 53 SGB XII gehöre. Es sei ihm trotz seiner Erkrankung grundsätzlich möglich, am Unterricht teilzunehmen. Von einer Gefährdung der angemessenen Schulbildung könne nicht ausgegangen werden. Nach wie vor sei man bereit, eine Unterstützung in Form einer Assistenzhilfe während des Schulbetriebes und speziell für Klassenausflüge und den bevorstehenden Schullandheimaufenthalt zu prüfen. Die Schule stehe dieser Hilfsform positiv gegenüber. Man sei auch bereit zur Entlastung der Eltern im Rahmen der Eingliederungshilfe die Vermittlung und Übernahme von Restkosten für eine stationäre Kurzzeitunterbringung zu übernehmen.
Am 01.06.2017 ist hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm erhoben worden. Zur Begründung ist vorgetragen worden, dass der Kläger Unterstützung mit dem erforderlichen Diabetes- und Schulmanagement benötige. Mit diesem sei er eigenverantwortlich auch unter Beachtung des häuslichen Umfeldes überfordert und er akzeptiere die notwendigen Maßnahmen auch nicht. Die intensive Betreuung im CJD B sei medizinisch notwendig und zwingend geboten. Ziel der Maßnahme sei es, dass der Kläger die eigenständige Diabetestherapie akzeptiere und der Ausschluss des Klägers aus einem normalen (Schul-) Alltag müsse verhindert werden. Neben dem Ziel der Rehabilitation im CJD B und der guten oder wenigstens befriedigenden Blutzuckereinstellung stelle die Befähigung, den Alltagsanforderungen an einer eigenständigen Lebensführung gerecht zu werden, ein wesentliches Ziel dar. Die begehrte Maßnahme diene auch zur Erlangung einer angemessenen Schullaufbahn.
Der Beklagte ist dem Begehren des Klägers entgegen getreten und hat ausgeführt, dass die begehrte vollstationäre Unterbringung nicht erforderlich sei, um dem Kläger eine angemessene Schulausbildung zu ermöglichen. Die schulische Entwicklung an der Eschule sei bislang gut gewesen und es stünden weitere ambulante Maßnahmen, wie z.B. der Einsatz einer ambulanten Pflegekraft zur Blutzuckermessung während der Schulzeit zur Verfügung.
Das SG hat mit Beschluss vom 14.08.2017 die Krankenkasse - die AOK Baden-Württemberg (im Folgenden die Beigeladene) - zum Verfahren beigeladen.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Die K hat darauf hingewiesen, dass Complianceprobleme wiederholt zu Entgleisungen trotz Insulinpumpe und stationären Aufenthalten geführt hätten.
F in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Oklinikum A, hat mitgeteilt, dass mehrfache Versuche, die Diabetestherapie im schulischen Alltag bzw. in der Freizeit unterstützend zu begleiten, bisher fehlgeschlagen seien. Die Stoffwechsellage habe sich zunehmend verschlechtert. Das bestehende ADHS trage zum Problem der Diabeteseinstellung bei. Die Maßnahmen im ambulanten Bereich seien ausgeschöpft. Sie halte daher eine längerfristige Rehamaßnahme in einer Einrichtung, die auf Diabetes und ADHS spezialisiert sei, für erforderlich. In der Gemeinschaft mit anderen betroffenen Jugendlichen, könne der Kläger lernen, die Anforderungen des Lebens zu meistern.
Ergänzend hat sie mit Schreiben vom 11.01.2018 mitgeteilt, dass sie den Kläger regelmäßig, d.h. etwa alle drei Monate sehe. Die Frequenz der Untersuchung sei in den letzten Jahren beim Kläger deutlich erhöht worden, da mehrfache Entgleisungen vorgelegen hätten, die auch zu stationären Aufenthalten geführt hätten. Sowohl die Eltern als auch sie hätten kaum Unterstützung durch die betreuende Schule feststellen können. Der Schullandheimaufenthalt sei erst durch die Organisation einer medizinischen Hilfsperson durch die Eltern ermöglicht worden. Der Versuch eine ambulante Krankenpflege zur Insulinapplikation zu etablieren sei fehlgeschlagen, weil keine Bereitschaft der umliegenden Krankenpflegeeinrichtungen bestanden habe. Punktuelle und damit zeitlich begrenzte Unterstützungsmaßnahmen wie Visiten einer Familienhelferin, Erziehungshelfer oder eines Krankenpflegedienstes seien im Fall des Klägers wirkungslos, weil dieser eine 24-stündige Betreuung benötige. Die Betreuung/ Überwachung im schulischen Bereich sei notwendig, aber erstrecke sich natürlich auch auf den privaten Bereich außerhalb des schulischen Lebens, da der Kläger auch hier ein Anrecht auf eine Entwicklung vom Kind hin zum eigenverantwortlichen jungen Erwachsenen habe.
Die Einrichtung des CJD B hat auf Nachfrage des SG mitgeteilt, Zweck der begehrten Maßnahme sei es, entsprechend des individuellen Bedarfs eines Kindes eine wesentliche Behinderung oder deren Folgen durch Förder- und Betreuungsangebote beseitigt bzw. zumindest gemildert werden sollten, um dem Kind/ Jugendlichen die Eingliederung in die Gesellschaft sowie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Als Inhalte der medizinisch-schulischen Maßnahme seien u.a. die Verbesserung der Krankheitsbewältigung, die Unterstützung schulischer und berufsvorbereitender Belange, die Förderung sozialer und lebenspraktischer Kompetenzen, die Hinführung zur einer eigenverantwortlichen Lebensführung inkl. selbständiger, altersadäquater Therapiedurchführung, die Verbesserung der schulischen Leistung inkl. das Erreichen eines angemessenen Schulabschlusses genannt worden.
Der Beklagte hat am 31.01.2018 mitgeteilt, dass die Assistenz für den Schullandheimaufenthalt mit Hilfe des Beklagten gefunden worden sei.
Nach einem gemeinsamen Treffen des Beklagten, der behandelnden Ärztin, der Eltern und einem Jugendamtsmitarbeiter am 20.03.2018, bei dem die Situation des Klägers besprochen worden ist, hat der Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag hin mit Bescheid vom 23.03.2018 im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ab dem 09.04.2017 bis vorerst zum Ende des Schuljahres 2017/2018 eine Assistenzhilfe während des Schulbetriebes in Höhe von monatlich 33 Stunden und 10 Minuten pro Woche als Unterstützung zur zuverlässigen Bewältigung des Diabetesmanagements gewährt. Die Hilfe werde vom Malteser Hilfsdienst durchgeführt und die Aufwendungen in Höhe von 22,50 Euro pro Stunde würden direkt mit dem Leistungserbringer abgerechnet.
