S 18 KA 303/21 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 18 KA 303/21 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 4/22 B ER
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Wenn die Klage in der Hauptsache weder aussichtslos ist, noch der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, bedarf es im Rahmen von § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG einer Interessenabwägung. Dabei bedeutet eine Beitragszahlung in Höhe von 3.000,00 Euro für den Zeitraum von vier Quartalen, jedenfalls soweit es an einem entsprechenden Vortrag fehlt, für einen Arzt keine unbillige Härte, die entgegen des gesetzlich vorgegebenen Regel-Ausnahmeverhältnisses die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche rechtfertigt.

1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 27.10.2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.10.2021 wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 750,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 27.10.2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.10.2021.

Der Antragsteller ist Facharzt für Allgemeinmedizin und als solcher privatärztlich mit Praxis in A-Stadt tätig.

Mit Schreiben vom 20.03.2019 und 15.05.2019 versandte die Antragsgegnerin ein an alle Privatärzte gerichtetes Rundschreiben über die Einbeziehung der Privatärzte in den Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (kurz: ÄBD). In dem Schreiben teilte die Antragsgegnerin das Procedere zur Teilnahme am ÄBD mit. Sie machte Ausführungen zu den bestehenden Teilnahmevoraussetzungen und die beizubringenden Nachweise und informierte über Befreiungsgründe. Weiter stellte sie die finanziellen Rahmenbedingungen dar und verwies auf zukünftig jährlich ergehende Beitragsbescheide. Das Schreiben schloss mit der Bitte, sich bei Bedarf rechtzeitig zu einem Seminar anzumelden und die erforderlichen Unterlagen einzureichen, damit ein reibungsloser Beginn der Mitwirkung im ÄBD gewährleistet werden könne.

Der Antragsteller erhob am 08.07.2019 anwaltlich vertreten Widerspruch gegen das Schreiben vom 15.05.2019.

Die Antragsgegnerin erließ im Folgenden Beitragsbescheide für die Quartale III/19 und IV/19 (Bescheid vom 18.09.2019) sowie I/20 bis IV/20 (Bescheid vom 09.03.2020). Dabei setzte sie den ÄBD-Beitrag für jedes Quartal auf 750,00 € fest.

Gegen diese Bescheide legte der Antragsteller mit Schreiben vom 08.10.2019 bzw. 25.03.2020 ebenfalls Widerspruch ein.

Den Widerspruch vom 08.07.2019 wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2020 als unzulässig zurück.

Anschließend erhob der Antragsteller Klage am Sozialgericht Marburg (Az. S 18 KA 279/21 WA, ehemals S 18 KA 224/20, ehemals S 12 KA 224/20). Das Verfahren wurde im Hinblick auf ein weiteres Musterverfahren zwischenzeitlich ruhend gestellt.

Die weiteren Widersprüche wurden aufgrund anhängiger Gerichtsverfahren zurückgestellt, wobei die Antragsgegnerin dem Antragsteller im Rundschreiben vom 01.09.2020 mitteilte, dass von einer Vollstreckung der Beitragsbescheide für die Jahre 2019 und 2020 bis zum 31.12.2020 abgesehen werde.

Mit Datum vom 06.10.2021 erließ die Antragsgegnerin einen Beitragsbescheid für die Quartale I/21 bis IV/21 (Bl. 4, 5 der Gerichtsakte). In dem Bescheid setzte sie den ÄBD-Beitrag pro Quartal auf 750,00 €, insgesamt also auf 3.000,00 € fest.
In einem Rundschreiben vom gleichen Datum teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass nunmehr eine Eintreibung der noch offenen Beiträge für die Jahre 2019 und 2020 erfolgen werde.

Der Antragsteller legte gegen den Bescheid vom 06.10.2021 mit Schreiben vom 27.10.2021 Widerspruch ein (Bl. 6 der Gerichtsakte). 

Am 25.10.2021 (Bl. 7 der Gerichtsakte) übersandte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Zahlungserinnerung in Höhe von 4.167,96 € hinsichtlich der Quartale III/19 bis IV/20 und bat um Überweisung bis zum 08.11.2021. In der Zahlungserinnerung wies sie einen korrigierten ÄBD-Beitrag in Höhe von jeweils 687,26 € (Quartale III/19 und IV/19) bzw. 698,36 € (Quartal I/20 bis IV/20) aus.