Der Beklagte hat zudem den Schulbericht der Eschule vom 18.06.2018 vorgelegt. Darin hat die Assistenzhilfe u.a. angegeben, dass der Kläger genervt von seiner Erkrankung sei und wenig Lust habe, die Werte zu messen und die Daten zu dokumentieren. Er müsse an das Messen manchmal erinnert werden, die Dokumentation klappe konsequent nur auf Anweisung. Falls die Werte schlecht seien, könne der Kläger auf direkte Nachfrage angeben, dass er vergessen habe zu „bolen“, oder dass er etwas gegessen habe ohne korrekt zu bolen. Er lüge auf Nachfrage nicht und leide unter den schlechten Werten. Wahrscheinlich sei auch seine AHDS mitverantwortlich für die Zerstreutheit. Die Dokumentation werde von der Assistenzkraft in der Schule konsequent eingefordert, die Werte von zu Hause fehlten oft komplett. Der Kläger sei auch nicht routiniert im Abwiegen der Mahlzeiten in der Mensa. Das Kantinenpersonal sei bemüht, kenne aber auch nicht immer die richtigen Einheiten. Der Kläger werde nach Angaben des Klassenlehrers, aber auch nach der Einschätzung der Assistenzkraft nicht außergewöhnlich geärgert oder gemobbt. Die Mitschüler nähmen die Erkrankung auch ohne besondere Aufmerksamkeit zur Kenntnis. Der Kläger sei ein stiller Mitschüler, welchem seine Mitschüler wenig Aufmerksamkeit schenkten. Diese Stellung in der Klasse beruhe aber nicht im Wesentlichen auf seiner Erkrankung. Die Kooperation mit den Eltern verlaufe gut, die Lehrer seien bemüht und versuchten eine gute Lösung für den Kläger zu finden.
Mit Bescheid vom 28.06.2018 ist vom Beklagten die Assistenzhilfe für den Besuch der Eschule bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019 weiter bewilligt worden.
Auf Nachfrage des SG hat F mit Schreiben vom 02.08.2018 mitgeteilt, dass es 2018 bislang zu drei stationären Aufenthalten gekommen sei, wobei im Februar und Juni schwere Stoffwechselentgleisungen eingetreten seien. Die Situation habe sich nicht gebessert. Es komme trotz der eingesetzten Assistenzkraft zu langen Phasen des Überzuckers während der Schulzeit.
Die Beigeladene hat unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) mitgeteilt, dass zwar die Voraussetzungen der Krankenbehandlung in Form der Messung der Blutzuckerwerte sowie der Insulinabgabe gegeben seien (§§ 27 und 28 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V]). Diese könne vom Arzt als Leistung der häuslichen Krankenpflege verordnet werde. Die Voraussetzungen für die spezielle Krankenbeobachtung (Ziffer 24 der Richtlinie zur häuslichen Krankenpflege), die eine permanente Anwesenheit einer Pflegekraft über den gesamten Versorgungszeitraum voraussetze, liege nicht vor. Die Voraussetzungen für eine Behandlungssicherungspflege nach § 37 SGB V kämen nicht in Betracht.
In einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 19.11.2018 wird hierzu ausgeführt, dass der Kläger unter Erkrankungen leide, die regelmäßig ärztlich behandelt werden müssten. Erkrankungsbedingt benötige der Kläger personelle Unterstützung bei der Bestimmung des Blutzuckers und bei der Applikation der notwendigen Insulineinheiten. Aufgrund der bestehenden Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen sowie Complianceproblemen, sei er nicht in der Lage, die Messungen und Insulingaben selbstständig durchzuführen. Daher lägen die Voraussetzungen für die ärztliche Verordnung von häuslicher Krankenpflege im Rahmen des Schulbesuches vor. Allerdings handle es sich bei den begehrten Maßnahmen wie Information der Lehrer, Mitschüler und Eltern von Klassenkameraden nicht um Maßnahmen der Behandlungssicherungspflege nach § 37 SGB V. Somit lägen auch nicht die Voraussetzungen der speziellen Krankenbeobachtung gemäß Ziffer 24 der Richtlinie der häuslichen Krankenpflege vor.
Infolge einer Inobhutnahme durch das Jugendamt E befand sich der Kläger seit dem 12.12.2018 im CJD B. Die Kosten hierfür hat das Jugendamt bis zum 10.01.2019 übernommen.
Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 11.01.2019 dazu verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 28.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2017 die Kosten für die vollstationäre Unterbringung im CJD Diabeteszentrum B ab dem 11.01.2019 bis zum Schuljahresende 2018/2019 zu übernehmen. Streitgegenstand sei nur noch der Zeitraum ab dem 11.01.2019 bis zum Ablauf des Schuljahres 2018/2019, da der Kläger seinen Antrag entsprechend im Termin zur mündlichen Verhandlung angepasst habe. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten habe sich nicht auf das Schuljahr 2017/2018 beschränkt, da der Streitgegenstand durch das neue Schuljahr keine Zäsur erfahre. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Übernahme der Kosten für den Besuch des CJD sei § 19 Abs. 3 i.V.m. § 53 Abs. 1, § 54 SGB XII und § 12 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung nach § 60 SGB XII - Eingliederungshilfe-Verordnung - (EinglH-VO), § 55 Abs. 1 Nr. 7 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) (in der Fassung am 31.12.2017) bzw. § 76 AGB IX i.V.m. § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII. Die Zuständigkeit des Beklagten ergebe sich unabhängig von der materiell-rechtlichen Zuständigkeit aus § 14 SGB IX, da der Beklagte als Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX den am 30.01.2017 bei ihm eingegangenen Teilhabeantrag (§§ 4, 5 SGB IX) auf Eingliederungshilfe nicht weitergeleitet habe. Unabhängig davon lägen aber die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe vor. Beim Kläger liege aufgrund der Diabeteserkrankung und des mangelhaften Diabetesmanagements und den damit verbundenen drohenden Folgeschäden zumindest eine drohende körperliche Behinderung vor. Der Kläger sei nicht in der Lage verantwortungsvoll mit seiner Erkrankung umzugehen. Gerade die körperliche Komponente mit potentiell permanenter Gefährdung von Leib oder Leben resultiere aus der körperlichen Behinderung des Klägers. Ziel der Eingliederungsmaßnahme sei es, die Krankheitsakzeptanz und das Krankheitsverständnis die Verhaltensänderung und Verbesserung des Diabetes-Managements. So solle die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sichergestellt und Ausgrenzung reduziert werden. Weiter stelle sie eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung, um dem Kläger den Schulbesuch zu ermöglich bzw. zu erleichtern bzw. ihm im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen, dar. Die vom Kläger beanspruchte Eingliederungshilfe sei auch erforderlich und erfolgversprechend. Trotz Schulungen und der ihn während der Schulzeit begleitenden Assistenten sei die Stoffwechsellage nach wie vor nicht stabil, wodurch stationäre Aufenthalte notwendig geworden seien. Auch wenn während der Schulzeit keine Blutzuckerentgleisungen mehr festgestellt werden konnten, so zeige sich außerhalb der Schulzeiten ein Hilfebedarf. Auch die durchgeführten weiteren Schulungen wie der Aufenthalt in der D Klinik M hätten keine wesentliche Besserung gebracht. Die ambulanten Maßnahmen seien ausgeschöpft, daher sei der Kläger aufgrund einer Kindeswohlgefährdung auch am 12.12.2018 vom Jugendamt in Obhut genommen worden.
Am 28.02.2019 hat der Beklagte Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Die Voraussetzungen der §§ 53, 54 SGB XII resp. § 76 SGB IX lägen nicht vor. Es läge keine Teilhabeeinschränkung vor. Auch sei der Beklagte nur als erstangegangener Träger zu verurteilen, da vorrangig die Beigeladene Kostenträger sei. Der Kläger könne mit Assistenz an Freizeitprogrammen teilnehmen. Auch die Teilnahme am Unterricht sei aufgrund weniger Fehltage wegen Krankheit gegeben. Der Schulabschluss könne vom Kläger gut erlangt werden. Bislang sei auch noch nicht ausreichend ermittelt, wie oft der Kläger tatsächlich nicht am Schulsport habe teilnehmen können und ob dies hauptsächlich am Blutzucker gelegen habe. Warum der Beigeladene nicht nach § 37 SGB V zuständig sein solle, erschließe sich nicht. Die Krankenbeobachtung sei notwendig, wenn der Zustand des Leistungsberechtigten jederzeit in einen lebensbedrohlichen Zustand umschlagen könne.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Januar 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass beim Kläger eine drohende körperliche Behinderung vorliege, die die beantragte Unterbringung im CJD Diabeteszentrum B bedinge. Diese Unterbringung sei als Eingliederungshilfe zu gewähren. Man verweise im Übrigen auf die Gründe des angefochtenen Urteils.
Mit Bescheid vom 03.05.2019 hat der Beklagte die Entscheidung des SG umgesetzt und die Kosten für die Unterbringung des Klägers im CJD B (stationär, Wohnen) Intensivgruppe vom 11.01.2019 bis zum Ablauf des Schuljahres 2018/2019 in Ausführung der Entscheidung des SG vorbehaltlich eines rechtskräftigen Urteils übernommen. Die Vergütung werde direkt an die Einrichtung überwiesen. Der Kostenbeitrag für ersparte Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt werde nach abgeschlossener Einkommensprüfung in einem separaten Bescheid festgesetzt.
Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 17.10.2019 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt. Hier ist u.a. mitgeteilt worden, dass der Kläger zunächst bis Ende Juli 2019 in der Einrichtung in B gewesen sei. Nachdem die Werte sich über die Ferien wieder verschlechtert hätten, befinde er sich seit dem 19.09.2019 wieder in der Einrichtung. Auch hierfür habe der Beklagte vorläufig die Kosten übernommen.
Im Anschluss hat der Beklagte den ärztliche Zwischenbericht des CJD B vom 15.07.2019, bestehend aus einem ärztlichen Bericht über den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers sowie ein pädagogisch/psychologischer Bericht zur Entwicklung und schulischen Sicht vorgelegt. Die behandelnden Ärzte haben u.a. angegeben, dass die Werte des Klägers sich inzwischen in einem guten Bereich befänden. Er benötige aber nach wie vor vorgegebene Strukturen. So finde weiterhin eine Begleitung bei der Frühstücksmessung, der Abendbrotmessung und der Spätmessung statt. Die übrigen Therapieschritte erfülle der Kläger inzwischen selbständig. In der Feriensituation zu Hause könne er das verbesserte Management jedoch noch nicht umsetzen. Je länger die Ferien dauerten, umso mehr Hyperglykämien träten auf, der Katheterwechsel erfolge nicht regelmäßig. Somit bestehe leider weiterhin die Gefahr ketoazidiotischer Entgleisungen im häuslichen Bereich. Aufgrund der behinderungsbedingten Schwere der Erkrankung sei weiterhin die Notwendigkeit der Intensivbetreuung gegeben. Im pädagogischen Zwischenbericht ist u.a. angegeben worden, dass der Kläger sich derzeit in der achten Klasse der Mittelschule befinde und seine Noten sich um gut-durchschnittlichen Bereich befänden. Durch die intensive diabetologische Betreuung seitens der Schwestern und Ärzte sowie die umfassende Begleitung bei der Diabetestherapie im Alltag durch die pädagogischen Mitarbeiter sei eine allmähliche Verbesserung im Diabetesmanagement erreicht worden. Man sehe aber weiterhin den Bedarf für einen weiteren Aufenthalt in der Einrichtung.
Der Senat hat zudem die behandelnde F, Oberärztin in der Kinder- und Jugendmedizin des Oklinikums A, als sachverständige Zeugin befragt. Diese hat in ihrer Aussage vom 21.11.2019 mitgeteilt, dass es im Zeitraum November 2017 bis November 2018 insgesamt zu sechs stationären Aufenthalten gekommen sei, wobei im Februar und Juni 2018 schwere Stoffwechselentgleisungen eingetreten seien. Es habe Handlungsbedarf bestanden. Der Kläger habe zwar eine Assistenzkraft für die Schulzeit erhalten, dennoch hätten sich auch während der Schulzeit lange Phasen mit Überzucker gezeigt. Die Blutzuckereinstellung habe sich seit der Aufnahme in B rasch derart verbessert, wie man es trotz engmaschiger ambulanter und stationärer Betreuung zuvor nicht habe erreichen können. Auch habe sich der Kläger positiv entwickelt. Man habe zunächst erwogen, dass der Kläger ab den Sommerferien 2019 wieder nach Hause ziehen solle. Nachdem sich die Stoffwechsellage (viel zu hohe Blutzuckerwerte) aber bereits in der vierten Woche der Sommerferien massiv verschlechtert habe, habe man rasch entschieden, dass der Kläger auch nach den Sommerferien wieder nach B ziehen solle.