Mit anwaltlichen Schriftsatz vom 09.11.2021 wandte sich der Antragsteller an die Antragsgegnerin und forderte diese auf, die sofortige Vollziehung der Bescheide ganz auszusetzen. Seiner Ansicht nach habe sein Widerspruch aufschiebende Wirkung. Daneben bestünden ernstliche Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Er verweise insoweit auf eine Verfügung des Sozialgerichts Marburg im Verfahren S 12 KA 305/19 vom 01.04.2020 unter Ziff. 4. Dort weise das Sozialgericht bereits auf erhebliche (auch verfassungsrechtliche Bedenken) hinsichtlich der Beitragsbemessung hin. 

Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 19.11.2021 den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Bescheide über die Höhe des zur Finanzierung des ÄBD zu leistenden Beitrages für die Quartale III/19 bis IV/21 ab (Bl. 20 bis 24 der Gerichtsakte). Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, die Beiträge der Privatärzte würde eine Beitragspflicht im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG darstellen. Eine Aussetzung der Vollziehung könne nur erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestünden oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentlichen Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Für die ernstlichen Zweifel würden bloße Bedenken nicht genügen. Anhaltspunkte für eine unbillige Härte seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Antragsteller könne für das Jahr 2021 noch einen Antrag auf Beitragsreduzierung stellen. Im Einzelfall sei auch eine Ratenzahlungsvereinbarung möglich. Im Hinblick darauf, dass erstmals am 24.06.2020 eine Mahnung verschickt worden sei, sei dem Antragsteller auch genügend Zeit eingeräumt worden, um etwa Ansparungen vorzunehmen. Des Weiteren würde das Interesse der Antragsgegnerin an der Sicherstellung und Gewährleistung des Versorgungsangebotes des ÄBD und die Deckung der hierfür entstehenden laufenden Kosten sowie das Interesse der Vertragsärzte an einer finanziellen Beteiligung der Privatärzte das Interesse des Antragstellers, keine Beiträge an die Antragsgegnerin zu leisten, überwiegen.

Hierauf hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 02.12.2021 einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung am Sozialgericht Marburg gestellt. Er trägt vor, sowohl die 11. als auch die 12. Kammer des Sozialgerichts Marburg hätten im Rahmen der Musterverfahren bereits umfassende rechtliche Hinweise erteilt, wonach erhebliche Bedenken hinsichtlich der Beitragsfestsetzung bestünden. Die von zwei unabhängigen Kammern geäußerten verfassungsrechtliche Bedenken gegen die streitgegenständlichen Bescheide würden ausreichen, um ernstliche Zweifel im Sinne von § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG anzunehmen. Es komme nicht darauf an, dass die Kammern noch keine Entscheidung in der Sache getroffen hätten. Dadurch, dass ernstliche Zweifel bezüglich der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide bestünden, bedürfe es auch nicht mehr einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte. Eine solche läge aber bereits deshalb vor, da der Antragsteller Beiträge aus rechtswidrigen Bescheiden zahlen solle und gleichzeitig zur Rückforderungsklage gezwungen wäre. Vor dem Hintergrund verfassungswidriger Bescheide erschließe es sich ihm nicht, warum überhaupt noch eine Interessenabwägung durchgeführt werden müsse. Im Rahmen einer solchen sei aber die bereits aktenkundige Grundrechtsverletzung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin die Verwaltungsakte seit einem bzw. zwei Jahren nicht vollzogen habe.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 27.10.2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.10.2021 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 86b SGG anzuordnen, zumindest bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt sie vor, die Widersprüche des Antragstellers hätten nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, da es sich um Entscheidungen über Beitragspflichten und mithin Festsetzungen einer Zahlungspflicht des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin handeln würde. Der Antrag sei unbegründet, da das Vollzugsinteresse überwiegen würde. Die angegriffenen Bescheide seien nach summarischer Prüfung nicht offensichtlich rechtswidrig. Die Beitragsbescheide seien rechtmäßig. Wirksame Rechtsgrundlage sei § 23 Nr. 2 HessHeilberG i.V.m. § 8 Abs. 3 BDO. Auch die hiesige sowie die 11. Kammer des Sozialgerichts Marburg würden von der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Teilnahme- und Kostenbeteiligungspflicht der Privatärzte am ÄBD ausgehen. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Beitragsbemessung fehle es bislang an einer Entscheidung des Sozialgerichts bzw. einer höherinstanzlichen Entscheidung, weshalb keine offensichtliche Rechtswidrigkeit zu erkennen sei. Im Übrigen könne aufgrund der ungeklärten Rechtslage nicht von einer Interessenabwägung abgesehen werden. Eine Unzumutbarkeit der Vollstreckung sei weder vorgetragen, noch ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

II.