Die Beigeladene hat am 13.12.2019 mitgeteilt, dass man keine interne Einigung habe erzielen können, da nicht erkennbar sei, welche konkreten Leistungen der häuslichen Krankenpflege während des Aufenthaltes im CJD B erbracht worden seien. Die Kosten der Eingliederungshilfe enthielten keine medizinischen und ärztlichen Leistungen. Die ambulanten ärztlichen Leistungen würden bereits direkt mit der Krankenkasse abgerechnet.
Der Beklagte hat hierzu ausgeführt, dass die Unterbringung des Klägers nicht an der behaupteten Teilhabeeinschränkung bzgl. des Sportunterrichts ansetze. Vielmehr solle der Kläger befähigt werden, mit seinem schwer einstellbaren Diabetes umzugehen. Hierauf sei der Aufenthalt des Klägers im Internat in B ausgerichtet. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme es für die Abgrenzung von medizinischer und sozialer Rehabilitation darauf an, ob die Therapie direkt an der Behandlung der behinderungsbedingten Störung ansetze oder unmittelbar die sozialen Folgen der Behinderung beseitigen bzw. mindern solle. Man rege daher an, dass der Beklagte 1/5 und die Beigeladene 4/5 der Kosten der Internatsunterbringung trage.
Die Beigeladene teilte mit, dass eine solche Einigung hier nicht in Betracht komme.
Der Senat hat weiter den ärztlichen Direktor des CJD B S als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat am 24.06.2020 mitgeteilt, dass der Kläger nach wie vor in der Einrichtung untergebracht sei. Aufgrund der nach wie vor unzureichenden selbständigen Diabetesbehandlung, sei ab Herbst eine berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme in Trägerschaft der Agentur für Arbeit geplant. Jugendliche seien in der Regel zwei bis drei Jahre bei ihnen untergebracht. Die Aufnahme des Klägers sei erfolgt, da trotz verschiedener ambulanter und stationärer Maßnahmen es wiederholt zu lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisungen gekommen sei. Krankenhaus und Rehabilitationsaufenthalte hätten zu einer massiven Einschränkung in der Teilhabe, insbesondere zu hohen Schulfehlzeiten geführt. Zudem seien bereits in der ersten Klasse die Diagnosen Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung gestellt worden. Die typsichen Symptome eines ADHS mit Impulsivität, Unkonzentriertheit und reduzierter Aufmerksamkeitsspanne stünden in deutlichem Widerspruch zur Notwendigkeit der Therapie bei Diabetes mellitus Typ 1. Jede Nahrungsaufnahme und jede körperliche Aktivität machten ein überlegtes Handeln notwendig. Ziel der Betreuung in der Einrichtung sei es, den HbA1c-Wert auf einem guten, zumindest aber stabilen (dh unter 9 %) Niveau zu halten bei möglichst altersangepasster selbständiger Therapiedurchführung. Aufgrund der Corona-Pandemie habe sich der Kläger vom 18.03.2020 bis 19.04.2020 in häuslichem Umfeld befunden. Dort sei der HbA1c-Wert wieder von 8,3 % auf 11,1 % angestiegen, was zeige, dass der Kläger keine ausreichende altersangepasste Managmentkompetenz habe. Dies sei auch durch die ausgeprägte ADHS zu erklären. Diese ungünstige Kombination zwischen ADHS mit schwer einstellbarem Diabetes mellitus Typ 1 sei sicherlich die Hauptursache für die mangelnde Diabeteseinstellung. Zudem stelle das Autonomiestreben in der Pubertät eine weitere Belastung dar. Nach den Vorgaben der Bayrischen Landesregierung handle es sich bei der bei ihnen durchgeführten Maßnahme um eine Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (Wohnen mit Tagesbetreuung für körperlich behinderte Kinder und Jugendliche, Leistungstyp WT-KJ-K). Die Kosten würden in der Regel für die Schulungsmaßnahme vom Kultusministerium, für die ärztliche Betreuung von den Krankenkassen und für die Maßnahme WT-KJ-K vom Eingliederungshilfeträger getragen. Nur bei deutlich im Vordergrund stehender seelischer Belastung bzw. drohender seelischer Behinderung liege die Kostenträgerschaft beim Jugendamt (SGB VIII).
Die beigeladene Krankenkasse hat hierzu ausgeführt, dass es sich beim CJD B um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe bzw. schulischen Einrichtung handle. Es sei weder ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus noch um einen stationäre Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V bestehe. Ergänzend ist mit Schreiben vom 31.07.2020 mitgeteilt worden, dass man im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten die Kosten der notwendigen Krankenhausbehandlung, der stationären Rehabilitationsleistungen und der ambulanten ärztlichen Versorgung beim Kläger in der Vergangenheit übernommen habe. Die ärztliche Versorgung sei auch im Rahmen des Aufenthaltes im CJD B durch die dortigen zur kassenärztlichen Versorgung ermächtigten Ärzte sichergestellt gewesen. Für eine weitergehende Kostenbeteiligung fehle es an der gesetzlichen Grundlage. Insbesondere die Schulbildung sei nicht Aufgabe der Krankenkassen.
Der Beklagte hat am 21.08.2020 mitgeteilt, dass der Kläger am 24.07.2020 aus dem CJD B entlassen worden sei. Man gehe zudem weiter davon aus, dass die Unterbringung des Klägers im CJD B nicht aufgrund der Teilhabeeinschränkung erfolgt sei, sondern aufgrund seines nicht einzustellenden Diabetes. Der Schulabschluss des Klägers sei nicht gefährdet gewesen. Zuvor sei es bei einer Klassenfahrt nicht zu einer Entgleisung des Diabetes gekommen. Eine Freizeit-Assistenz sei dem Kläger angeboten worden. Im Vordergrund der Behandlung habe die Kontrolle des Diabetes gestanden.
Es sind zudem der Pädagogische Zwischenbericht vom 28.05.2020, der ärztliche Zwischenbericht vom 26.06.2020 sowie Pädagogische Abschlussbericht vom 19.07.2020 vorgelegt worden.
Im Pädagogischen Zwischenbericht vom 28.05.2020 ist berichtet worden, dass in der Zeit, die der Kläger (cornoabedingt) zu Haus verbracht habe, sehr schwankende Blutzuckerwerte mit teils gesundheitsgefährdendem Ausmaß beobachtet worden seien. Dies sei ein Resultat von unzureichender Insulintherapie bei unbeaufsichtigten Mahlzeiten gewesen. Der Kläger selbst führe dies auch auf äußere Stressfaktoren im Zusammenhang mit seiner Familie zurück. Die Eltern sähen als wesentlichen Grund die ADHS und die damit verbundene Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwäche. Der Kläger besuche die 9. Klasse der Mittelschule, seine Leistungen lägen im durchschnittlichen Bereich. Es erscheine fraglich, ob der Kläger den qualifizierenden Hauptschulabschluss erreiche. Als Alternative zu einer Berufsausbildung oder dem Besuch der Stufe M 10 komme auch eine Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB) in Betracht. Man beobachte ferner beim Kläger ein nicht seinem biologischen Alter entsprechendes Sozialverhalten, insbesondere in Konfliktsituationen. Dies äußere sich in Wutausbrüchen oder Schreien, oder dem Entziehen aus der Situation. Der Kläger falle es zudem schwer auf andere zuzugehen und Freundschaften zu bilden bzw. diese auch zu halten. Es bestehe zudem eine sehr enge, nicht mehr altersgemäße Bindung an die Mutter. Der Kontakt zum Vater sei problem- und konfliktbehaftet.
Im ärztlichen Zwischenbericht ist u.a. ausgeführt worden, dass der Kläger seit 2005 an Diabetes mellitus Typ 1 leide. Unter den Strukturen der Einrichtung und der interdisziplinären Betreuung habe das Diabetesmanagement in der Einrichtung deutlich gebessert werden können. Es sei keine chronische Entgleisung des Diabetes mehr gegeben gewesen, auch seien keine Akutkomplikationen mehr aufgetaucht. Aufgrund der bestehenden Komorbidität des ADHS und den häuslichen psychosozialen Bedingungen könne dieses Management noch nicht in den häuslichen Alltag übertragen werden. Während des (pandemiebedingten) Aufenthaltes zu Hause vom 17.03.2020 bis 20.04.2020 sei es zu einer deutlichen Verschlechterung des HbA1c-Wertes gekommen. Die Fortführung der Eingliederungshilfe und Intensivbetreuung sei daher aus ärztlicher Sicht dringend notwendig.
Im Pädagogischen Abschlussbericht vom 19.07.2020 wird zunächst wiederholt, dass das Diabetesmanagement zu Hause nicht im selben Maße wie in der Einrichtung funktioniere. In den letzten Ferien habe sich eine deutliche Verbesserung des Diabetesmanagements feststellen lassen durch die Reduktion von Stress. Die Schulnoten hätten sich im durchschnittlichen Bereich befunden. Der Kläger habe den qualifizierenden Hauptschulabschluss zunächst verfehlt, durch die Nachprüfung aber dennoch erreichen können. Derzeit werde eine berufsvorbereitende Maßnahme in der Einrichtung angestrebt. Das Sozialverhalten ist als unverändert beschrieben worden. Man befürworte einen weiteren Aufenthalt in der Einrichtung, allerdings einen Wechsel in die BvB.
Am 03.12.2020 hat das Jugendamt des Beklagten mitgeteilt, dass die Familie von Februar 2011 bis August 2012 über die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) gem. § 31 Sozialgesetzbuch achtes Buch (SGB VIII) betreut worden sei. Grund hierfür seien innerfamiliäre Beziehungsstörungen und damit einhergehende Schwierigkeiten in den alltäglichen Abläufen gewesen. Die Maßnahme sei erfolgreich abgeschlossen worden. Vom 02.07.2018 bis 11.12.2018 habe die Familie ebenfalls SPFH erhalten, um das Krankheitsmanagement des Klägers zu unterstützten. Parallel dazu sei eine Schulassistenz über den Bereich Soziales finanziert worden. Beide Maßnahmen hätten allerdings nicht den erhofften Erfolg gebracht, da weiterhin bedrohliche Zuckerentgleisungen hätten festgestellt werden müssen. Der Kläger sei daraufhin am 12.12.2018 in Obhut im CJD B genommen worden. Diese habe mit Urteil des SG Ulm vom 11.01.2019 geendet.
Die Eltern seien erziehungskompetent und auch in der Lage, die krankheitsbedingten Bedarfe ihres Sohnes zu erkennen. Die Umsetzung der aus der Körperbehinderung resultierenden erforderlichen Maßnahmen sei den Eltern nicht oder nur zum Teil möglich gewesen, was nicht an den Unzulänglichkeiten der Eltern, sondern an den Compliance-Problemen des Klägers gelegen habe. Die ADHS spiele hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Der Kläger negiere vielmehr (un-)bewusst seine Erkrankung. Die Bearbeitung von mit körperlichen Erkrankungen/ Behinderungen begründeten Begleiterscheinungen und die diesbezügliche Kontrolle falle nicht unter die Aufgaben der Jugendhilfe.
Zuletzt hat der Beklagte mitgeteilt, dass im streitgegenständlichen Zeitraum vom 11.01.2019 bis Ende Juli 2019 Kosten in Höhe von insgesamt 46.785,02 Euro (insgesamt für die Unterbringung bis Juli 2021 126.025,10 Euro) entstanden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat den Beklagten unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide zu Recht verurteilt, die Kosten für die vollstationäre Unterbringung des Klägers im CJD Diabeteszentrum B ab dem 11.01.2019 bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019 zu übernehmen.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist auch allein dieser Zeitraum, auch wenn der Aufenthalt des Klägers in das nächste Schuljahr verlängert wurde, da der Kläger durch seinen Antrag beim SG den Streitgegenstand auf die Zeit bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019 begrenzt hat. Für die Unterbringung des Klägers sind für diesen Zeitraum insgesamt 46.785,02 Euro angefallen, die der Beklagte bislang nur vorläufig übernommen hat.