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist eröffnet. Wegen des akzessorischen Charakters des Eilverfahrens bestimmt das Hauptsacheverfahren den Rechtsweg zu den Sozialgerichten nach § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zuständig ist das Gericht, das mit der Hauptsache befasst ist oder befasst wäre (Wahrendorf in: Roos u.a., Beck OGK SGG, Stand: 01.11.2021, § 86b Rn. 30). 
Vorliegend wendet sich der Antragsteller gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 06.10.2021, mit dem der Beitrag zur Finanzierung des ÄBD für die Quartale I/21 bis IV/21 festgesetzt wurde. Hierfür wären in der Hauptsache die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig. Die Kammer schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. nur BSG, Beschluss vom 05.05.2021, Az. B 6 SF 1/20 R) an. Danach ist für Streitigkeiten über die Teilnahme am ÄBD der Antragsgegnerin einschließlich der Verpflichtung zur Kostenbeteiligung der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Eine Verweisung des Rechtsstreits ist nur dann geboten und zulässig, wenn der beschrittene Rechtsweg schlechthin, d. h. für den Klageanspruch mit allen in Betracht kommenden Klagegründen, nicht eröffnet ist. Ist das – wie hier – nicht der Fall, entscheidet das angegangene Gericht des zulässigen Rechtsweges nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

1. Der Antrag ist zulässig.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag
1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3. in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.

Hier begehrt der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.

a. Der Antrag ist statthaft, da er sich gegen einen belastenden Verwaltungsakt (Beitragsbescheid vom 06.10.2021) richtet, der weder bereits bestandskräftig geworden ist noch sich bereits erledigt hat.

Der vom Antragsteller eingelegte Widerspruch entfaltet auch keine aufschiebende Wirkung.

Grundsätzlich haben gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung.
Nach § 86a Abs. 1 entfällt die aufschiebende Wirkung
1. bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten,
2. in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen,
3. für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen,
4. in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen,
5. in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet.

So liegt der Fall hier. Mit dem Bescheid vom 06.10.2021 forderte die Antragsgegnerin Beiträge zur Finanzierung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes an. Hierbei handelt es sich um Beiträge im Sinne von § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG, sodass der hiergegen gerichtete Widerspruch keine aufschiebende Wirkung entfaltet.

b. Hinsichtlich des Antrages besteht auch ein allgemeines Rechtsschutzinteresse, da die Behörde durch ihr Rundschreiben vom 06.10.2021 und der Mahnung vom 25.10.2021 zu erkennen gegeben hat, dass sie die Beitragsschulden nunmehr eintreiben will. Im Rahmen der Zulässigkeit kommt es (noch) nicht darauf an, dass die Zahlungserinnerung und angestrebte Eintreibung bisher nur die offenen Beiträge für die Jahre 2019 und 2020 erfasst und nicht die hier streitgegenständlichen Beiträge für das Jahr 2021. 
Ebenfalls unbeachtlich ist es, dass die Antragsgegnerin erklärt hat, dass Vollstreckungsmaßnahmen in diesem Jahr nicht mehr vorgesehen seien, da mit dieser Erklärung nicht gleichzeitig auf eine Vollstreckung bis zur Klärung im Widerspruchs- oder Klageverfahren verzichtet wurde.

2. Der Antrag ist aber unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Nichtvollzug das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung hat sich an den voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu orientieren. 
Ist der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, besteht auch im Sozialgerichtsprozess keine Veranlassung zum sofortigen Vollzug. Ist die Klage aussichtslos, geht die Interessenabwägung zugunsten der Verwaltung aus. Bei offenem Ausgang bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung (Wahrendorf a.a.O. § 86b Rn. 8).

Notwendig ist hier eine allgemeine Interessenabwägung, da die Klage in der Hauptsache weder aussichtslos ist noch der angefochtene Verwaltungsakt derart offensichtlich rechtswidrig ist, dass keine Veranlassung zum sofortigen Vollzug mehr bestehen würde.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers reicht eine vorläufige rechtliche Einschätzung der Kammervorsitzenden in der 11., 12. und 18. Kammer nicht aus, um auf eine weitere Interessenabwägung zu verzichten. 