Rechtsgrundlage für den vom der Kläger geltend gemachten Anspruch ist § 15 Abs 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (aF). Da die §§ 14 bis 24 SGB IX idF des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) lediglich für solche Anträge gelten, die seit dem Inkrafttreten dieser Regelungen am 01.01.2018 gestellt wurden (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27.04.2021 – L 11 KR 2082/19 –, juris Rn. 35 - 38, mit Verweis auf BSG 15.03.2018, B 3 KR 18/17 R, BSGE 125, 198, juris Rn 45 mwN), finden auf den im Jahr 2017 gestellten Antrag des Klägers noch die Regelungen der §§ 14 ff SGB IX aF Anwendung. § 15 SGB IX aF normiert trägerübergreifend Kostenerstattungsansprüche für selbstbeschaffte Teilhabeleistungen. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass sich die Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation abweichend von der Selbstbeschaffung anderer Leistungen nach dem SGB IX richtet (BSG 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr 7, Rn 26 unter Hinweis auf BT-Drucks 14/5074 S 117 zu Nr 7 Buchst b). Von den in § 15 Abs 1 Satz 1 bis 3 und Satz 4 SGB IX aF geregelten drei unterschiedlichen Tatbeständen, die zur Kostenerstattungspflicht führen können, kommt nur die in Satz 4 aufgeführte zweite Alternative als Grundlage des streitigen Anspruchs des Klägers in Betracht. Nach dieser Vorschrift besteht eine Erstattungspflicht, wenn der Leistungsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
Erstattungspflichtig nach dieser Norm ist der zuständige Leistungsträger. Dies ist im vorliegenden Fall der beklagte Landkreis. Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, ergibt sich die Zuständigkeit des Beklagten zur Leistungserbringung hier aus § 14 SGB IX. Denn nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX hat der mit einem Rehabilitationsantrag angegangene Rehabilitationsträger nach einer Prüfung seiner Zuständigkeit bei deren Fehlen den Antrag unverzüglich an den zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten. Tut er dies nicht, wird er als sog "erstangegangener" Rehabilitationsträger selbst umfassend für die erforderlichen Rehabilitationsleistungen zuständig und hat diese Leistungen zu erbringen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). So lag der Fall hier, denn der Beklagte hat als erstangegangener Träger den bei ihm am 30.01.2017 eingegangenen Teilhabeantrag (§ 4,5 SGB IX) auf Eingliederungshilfe nicht innerhalb von zwei Wochen weitergeleitet, so dass er als erstangegangener Träger auch für die Kostenerstattung zuständig bleibt.
Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Unterbringung im CJD B auch zu Unrecht im streitgegenständlichen Bescheid abgelehnt. Der Kläger hat gegen den Beklagten als erstgegangenen Träger einen Anspruch auf Übernahme der Kosten in Höhe von 47.022,39 Euro für die Zeit vom 11.01.2019 bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019.
Anders als SG angenommen hat handelt es sich hier aber nicht um einen Anspruch auf Eingliederungsleistungen nach dem SGB XII (vgl. §§ 53 ff. SGB XII), denn der Senat konnte sich nicht vom Vorliegen einer wesentlichen körperlichen Behinderung beim Kläger überzeugen.
Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis 01.01.2018 gültigen Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Von einer Behinderung bedroht sind nach § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Nach Satz 2 gilt dies für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Der Anspruch besteht dann auf die in § 54 SGB XII i.V.m. den dort in Bezug genommenen Vorschriften des SGB IX beschriebenen Leistungen.
Der Personenkreis der behinderten Menschen wird in §§ 1-3 EinglHV konkretisiert. Beim Kläger lag aber im streitigen Zeitraum, anders als vom SG ausgeführt, keine körperlich wesentliche Behinderung nach § 1 EinglHV vor. Die dort aufgeführten körperlichen Gebrechen lagen beim Kläger nicht vor, insbesondere war er weder in seiner Bewegungsfähigkeit durch eine Beeinträchtigung des Stütz- oder Bewegungssystems in erheblichem Umfang eingeschränkt (§ 1 Nr. 1 EinglHV), noch war sein körperliches Leistungsvermögen infolge Erkrankung, Schädigung oder Fehlfunktion eines inneren Organs oder der Haut in erheblichem Umfang eingeschränkt (§ 1 Nr. 3 EinglHV). Zwar kann eine Diabetes mellitus Typ I-Erkrankung als eine Fehlfunktion eines inneren Organs angesehen werden. Ein in erheblichem Umfang eingeschränktes körperliches Leistungsvermögen des Klägers lag jedoch nicht vor. Denn anders als Kleinkinder, die ohne Unterstützung Erwachsener ihre Diabeteserkrankung nicht beobachten und behandeln können, war der Kläger hierzu grundsätzlich in der Lage. Unbeachtlich ist, dass Kläger im Zustand der wiederholt aufgetretenen Ketoazidosen in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen ist. Denn dabei handelte es sich um akute Krankheitszustände, die keine länger als sechs Monate anhaltende körperliche Funktionseinschränkung und damit keine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX darstellten. Den vorliegenden medizinischen Berichten sind Hinweise für eine unabhängig von den Ketoazidosen bestehende dauerhafte Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit nicht zu entnehmen. Insbesondere bestand nach dem Bericht der Einrichtung in B bei Aufnahme ein stabiler Allgemeinzustand und regelrechter Ernährungszustand. Auch im Bericht über den stationären Aufenthalt des Klägers aufgrund einer Blutzuckerentgleisung vom 27.09.2018 bis 29.09.2018 wird ein stabiler Allgemeinzustand und ein guter Ernährungszustand beschrieben. Auch in den darüber hinaus vorliegenden Berichten sind keine Befunde, die Anhaltspunkte für das Vorliegen einer eingeschränkten körperlichen Leistungsfähigkeit bieten würden, beschrieben. Soweit im Bericht über den stationären Aufenthalt vom 12.02.2018 bis 23.02.2018 ein schlechter Allgemeinzustand beschrieben wird, bietet auch dies keinen Hinweis für eine anhaltende Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Denn hier erfolgte die stationäre Einweisung mit kurzzeitigem Aufenthalt auf der Intensivstation aufgrund einer akuten erneuten Blutzuckerentgleisung. Bereits einen Tag nach der Aufnahme wurde ein stabiler Allgemeinzustand erreicht und der Kläger konnte auf die Normalstation verlegt werden.
Der Senat kann entgegen der Auffassung des SG auch nicht feststellen, dass der Kläger von einer körperlich wesentlichen Behinderung (§ 53 Abs. 2 SGB XII) bedroht gewesen wäre. Allein aufgrund der Erkrankung des Klägers an Diabetes mellitus Typ I ist eine drohende wesentliche Behinderung nicht erkennbar, da es sich bei einer Erkrankung an Diabetes mellitus Typ I nicht um eine regelmäßig progrediente Erkrankung handelt, die eine Verschlechterung von Beeinträchtigungen als wahrscheinlich erwarten lässt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7.11.2019 – L 7 SO 1832/18 –, juris mit Verweis auf LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24.04.2017 – L 8 SO 50/16 B ER – juris Rdnr. 49). Kann ein an Diabetes mellitus Typ I erkrankter Jugendlicher seine Erkrankung ohne Unterstützung Erwachsener beobachten und behandeln, liegt keine wesentliche körperliche Behinderung vor. Behandelt der Jugendliche seine Diabetes-Erkrankung nicht entsprechend dem Therapieplan, ist hierdurch auch nicht die Annahme gerechtfertigt, dass eine wesentliche körperliche Behinderung droht (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.)