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 86a Abs. 3 Satz 1 und 2 SGG. Danach kann die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
§ 86a Abs. 3 SGG richtet sich seinem Wortlaut nach nur an die Behörde, nicht jedoch an das Gericht. Zwar können die dort aufgestellten Kriterien im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung herangezogen werden, sie machen eine solche aber nicht entbehrlich. 

Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in der vorliegenden Konstellation ein Regel-/Ausnahmeverhältnis angeordnet hat: Aus der Wertung des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG ergibt sich, dass der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individualinteressen und der öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. In der Regel überwiegt daher in solchen Fällen das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin (vgl. BSG, Beschluss vom 29.08.2011, Az. B 6 KA 18/11 R, Juris Rn. 12). Eine Abweichung von diesem Regel-/Ausnahmeverhältnis durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs kommt in Betracht, wenn eine besondere Sachlage im Einzelfall ausnahmsweise zu einem Überwiegen des privaten Interesses der durch den Bescheid belasteten Person führt.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe überwiegt vorliegend das behördliche Vollzugsinteresse. 
Nach der gebotenen summarischen Prüfung bestehen zwar Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides. Mit dem Bescheid vom 06.10.2021 werden Beiträge für die Finanzierung des ÄBD festgesetzt. Hierbei gilt im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz, dass die Beiträge auch im Verhältnis der Beitragspflichtigen zueinander grundsätzlich vorteilsgerecht zu bemessen sind (BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 6 KA 1/13 R –, Rn. 22 f.). Hieran könnte es vorliegend mangeln, da bei der Berechnung der Beitragshöhe ohne sachliche Gründe im Fall der Vertragsärzte auf eine Berücksichtigung der Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit verzichtet wird, während im Fall der Privatärzte gerade das Jahresbruttoeinkommen als Bezugsgröße dient.

Dennoch ist eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers nicht gerechtfertigt.

Bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Heranziehung und Verpflichtung von Privatärzten zur Kostenbeteiligung handelt es sich um eine komplexe, verfassungsrechtlich geprägte Rechtsfrage, die vermutlich sämtliche Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit beschäftigen wird und eine Vielzahl von Klägern betrifft (siehe alleine den Instanzenzug hinsichtlich der Frage der Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten). Es ist davon auszugehen, dass eine rechtskräftige Entscheidung erst in Jahren vorliegt. Hinzukommt, dass nach Auffassung der Kammer die grundsätzliche Heranziehung und Verpflichtung des Antragstellers zur Kostenbeteiligung am ÄBD durch die Antragsgegnerin von der Ermächtigungsgrundlage des § 23 Nr. 2 HessHeilberG gedeckt ist. Bedenken bestehen alleine hinsichtlich der konkreten Beitragsfestsetzung. 
In dieser Konstellation kann die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur dann erfolgen, wenn die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstellt. 
Eine unbillige Härte liegt dann vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können. Hierfür genügt nicht bereits der Verweis darauf, dass der Antragsteller durch die Vollziehung der Bescheide gezwungen ist, die festgesetzten Beiträge zu bezahlen. Dies entspricht vielmehr der gesetzgeberischen Konzeption des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG, der im Rahmen einer generalisierten Interessenabwägung dem Vollzugsinteresse den Vorrang einräumt. Notwendig ist vielmehr der Vortrag vollständiger, nachvollziehbarer und schlüssiger Tatsachen über die aktuelle wirtschaftliche Situation des Antragstellers durch diesen (Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86a Rn. 27b).