Der Diabetes mellitus Typ I des Klägers war grundsätzlich gut einstellbar, was der Senat ebenfalls den vorliegenden medizinischen Berichten entnimmt. So wird bereits im Bericht des Oklinikums über den Aufenthalt vom 22.11.2017 bis 29.11.2017 beschrieben, dass im kontrollierten stationären Bereich die Blutzuckerwerte im Zielbereich gelegen hätten. Der Kläger habe unter Aufsicht das Diabetes-Management meistern können. Ähnliches wird im Bericht über den stationären Aufenthalt vom 10.12.2017 bis 17.12.2017 und im Bericht über den stationären Aufenthalt vom 27.09.2018 bis 29.09.2018 berichtet, wonach unter Begleitung (d. h. wenn er daran erinnert wurde), das Diabetesmanagement beherrscht wurde. Auch im Protokoll „Bewertungsteam Kindeswohlgefährdung“ vom 28.02.2018, ausgefüllt durch die behandelnde Kinder- und Jugendmedizinerin F und die M, wurde angegeben, dass sowohl beim Kläger als auch den Eltern das theoretische Wissen des Diabetesmanagements vorhanden sei. Es fehle aber aufgrund der beim Kläger zusätzlich bestehenden ADHS das Unvermögen die erforderlichen Therapiemaßnahmen konsequent und zuverlässig durchzuführen. Gleiches ergibt sich aus der vom Senat eingeholten sachverständigen Zeugenaussage des Ärztlichen Direktors des Fachbereichs Gesundheit und Reha am CJD B S. Dieser am 09.07.2020 u.a. erklärt hat, dass der Kläger im strukturierten Setting der Einrichtung zufriedenstellende Blutzuckerwerte habe erreichen und halten können. Bestätigt wird dies letztlich durch die im Ärztlichen Zwischenbericht vom 26.06.2020 gestellte Diagnose „Diabetes Typ 1 ohne Komplikationen“. Eine aufgrund der körperlichen Erkrankung schwierige Einstellung des Diabetes ergibt sich aus alledem gerade nicht.
Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei Befolgung der verordneten Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine körperliche Behinderung zu erwarten gewesen wäre. Die immer wieder aufgetretenen Ketoazidosen waren ausweislich der Arztberichte jeweils durch die mangelnde Therapiecompliance bedingt und sind immer nur von kurzer Dauer gewesen. Vom die Gewährung von Eingliederungshilfe rechtfertigenden Drohen einer körperlich wesentlichen Behinderung kann jedoch nicht ausgegangen werden, wenn diese voraussichtlich durch ein Verhalten des Anspruchstellers mit entsprechenden medizinischen Auswirkungen herbeigeführt werden wird. Insoweit kann schon von einer hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Behinderung keine Rede sein, da – bei Anwendung der erforderlichen medizinischen Therapie – mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt einer körperlichen Behinderung vermieden werden kann. Im Übrigen liegt der Zweck der Eingliederungshilfe nicht in der medizinischen Krankenbehandlung. Insofern stellt auch § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB XII klar, dass von einer drohenden Behinderung nur auszugehen ist, wenn auch bei Durchführung vorbeugender Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit eine Behinderung einzutreten droht. Im Übrigen könnte auch die Notwendigkeit von Eingliederungsleistungen nicht festgestellt werden, wenn der Eintritt einer körperlich wesentlichen Behinderung bereits durch einfache Krankenbehandlung vermieden werden kann (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, a.a.O., juris Rn. 55).
Für das Vorliegen einer geistig wesentlichen Behinderung beim Kläger, die nach § 2 EinglHV eine Schwäche der geistigen Kräfte voraussetzt, bestehen keine Anhaltspunkte.
Festzustellen ist allerdings das Vorliegen einer seelisch wesentlichen Behinderung. Nach § 3 EinglHV sind seelische Störungen, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Absatz 1 Satz 1 SGB XII zur Folge haben können, unter anderem körperlich nicht begründbare Psychosen (Nr. 1), seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen (Nr. 3), sowie Neurosen und Persönlichkeitsstörungen (Nr. 4).
Hierunter fällt auch die beim Kläger bestehende und zwischen den Beteiligten auch unstreitig bestehende ADHS. Diese hat, unter Berücksichtigung des einem beim Kläger vorliegenden, nicht seinem biologischen Alter entsprechenden Sozialverhalten, insbesondere in Konfliktsituationen, sowie dem aufgrund der Pubertät bestehenden Autonomiebestreben, letztlich zur Folge, dass der Kläger nicht in der Lage ist, das Diabetesmanagement, so wie er es eigentlich könnte und müsste, durchführt. Der Ärztliche Direktor S sieht deshalb in der ungünstigen Kombination mit der ADHS die Hauptursache für die mangelnde Diabeteseinstellung.
Entgegen den Ausführungen des Beklagten ergibt sich hieraus aber keine (vorrangige) Leistungsverpflichtung nach den Vorschriften des SGB V und damit letztlich der beigeladenen Krankenkasse.
Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB V erbringen die Krankenkassen zwar Leistungen der stationären Rehabilitation, um die in § 11 Abs. 2 beschriebenen Ziele zu erreichen, wenn eine Maßnahme der ambulanten Krankenbehandlung bzw. ambulanten Rehabilitation nicht ausreicht. Diese Leistung setzt aber weiter voraus, dass die Maßnahme in einer nach § 37 Absatz 3 SGB IX zertifizierten Rehabilitationseinrichtung stattfindet, mit der ein Vertrag nach § 111 besteht (Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 40 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 75). Einen solchen Vertrag haben aber das CJD B und die beigeladene Krankenkasse des Klägers nicht abgeschlossen. Anders als im Rahmen von stationären Krankenhausbehandlungen, was hier aber unstreitig nicht vorliegt, da nicht diagnostische und therapeutische Maßnahmen im Vordergrund standen (vgl. zur Abgrenzung stationäre medizinische Rehabilitation und stationäre Krankenbehandlung ausführlich LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2013, - L 11 KR 3897/11 –juris, Rn. 27 ff.), gilt die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V, wonach die beantragte Leistung als genehmigt gilt, wenn die Krankenkasse nicht innerhalb einer bestimmten Frist über den Antrag entscheidet, und die Versicherten dann die Kosten für die selbstbeschaffte Leistung ersetzt verlangen können, im Bereich der medizinischen Rehabilitation nach Krankenversicherungsrecht nicht. Insoweit wird auf die Regelungen der §§ 14 ff. SGB IX verwiesen (vgl. § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V). Die ähnlich wie in § 13 SGB V geregelte „Genehmigungsfiktion“ des § 18 SGB IX scheidet vorliegend aber bereits deshalb aus, da die dortige Frist von zwei Monaten eingehalten wurde (Antragstellung am 26.01.2017, ablehnender Bescheid des Beklagten vom 28.02.2017).
Es ist dem Beklagten zudem weiter dahingehend Recht zu geben, dass die Abgrenzung zwischen medizinischer, beruflicher und sozialer Rehabilitation einschließlich der Eingliederungshilfe für Kinder, Jugendliche und junge Volljährige nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen erfolgt; entscheidend ist vielmehr der Leistungszweck (BSG, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 19/08 R -, SozR 4-3500 § 34 Nr. 6, juris Rn. 21 <Petö-Therapie>, BSG, Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 15/11 R -, SozR 4-3500 § 92 Nr. 1, juris Rn. 18, <Einbau eines Personenaufzugs>; BSG, Urteil vom 30.06.2016 - B 8 SO 7/15 R -, juris Rn. 19, <Ambulantes betreutes Wohnen>; BSG, Urteil vom 6.12.2018 - B 8 SO 7/17 R - juris Rn. 19, <Schulisches Nachmittagsangebot>; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.06.2018 - L 7/12 AL 46/16 -, juris Rn. 26, <Autismus-Therapie>). Es muss daher geprüft werden, ob die Therapie direkt an der Behandlung der behinderungsbedingten Störung ansetzt oder unmittelbar die sozialen Folgen einer Behinderung beseitigen bzw. mildern soll. Lediglich mittelbar verfolgte Zwecke und Ziele bleiben außer Betracht (vgl. hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 28.08.2018 – B 8 SO 5/17 R –, juris). Aber auch unter Anwendung dieses Grundsatzes ergibt sich vorliegend keine vorrangige Leistungspflicht der Beigeladenen. Denn wie bereits ausgeführt ist maßgebliche Erkrankung vorliegend nicht der Diabetes, da dieser bei entsprechender Compliance des Klägers und Befolgung des Therapieplanes gut einstellbar wäre und keine relevanten Einschränkungen vorhanden sein dürften. Die vorliegende Maßnahme war beim Kläger vorliegend daher gerade nicht (vorrangig) auf die Behandlung der Krankheit Diabetes als solcher gerichtet, sondern vielmehr sollten die unmittelbaren sozialen Folgen der bestehenden ADHS, nämlich die Unfähigkeit eines altersgerechten Diabetesmanagements, ausgeglichen werden.
Aufgrund des Vorliegens einer wesentlichen seelischen Behinderung wären die Voraussetzungen für die Erbringung von Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 SGB XII gegeben. Insoweit war die Leistungspflicht des Beklagten nach den Vorschriften des SGB XII jedoch nachrangig gegenüber der Leistungspflicht nach dem SGB VIII. Das Verhältnis des Jugendhilferechts zum Sozialhilferecht wird in § 10 Abs. 4 SGB VIII bestimmt. Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gehen grundsätzlich Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII vor. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII sieht von diesem Grundsatz zwar eine Ausnahme vor. Danach gehen u.a. Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII: wer noch nicht 27 Jahre alt ist), die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vor. Eine körperliche oder geistige Behinderung konnte beim Kläger jedoch, wie ausgeführt, nicht festgestellt werden. Für die bestehende seelische Behinderung bleibt es danach bei der Leistungspflicht nach dem Jugendhilferecht.
Die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII lagen zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung vor. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1), und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Wie soeben festgestellt, liegt beim Kläger eine seelische Störung vor.
Auch das Vorliegen einer - aus der vom Alterstypischen abweichenden seelischen Gesundheit abgeleiteten - zumindest drohenden Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII (sog. Teilhabebeeinträchtigung) ist zu bejahen. Denn die seelische Störung hat ein solches Ausmaß erreicht, dass die Fähigkeiten zur Eingliederung in die Gesellschaft deutlich gefährdet waren. Der Kläger hatte unter Zugrundelegung dieser Feststellungen dem Grunde nach Anspruch auf Eingliederungshilfe. Eine Teilhabebeeinträchtigung liegt vor allem dann vor, wenn dem behinderten jungen Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in sozialer, schulischer oder beruflicher Hinsicht erschwert ist, mithin die Integrationsfähigkeit des jungen Menschen beeinträchtigt ist. Hierfür genügt, wenn sich die Störung in einem der relevanten Lebensbereiche auswirkt (Kepert/Dexheimer in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 35a Rn. 19). Allerdings muss die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv sein, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt (BVerwG, Urteil vom 26.11.1998 – 5 C 38/97 – juris Rn. 15).
Gemessen an diesen Maßstäben lag mit der bestehenden ADHS eine solche seelische Störung vor.
Diese Erkrankung hat beim Kläger dazu geführt, dass ein selbstständiges Diabetesmanagement nicht möglich war. Zufriedenstellende stabile Blutzuckerwerte konnten nur im Rahmen des strukturierten Rahmens der Einrichtung erzielt werden. Ziel der begehrten Maßnahme war daher, dass entsprechend des individuellen Bedarfs des Kindes eine wesentliche Behinderung oder deren Folgen durch Förder- und Betreuungsangebote beseitigt bzw. zumindest gemildert werden sollten, um dem Kind/ Jugendlichen die Eingliederung in die Gesellschaft sowie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Als Inhalte der durchgeführten Maßnahme sind u.a. die Verbesserung der Krankheitsbewältigung, die Unterstützung schulischer und berufsvorbereitender Belange, die Förderung sozialer und lebenspraktischer Kompetenzen, die Hinführung zur einer eigenverantwortlichen Lebensführung inkl. selbständiger, altersadäquater Therapiedurchführung genannt worden.
Diese umfassende Maßnahme war für den Kläger auch erforderlich, da ambulante (oder auch kurzfristige stationäre) Angebote inklusive einer Assistenzkraft in der Schule allesamt nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben, damit der Kläger ein altersentsprechend eigenverantwortliches Leben führen kann, ohne dauerhaft auf Unterstützung durch Pflegekräfte angewiesen zu sein.
Der Kläger hat nach alledem einen Anspruch auf Kostenerstattung für die Maßnahme nach dem SGB VIII gegen den Beklagten als erstangegangenen Träger nach § 14 SGB IX.
Nach alledem war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.