Das Vorliegen einer unbilligen Härte durch den Vollzug der Zahlungspflicht ist hier nicht im Ansatz erkennbar, da der Antragsteller trotz ausdrücklichen gerichtlichen Hinweises auf die Notwendigkeit des Bestehens einer unbilligen Härte keine Einzelheiten zu den wirtschaftlichen Folgen der Belastung durch die Beitragszahlung vorgebracht hat. Der pauschale Verweis des Antragstellers, dass sich allein aus der drohenden Vollstreckung der streitgegenständlichen Bescheide die unbillige Härte ergebe, verfängt nicht, sondern rekurriert nur auf die übliche Konsequenz einer Zahlungspflicht. Eine über diese reine Zahlungspflicht hinausgehende, besondere wirtschaftliche Belastung kann die Kammer im Fall des Antragstellers nicht erkennen. Der Vortrag vollständiger, nachvollziehbarer und schlüssiger Tatsachen über die aktuelle wirtschaftliche Situation des Antragstellers ist nicht erfolgt.
Hinzukommt, dass der Antragsteller vorliegend die aufschiebende Wirkung nur hinsichtlich seines Widerspruches vom 27.10.2021 gegen den Bescheid vom 06.10.2021 beantragt hat, was auf die Vollziehung der in der Zahlungserinnerung vom 25.10.2021 aufgelisteten Beiträge keine Auswirkung hätte. Warum alleine die Vollziehung der festgesetzten ÄBD-Beiträge für das Jahr 2021 unzumutbar sein sollte (insgesamt maximal 3.000,00 €), während die Vollstreckung der Beiträge aus den Jahren 2019, 2020 akzeptiert wird (insgesamt 4.167,96 €), ist nicht nachvollziehbar.

Auf der anderen Seite werden die ÄBD-Beiträge zur Finanzierung des Bereitschaftsdienstes der Antragsgegnerin benötigt. Die Durchführung und Aufrechterhaltung des Bereitschaftsdienstes ist ein wesentlicher Bestandteil der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Sie geschieht auch im Interesse des Antragstellers, der als niedergelassener Arzt grundsätzlich verpflichtet ist, für die Betreuung seiner Patienten in dem Umfange Sorge zu tragen, wie es deren Krankheitszustand erfordert (vgl. § 26 Abs. 3 BO). Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ist nicht auf gewisse Zeiträume (z. B. Sprechstunden, Werktage) beschränkt, sondern muss auch in zeitlicher Hinsicht umfassend sein („rund um die Uhr“). Die Erfüllung dieser Aufgabe macht es, wenn nicht anderweitig vorgesorgt wird, erforderlich, für bestimmte Zeiten (insb. für die Wochenenden) einen Notfallvertretungsdienst zu organisieren. Hierbei handelt es sich um eine gemeinsame Aufgabe aller Ärzte. Durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst wird der einzelne Arzt – auch der Antragsteller – entlastet. 
Soweit die Vollziehung eines – unter Umständen im Ergebnis rechtswidrigen – Bescheides für den Antragsteller vorliegend überhaupt eine Härte darstellt, so ist sie jedenfalls aufgrund überwiegender öffentlicher Interessen gerechtfertigt, um bis zur rechtskräftigen Entscheidung die Finanzierung des ÄBD und damit die Funktionsfähigkeit des Bereitschaftsdienstes insgesamt aufrechtzuerhalten.

Daran ändert auch der Umstand, dass die Antragsgegnerin bislang auf eine Vollziehung der Beiträge aus den Jahren 2019 und 2020 verzichtet hat, nichts. Die Antragsgegnerin hat hierzu bereits im Rundschreiben vom 01.09.2020 mitgeteilt, dass die zwangsweise Eintreibung nur vorübergehend ausgesetzt werde, um die Privatärzte neben den pandemiebedingten Honorareinbußen nicht noch weiter zu belasten. Hierin ist kein zögerliches Verhalten der Behörde zu erblicken, welches das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung entfallen lässt. Vielmehr ist die Antragsgegnerin dem Antragsteller vorübergehend entgegengekommen, um eine zu große finanzielle Belastung des Antragstellers aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie zu verhindern. Da sich der Antragsteller nunmehr auf die weiter andauernde Pandemielage eingestellt haben muss, ist die wiederaufgenommene Vollziehung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

III.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 4, § 52 Abs. 1, 3 Satz 1, § 1 Abs. 2 Nr. 3 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 € anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). 
Auszugehen ist von einer Umlage in Höhe von 750 € im Quartal. Dieser Betrag ist für die hier streitigen vier Quartale (I/21 bis IV/21) entsprechend § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG hochzurechnen und ergibt den Betrag von 3.000,00 €.

Im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist ein Viertel des Hauptsachestreitwertes anzusetzen, weil mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wie bei einer Sicherungsanordnung ein bestehendes Rechtsverhältnis gegen Veränderungen auf Grund der im Hauptsacheverfahren angefochtenen Bescheide gesichert werden soll (vgl. Nr. 10.2 des Streitwertkatalogs für die Sozialgerichtsbarkeit). Dies ergibt den festgesetzten Betrag von 750,00 €.

Rechtskraft
Aus
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